Titel: Keshin-Wiedergeburt Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Fan Fiction Zetsuai/Bronze, Zetsuai since 1989 von Minami Ozaki (siehe Informationen) FSK: ab 16 Kategorie: Phantastik Erstellt: 21.04.2002 Disclaimer: 20XX Zetsuai-Crime of Passion sowie alle Personen aus dem Zetsuai-Bronze-Universum gehören Minami Ozaki. Der Song erscheint mit einem sehr ansehnlichen Video-Clip auf der Cathexis-Doppel-Videokassette. ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ ~#~ Keshin (Wiedergeburt) Kapitel 1 - Widersacher »Ein Hinterhalt! Ich hatte es doch gleich gesagt!!« Der dunkelhaarige Mann in der Uniform des Widerstands setzte ungerührt über den fallenden Körper eines sterbenden Kameraden hinweg. Ergriff das glühende, automatische Gewehr und gab mit gezielten Salven Sperrfeuer, um die Verluste in den eigenen Reihen so gering wie möglich zu halten. Ihre Widersacher, die Cyborgs des Regimes, waren durch ihr Gewicht in der Reaktionsschnelligkeit behindert, lediglich Sekunden, doch diese genügten dem wieselflinken Mann, um verheerende Schneisen in ihre Angriffsphalanx zu pflügen. Kaltblütig kalkulierte er den größtmöglichen Schaden, ignorierte dabei die sengende Abwärme in seinen behandschuhten Händen. »Noch einige Meter...« Die Sprengfallen waren auf eine bestimmte Massendichte programmiert, um nicht versehentlich die eigenen Kämpfer in den Tod zu reißen. Nun endlich befanden sich die Cyborgs allein in ihrer Nähe. Die rasch abklingende Körperwärme der Gefallenen setzte die letzte Warnfunktion außer Kraft. Der Mann wirbelte in eleganter Präzision hinter einen mit Mörserschrapnell perforierten Trümmerhaufen und öffnete unwillkürlich den Mund, als die Druckwelle ohrenbetäubend und Gefäß schädigend über seinen Unterschlupf hinwegfegte. In seinen schmerzenden Händen knackte der Lauf des automatischen Gewehrs vernehmlich, störte den schweren Staubregen des zermahlenen Gesteins, der sich in düsterem Granitgrau auf die Ruinen senkte. Angestrengt suchte der Mann auf einem winzigen Monitor, doch seine angespannte Körperhaltung verriet, dass er sich nicht allein auf die technischen Hilfsmittel verließ, sondern mit allen Sinnen nach Überlebenden und potentiellen Gegnern fahndete. Doch Display und eigene Wahrnehmung vermeldeten keinen Erfolg. Er war allein. ~+~+~ Der General nippte gelangweilt an einem der hochprozentigen Cocktails, die sich explosiv in jedem Magen zusammenbrauten, in seinem Leib jedoch verfehlten sie die Wirkung. Seine Miene blieb ausdruckslos. Lediglich die wippenden Fingerspitzen mit den überlangen Nägeln aus einer stählernen Metalllegierung drohten den beiden Gespielinnen, die an diesem Vorabend die verhasste Pflicht hatten, ihm aufzuwarten, dass von nun an jede Geste mit Vorsicht zu vollführen war, wollten sie sich nicht den grausamen und gleichgültigen Zorn des hochgewachsenen Mannes zuziehen. Wie gewohnt, wenn er sich nicht gerade in einem der leichten Schwebetransporter befand und über ein Ruinen- oder Schlachtfeld hinwegsetzte, verfolgten seine ungleichen Augen die riesige Wand mit den Monitoren. Die unermüdlich durch winzige Drohnen Bilder aus der gesamten Region, die ihm unterstand, übertrugen. Sein einziges Vergnügen, da er keines Schlafes bedurfte. Der rot gekleidete Widerständler hatte die letzte Drohne offenkundig noch nicht entdeckt. Was den General veranlasste, sich aufrechter in seinem Sessel zu lagern und mit sardonischem Lächeln auf den gekräuselten, schmalen Lippen dessen Weg durch das Trümmerfeld zu verfolgen. Würde ihn eine Mine zerreißen, würde eine der Cyborg-Einheiten einen letzten Schuss abgeben? Ein ungewohnter Schauer der Erregung huschte geduckt über die glatt polierte, marmorn wirkende Haut unter der maßgeschneiderten Uniform. Mit einem winzigen Stoß eines gefärbten Fingernagels wies er die spärliche Programmierung der Drohne an, die bedächtig prüfende Gestalt heranzuzoomen, ungeachtet der Gefahr, dass auch sie nun entdeckt werden konnte. Tatsächlich schien das minimale Betriebsgeräusch innerhalb der Drohne die Aufmerksamkeit des Widerständlers gefunden zu haben. Er erstarrte wie gemeißelt, seine Stirn senkte sich unwillkürlich, in dem urtümlichen Verlangen, wie ein wilder Stier zu kämpfen, während er alle Sinne aufs Äußerste anstrengte. Dann, nur Wimpernschläge später, fauchte seine Rechte hoch, eine entsicherte automatische Handfeuerwaffe blies ihr todbringendes Mündungsfeuer wie eine exotische Blüte in den Fokus der Kamera. Der General starrte auf das nun virtuellen Schneefall produzierende Bild des Monitors, hoch aufgerichtet, alert. Seine Lippen formten unbewusst Laute, die Fingernägel bohrten sich tief in das kostspielige Leder seines Sessels. Ungewohnte Erregung trübte das kristallklare Blau seines rechten Auges. Hastig wichen die beiden Frauen zurück, suchten den Schutz der Schatten, als sich der General schwungvoll erhob, der rote Mantel wie ein Fanal hinter ihm wehte, gleich der Lohe der Zerstörung, die er nun ohne Frage aussenden würde. ~+~+~ Ich schmeckte den allgegenwärtigen Staub auf meiner Zunge. Er knirschte zwischen meinen Zähnen, wo ich ihn in ohnmächtiger Wut zermalmte. Automatisch registrierten meine Finger die verbliebene Munition, während ich die Aufstellung der Gefallenen vornahm, natürlich wie immer zu viele. Ungeschult, lediglich unter dem vermeintlichen Schutzmantel ihres Enthusiasmus geborgen, traten sie dem Widerstand bei, um in Kürze ihr Leben zu verlieren. Ich verabscheute ihre Begeisterung, das Fieber in ihren Augen, wenn sie sich den Märtyrertod ausmalten. Was für einen Sinn hatte es, zu sterben für eine bessere Welt?! Idiotie. Auf der anderen Seite gab es nichts, dessen war ich gewiss, hatte ich doch in meinem kurzen, und doch ewig währenden Leben mehr Tod gesehen als viele andere. Im Fleischregen zerfetzter Kameraden ausgeharrt, zwischen den Fronten den einzigen Pfad durch Sprengfallen und Minen gesucht, war vor Scharfschützen geflohen. Natürlich war es nicht mein Können, das mich so lange am Leben erhalten hatte, nein, eine grausame Vorsehung hatte mich wohl gebrandmarkt, unverletzt durch eine beständige Hölle zu wandern und um mich herum das Unglück zu verbreiten. Darum arbeitete ich auch am Liebsten allein, keine Komplikationen, keine unerwünschten Emotionen, keine abschweifenden Gedanken. Meine Motivation selbst nahm sich banal aus, ich wollte Rache. Rache für eine Kindheit, die ich nie hatte, für eine Familie, die vergessen war, bevor ich sie lieben konnte, für ein Leben als Beutetier, für die beiläufige Ermordung zahlloser Menschen. Vielleicht war ich auch einfach nur stur. Langsam ließ ich mich an einer verbrannten Betonwand herunter, kletterte durch ein Loch tiefer in das eingestürzte Gebäude, wobei ich die Fallen und herausragenden Stahlgerippe vermied. Eine kurze Atempause, dann würde ich weiterziehen auf meinem einsamen Weg. Meine Begleiter hießen dabei wie jeden Tag und jede Nacht Tod und Glycerinnitrat. ~+~+~ Der General wischte sich in einer unbewussten Geste die weizenblonden Haare aus den Augen, das hinter einem Visier verborgene Linke blitzte glutrot auf. Vor ihm leuchtete die neueste Karte, punktiert in Neonfarben, markierte Trümmer, Fallen, Hinterhalte, mögliche Verstecke des Widerstands, zerstörte Drohnen. Es gab nicht viele Möglichkeiten für den schlanken Mann, der mit rubinroten Augen eisgekühlten Hass versprüht hatte, sich aus dem Schlachtfeld abzusetzen. Und, der General lächelte arktisch, wenn er starrsinnig auf seinem suizidalen Kurs bestand, noch weniger Optionen, um sich vor ihm zu verbergen. Seine Zunge, bläulich gefärbt durch die letzten Cocktails, leckte hungrig über die perfekten, spitzen Zähne, raubtierhaft gefletscht. Er verspürte das unbändige Verlangen nach der Jagd. ~+~+~ »Nicht gerade eine sichere Bank«, resümierte ich nach Bestandsaufnahme meiner Munition. Squirrel hatte eine Nachricht mit ein wenig Sprengstoff und einer Handvoll Zündern hinterlassen. Mein nächstes Ziel sollte mit höchster Priorität avisiert werden. Eine überflüssige Ermahnung, die mir jedoch verriet, dass es im Hauptquartier zu derartigem Erfolgsdruck gekommen sein musste, dass sie nun gleichgültig für die Risiken wurden. Die zentrale Versorgungsanlage, eine gewaltige Kuppel umgeben von altertümlichen Schornsteinen, befand sich unter der Bewachung einer Cyborg-Spezialeinheit. Dazu kam noch eine Elitekohorte des Regimes. Alle hochgezüchtete, perfekte homo superioris, oder wie sie sich selbst wohl nennen mochten. Ein absolutes Himmelfahrtskommando, im wahrsten Sinne des Wortes. Um den Betonmantel, der konstruiert war, einen direkten Flugzeugabsturz zu überstehen, zu zerstören, brauchte es eine schier unglaubliche Sprengkraft. Nichts, was man nonchalant erledigen konnte. Ich bemerkte ein verzerrtes Lächeln auf meinen verkrusteten Lippen. Andererseits half es manchmal, klein zu denken... oder mittels eines Hackerdroiden per Zufall auf die Konstruktionspläne zu stoßen. Meine Chancen standen selbstredend noch immer unter dem Nullpunkt, aber mich hatte das Fieber infiziert, diesen Beton-Sakopharg zu knacken. Gerade weil er das Symbol des Regimes war, als unzerstörbar galt. Wenn man so wollte, eine eigensüchtige und arrogante Vorstellung, allein den Kampf aufzunehmen, jedoch kümmerte es mich nicht mehr, was andere denken mochten. Meine Zeit lief ab, das spürte ich, und ich beabsichtigte, mit einem gewaltigen Feuerwerk diese Hölle zu segnen. ~+~+~ Der General beobachtete die Punkte auf der Karte, die die Einheiten symbolisierten, wie bei einer Treibjagd ausgerichtet, das Wild in die Falle zu zwingen, dabei alle Verstecke systematisch erkundend. Gelegentlich zerriss eine Explosion die gespannte Stille, wenn eine Mine oder Sprengfalle zu spät entdeckt wurde, doch den hochgewachsenen Mann in der schwarzen Uniform mit der Rune des Regimes kümmerte dies wenig. Ein Haufen Schrott mehr oder weniger... Sklaven für den Augenblick, nichts weiter. Sein Instinkt, der ihn zum gefürchtetsten Anführer gemacht hatte, innerhalb der eigenen Einheit zu einem Angstgegner bei jedem Duell, jeder Wette im russischen Roulette, zeigte ihm den wahrscheinlichen Pfad seiner Beute auf. Ein anerkennendes Lächeln zuckte über sein unwirklich schönes Gesicht. Er zollte dem Mann mit den Rubinaugen Anerkennung für den tollkühnen Plan. »Ich brenne darauf, dich zu treffen«, flüsterten seine Lippen lautlos in die Finsternis. ~+~+~ Vollmond, nicht gerade ideal, aber die Konzentration der Streitkräfte zwangen zu schnellem Handeln, keine Frage. Ich hatte das unwirkliche Gefühl, mich wie in Zeitlupe zu bewegen, als ob all der Aufwand mir allein gelte, wie ein Filmstar auf einer längst verlorenen Bühne. Natürlich unsinnig, dennoch fiel es mir schwer, die Erregung, die kochend in meinem Leib pulsierte, zu kontrollieren. Adrenalinstöße folgten einander in loser Folge. Vielleicht weckte auch die relative Leichtigkeit, mit der ich mich dem Kuppelbau nähern konnte, mein Misstrauen. »Ganz gleich«, wies ich mich selbst zurecht, »hier und jetzt entscheidet sich alles.« ~+~+~ Der General ignorierte die lautlose Debatte in seiner unmittelbaren Umgebung souverän. Was kümmerte es ihn, dass sie bereits mehrere Einheiten verloren hatten?! Er würde finden, wonach sein ganzer Körper schrie. Ohne Abschiedsgruß verließ er die Kommandobrücke des Zerstörers. ~+~+~ »Unglaublich!« Mein Herz jauchzte förmlich zerspringend, als ich mich an die Oberfläche arbeitete, die Deckung der Schatten weidlich nutzend. Ich fühlte mich so leicht wie die seltenen natürlichen Wolken am Himmel, siegesgewiss, glückstrahlend. Mein Gesicht musste wohl vor Triumph glühen, was mich ermahnte, die Vorsicht nicht schleifen zu lassen, war doch der letzte Schritt vor dem Ziel grundsätzlich der, der einem die Übersicht raubte. Und ich wollte entkommen, um aus sicherer Entfernung mein Werk bewundern zu können. Jede einzelne Sprengfalle in strategisch perfekter Position, dank eines uralten Kanalisationsplans! Ich unterdrückte ein Kichern, das sich sprudelnd über meine staubigen Lippen ergießen wollte. Jetzt war nur noch der freie Platz zu überqueren bis zum nächsten Gebäude, in dem ich mich in einem provisorischen Unterschlupf verkriechen konnte, bis sich die Reihen der Cyborgs ausreichend gelichtet hatten und ich entfliehen konnte. Ein Alarmsignal all meiner Sinne ließ mich herumfahren, als Mondlicht funkelnd eine gewaltige Klinge vor mir den porösen Beton perforierte. »Ein Säbel?!« Vor dem prallen Mond unkenntlich wartete regungslos eine hochgewachsene Gestalt. Mein Atem setzte aus. ~+~+~ »Da ist er. Wie vorausgesagt.« Der General gestattete sich ein selbstzufriedenes Lächeln. Die Rubinaugen glitzerten im Mondlicht, die enge Hemdbrust der Uniform hob sich bei jedem hastigen Atemzug. »Natürlich. Ein Mensch. Unregistriert.« Und dennoch bewies dieser Mann unvermutete Qualitäten, versprach, ein kurzweiliges Amüsement zu werden. Die Handschuhe schlossen sich um den Griff des Säbels, Muskelstränge beulten die knapp bemessenen Ärmel aus. Der General verließ mit katzenhafter Eleganz trotz seines Siliziumskeletts den Dachfirst. ~+~+~ Ich spürte die Druckwelle Sekundenbruchteile, bevor der Säbel des Unbekannten eine gewaltige Kluft in den Beton trümmerte. Kein Zweifel, es musste einer der Übermenschen sein! Allein die Kampfgewalt, das Gewicht... und natürlich die weizenblonden Haare, die exaltiert im Mondlicht wehten. Ich hasste ihn mit jedem Herzschlag intensiver, bebte unter der sich ballenden Wut in meinem Leib. »So überheblich, so selbstgerecht!« In gewohntem Tempo fauchte meine Waffe todbringendes Feuer auf den Widersacher. Glaubte er denn tatsächlich, dass ich dumm genug war, mich auf dieses kindische Säbelspiel einzulassen?! ~+~+~ Der Hass in den Rubinaugen entzündete sich wie ein Brandherd, glühte durch die staubbedeckten Wangen, blies rosiges Feuer auf die verkrusteten Lippen. Die Energieblitze, die meinen Panzer trafen, verpufften wirkungslos. »Nur marginale Schäden«, meldete der Visor vor meinem linken Auge. »Ganz schön frech, der kleine Schmutzfink!« Gleichwohl konnte ich kaum erwarten, dass seinesgleichen sich ehrenhaft verhalten würde, geschweige denn mit dem Codex vertraut war. Wieder blitzten die Augen unter den dunklen Haarspitzen hervor, verriet mir ihre Farbe, unter welchen Bedingungen der Mann aufgewachsen war. Seine Hände umklammerten den Säbel, suchten Abstand, doch ich erkannte in seinen Bewegungen, dass er sich der Ausweglosigkeit bewusst war. Ich würde meinen Kampf bekommen. ~+~+~ Ich wusste in jenem Augenblick, als die weizenblonden Haare in einer verirrten Brise aufflogen, dass ich verloren war. Die blauen Augen, eins hinter dem Visor verborgen, die Klauen, dieses arktische Lächeln... es musste der General sein. DER Massenmörder, Feindbild Nummer 1, Prototyp des neuen Menschen im Regime. Der perfekte Übermensch. Ich hasste ihn, und gleichzeitig hasste ich mich selbst, weil ich für Sekundenbruchteile seine unwirkliche Schönheit und Selbstsicherheit bewunderte. Wie sollte ich gegen diese Kampfmaschine bestehen?! Ich zwang mich, in sein Gesicht zu blicken, mich nicht irritieren zu lassen, umklammerte den schweren Säbel verkrampft. Vielleicht reichte keine gewöhnliche Waffe, aber wenn ich nahe genug an ihn herankäme, könnte ich eine Sprengladung einsetzen... die kümmerlichen Reste sollten ihm zumindest einen Denkanstoß geben. Die Zähne aufeinander pressend wagte ich den Ausfall. ~+~+~ Er bewegt sich geschmeidig, aber ohne übermäßige Kraft, und seine Paraden sind unsicher. Natürlich, es ist nicht sein Metier, dennoch gibt er sich nicht geschlagen. Ich kann mich nicht vor der Schönheit seiner Augen verschließen, dieses verzehrende Feuer, eine archaische Glut aus Hass und Verzweiflung. So viel Energie, so viel Hitze... könnte es sein...? Funken schlagend treffen unsere Klingen aufeinander, als im Mondlicht die erste Explosion das Erdreich erschüttert. Staub umwölkt den Boden, doch wir halten jeder unsere Position, festgefroren in diesem ewigen Augenblick, keiner bereit, eine Spanne nachzugeben. Da bemerke ich, wie ein Flackern, Schrecken in seinem Gesicht. Die zusammengebissenen Zähne trennen sich wie zu einem Ausruf... und gleichzeitig schiebt sich eine seltsame Vision über sein Bild in meinen Augen... »Verfluchter Visor, unzuverlässiger Elektronikabfall aus der Vorzeit!!« Ich blinzele heftig, nutze die Gelegenheit, hebele meinen Gegner aus. In spielerischem Bogen gleitet der Säbel über unsere Köpfe hinweg. ~+~+~ Ich spüre den Schmerz in meinen Handgelenken kaum. Mein Herzschlag, wie eine Kriegstrommel feuernd, übertönt selbst den Einsturz eines Gebäudetrakts. »Er... er... woher kommt diese Stimme, die nach mir schreit, mich anfleht?! Wem gehören diese Augen, wer greift verlangend nach mir?!« Eine Welle ungefilterter Panik überschwemmt mich. Das Grauen lässt mich zittern, dann vergesse ich mich selbst. Mein einziger Gedanke ist Flucht. Ich weiß, dass das Minenfeld vor mir der letzte Ausweg ist, ich leichtfertig mein Leben und diese Gelegenheit, das Monster zu töten, verspiele, doch ich bin unfähig, gegen diesen Aufruhr in meiner tiefsten Seele anzugehen. »Lauf!«, brüllt mein Gehirn schrill, hart schlagen seine Absätze schwer in den Boden hinter mir. »Ich hasse ihn! Hasse ihn!« Mit jedem Schritt, der näher hinter mir den Boden erzittern lässt, die Lautlosigkeit, das Fehlen fliehender Atemzüge. Die Qual, die Anstrengung, die mir alles abfordert. Ich möchte schreien, doch fehlen mir Worte. ~+~+~ Er flieht. Selbst unter dem ewigen Staubgrau kann ich erkennen, dass sein Gesicht alle Farbe verloren hat, die Augen angstvoll beschlagen sind. Hat er auch etwas gesehen? Ich kann ihn nicht entkommen lassen, in mir brodelt vernichtend eine unkontrollierbare Lust, die Funken sprühend meinen Fingernägeln entweicht, elektrischen Entladungen gleich. Seine weit ausholenden Schritte direkt auf das Minenfeld zu sind rhythmisch, dennoch ist er mir kein Gegner, erhasche ich seinen Umhang, reiße den flatternden Stoff von seinem Hals. Er erscheint mir schutzlos, überschlank in der engen Uniform, aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzend. »Willst du dich mir durch den Tod entziehen?! Niemals!!!« ~+~+~ Der Ruck an meinem Hals erstickt mich für Sekunden, sein Schatten umhüllt mich wie ein Dämon, vernichtet meine wilden Hoffnungen, ich könnte ihm entfliehen. Dann umfangen mich seine Arme, als sich die dunklen Punkte des fehlenden Atems vor meinen Augen lichten, meine Lungen protestieren. Sein Säbel streift drohend, Blut ziehend, meine Wange, ich soll mich ergeben, doch ich kann es nicht. Nicht einmal, wenn ich es wollte. Ich fürchte mich bis in den Kern meiner Seele vor ihm. Vor dem, was ich sah. Der Keramiksplitter in meinem Gürtel, gedacht, mir das Leben zu nehmen, dringt ungehindert in seinen Leib ein, bremst ihn ab. Mich umkehrend taumele ich von ihm weg, die elektrischen Entladungen atemlos genießend, möchte schreien, »verrecke endlich, du Monster«, doch er lächelt. Tränen verschmieren meine Sicht, als ein Trümmerstück mich von den Beinen holt. ~+~+~ Er stürzt, und ein animalischer Instinkt treibt mich an, übernimmt meinen Körper, als sei ich ein niederes Wesen. Ich fange die Faust, die mich niederschmettern soll, ohne Mühe, dann sauge ich hungrig seinen glühenden Atem in meine Lunge. »Oh, wie heiß, wie köstlich!« Seine Brust drängt sich mit jedem Herzschlag gegen meinen Panzer, seine Glieder zucken in hilflosem Widerstand, die Rubinaugen verbrennen mich. Und ich spüre Wärme. ~+~+~ Ich will es nicht.... er ist kalt... so kalt... wehre mich... »Sieh mich nicht an!!« Schmerz... Dunkelheit... Erwachen.... Verliere... meine... Sinne.... ~+~+~ Seine zittrige Hand zerrt ungezielt den Visor von meinem Auge, und ich komme langsam wieder zu mir. Die Uniform, die so hautnah seinen schmalen Leib verhüllt hat, ist vom staubigen Mistral verweht worden. Meine Nägel haben blutige Spuren in seiner verfärbten Haut hinterlassen, als ich blindwütig zerfetzte, was mich störte. Sein Atem geht flach, als ich mich herunterbeuge, ihn nun mit beiden Augen ohne Hilfsmittel betrachte. Die Lippen verkrustet und blutig gebissen, das fahle Gesicht verzerrt, und doch... Ich lecke seinen Geschmack von meinem Mund, Staub, Salz und die granatrote Flüssigkeit, die diese Untermenschen ausmacht. »Köstlich.« Das Dröhnen eines Schwebewagens schreckt mich auf. Unwillkürlich raffe ich meine Beute hoch und verberge uns beide in einem düsteren Winkel. »Hätte ich meine Waffe dabei, würde ich den Störenfried vom Himmel holen!!« Ich muss über mich selbst lächeln. »Das kann doch nicht wahr sein...« Nicht, dass ich zögern würde, die Mannschaft zu opfern, doch allein wegen diesem... Sein Kopf liegt an meiner Schulter, besudelt den fleckenfreien Stoff, doch es kümmert mich nicht mehr. Ja, er ist schmutzig, verschwitzt, verseucht vom Leben in den Ruinen, staubbedeckt... und ich bin so hungrig auf jede Regung, dass ich ihn verschlingen könnte. Grob schüttele ich seine schmalen Schultern... wie zerbrechlich sie sind... er wirkt so winzig in meinen Armen. Ich will ihn noch einmal, nein, noch tausendmal, unendlich oft! besitzen... seinen Atem rauben, seine Lippen blutig lecken. Diesen Körper verwüsten, seinen Herzschlag beschleunigen, bis nur ein einziger Wehlaut zu vernehmen ist, seine Stimme in meinen Ohren gellen hören... ~+~+~ Jemand weint... nein, er winselt erbärmlich... »sei doch still... Warum...« Feuchtigkeit... Lippen schmerzen.... Kühl.... Druck.... Qual.... explodiere ~+~+~ Er regt sich nicht mehr. Mir wird schwarz vor Augen. Ein seltsames Gefühl durchläuft mich, so ungewohnt, fremdartig, dass ich Furcht verspüre. Ich zittere, kann ihn kaum halten. »Was... was ist das?! Was geschieht mit mir?!« Ich presse ihn hart an mich, umklammere ihn, bis er einen Schmerzlaut ausstößt. Noch lebt. Rote Flüssigkeit tropft auf seine vernarbte Schulter... »Habe ich ein Leck?!« Müsste nicht eine Warnung kommen, dass... ich begreife.... langsam.... Tränen? Ja... das ist nicht das köstliche, dickflüssige Granatrot seines Körpers. Dieses erbärmlich dünne, geschmacklose Rinnsal entstammt meinem Leib. »Verdammt... sie kreisen erneut....« Ich wickle mein Spielzeug in den Umhang. Wir werden einen Ausflug unternehmen. ~+~+~ Seltsam..... der Himmel.... ist ... blau? Da... bewegt sich etwas.... an mir.... wie ein... Streicheln? Sanft.... es rauscht.... so leise.... Als ich den Kopf drehe, behutsam, bemerke ich, dass ich von Grün umgeben bin... unzähliges Grün, in allen Schattierungen, ein Kaleidoskop der Natur, wiegende Halme... wie eine Wiese? Das... woher... Wiese? Bin ich tot?? Nein.... der Schmerz, der sich prompt auf die kleinste Regung hin meldet, verweist diese Wunschvorstellung eindeutig ins Reich der Märchen. Ich lebe... noch.... Dann zuckt es wie Flammen durch mich hindurch, eine einzelne, letzte Lohe des Aufbegehrens.... das Monster!! Ich zwinge mich, keinen Muskel zu aktivieren, um ihn nicht aufmerksam zu machen... wenn er es noch nicht ist. »Dieses...« Mir fehlen die Worte... reicht es nicht, uns abzuschlachten, nein, er musste auch noch.... Tränen brennen wie Benzinsäure in meinen Augen, der Himmel verläuft in Schlieren.... Ich dachte wirklich, ich hätte mich an Schmerzen gewöhnt... bitter verspotte ich mich selbst. »Tja, so kann man sich irren...« Ein Schatten raubt Wärme. Unwillkürlich reiße ich die Augen auf, doch meine Reaktion kommt zu spät, er hat mich bereits wie ein Spielzeug hochgezogen. Hilflos schlage ich nach ihm, brülle die Agonie heraus, die jede Bewegung auflodern lässt. ~+~+~ Sein Zorngeschrei, unkontrolliert und schrill, zerrt an meinen Nerven, die ich als stählern einschätzte.... Gleichwohl fällt es nicht schwer, ihn zu bändigen, seine Arme und den fragilen Rücken an meine Brust zu fesseln. »Wie warm er ist...« Ich schwindele wie unter einer starken Droge, jeder Kontakt mit ihm versetzt mich in Erregung. Er wirft den Kopf herum, spuckt mich an, willkommene Köstlichkeit. ~+~+~ Ich habe ihn niemals so gesehen. Sein Lächeln ängstigt mich, weil es ohne Heimtücke ist. »Wieso.... wieso darf sich ein solches Ungeheuer freuen?!« Selbst meine Geste der Verachtung verändert nichts an seinem strahlenden Gesichtsausdruck, vielmehr leckt er.... »Oh... mein ... Gott...« Mit Perversionen kann ich leben, ja, sie füttern meinen Hass, aber... das darf nicht sein!!! Seine freie Linke fängt meine Wange ein, hebt meinen Kopf behutsam, um dann vertraulich Atem von meinem Mund zu schöpfen... wie es ein Liebhaber tun würde... Wenn er mich nicht hielte, würde ich zusammenbrechen... keine Kraft mehr... Will mich verkriechen... ~+~+~ Sein Körper verliert alle Spannung, sodass ich einen Augenblick lang fürchte, ja, fürchte, er würde wieder das Bewusstsein verlieren. Seine Augenlider flattern... und seine Schwäche zieht mich noch stärker an. Allein die ungewohnt nagende Unruhe in meinem Herz hindert mich, meinem Verlangen erneut nachzugeben. Ohnehin muss ich ihm bereits hart zugesetzt haben, unkontrolliert beben die Sehnen und Muskelstränge. Auch das Blut, das aus seinem Körper rinnt, verheißt nichts Gutes, zumindest, was meine spärliche Einschätzung der untermenschlichen Physis besagt. Behutsam hebe ich seine Beine unterhalb der Kniekehlen hoch, dringe tiefer in das hohe Grasfeld ein. »Seltsam... seit ich ihn getroffen habe... eine halbe Stunde...« Ich muss mich immer neuen, unerwarteten Empfindungen ausliefern, die mir Rätsel aufgeben und dennoch verspüre ich eine wachsende Selbstsicherheit, als besäße ich einen unerschöpflichen Erfahrungsschatz. Und ich habe den Wunsch, ihn zu erfüllen... ein wenig abzugeben von dem, was mich bewegt... ~+~+~ Da ist eine Stimme... sie ist so sanft... wie eine laue Brise... Töne wie eine Liebkosung... Sie erzählt... von einem... grünen Meer... von Wärme... Luft wie Labsal... Freiheit... Haarspitzen streicheln meine Nase, verfangen sich in meinen Wimpern. Weizenblond... hoch aufgerichtet ist sein Blick in die Ferne abgeschweift, aber tatsächlich sind es seine Lippen, ist es seine Stimme, die kaum hörbar wie ein liebliches Lied in mein Bewusstsein dringt. Er lächelt wieder... dann zwinkert er mich an... als seien wir... Freunde... Ich möchte ihn schlagen. Alles ist leichter zu verkraften als dieser Ausdruck in seinem Gesicht... wie einer dieser Engel aus den eingestürzten Kathedralen. Nicht wie ein millionenfacher Mörder. Ich will nicht, dass er mich gut behandelt... meinen konzentrierten Hass mit einem Handstreich zerstört. ~+~+~ Seine geballten Fäuste drängen gegen meine Brust, dann verkrallen sich seine zuckenden Finger in meinen Haaren, ziehen hart. Es ist eine unerwartete Reaktion, kindliche Hilflosigkeit und Trotz zugleich. "Sieh mal",, weise ich ihn nachsichtig auf die Landschaft hin, von der ich mir immer einredete, dass es sich um das sagenhafte Arkadien handeln könnte. Er kneift die Augen zusammen, knirscht mit den Zähnen, leistet verbissen Widerstand. Ein unerwarteter Ruck rast durch seinen Leib, Wimpernschläge der Verkrampfung, dann sackt er erneut reglos in sich zusammen, die feinen, Schmutz verkrusteten Züge fahl-weiß vor Schmerz. ~+~+~ Eine Attacke abertausender kleiner Nadeln... und ich verliere das Gefühl der Körperbeherrschung schlagartig, ohne Übergangsphase. Wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden... gleichzeitig glühend wie eine Ofenbank. Er sieht mich an, mit seinem blauen Augen, diesem beglückten Lächeln, das mir Schauer des Entsetzens über den Körper jagt, zieht unter meinen Kniekehlen den Arm hervor, fasst nach meinem linken Handgelenk. »Will er noch einmal...?!« Ich bin wehrlos, nur eine Hülle, kann ihm nicht trotzen... da ändert sich sein Gesichtsausdruck. Wüsste ich nicht um seine Gräueltaten, würde ich schwören, er sei erschrocken. ~+~+~ Als meine Finger sein schmales, geschundenes Handgelenk umschließen, in der Absicht, es an meine Lippen zu führen, erkenne ich einen schwärzlichen Fleck an der Innenseite seines Oberarms. Ohne bewusste Anweisung drehe ich grob seine fragile Gliedmaße nach außen. ~+~+~ Zum ersten Mal, seit ich diesem "neuen Menschen", dieser künstlichen Mischung aus Humangenetik, Cyborg und Albträumen von Herrenrassen, begegnet bin, verspüre ich einen Anflug von Mitgefühl angesichts der Ignoranz für ihre eigene Tragödie. Er ist erstarrt, der große General. Seine maskenhaften Gesichtszüge lassen kaum erahnen, was seine Gefühle zu sein vermögen. Sein Körper versieht unberührt von jeder Emotion in gleichmäßigem Rhythmus seinen Dienst. Seine kalte, marmorne Haut bleibt unbeeindruckt von ihrer Umgebung. Ich weiß um den schwärzlichen Flecken. Ich werde sterben. Bald. ~+~+~ Es tut weh. Schmerz, eigener, ist mir fremd, unbekannt. Meine Kondition, meine Fähigkeiten, mein Lebensstil, all dies verhinderte bisher, dass ich Schmerz verspürte. Ich habe Leid zugefügt, den Schmerz anderer gesehen, beobachtet, analysiert... Doch nun erst begreife ich seine Natur. Ich habe den Drang, unbändig, Welt erschütternd, Mark zerschmetternd zu schreien. Will, ja, sehne mich danach, mein Chip gesteuertes Herz möge aussetzen, mein Leib möge mir gestatten, diesem Druck Gestalt und Form zu geben... aussichtslos. Er lächelt mich an, die blutig-staubigen Lippen gekräuselt, die schweren Lider bläulich verfärbt, ein hageres Lachen quält sich aus seinem Körper. "Du verlierst." ~+~+~ Der Tod ist mein ständiger Begleiter gewesen, wurde zu einem vertrauten Schatten im toten Winkel meines Blicks. Nun erkenne ich seine Vorboten, aber Grauen oder Furcht empfinde ich nicht. Nur Müdigkeit. Ja, ich bin müde, das Fieber verzehrt mich innerlich, und die Zeit, die mir verbleibt, verrinnt unaufhaltsam. Ein letzter Akt der Genugtuung, als ich mich boshaft gebe, einen Schwachpunkt bei dem Ungeheuer gefunden habe, das einem Engel gleicht, doch erfüllt mich mein eigener, nutzloser Hass nur noch mit Wehmut. »Vorbei.« Vergessen. ~+~+~ »Ich will das nicht!! Das darf nicht sein!!« ~+~+~ Er schreit nicht, auch wenn das Verlangen deutlich in seinen Augen steht. Er weiß nicht, wie man Unglück erträgt... hilfloser, ausgelieferter als ein Säugling, dieser "neue Mensch". Stattdessen wirbelt er herum, legt mich wie eine zerbrechliche Kostbarkeit in das sanft wogende Meer aus Grün, produziert aus einer Tasche der Uniformhose, die er als einzige Bekleidung trägt, die Keramikscherbe. Meine Keramikscherbe. Die ich ihm in den Leib stieß. Ich blinzele gegen die Mattigkeit des Fiebers an. In Zeitraffer hat er sich zwei dicke Strähnen seines weizenblonden Haars abgetrennt, wickelt diese versiert um meinen Oberarm, als könnte er damit die Ausbreitung verhindern. Die Nutzlosigkeit seines Tuns muss ihm doch ins Auge stechen! Die Vergiftung, die mein Tod sein wird, verbreitet sich über das geschwächte Lymphsystem... erreicht der schwärzliche Fleck mein Ellenbogengelenk... eine halbe Stunde... vielleicht.... ~+~+~ Ich ersticke innerlich an der Nachsicht in seinen glühenden Augen, vom Fieber, das mich so belebend wärmt, in Glanz getaucht. Wir wissen, wie erbärmlich, wie pathetisch mein Versuch sich ausnimmt, sein Leben zu verlängern. Ich bin geschlagen, aber das kann ich nicht akzeptieren!! Endlich habe ich gefunden, was mich erfüllt... und soll es verlieren? NEIN!! ~+~+~ Seine harten Küsse prasseln wie ein Hagelschauer über meinen Leib, seine Arme hindern mich, ihm auszuweichen. Er setzt mir zu wie ein wildes Tier, ausgehungert, gierig, nur seinem Trieb gehorchend, ohne Rücksichtnahme. Ich habe ihm nichts zu erwidern, mich kümmert auch die Verwüstung nicht mehr, die er an meinem sterbenden Körper hinterlassen wird. Wimpernschläge lang wandelt eine seltsame Frage in meinen Gedanken müßig umher: ob er wohl jemals gelernt hat, wie man zärtlich liebt? Doch bin ich kaum in der Position, ihm Vorhaltungen zu machen oder gar ihn zu lehren... unsere einzige Bestimmung ist der Kampf im Überleben. ~+~+~ Fremde, ungewohnte Worte schießen durch meinen Kopf, als ich mich über seine fiebernde, fahle Haut hermache, ihre Andersartigkeit erkunde, ihn beneide, diesen schwachen Menschen. Um die Fähigkeit, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben, Spuren zu tragen, zu schmecken, zu riechen, zu schwitzen, zu erröten, zu schreien, zu fiebern... er hat so viel... Wir haben jede Schwäche ausgelöscht, weggezüchtet, erstickt... war es diesen Preis wert? Ich erinnere mich... an einen Mann mit seinen Gesichtszügen... diesen brennenden Augen... Sonnenwärme... Salz... roten Staub in den Haaren... einen willigen Körper... die Explosion von Gefühlen, deren fahler Schatten mich streift. Einen Zauberspruch... ~+~+~ Ich muss wohl in einen Zustand des Dämmerns verfallen sein, aus dem mich gespenstisch aufwühlend seine raue Stimme reist. "Izumi... aishiteru..." Diese Worte... ich kenne sie... mein Herz galoppiert davon, beschleunigt meinen raschen Verfall. Feuchtigkeit benetzt mich... Tränen? Küsse? Atemzüge? Etwas schmeichelnd Glattes windet sich eng um mich, vermutlich sein Umhang... schützt mich vor der Kälte seiner Haut. Seine Schritte federn über dem Boden hinweg, nur minimale Erschütterungen. Unaufhörlich wispert er diese seltsamen Worte. ~+~+~ Es erweist sich als Herausforderung, den Transporter einhändig zu lenken, doch ich kann es keinen Augenblick ertragen, ihn nicht in seinem Glühen an meiner nackten Brust zu spüren. Er atmet flach, fliehend, sein Herz stolpert immer unbeholfener in dem lebenserhaltenden Takt... aishiteru.... aishiteru.... Ich kann ihn nicht retten. Nichts, was ich bin, was ich habe, gar nichts in meiner Macht kann mir diesen wiedergeborenen Traum erfüllen. Nicht einmal der Schmerz, den ich spüre, reicht heran an das, was ich fühlen, erleiden will. ~+~+~ Sein Arm ist wie ein Anker zur Realität... Beleg, dass ich noch nicht gestorben bin....der feste Griff zieht mich zurück. Noch. Ich zwinge meine schweren Lider, gegen die letale Müdigkeit anzugehen, studiere keuchend sein Profil. Die weißen Wangen sind mit der rötlichen Flüssigkeit benetzt, die seinen blauen Augen entströmt, doch gerinnt sie nicht, sondern gleitet spurlos herab, wie Öl an Porzellan. Ich kenne dieses Gesicht, aber es sind nicht meine Augen, die es erkundet haben, jede Variation eines Lächelns, das Glühen von Lust, Scham, Zorn und...Liebe..... Ich möchte den Fremden hassen, der sich ungebeten in meine Gedanken mischt, diesem Monster liebenswerte Züge verleiht, mich verführt, den bequemen Weg des Abscheus zu verlassen....aber ich vermag es nicht. Nein, so unaufhaltsam, wie meine Kräfte schwinden, so dankbar bin ich für die Gesellschaft dieses Unbekannten. »Sag mir... wurdest du wahrhaftig geliebt?« ~+~+~ Mühelos passiere ich die Kontrollen... der General hat jederzeit Zugang zu allen Bereichen. Die Droiden beurteilen meine Erscheinung nicht, als ich, meinen Geliebten auf dem Arm, nahezu unbekleidet den Kern der Station betrete. Mir bleibt nicht viel Zeit.... Behutsam lasse ich ihn auf den Boden gleiten, küsse ihn erstickend... sein Geschmack macht mich innerlich rasend, süchtig danach, ihn unermüdlich zu besitzen, doch verbietet sich auch dieser egoistische Wunsch. Die Programmierung wird mich als Schädling identifizieren und auslöschen, sobald mein Eindringen in den Kreislauf des Versorgers augenfällig wird. Es spielt jedoch keine Rolle mehr. Rasch gleiten meine stahlverhärteten Nägel über Paneele, Regler und optische Sensoren. Ich werde sein Werk perfektionieren... und meine Art ins Verderben reißen... ein Schurkenstreich par excellence. Der erste Schlag peitscht durch mein Skelett. ~+~+~ Einem Schemen gleich tanzt er vor meinen verklebten, erschöpften Augen, umkreist von Lichtern und Lampen, da bricht er in die Knie. Ich blinzele heftig. Gebeugt, auf allen Vieren, wie mit Bleigewichten beschwert, kriecht er auf mich zu, sehnend, verlangend eine Hand ausgestreckt. Ich rühre mich nicht, bringe nicht die Kraft auf, den Umhang von mir zu schütteln. Ein heftiges, spastisches Zucken zwingt ihn zu kollabieren, rötliche Flüssigkeit schießt förmlich aus jeder Körperöffnung, doch empfinde ich keinen Ekel. »Wie eine Maschine außer Kontrolle...« Er hebt den Kopf, lächelt mir zu. "Ich vollende dein Werk..." Seine blauen Augen erlöschen, mit einem dumpfen Laut implodiert sein Gehirn. ~+~+~ Ein seltsames Rauschen übertönt die Geräusche der Sirenen, das Glühen der kreiselnden Alarmleuchten, die quäkenden Signalhörner. Ich schließe in letzter Anstrengung seine Augenlider, sinke dann kraftlos neben ihn, spüre das unerwartet gnädige Hinübergleiten in den erlösenden Schlaf. Sein Lächeln begleitet mich in der einkehrenden Dunkelheit, erstrahlt in Hoffnung. "Aishiteru..." ~+~+~ Kapitel 2 - Innuendo "Verdammt, kannst du nicht härter schlagen??" Ich hasse das Keifen in meiner eigenen Stimme, gellend und hysterisch, verspüre jedoch nicht das geringste Verlangen, mich zu kontrollieren. Ungeduldig spucke ich auf der verseuchten Erde aus, die zu betreten uns ausdrücklich verboten ist. Was natürlich den besten Ansporn bedeutet, sich hier zum Baseball einzufinden. Rika, Manou, Charlie und Rosa... eine lose Clique von Verlierern sind wir, die wir uns beständig nach der lähmenden Einöde des Schulalltags abendlich hier einfinden. Der verwahrloste Platz, wund gerissene Erde aus dem letzten Krieg, ist von Trümmern umgeben, Stahlgerippen, Geröll und Abfall, verrottend und mahnend zugleich. Die Sonne steht bereits tief, als ich mit zusammengekniffenen Augen jemanden hinter der Absperrung erkenne, zunächst noch ein Schatten im Gegenlicht. Keine Security, so viel ist sicher, sonst hätten wir schon den lähmenden Strahl der Betäubungswaffen auf unserer Haut gespürt. Meine Mitspielerinnen wenden sich um, als ich die Bereitschaft, den nächsten Ball zu schlagen, ablege, mich aufrichte, den Schläger spielerisch um das Handgelenk kreisen lasse. Wir sind maskiert und vermummt, damit man uns weniger leicht identifizieren kann. Allerdings habe ich heute in einem Anfall akuter geistiger Umnachtung die nachtschwarze Schutzbrille vergessen, sodass ich geblendet und in schlechter Laune bin. Die Gestalt nähert sich furchtlos, und sogleich wird mir auch bewusst, woher sie die Frechheit nimmt, sich so unverhohlen heimisch auf unserem Platz zu bewegen. Weißblonde Haare, mehr als hüftlang, wehen wie ein Vorhang hinter ihr her. Die Haut ist so hell, dass man sie für farblos halten könnte. "Verdammte Scheiß-Cyborg-Braut!" Rika sammelt einen Trümmerstein auf, wiegt diesen in der breiten Hand. Die Fremde hält inne in ihrem Schritt. Ein knappes Sommerkleidchen reicht ihr gerade über die knabenhaft schlanken Hüften. Ihre Brüste dagegen sprengen förmlich die verspielt-romantische Knopfleiste. »Der feuchte Traum jedes bescheuerten Kerls!« Ich spucke erneut den Staub aus. "Kann ich mitspielen?" Ihre Stimme ist unerwartet tief und samtig, das Alt einer erwachsenen Frau. Was meinen Eindruck nur noch verstärkt, dass es sich bei ihr weniger um einen Menschen, sondern um eine humanoide Cyborg-Kreation handeln könnte. "Verpiss dich, du Roboter-Schlampe!" "Warte, Manou", mische ich mich in den Schlagabtausch, versuche, hinter den wehenden Strähnen Gesichtszüge auszumachen. »Vielleicht erkenne ich ja die Baureihe?« Wir könnten das Biest ausschlachten und stückweise verhökern. "Hier!" Erstaunlich gewandt fängt sie den Ball, den ich mit Verve in ihre Richtung feuere. "Binde dir deine gammligen Zotteln aus der Fresse, klar?!", pöbele ich weiter, kehre ihr verachtend den Rücken zu und gehe zum Schlagmal. »Wenn ich die Braut richtig treffe, dann verdienen wir uns im Handumdrehen ein Taschengeld dazu...« Sie folgt mir ruhigen Schritts, hält dann inne, um ein Stück verrostenden, gebogenen Draht aus einem Betontrümmer zu ziehen, so mühelos, als handele es sich um Butter. Augenblicke später sind die weißblonden Haare zu einem dicken Zopf verflochten und mit dem Draht verknüpft. Widerwillig muss ich anerkennen, dass sie wenigstens keines dieser eitlen Püppchen ist, die ununterbrochen ihren Marktwert aufpolieren wollen, indem sie sich aufrüschen wie Bordsteinschwalben. Die Augen zusammenkneifend bemühe ich mich, aus ihren ebenmäßigen Gesichtszügen mehr herauszulesen als übermenschliche Schönheit, doch es gelingt mir nicht, sie einer Baureihe zuzuschlagen. Im Gegenteil, die lavendelfarbenen Augen versprühen einen seltsamen Zauber, der meinen Puls infiziert. »Blöde Siliciumtussi!!«, fluche ich innerlich, signalisiere, dass ich zum Schlag bereit bin. »Wird schon sehen, was sie davon hat... hier reinzuspazieren, als gehöre ihr die Welt!! Ich zerlege sie in ihre Bestandteile. Reiße ihr diese verdammten Augen raus...« Der Wurf ist so hart, dass er mir den Schläger förmlich aus den Händen schmettert, meine Handgelenke schmerzhaft verbiegt. Ich kann den Aufschrei nicht unterdrücken, der mir entweicht, verliere zu allem Übel das Gleichgewicht und finde mich auf dem Hosenboden meiner abgeschnittenen Cargos wieder. »Unfassbar... mein Schlag ist der härteste, nicht einmal die schwanzgesteuerten Idioten meiner Klasse wagen es, mich herauszufordern... und nun das...« Sie steht reglos am Wurfmal, den Zopf einmal um den Hals geschlungen, die Lavendelaugen mustern mich ungerührt, ein winziges Lächeln kräuselt die perfekten Lippen. Es muss wohl dieses nachsichtige, fast mitleidige Zucken in ihren Mundwinkeln sein, das meine Selbstbeherrschung durchbricht. Blitzartig bin ich auf den Beinen. Schneller, als mein Verstand Fuß fassen kann, habe ich den Abstand zwischen uns überwunden, packe sie an einer Schulter und schlage ihr mit aller Kraft ins Gesicht. Durch mein eigenes Keuchen hindurch vernehme ich die besorgten Ausrufe der anderen Mädchen, die befürchten, dass ich meinem schlechten Ruf nun Rechnung tragen werde. Berserkerhaft um mich schlage, und jeden in meiner Reichweite im Rausch blutig prügele. "Scheiße, lasst uns abhauen!!" Sie verschwinden, gut für sie.... ich kann den Blick jedoch nicht von ihr wenden, die schlanke, graziöse Hand auf die Wange gelegt, einen ungläubigen Blick in meine Augen versenkend. Ihre Haut verfärbt sich nicht, was ich als Beweis nehme, dass sie nicht menschlich ist und sofort zum Angriff übergehe, glücklich darüber, endlich einmal wieder meinem angestauten Hass Luft machen zu können. Umso größer meine Überraschung, als ich unversehens durch die Luft schleudere und hart gegen einen verkanteten Betonbrocken schlage. Sekundenlang verliere ich den Kampf gegen die Bewusstlosigkeit, dann, als ich mich verbissen wieder dem Tageslicht annähere, wächst sie förmlich vor mir aus dem nackten Boden. "Was soll das denn?? Ich habe dir nichts getan!" Ihre Lavendelaugen sind aufgebracht abgedunkelt, in ihrem Mundwinkel klebt verkrustend dunkles Blut. »Sie.... sie....« Mit einem unartikulierten Schrei schmettere ich meine Faust in ihren Bauch, ernte einen erstickten Wehlaut, als sie zusammenklappt, von mir taumelt, beide Arme lindernd um den Leib gewunden. Sie ist kein Cyborg... aber ich kann es nicht akzeptieren, dass sie ein normaler Mensch sein soll... und mich derart vorführen kann vor meinen Freundinnen. Das Einzige, was sie bei mir hält, ist meine Kampfkraft, meine unbändige Wut, mein Trotz... soll ich nun diese Anerkennung verlieren? Was bleibt mir dann noch, mit der jungenhaften Figur, den stets verwüsteten, schwarzen Stoppeln auf meinem Schädel, der rötlich entstellten Haut?! Als sie das Messer zückt, mit einem katzenhaften Fauchen auf mich zuspringt, erstarre ich zu meinem eigenen Entsetzen paralysiert. Die Klinge blitzt blutrot im Schein der untergehenden Sonne auf. ~+~+~ Dieses Mädchen muss wahnsinnig sein... ich habe ihr nicht mal etwas getan, und schon versucht sie, mich zusammenzuschlagen! Mit dem überheblichen, verächtlichen Ausdruck der anderen kann ich leben, es gleitet an mir ab, ohne mich zu beeindrucken. Aber gerade bei ihr, die mir doch erlaubt hat, einen Wurf zu wagen, bin ich unerklärlicher Weise enttäuscht. »Du lernst es wirklich nie, Love!«, verspotte ich mich selbst. Was für eine ausgemachte Dummheit auch, hier einzudringen und zu glauben, dass ein paar Mädchen unter sich umgänglicher sein würden als der Rest der so genannten menschlichen Gesellschaft. Ihre flammenden Augen blitzen auf, was vermutlich die nächste Attacke avisiert, doch dieses Mal werde ich mich wehren! Das handliche Messer, mein bester und einziger Freund, gleitet wie von selbst in meine Hand. Ich werde sie nur ein wenig anritzen.... »Was ist das?!« Sie steht stocksteif, als hätte man ihr den Saft abgedreht? Die glühenden, dunklen Augen sind auf die Klinge meines Messers fixiert, Verstörung entströmt ihrer Miene wie ein Leuchtfeuer. Langsam lasse ich den Arm sinken, beobachte ihr nunmehr bleiches Gesicht aufmerksam. Sie scheint nun wirklich nicht der Typ zu sein, der leicht zu beeindrucken ist. Wovor fürchtet sie sich? ~+~+~ Bilder blitzen in meinem Kopf auf, ungerufen, aufdringlich, ängstigend. Ich kenne sie, vergeblich aus meinen Träumen verbannt quälen sie mich gelegentlich, ohne dass ich ihre Bedeutung zu entschlüsseln vermag. Mein Herz rast in Panik, kalter Schweiß benetzt mich am ganzen Leib. Ich bin außer mir vor Erschrecken, zu entsetzt, um mich über meine Schwäche zu ärgern. Als ich zurückweiche, fädele ich ungeschickt in einem abgestürzten Metallbalken ein, stolpere mit den Armen rudernd, bis sich die Welt schier endlos um mich dreht. ~+~+~ Ich sehe das Unglück kommen, kann jedoch nichts weiter tun, als hinter der Verrückten her zu springen. Eine absurde Reaktion angesichts der Behandlung, mit der sie mich bedacht hat, doch etwas in meinem Inneren treibt mich förmlich hinter ihr den Abhang hinab. Überschlagend rollen wir zwischen Abraum und Schmutz in eine Senke, als ein grässlicher Schmerz mich aufschreien lässt. ~+~+~ Sie wirbelt um mich wie eine gleißende Wolke vor pechschwarzem Horizont, dann endet mein Fall abrupt. Ich höre ihren Wehlaut gedämpft, rapple mich mühsam auf inmitten dunkler Stahlabfälle. Als ich mich zu ihr umwende, nur Zentimeter von meinem eigenen Aufschlagpunkt entfernt, stakt hässlich ein fingerdicker Stahlarm aus ihrer linken Schulter. "Scheiße..." Ich falle auf die Knie, reiße mir die nackte Haut blutig, als ich mich neben sie kauere, den dunklen Blutstrom inspiziere, der um den Dorn herum aus ihrem Körper quillt. Sie hebt eine nun schmutzige Hand an die Stirn und versucht, das zittrige Schluchzen, das ihren gesamten Leib in Vibrationen versetzt, zu unterdrücken. »Echtes Blut.... wasserklare Tränen...« Hastig wische ich über ihre kalte Haut, ungeschickte Bemühung, ihr zu helfen und meine eigene erbärmliche Schwäche zu kaschieren. "Wieso, verflucht, bist du hinter mir her gesprungen, du bescheuertes Miststück?!" Sie beißt sich auf die Lippen, schluckt hart, aber die Schmerzen sind wohl zu stark, denn ihr Weinen bricht ungehemmt hervor. Ich fürchte mich davor, ihre Schulter zu berühren, um zu erkunden, wie nun vorzugehen ist, doch meine spärliche Erfahrung bei Wunden treibt mich an, die Finger in die glatte Haut zu bohren. Sie winselt leise, protestiert aber nicht. Ich sacke auf die Seite... sie wird verbluten, wenn wir hier lange untätig bleiben, und Hilfe zu holen... ist keine wünschenswerte Alternative angesichts unseres illegalen Aufenthalts hier. "Ich... ich hätte... dir nichts getan... mit dem Messer", flüstert sie heiser. Ein Impuls lässt mich über ihre Wange streicheln, ein fahriges Lächeln aussenden. "Ich weiß", murmele ich und frage mich selbst verspätet, woher um alles in der Welt ich diese Gewissheit wohl habe. Oder warum mich die glutrot ausgeleuchtete Klinge bis ins Mark erschüttert hat. "Wir müssen hier weg", beginne ich meine unangenehme Aufgabe, suche in ihren Lavendelaugen nach Zustimmung. Verwünsche dabei mein ungebändigtes Herz, das ohne Grund seinen Schlag erhöht. "Ich weiß", zwinkert sie in meinem eigenen Tonfall, schiebt sich dann mit der freien Hand den dicken Zopf zwischen die Zähne, ohne auch nur einen Wimpernschlag lang den Blick von mir zu wenden. Die schmutzigen Finger an meinem alten T-Shirt abreibend fische ich ein Taschentuch aus meiner abgeschnittenen Hose, halte es bereit, um die Wunde damit provisorisch zu blockieren, wenn der stählerne Dorn entfernt ist. Langsam ziehe ich ihre Schulter in gerader Linie nach vorne, unterstütze ihre eigenen Bemühungen, die mit steigender Dauer unsicherer werden, als der Schmerz überhand nimmt. Endlich fällt sie nach vorne, erbricht förmlich ihren Zopf und schluchzt erbärmlich, erleichtert und erschöpft zugleich. Ich zerre sie grob aufrecht, um mein Tuch auf die heftig blutende Wunde zu pressen, umklammere sie dann einfach, um das Zittern ihres Leibs zu bekämpfen. Mir ist selbst ganz elend zumute. Der metallische Geruch ihres Blutes mischt sich mit dem Gestank des Abraums, in den wir geraten sind, was meinen leeren Magen zu revoltierenden Eskapaden treibt. "Blöde Kuh... warum bist du hinter mir her gesprungen?", rüge ich sie gallenbitter, habe ich doch große Lust, es ihr gleichzutun und vor mich hin zu weinen. Meine harschen Worte rütteln sie auf. Ungehalten schiebt sie mich weg, die Schulter belastend, was ihr ein erneutes Winseln entlockt, das nicht gänzlich unterdrückt werden kann. "Und wieso bist du da oben wie eine Besoffene herumgetorkelt?", geht sie unerwartet aggressiv zum Angriff über. Ich balle die Fäuste und funkele zurück, weiß aber nicht, was ich ihr sagen soll. Dass ich plötzlich in Panik geraten bin? Seltsame Bilder in meinem Kopf herumspuken? Nein, danke. "Wie heißt du überhaupt?", lenke ich schroff von mir ab, klopfe demonstrativ über meine abgerissene Kleidung. Einen verstohlenen Blick auf ihr nunmehr schmutziges Hängerchen werfend, blutgetränkt ein Anziehungspunkt für Fliegen. Wie die Hauptdarstellerin eines Horrorstreifens. "Love", registrieren meine Ohren unzusammenhängend, was mich nicht hindert, dümmlich in die Lavendelaugen zu starren. "Hä?!", versuche ich es auf die burschikose Weise. Was mir zu meiner größten Verlegenheit einen nachsichtigen Blick einbringt, den ich mit Ausspucken zurückweise. "Und wie heißt du?" Ihre Finger pressen mein Taschentuch auf die Wunde, schon ist die Textur getränkt, die Finger feucht. "Hope", brumme ich und spucke erneut aus, dieses Mal aber, um meiner Übelkeit Herr zu werden. Der Anblick blutender Wunden setzt mir seit einiger Zeit verstärkt zu. Sie wirft den Kopf in den Nacken, eine ungekünstelte Pose, lacht kehlig, amüsiert. "Hope and Love, na, das passt ja perfekt. Deine Eltern sind wohl auch Neo-Retro-Hippies, wie?" Ich wische mir mit dem Handrücken über den Mund und stapfe durch den Parcours der Trümmer in Richtung Zubringer. "Meine Mum hat schon immer zu viel Zeug reingepfiffen", schnaube ich abweisend. Kein Interesse daran, mit dieser Prinzessin aus dem Cyborg-Wunderland Familiengeschichten auszutauschen. "Hope..." "Was denn?!", brumme ich ungehalten. »Ständig hält sie mich auf... Love, allein schon dieser Name... gute Wahl, sie sieht aus wie eine belebte Sexpuppe...« Als ich mich endlich umkehre, weil ich ihre Präsenz nicht hinter mir wahrnehme, lehnt sie ein gutes Stück hinter mir an einem zerbrochenen Pfeiler. Ihre Brust hebt sich hektisch, die Finger in das Trümmerstück gegraben. »Scheiße, sie wird mir doch nicht umkippen?!« Ich spurte die wenigen Meter zurück, fange sie energisch unterhalb des Brustkorbs ab und wanke nun selbst gegen den Pfeiler. "Verdammt, verdammt, verdammt!" Wird sie bewusstlos, habe ich nicht genug Kraft, sie zu halten. "Love, komm schon, halte durch, okay? Nur noch ein bisschen! Ich wohne hier gleich in der Nähe, okay?" Ich höre mich selbst mit überschlagener Stimme schwadronieren, doch scheinbar erreiche ich sie. Ihre Hand legt sich auf meine Schulter, die langen Fingernägel bohren sich schmerzhaft in meine Muskeln. Ich schließe die Augen und atme konzentriert. Ich muss mich einfach beruhigen und sammeln, ich bin stark, ich komme hier raus.... Mein Mantra wird unterbrochen, als ihre kalte Wange meine streift, und ich zusammenzucke. Als ihre Lavendelaugen mich erfassen, erkenne ich Bitterkeit in ihnen. "Entschuldige." Steif, verschlossen, bemüht sie sich, wieder sicher auf den eigenen Beinen zu stehen, dabei entgleitet ihr mein vollgesogenes Taschentuch. Tränen perlen über ihre Wangen, als sie versucht, in die Knie zu gehen, um es aufzulesen, angesichts der mangelnden Balance aber aufgeben muss. "Hey... hey... tutmirleid,ichhabemichnurerschrocken", blöke ich in Hochgeschwindigkeit. Ist denn heute der Tag der Entschuldigungen?! "Komm weiter, okay?" Hastig ergreife ich ihre Hand, warte keine Reaktion ab, sondern zerre sie einfach hinter mir her. Kein Zweifel, ihr gesamter Körper ist kalt. Kein Cyborg, aber auch kein ganz gewöhnlicher Mensch. Sie trottet in meinem Windschatten, schluchzt leise vor sich hin. Ich bremse meine Schritte ruckartig ab und fahre herum, in der primären Absicht, sie anzuherrschen, sich endlich zusammenzureißen, doch ihr Kummer nagt an meinem Herz. Den Kopf gesenkt, die Füße artig nebeneinander gestellt, in den schmutzigen Hängerchen wirkt sie wie eine Prinzessin, die in einen Albtraum geraten ist. Wäre nicht das Messer in ihrer Hand gewesen, dazu ihre atemberaubende Figur, hätte man sie für die Personifikation der Unschuld halten können. Hilflos stottere ich vor mich hin, will sie ablenken, weil mir selbst verräterisch die Kehle eng zu werden droht. "Hast du eigentlich... einen Freund?" Ich komme nicht umhin, mich zu dieser absoluten Tabu-Frage zu beglückwünschen. Verkörpert sie doch alles, was wir verachten, die Selbstreduzierung auf das Eigentum eines Kerls.... "Niemand will mit einer Eistruhe ficken!", bricht es in ungewohnter Heftigkeit aus ihr heraus. Dann feuern ihre Tränen beflorten Lavendelaugen hasserfüllte Blitze auf mich ab. Ich bin derartig perplex, dass ich ihre Hand fahren lasse, zurückweiche und unsanft eine Mauer streife. Es ist unpassend in meinem ganzen Empfinden, dass sie derartige Worte gebraucht, entspricht nicht in mein Bild von ihr... "Was ist?! Bist du schockiert?! Du hast doch keine Ahnung, wer ich bin!!" Ihre Wut würde mich in die Flucht schlagen, weil sie meiner in keiner Weise nachsteht, doch die Mauer widersteht mir. "Alles, was ihr seht, du und deine verblödeten Freundinnen, sind doch bloß mein Busen und meine Haare!! Ihr seid ebenso borniert wie die verfluchten Wichser, die mir hinterhersteigen, weil sie glauben, dass ich auf jede billige Nummer scharf bin!! Aber auch wenn mein Körper kalt ist, ich bin ein ganz normaler Mensch!! Kein Cyborg!! Und niemand bestimmt über mich, klar?!" Zielscheibe ihres angestauten Zorns nicke ich ohne eigenes Zutun, bemerke ihre hastige Atmung, die dem dünnen Stoff des lädierten Hängerchens eine weitere Belastungsprobe aufnötigt. Einzelne Strähnen haben sich aus dem Zopf gelöst und umwehen sanft ihr Gesicht, als mich eine der verwünschten Visionen aus meinen Träumen streift. Offenen Mundes suche ich nach aufstobenden Blüten in Herzform. Erblicke ein fremd-vertrautes Gesicht, das sich über Loves Miene geschoben hat. "Hope?", bricht sie den seltsamen Bann verunsichert. Ich schlucke mehrfach heftig, verzichte auf eine Erklärung. Wenn diese Träume nicht bald aufhören, werde ich noch verrückt!! "Was ist los? Fehlt dir was?" Besorgt und schlagartig friedfertig streifen ihre kalten Finger meine Wange. "Nur... nur... komische Erinnerungen", verplappere ich mich unbeabsichtigt, dränge mich dann an ihr vorbei. ~+~+~ Sie stürmt voran, die dünnen Beine stapfen wie die eines trotzigen Kindes verärgert in den Boden, die geballten Fäuste sind in den tiefen Taschen der abgeschnittenen Hose verborgen. Hope.... ein merkwürdiger Name... und doch nicht unpassend für dieses jungenhafte Mädchen vor mir. Ich kann gar nicht glauben, dass ich sie angeschrien und mit meinem gesammelten Frust belastet habe....so was ist mir noch nie zuvor passiert. Egal wie gemein und bedrohlich die Menschen um mich herum waren, so behielt ich doch immer die Contenance, um ihnen keinen Anlass zu geben, sich auf mich stürzen zu können und ihre Vorurteile zu bestätigen. Sie erinnert mich... an seltsame Dinge.... Für einen Augenblick vergesse ich den pochenden Schmerz in meiner Schulter und das beständige Tanzen schwarzer Punkte vor meinen Augen, als ich mir vorstelle, wir könnten vielleicht dieselben... Aber nein, wie soll das möglich sein?! ~+~+~ »Wieso ist sie so langsam??« Ärgere ich mich, die Schatten um uns werden immer länger, und ist erst mal die Sonne untergegangen, wird es gefährlich, auf dem ungesicherten Gelände herumzustreifen. Zu viele Souvenirs aus dem letzten Krieg... Ohne anzuhalten strecke ich eine Hand hinter mich, spüre ungeduldige Wimpernschläge später, wie sich ihre kalten Finger zwischen meine schieben. Es ist Ewigkeiten her, dass ich jemanden an der Hand führte, vermittelt mir das Gefühl einer vertrauten Beziehung. »Oder zwei kleine, dumme Mädchen, die sich vor der Dunkelheit fürchten...« Sie stolpert hinter mir, und ich habe große Mühe, uns beide abzufangen. ~+~+~ Ich halte mich an der Hoffnung aufrecht, dass ich es schaffe, solange ich in Bewegung bin, meine Füße automatisch den Weg ertasten, doch ich sehe mich getäuscht, als ich wiederholt strauchle. Der Hindernisparcours scheint kein Ende zu nehmen, ich möchte am Liebsten aufgeben... Hope fängt mich sicher, schon wieder, lehnt mich gegen eine herrenlose Stahltür, wischt besorgt klebrige Strähnen aus meinem Gesicht. Ich bemühe mich um ein Lächeln, doch wie es scheint, misslingt es mir gewaltig, denn sie wird fahl. "Love, es ist nicht mehr weit! Ich kann den Zubringer schon hören, du nicht auch?? Komm, nur noch ein bisschen, bitte?!" Ihre Sorge wärmt mich ein wenig auf, aber meine Lider wollen sich senken, nur ein kleines Päuschen, ein wenig Rast... ~+~+~ Es geschieht, als führe ein Fremder meine Hand... ~+~+~ Ein Blitzschlag jagt durch meinen ganzen Körper, als mich ihre warmen Lippen küssen. Ich reiße die Augen auf und umklammere ihre Hand, bis sie vor Schmerz das fassungslose Gesicht verzieht. ~+~+~ Was.... was passiert mit mir?! ~+~+~ Wieso sehe ich einen Jungen.... wieso schreit mein Herz auf? ~+~+~ Schockwellen durchlaufen mich, so sehr ich mich anstrenge, zu begreifen, was geschehen ist, es gelingt mir nicht. Warum.... warum??!! ~+~+~ Meine Mutter erzählte mir von einem geheimen Wort, das es vermochte, Wunden zu heilen und Leid zu lindern. Als ich sie bat, mir dieses Wort zu verraten, schüttelte sie lachend ihre weizenblonden Haare aus und drohte mir mit dem Finger. Jeder habe ein eigenes Wort, erklärte sie, und dieses sei nur für diesen Menschen bestimmt. ~+~+~ Ihre Lippen bewegen sich, aber ich höre keinen Laut, nur ein betäubendes Rauschen, als bewege ich mich unter Wasser, ein seltsames Störgeräusch, das mich ängstigt. Als könnte sie meine Qual spüren, brüllt sie schließlich mit aller Macht, was ich nicht von ihrem Mund lesen kann. "AI-- SHI--TERU!!!" ~+~+~ Ich bin die Kälte so leid... die Schmerzen... meine Einsamkeit... ~+~+~ Als sie mich küsst, komme ich zu mir, höre das kleinste Geräusch, unsere Herzschläge, entfernte Vögel, das Donnern des Fernverkehrs vom Zubringer... als habe jemand die Lautstärke unerwartet justiert. Ich lehne mich in ihren Kuss, gegen sie und die Tür, lasse mich erfrischend kühl liebkosen, genieße ihre Erfahrung. Love.... ~+~+~ Wir gehen nebeneinander, die Finger miteinander verschränkt. Werfen uns kokette Seitenblicke zu und brechen in Kichern aus, schwankend zwischen Erleichterung und Glück. Der Verband auf meiner Schulter juckt, und ich freue mich auf den Moment, wenn ihre warmen Finger ihn abnehmen werden. Dann werde ich ihr sagen, wie hübsch sie ist... und dass ich mich nicht fürchte, unsere Träume auszuleben. ~+~+~ 20XX Zetsuai- Crime of Passion by Minami Ozaki Under the moonlight azawarau matenrou [Im Mondlicht spotten die Wolkenkratzer] taihai ni itsu ka reipu sareteku machi [Die Dekadenz wird irgendwann die Stadt ausmerzen] kogoeru hodo ni atsuku [je kälter, desto fiebriger] taketsukusu hodo ni tsumetaku [je heißer es brodelt, umso eisiger] sono hitomi de call my name (oh please) [werden meine Augen, bitte sag meinen Namen] My falling angel chi mamiru no kuroi hane [Mein gefallener Engel, Blut befleckt dein schwarzes Federkleid] kawaita umi tataeta hosoi karada [Ausgetrocknetes Meer, gepriesener schlanker Leib] umareru mae no kioku [schon vor meiner Erinnerung geboren] omoidase sekai no owari ni [erinnere dich, vor dem Weltenende] nomihoshita blood and dark [ausgeleert, Blut und Dunkelheit] aishiatte [geliebt] koroshiau futari [beide getötet] Crime of Passion [Verbrechen aus Leidenschaft] omae wa yaban na megami sa [Du bist eine wilde Göttin] (You don't know how much I love you) [Du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe] ... owaranai yume [unvollendeter Traum] You're one and only kusari ni tsunagare [Du bist der einzige, ich werde dich anketten] ashita sae subete kudakechitemo [selbst wenn morgen alles in Stücke bricht] itsu ka hitotsu ni nareru [irgendwann werden wir eins sein] wasurenai inochi no akashi [vergiss es nicht, das Leben wird es beweisen] aku somaru Pride and Truth [rot gefärbt, Stolz und Wahrheit] karamiatte [miteinander verschlungen] nikumiau futari [beide einander hassend] Slave of fashion [Sklave des Zeitgeists] omae wa yasei no tenshi sa [Du bist ein wilder Engel] (Nothing's gonna change my love for you) [Nichts wird meine Liebe zu dir ändern] ...kanawanai yume [unerfüllter Traum] ~+~ ENDE ~+~ Vielen Dank fürs Lesen ^^ kimera PRODUKTIONSNOTIZEN Nachdem die Videoclips des Cathexis-Zyklus durch die Fiction-Fans geisterten, gestattete ich mir, meine Version des mir persönlich liebsten Clips fortzuführen. Ungeachtet der Frage der Möglichkeit von Wiedergeburt inspirierte mich die krude deutsche Beschriftung der japanischen VHS-Ausgabe, noch bevor ich mich dem zweifelhaften Vergnügen unterzog, Ozakis Song zu übersetzen. »Sag mir, warum ich gerade in dieser halb zerstörten Welt Deine Liebe kennengelernt habe. Wir haben [... ] doch schon Abschied genommen.« Die beiden Kämpfer dann als Mädels wieder aufeinander loszulassen... *eg* beklagte man sich nicht über den Mangel an yuri mit wirklich attraktiven Heldinnen? ^_~