Titel: Zonenrandzombie Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Parallelwelt Ereignis: Silvester/Neujahr Erstellt: 31.12.2019 Disclaimer: siehe Hinweise Hinweise - Gandalf/Ski und Ziggy treten zuerst in "Unfug!" auf. - Die "wechselnde Familie" wird in "Nixerich" porträtiert. - Jack Cougar ist ein Romanheld ^_~ - Das Apollon-Magazin wird in "Freie Radikale!" vorgestellt. - Malabsorbo kommen in "Zweisam" vor. ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> ~~~~*> Zonenrandzombie Kapitel 1 »Aha!«, dachte er und stapfte langsam die steilen Treppen hoch, »natürlich unterm Dach!« Ohne Aufzug, nun ja, das sollte ja der Gesundheit dienen, trotzdem. Jedenfalls kamen ihm die einzelnen Stufen recht niedrig vor, was zum Stolpern und Tapsen verleitete, vermutlich kein ISO-/DIN-Standard, und dann noch die Stiege. Er atmete durch und öffnete eine der unzähligen, kleinen Taschen des Werkzeuggürtels. Wenige Atemzüge später stand er in dem winzigen Appartement, »hmm. Sehr aufgeräumt. Sauber.« Ohne Mühe fand er den winzigen Einbau-Kühlschrank, inspizierte die Vorräte. »Kein Zweifel«, selbstverständlich nicht, immerhin war er sorgfältig präpariert, anderseits schadete es nicht, sich noch mal zu versichern. Er hob einen Klappstuhl aus einer Nische, schlüpfte aus seinem Seebärenkurzmantel, faltete ihn sorgsam, bevor er auf ihm Platz nahm. ~~~~*> "Du musst das nicht tun, wirklich, Ziggy", versicherte Gandalf, sich halb herumwendend. Veilchenblaues Leuchten erfüllte die Stiege ins zusätzlich ausgebaute Dachgeschoss mit märchenhafter Atmosphäre. Ziggy grinste schmelzend, die lilafarbenen Korkenzieherlocken dengelten wild auf seinem Schädel, "kein Muss, ganz und gar nicht! Ich möchte, unbedingt! Ist mir ein Vergnügen, sehr sogar!" Gandalf hatte sich an Ziggys gelegentlich bruchstückhafte Eloquenz gewöhnt. Vor allem, wenn der sich freute, richtig aufgeregt war, konnte man eigentlich nur die Ohren einklappen. Tatsächlich störte es ihn auch gar nicht, wenn Ziggy ihn abpasste. Zwar bot sein Lastenrad keinen Sozius, aber dann schlenderten sie eben so nach Hause. Es half ihm, loszulassen, sich zu entspannen, denn Ziggy staunte, sprudelte über vor Mitteilungsdrang und malte kulinarische Höhepunkte aus. Da Gandalf in ihren Genuss zu kommen pflegte, kein ihm unangenehmes Sujet, deshalb sperrte er auch erwartungsfreudig seine Appartementtür auf. ~~~~*> "Guten Abend. Nein, junger Mann, schließen Sie bitte die Tür. Das ist kein Traum und Flucht ist zwecklos." ~~~~*> Ziggy drückte Gandalfs Hand. Sie saßen auf der Bettkante nebeneinander, denn das winzige Appartement bot kaum Raum für drei Personen. Er fühlte sich sterbenselend. "Es ist meine Schuld gewesen. Ich wollte ja... das Rezept... Bitte...Ski kann nichts dafür!", plädierte er flehentlich. Durch eine Lesebrille wurde seine Notiz studiert, dann funkelten über ihren Rand braune Augen mit einem granatroten Schimmer. "Tsktsk", stellte ihr Eigentümer fest. "Ziggy hat nichts angestellt, wirklich nicht! Er macht keinen Ärger, im Gegenteil! Bitte, bitte bestrafen Sie ihn nicht." Die Lesebrille wurde zusammengefaltet und in ein Etui verstaut, welches in einem imposanten Werkzeuggürtel verschwand. "Tja", kommentierte man kühl. Ziggy sackte das Herz in die Zehen. Unpassenderweise knurrte nun auch noch sein Magen vernehmlich! "Bitte, kann er nicht hierbleiben? Drüben, also, ich weiß NICHTS darüber, aber er war dort einsam. Ich habe hier Platz, wir können zusammenleben! Ich mag ihn, SEHR. Bitte, bitte nehmen Sie Ziggy nicht mit!" Der Einbrecher legte die Stirn in Falten, "so, so. Wie gedenken wir, seine Existenz hier zu erklären, hm? Bin ganz Ohr, nur zu, keine Scheu, bitte!" Ziggy spürte Gandalfs Anspannung, nach einem sehr langen Tag fieberhaft auf die Schnelle eine Lösung anzubieten, an der sie schon seit fast einem Monat feilten. "Ähem, also, wir-wir kaufen Papiere! Es gibt da bestimmt im Darknet, ich muss bloß...!", stammelte Gandalf neben ihm verzweifelt. Die strengen Augen laserten ihn förmlich nieder, "tsktsk. Darknet. Finanzierung mit einem Lotto-Gewinn, wie? Ich muss mich wirklich wundern, junger Mann!" Ziggy richtete sich auf, drückte das Rückgrat durch, "ich komme mit, wenn Ski nicht belangt wird. Wenn er mich ganz und gar vergisst." "Auf keinen Fall! Ich will dich nicht vergessen! Kommt nicht in Frage!", da warf sich ihm Gandalf sogar um den Hals. Ziggy umschlang ihn genauso verzweifelt, "aber, aber es wird nicht so wehtun, Ski! Sonst..." Ihn würgte es im Hals, seine sprudelnde Lebhaftigkeit verlor sich. Sein Ski war einfach perfekt, roch lecker, war freundlich, großzügig, liebevoll, aufmerksam, hatte keine Angst vor ihm! Vielleicht war es zu naiv gewesen zu hoffen, man würde ihn nicht erwischen. Immerhin hatte er hier eine wunderschöne Zeit erlebt, nicht wahr? "Tstktsk", stellte der Einbrecher fest, räusperte sich, fingerte aus dem Werkzeuggürtel ein kleines Papierpäckchen. Darin lagen handgeschlagene, grünlich schimmernde Bonbons, "Pfefferminz, Jungs? Jetzt stellt das Fracksausen ein, verstanden?! Wir haben was zu tun!" ~~~~*> »Lecker. Wirklich delikat«, Detorix stapfte, seine eigene Taschenlampe im Anschlag, die Stufen herunter. Billige Taktung, natürlich, auf der Hälfte stand man im Finsteren! »Gebackene Ofenkartoffel mit frischem Kräuter-Pesto und einer Schwitze aus Hefeflocken! Mjamm!« Im Hinterhof angelangt drehte er sich noch mal um, sah nach oben. Das winzige Appartement wurde von violettem Leuchten ausgefüllt. Zwei strahlende Gesichter, wildes Winken zu ihm herunter. Detorix tippte sich grüßend an seinen Bowler. Die Hälfte der Arbeit schon erledigt! ~~~~*> Detorix war Szenarize, schon seit geraumer Zeit, ein Spezi für Bürokratisch. Nicht etwa die simple Variante, um Missverständnissen vorzubeugen, nein! Gesetze und Verordnungen und Dienstanweisungen lesen, das konnten ja alle. Verstehen, zugegeben, das war schon eine andere Gewichtsklasse, doch Detorix hatte den Championsrang inne: ER beherrschte das, was Bürokratisch zum Tanzen, Schwingen und Steppen brachte. Sein Einsatzgebiet betraf den "Aufenthalt" auf dieser Seite, von Lebewesen, die eigentlich, streng genommen, wenn man extrem pingelig war, nicht hierher gehörten, beispielsweise einem schwer verliebten, kulinarisch hochbegabten Kronk, der eigentlich gar nicht abgängig sein durfte, wegen der Portal-Bedingungen. Sei's drum! Der Große M sah das selten so eng, wenn man sich an die wesentlichen Regeln hielt und einen Abschluss in "Menschen-Studien" vorweisen konnte. Nun ja, die Vorgaben etwas dehnend fand Detorix, dass ein Liebesverhältnis mit einem Menschen auch zählte und der Bursche wirkte nach seinen Recherchen einwandfrei, für einen Menschen, selbstredend. Natürlich klang Verliebtheit irgendwann ab, aber ähnliche Geschmäcker blieben, deshalb hegte er bezüglich dieses Pärchens keine Befürchtungen. Detorix suchte sich eine Parkbank und zückte einen kleinen Block, setzte seine Unterschrift unter das kurze Formular, riss es von der gummierten Oberseite ab und fütterte es dem KaISch III, einem ähnlichen Apparat wie dem berühmten Heinzelmann. "KannIchSchlucken, na, dann tu das auch!", grummelte Detorix, der die altmodische Variante bevorzugt hatte, nämlich per Rohrpost in seinem Haus. Aber drüben ging man auch mit der Zeit, stolperte, taumelte, stakste, hopste, wie er fand. Er pflegte gar keine Aversionen gegen Technik und Fortschritt, nein, nur schien ihm manchmal zweifelhaft, ob der Fortschritt auch die Richtung kannte! Endlich war das letzte Fitzelchen verknuspert. Detorix wartete noch einige Augenblicke länger. Nein, kein Ausspucken, kein verdächtiges Rappeln, kein versehentliches Selbstzerstören. DAS beherrschten die KaISch I und II nämlich, was ihrem Einsatz erheblich entgegengestanden hatte. Er steckte den Apparat wieder ein und erhob sich. Das blöde Ding durfte man auch nur in Ruhehaltung bedienen, möglichst waagerecht ausgelotet! »Klimbim!«, dachte er und spazierte gemächlich weiter, in Gedanken wie gewohnt noch mal die Liste durchgehend, einfach, um auf Touren zu bleiben. Bürokratisch bedeutete eine zusätzlich angemeldete Person, wie zum Beispiel ein Kronk, eine amtliche Biographie. Früher genügte es, ein schlichtes Blatt Papier bei der Einwohnermeldebehörde einzuwerfen. Zumindest SAH es so aus. Tatsächlich krochen die winzigen Daimonenmilben, die sich auf dem Infoblatt versteckt hatten, gleich zur Registratur. Sie waren nicht zwingend schlau, nein, aber im Kollektiv mit einigen schlichten Anweisungen sehr zufrieden. Detorix hatte darin Übung. Je organisierter, je mehr Regelungen und Verzeichnisse und Listen, umso leichter fiel es ihm, weil man auf ihre Existenz vertraute. Einfach eine weitere Meldezeile einschmuggeln, das ging natürlich nicht! Anfangsfehler in Bürokratisch, aber hallo! Nein, die wahre Meisterschaft kam danach. "Systembruch", so lautete das Zauberwort, wenn beispielsweise Karteikarten digital eingelesen werden mussten, Grundbesitzaufzeichnungen, Geburts- und Sterberegister, von Pappe/Papier zu digitalen Speichermedien. Bei denen wechselte dann hin und wieder mal die "Oberfläche", die Software. Innerhalb der Software wiederum gab es Schnittstellen, Versionen, Upgrades und dergleichen, ein wahrer Tummelplatz für professionelle "Hopplas!" Ein "Hoppla" konnte nun in einem fehlerhaften Auslesebefehlsaufbau bestehen und wenn man ihn entdeckte, noch mal laufen ließ, GAB es einen gewissen Kronk. Nicht mal die Kontrollsummen wichen ab, weil irgendwer im "Maschinenraum" des Bürokratiedampfers für "Hopplas" Hintertüren vorgesehen hatte, falls versehentlich mal eine Akte hinter den Schrank gerutscht war, oder ein Blatt unter einem Karton klebte, Kaffeeflecken eine forensische Ermittlung verlangten. Ganz menschliche Fehler, die bei viel Arbeit und wenig Platz vorkommen konnten, statistisch absolut normal. Nun wäre es selbstredend völlig absurd, deshalb alles auf den Kopf zu stellen, nicht wahr? Es steckten ja keine Absichten dahinter! Außerdem taugte ein System, das ABSOLUT sicher war, gar nichts! Wie eine Festung ohne Geheimgang, wenn man draußen stand und der Schlüssel drinnen steckte. Detorix las deshalb sämtliche öffentlichen Anzeigeblätter in seinem Zuständigkeitsbereich, kannte all die kleinen "Hoppla"- Hintertüren und Vernetzungen, wo man, da Papier ausgemerzt werden sollte, eine gewisse Änderung in der Herangehensweise optimieren musste. Das "Hoppla"-Prinzip blieb. Nun galt es, in kreativer Weise die Daimonenmilben durch "digitale" zu ersetzen. Vor allem liebte er es, Pseudo-KI-Anwendungen auszutricksen, deren Logikschleifen keinen eingebauten Argwohn kannten. Detorix konnte jedoch auf ihre Entwickelnden bauen, die nun mal Menschen waren! Da schickte er dann schon mal eine Rechnung, die eingescannt wurde und gleich für das menschliche Auge unsichtbare Zusatzinformationen enthielt, war damit schon mal drin im Netz und konnte die "Hopplas" ansteuern. Klar, wenn eine Auskunftei eine Rechnung schickte, musste jemand in Steuersachen Auskünfte eingeholt haben! Was bedeutete, dass es die nachgefragte Person auch gab, logischerweise! Wenn man die nun aber nicht fand, konnte möglicherweise, also vielleicht irgendwo die Handakte...?! Da musste ein Schreibfehler, Tastenhudler beim Geburtsdatum, vielleicht noch ein nicht digital vernetztes Standesamt...?! Detorix mochte die altmodische Variante mit den Daimonenmilben sehr, aber er war auch für die "Digitalisierung" gerüstet. Bisher zumindest hatte er keine Fehlschläge zu verzeichnen gehabt, andererseits war er auch keine ganz trübe Tasse. So wie Spezl Heuseidl im Süden! Dem hatte er doch glatt DREI MAL erklären müssen, dass für den Papa und die zwei Kinder der Flexi-Vordruck vorgesehen war, weil die nun mal zwischen den Welten wechseln konnten und nicht nur auf einer Seite blieben! Detorix vermutete eine schleichende Verblödung beim Heuseidl, verursacht durch diesen Serien-Quatsch. Ja, selbstverständlich mussten sie menschliche Biographien studieren, als Szenarize notwendiges Rüstzeug. Nur die Filmchen, Serien und das Zeug, das war doch FIKTION! Es gab nun mal keine attraktiven, alleinstehenden, mega-reichen Adligen mit Schwächen für verhuschte Mittelschicht-Mäuschen ohne Einkommen oder Verbindungen! Wie sonst wäre die Bagage denn an die Moneten gelangt, mit Nächstenliebe, Gesetzestreue und Selbstlosigkeit?! Detorix schnaufte prophylaktisch mal durch. Nein, er wollte nicht über irgendwelche epischen Schlachten von Leuten in komischen Klamotten diskutieren! Das war, wenn man sich professionell mit verquasten Vorstellungen zwecks "Hoppla"-Optionen beschäftigen musste, schlichtweg zeitraubender Blödsinn! Außerdem kalter Kakao. Mal ehrlich, schon bei den Nibelungen...oder noch früher! Intrigen, Meucheln, Metzeln, Klauen, lauter miese Machenschaften: olle Kamellen! Was Detorix daran erinnerte, demnächst mal bei der "Bonbon"-Manufaktur vorbeizuschauen. Er mochte die kleinen Läden in der großen Stadt, die wieder Chancen erhielten, dass man sich auf das Wesentliche besann, gutes Essen, gute Getränke, Produkte mit Geschichte und Gesichtern. Jajaja, ein Luxus, durchaus, doch wenn man mal einige Jahre auf dem Buckel hatte, dann erkannte man, was wichtig war. Zugegeben, darin war er altmodisch. Andererseits konnte nur ein gut gelaunter Magen einen scharfen Verstand unterstützen und damit die Arbeit erledigen. Apropos Arbeit... ~~~~*> "Das würde ich nicht empfehlen", adressierte Detorix einen jungen Mann, der auf einem niedrigen Ast in der Linde saß und mit Handschuhen an einer Schlinge fummelte. Die nun, im Schreck losgelassen, vor Detorix' Gummistiefel fiel. "Oh, Verzeihung, ob Sie mir wohl...?", krächzte der junge Mann von oben. Detorix bückte sich und fischte das Gebilde ab, "durchaus, kein Problem. Nur, und gestatten Sie mir die Anmerkung, das ist eine sehr schlechte Qualität. Sagen Sie, junger Mann, Sie haben sich nicht professionell vorbereitet, oder?" Auf dem Ast zögerte man einen Moment, "also, nun...das ist...ähem...eher...das erste Mal...?" Detorix nickte, zerrte an der Schlinge, "da, schauen Sie mal, sehen Sie das? Der Knoten ist ganz und gar nicht geeignet. Da kann man vielleicht einen Sack mit zubinden, aber...nein. Und dieser Strick, ist das ein Springseil? Nein, wirklich, junger Mann, Sie gehen das falsch an." Er winkte energisch mit der Rechten, "kommen Sie mal bitte da runter, ja? Mir wird sonst das Genick steif. Aber Obacht, dass Sie den Ast nicht abbrechen. Bäume sind wichtig fürs Klima, insbesondere nach der Dürre." Einige Augenblicke später krabbelte recht ungelenk der Baumhocker herunter. "Guten Abend", holte Detorix die Förmlichkeiten nach, hob die Schlinge hoch, "sehen Sie das?! Zieht sich zu. Unpraktisch, absolut. Ich meine, Sie wollen sich ja nicht erwürgen, oder? Sondern, Schnapp, das Genick brechen." Er schnalzte mit der Zunge, "damit geht das gar nicht, ganz falscher Knoten, das Seil zu dünn. Ich sag Ihnen, was damit passiert!" Detorix drückte das für untauglich befundene Objekt seinem Eigentümer in die Handschuhe, "da schnürt sich, und zwar langsam, die Kehle zu. Sie röcheln wild rum, zappeln, beißen sich vielleicht in die Zunge, die Augen treten hervor, sehr unkleidsam. Waren Sie vorher denn auch auf dem Topf? Will sagen, so ein langsames Erdrosseln, da wirft der Körper allen Ballast ab, Sie verstehen? Sehr unschön, so mit vollen Hosen, verfärbtem Gesicht herumzubaumeln, kein Anblick fürs Fotoalbum, nein, wirklich nicht." Aber Detorix hatte seine Lektionen noch nicht abgeschlossen, "und dann, sehen Sie es mir nach, haben Sie sich mal die Linde angesehen? Der Ast ist viel zu niedrig. Und, na kommen Sie mal!" Er klopfte gegen die Borke, "klingt für mich jetzt nicht sonderlich stabil. Könnte ein Pilz sein. Nicht direkt hohl, aber... Sehen Sie, ein Profi würde vorher sorgfältig bei der Auswahl des Baums vorgehen. Man nimmt nicht irgendeinen Baum! Stellen Sie sich das mal vor, Sie kraxeln rauf, die Schlinge sitzt und dann springen Sie, der Ast ist morsch, kracht Ihnen unten auf den Schädel! Abgesehen vom Baumfrevel und vom Umweltschaden.. DAS ist doch blamabel, finden Sie nicht auch?" Detorix winkte seinen verdatterten Begleiter von der indiskutablen Linde weg, "also, meine Empfehlung: wählen Sie den respektiven Baum sorgfältig aus! Stabilität, Standfestigkeit, Belastbarkeit. Dann natürlich den Ast! Genug Abstand vom Boden, selbstverständlich, aber auch nicht zu dichte Nachbaräste. Das ist wichtig, denn sonst dengeln Sie dazwischen herum und zerreißen sich noch die Kleider. Außerdem die Aufräumarbeiten, da sollte man nicht nachlässig sein! Sie werden nachvollziehen können, dass man den Zustand danach nicht einfach belassen kann, quasi die Natur gemächlich zu ihrem Recht kommen. Das ist hier nicht üblich und auch ein wenig unhygienisch. Denken Sie mal an den ganzen Plastik in der Kleidung! Also sollte ein Hubsteiger an den Ast rankommen." Detorix blieb in Sichtweite einer gewaltigen Platane stehen, "das, nur zum Beispiel, ist ein schöner Baum. Aber, und das meinte ich vorhin mit der professionellen Herangehensweise, ist er auch sicher?! Kein Pilz drin, nicht stammfaul, von der Dürre geschädigt? Sie sollten also vorher unbedingt das Baumkataster studieren, dann eine Besichtigung vor Ort. Was ist mit der Borke? Beschädigt man den Baum, wenn man ihn besteigt? Kommen Sie überhaupt auf die niedrigsten Äste? Es ist selbstverständlich nicht verboten, mit einer Stehleiter durch den Park zu ziehen, scheint mir aber recht unbequem." Er fixierte seinen völlig perplexen Begleiter. "Sehen Sie, ich habe gar nichts gegen Ihr Vorhaben, kann ich ja gar nicht beurteilen, nicht wahr? Aber bei den technischen Details sollten Sie dringend nachbessern. Es ist kein feiner Zug, ein Schlamassel zu hinterlassen. Das wirkt, erlauben Sie mir die Freiheit, nicht sonderlich kompetent. Außerdem sollte der fragliche Baum geschont werden", Detorix nickte zur Bekräftigung, "ich, für meinen Teil, glaube ja nicht an Wiedergeburt. Trotzdem wäre es mir unangenehm, die Klimabilanz ohne Not zu verschlechtern. Jeder Baum zählt, heißt nicht so die aktuelle Kampagne? Nun, das muss ich wohl noch mal nachschlagen. Wie dem auch sei, zurück zur Natur, verständlich, ja, aber mit Umsicht." Inzwischen waren die Schultern seines Begleiters noch tiefer gesunken, "das-das habe ich, nun, nicht so genau..." "Oh, verstehe, verstehe", Detorix offerierte sein bewährtes Papiertütchen, "Pfefferminz?" "Oh, danke, sehr nett! Bin ein wenig heiser", man lutschte konzentriert. "Delikat, nicht wahr? Kann die Manufaktur nur wärmstens empfehlen!", Detorix spazierte zur Straße hin, "ich denke, nur meine Auffassung, Sie sollten Ihr Vorhaben aufschieben, bis die Detailplanung steht. Darf ich fragen, was Sie beruflich tun?" Man stolperte neben ihm her, ein wenig steif, das Seil in eine Jackentasche stopfend. "Oh, na ja, ich bin Administrator. Eigentlich", man seufzte geplagt, "aber zusätzlich muss ich mich jetzt noch um alle Konzepte kümmern, Datenschutz, Auskunfts- und Löschpflichten, den Webauftritt, die sozialen Medien mit ihren Cookies. Eigentlich sollte ich mich auf den Betrieb konzentrieren, Hardware, Software, diese Dinge." Er ächzte leise, "wissen Sie, wir haben so ein Ticket-System. Alle Anfragen bekommen ein Ticket. Der Berg wächst und wächst, ich komme gar nicht nach! Prioritäten helfen da längst nicht mehr. Hier ist der Arbeitsplatzrechner zu langsam, da ist gerade ein weiteres EU-Urteil gekommen, das ich kommentieren soll." Der Handschuh rieb über eine bereits gerötete Stirnpartie, "ich TRÄUME schon von Tickets! Jeden Tag, immer zu spät, immer hinterher! Hamstern würde man das nicht zumuten, aber...Der Notdienst funktioniert nicht, die Updates müssen nachts laufen. Ich habe schon keinen Biorhythmus mehr und es gibt kein Anzeichen für eine Verbesserung." Detorix, die Hände auf den Rücken verschränkt, lauschte, sein Pfefferminzbonbon im Mund rotierend, "verstehe. Sind kein streitlustiger Geselle, oder?" Sein Begleiter schnaubte matt, "gar nicht, leider. Ich schaffe es nicht mal, die Empfangsdame zu überreden, für mich ein Paket anzunehmen. Online-Bestellungen helfen gar nicht, wenn man nie zu Hause ist." Er lupfte einen Sneaker an, "da, sehen Sie? Geklebt. Vier Jahre alt. Eigentlich bräuchte ich Winterschuhe, aber ich komme einfach nicht dazu." Ein profundes Seufzen, während sie flanierten, "ich komme zu gar nichts mehr, hab mir sogar vor einem Jahr einen Chip einsetzen lassen." Er präsentierte Detorix einen Unterarm mit einer dezenten Beule, "weil ich so kaputt war, dass ich nicht mehr wusste, wo meine Schlüssel sind. Die Busfahrer müssen mich wecken, sonst fahre ich die komplette Runde zurück." Noch ein elendiger Seufzer, "ich hab versucht, um Unterstützung zu bitten. Eine halbherzige Ausschreibung, kein Geld für einen weiteren Vertrag, keine Bewerbungen, der Notdienst löst selbst Notfälle aus." Dezentes Stolpern, sich mühsam abfangen, "ich hätte mich ja auch anderweitig bewerben können, doch ich komme gar nicht dazu! Mir verschwimmen irgendwann die Zeichen vor Augen." Detorix nickte beifällig, brummte mitfühlend, "verstehe, verstehe. Sagen Sie, haben Sie eigentlich eine KI im Einsatz?" Neben ihm zögerte man kurz, "also, na ja, eine KI könnten wir uns gar nicht leisten. Ich meine, wenn es eine ECHTE wäre." Lächelnd nahm Detorix diesen Hinweis auf. »Aha, der junge Mann kannte sich aus.« "Hmm, ich frage lediglich, so, aus Interesse: eine KI kann ja merkwürdige Dinge machen, nicht? Stellt man gar nicht so oft in Frage, richtig? Scheint ja unfehlbar zu sein bei Prioritäten und so." Für ein Weilchen spazierten sie schweigend. »Bedenkzeit, gut!« Detorix mochte KI, als Buzzword/Schlagwort, unscharfer Sammelbegriff, häufig verwechselt mit statistischen Auswertungsverfahren. Er war gut darin, die digitalen Wälle zu überwinden, wo man zunächst mit automatisierten Systemen abgewimmelt werden sollte. Mit der richtigen Vorgehensweise bekam man dann doch einen MENSCHEN zu sprechen. Videokonferenzen halfen auch, angewandte Psychologie und subtile Beeinflussung für die "Hoppla"-Nutzung. KI wohnte etwas Schlaues, Neutrales inne, zumindest für Uneingeweihte. Alle, die mal von einer KI mit einem Anliegen "verwaltet" wurden, waren ausgesprochen dankbar, es irgendwann mit einem echten Menschen zu tun zu haben. Wenn psychologische Phasen durchlaufen worden waren: Wut, Verzweiflung, wilde Hoffnung, Resignation, wenn es ungefährlich wurde, milde gestimmt, mürbe gemacht. Nicht die feine Art, nein, einerseits. Detorix verweigerte sich keineswegs den Idealen, die man mit einer KI zu erreichen glaubte. Was er wusste, war, dass Menschen an ihrer Wiege standen und deshalb Ideale eher volatil wurden, so im Verlauf, bei der genauen Betrachtung von Konsequenzen. "Der Gedanke ist interessant", gab sein Begleiter schließlich zu, "aber die Implementierung wäre ein weiteres Ticket." "In der Tat, vielleicht das letzte Ticket, weil die anderen Tickets ja geprüft, gewichtet, klassifiziert würden", Detorix zwinkerte, "ich persönlich, nur als Beispiel selbstverständlich, fand es immer faszinierend. Sehen Sie, so ein Viren-Alarm, da muss ja bei Verdacht schon alles abgeschottet, runtergefahren, geprüft werden, dann isoliert man erst mal, gründliche Prüfung, könnte ja... Sie verstehen, Datenschutzgrundverordnung, Ausschluss einer gefährlichen Panne usw. Früher war es dann sehr ruhig, friedlich, keine Anrufe mehr, Voice over IP hängt ja auch am Netz. Pflanzen abstauben, Ablage, falls vorhanden, erledigen, mal die Teeküche auf Vordermann bringen. So ein bisschen Demut, würde ich sagen, weil, wenn es einen Alarm gibt, muss ja jemand was getan haben, nicht wahr? Hat Prioritäten verändert, man will ja nicht unangenehm auffallen." Sein Begleiter blieb stehen, "aber-aber das bedeutet enorm viel Arbeit! Ich meine, nacheinander alle Einheiten...!" Detorix wippte in seinen Gummistiefeln, mattiertes Schwarz und sehr kleidsam bei Regen und/oder Kälte, "erstaunlicherweise stellt sich häufig heraus, dass die Geräte, nun, sagen wir betagt sind. Man muss Ersatz ordern, was natürlich nicht auf dem gewohnten Weg geht. Knifflige Angelegenheit, jaja. Und manche Software, tja, die ist mehr Problem als Lösung, nicht? Andererseits, wenn jetzt offizielle Stellen ein argwöhnisches Auge auf die digitale Infrastruktur werfen, da möchte man dann vielleicht doch kooperativ erscheinen, keinen Fehler machen, ist dankbar für jeden kleinen Fortschritt, sieht selbstverständlich ein, dass die Betreuung personell aufgestockt werden muss. Und Versicherungen, oha! Die stellen Fragen, äußerst unangenehm!" Er lächelte friedlich in den Frühabend hinein, die Sonne verabschiedete sich gerade. Der Feierabendverkehr nahm hörbar zu. "Wie gesagt, nur so ein Gedanke", er streckte die Rechte aus, schüttelte die des verblüfften, jungen Mannes, "tja, nun, junger Mann, unsere Wege trennen sich hier. Es war ausgesprochen unterhaltsam, unsere kleine Plauderei, vielen Dank. Bleibt mir jetzt, Ihnen Fortune zu wünschen. Eine gute Vorbereitung ist dabei hilfreich, die besagte Göttin ist allerdings auch für Schmeicheleien empfänglich." Er tippte sich grüßend an den Bowler und verneigte sich leicht, dann überquerte er vorschriftsgemäß bei grünem Signal die Passage für die Zufußgehenden.. ~~~~*> Kapitel 2 »Die alten Tricks sind doch die besten« dachte Detorix, während er seinem Domizil zustrebte, beispielsweise die Hand zu schütteln und mit der freien ein Kärtchen in der Jackentasche zu deponieren, ohne Aufschrift, lediglich ein simpler Kartonstreifen. Vermutlich gedankenlos beim Auspacken von Einkäufen eingesteckt, das kannte man ja. Nun, dieser Streifen hatte es nicht in, sondern auf sich: bei entsprechender Temperatur nämlich gingen die Bakterien, die aufgeklebt waren, auf Wanderschaft oder reisten mit der Lüftung, Klimaanlage. Sie waren ein Äquivalent zu dem, was manche Termiten mit Holzgebäuden in Konflikt setzte, nur zogen sie eine andere Speise vor. Eine Art vorgezogene Müllabfuhr: Server, Desktop-Computer, Multifunktionsgeräte, auf Platinen fand sich so Einiges, was man vernaschen konnte und die Wahrnehmung elektronischer Schaltkreise half bei der Orientierung. Detorix nutzte diese Kärtchen nur dann, wenn er es mit besonders perfiden Sicherheitssystemen zu tun hatte und es keine Möglichkeit gab, einen Menschen zu erreichen. Theoretisch handelte es sich auch um eine Einmischung, einerseits. Andererseits schützte er die Natur aktiv und half dem jungen Mann ein wenig auf die Sprünge. Eine Fingerübung, quasi. Im Gegensatz zu all den lächerlichen Gerüchten nämlich bedeutete die Arbeit für den Großen M nicht, Ex-Menschen zu produzieren, um kuriose, unsichtbare, vage definierte Persönlichkeitsanhängsel zwecks Verzehrs zu generieren. Somit empfand Detorix keinerlei Gewissensbisse. Man würde mal sehen, was so passierte! ~~~~*> "Also wirklich!", stellte Detorix fest, als er das hölzerne Tor in der gemauerten Wand hinter sich schloss. Sein Heim, ein Backsteinhäuschen mit winzigem Innenhof, war altmodisch von der Straße abgetrennt, rechts und links schlossen sich moderne Häuserwände aus Beton an, verdunkelten den Innenhof. Oft hatte man versucht, das Grundstück zu erwerben. Es störte auch das Auge, dieses kleine Häuschen mit Giebeldach zwischen den sechsstöckigen Büro-Quadern! Für Detorix, der diesen Posten übernommen hatte, eine leichte Übung. Auf keinen Fall würde jemals dieser Grund veräußert werden, denn er stand auf einem Schwellenbruch zwischen beiden Welten. Folglich bedurfte diese Region besonderer Aufmerksamkeit, deshalb genügte ihm ja auch lange das Rohrpostsystem zur anderen Seite. Jetzt, von Leuchtkäfern umschwirrt, da es stockfinster war, äugte Detorix an der Backsteinmauer hoch. Nun, tatsächlich konnte man die Backsteine eher ahnen als sehen, weil ein an wilden Wein erinnerndes Gewächs dort rankte, alles zusammenhielt, wie Detorix wusste. Die Bausubstanz hatte über die Jahrzehnte ein wenig abgebaut. Er stemmte die Hände in die Taille, über den Werkzeuggürtel. "Ich muss schon sagen!", tadelte Detorix, senkte den Blick: ZWEI Paar Halbstiefel, schon abgetreten. Er seufzte. Ein Rauschen fuhr durch die Blätter. "Beklag dich nicht bei mir", kommentierte er diese Entsprechung eines Rülpsens, "ist das alles?" Seufzend fischte er zu den Schuhen auch Bekleidung ab, suchte mit Unterstützung der Leuchtkäfer nach persönlichem Eigentum, beispielsweise Mobiltelefon, Ausweis oder Autoschlüsseln. Zugegeben, es zeugte nicht von überragender Intelligenz, zu einem Einbruch mit solchen Besitztümern aufzubrechen, weil man diese ja vor Ort verlieren konnte. Andererseits... Erneut rauschten die Blätter. Detorix grummelte, "du hättest sie wohl nicht einfach abschütteln können, nein?" Aber er ließ die Überreste der glücklosen Ex-Einbrechenden liegen und begab sich zur gemauerten Wand, in die feuchte Ecke. Dort setzte er die Jauchen an. Sie rochen nicht gerade manierlich, aber Brennnessel, Äpfel und Schachtelhalm waren wertvoll. In diesem Fall entschied Detorix, dass Schachtelhalmbrühe wegen der Kieselsäure die Verdauungsprobleme beheben konnte, weshalb er, flach atmend, eine große Kanne ausleerte. "Ich hatte mich auf einen ruhigen Feierabend gefreut", ließ er den Strauchdaimon wissen. Andererseits konnte er auch nicht allzu streng sein. Der alte Strauchdaimon ließ Vögel nisten, bot Heimat für Eichhörnchen und den alten Igel, hielt das Backsteinhäuschen zusammen, zog mit winzigen, zart duftenden Blüten Insekten an. Er mochte den alten Kerl einfach! Hin und wieder ein paar Ex-Einbrechende, nun ja. Zugegeben, er HATTE ihm ausgeredet, den über die Mauer geworfenen Abfall den ehemaligen Besitzenden zielgenau ins Genick zu feuern, das warf zu viele Fragen auf und dummerweise klatschte mancher Unrat-Schmeißende flach aufs Gesicht und mitten auf die Fahrbahn, nein, das ging nicht! Zudem galt das Zielen auf die Rückenpartie als unsportlich. Man konnte nicht immer nur dem eigenen Vergnügen nachgehen! Detorix nahm den Müllpicker, eine lange Greifzange, und fischte die Überbleibsel ab. Tja. Würde man sie vermissen, die Unbekannten? Warteten vielleicht Komplizen? Was hatten die hier überhaupt gesucht? Detorix grummelte, deponierte die Indizien in eine alte Bütte. Erst mal eine Kanne Tee aufsetzen, in die Schlappen wechseln, sich heimisch machen, dann konnte er noch darüber nachdenken, wie er zur Abwechslung mal zwei Personen offiziell verschwinden ließ. ~~~~*> Es war eine Mischung aus Leuchtturmwartung- und Seenotrettung-Funktion. Das Backsteinhäuschen auf der Bruchstelle zeichnete sich durch sorgfältige Anpassung an die Umgebung aus. Alle Bewohnenden (gleich welchen Geschlechts oder auch gar keins) hatten es gehütet, sanft, zurückhaltend gestaltet. Detorix erbte eine Festnetzverbindung und einen Anschluss an die Stromversorgung. Vorhergehende Generationen hatten den imposanten, gusseisernen Ofen mit Backröhre aufgestellt, ohne Kaminabzug, aber mit Rohren quer durchs Haus, denn die Geothermie der anderen Welt sorgte für stetige, hohe Temperatur. Es existierte sogar noch eine kleine Turbine, die Strom erzeugen konnte, um beispielsweise einen kleinen Kühlschrank zu betreiben, denn Heizen war hier wirklich kein Problem. Eine gewisse Kreativität hatte auch die Zu- und Entwässerung verlangt, denn offiziell bestand ja Anschluss- und Benutzungszwang. Sein Anschluss wurde jedoch über die andere Seite mitbedient und nicht umsonst warnte ein emailliertes Schild über der Toilette, den ZWEITEN Regler zu bedienen, nämlich vor Nutzung der Brille den Schacht abzudichten. Sonst war das Hinterteil in Sekundenbruchteilen sehr gut durch! Thermische Entsorgung geschah hier DIREKT. War man jedoch mal mit den Eigentümlichkeiten vertraut, lebte es sich ganz gut, fand Detorix. In Schlappen und einer schlichten Kombination aus Leinenhemd und -hose füllte er Wasser in den alten Kessel. Nicht wenig später fiepte der durchdringend, sodass Teeblätter begossen werden konnten. Dazu gönnte sich Detorix ein Äpfelchen vom geretteten Kübelbaum. Eine recht traurige Angelegenheit, gleich drei Sorten als "Familien-Balkon-Baum" aufgepfropft, nur nicht sonderlich gepflegt. Der Kümmerling sollte entsorgt werden, stand jedoch neben den obligatorischen Biotonnen. Detorix dachte an den alten Strauchdaimon. Der würde sich vielleicht über neue Gesellschaft freuen. Gut, so ganz sicher war Detorix nicht, ob man auch Schwätzchen halten konnte mit den diesseitigen Pflanzen, will sagen, einen Dialog. Zutexten nur von einer Seite zählte für ihn nicht als Plauderei, sondern eher als verbale Müllentleerung des Schädels. Also hatte er den Kübel mit einer Bauchbinde versehen, eine weitere Schlinge um den Oberkörper gebunden und das Bäumchen schlicht mitgenommen. Hier machte es sich recht gut, wie er befand. Äpfelchen, die man sogar verzehren konnte, hatte es auch gegeben! Eine feine Sache, rundherum. Jetzt galt es jedoch, im uralten Schaukelstuhl in der Wohnküche, das Rätsel der Kleiderhaufen zu lösen. Detorix fütterte die Leuchtkäfer an, sich in drei Laternen niederzulassen. Spiegelscherben steigerten die Intensität des Lichts, erhellten die Räumlichkeit. Die Lesebrille justierend, die keine solche war, sondern als "Spekuliereisen" noch ganz andere Optionen verbarg, beäugte er die Überbleibsel. Tja. Die Klamotten samt und sonders das, was man unter "Fast Fashion" in Textildiscountern verhökerte, nicht mal als Putzlappen geeignet, Kunstfasern, schlechte Qualität und lausig verarbeitet. Klar, wenn man sich vorstellte, wie Arbeit und Materialien wertgeschätzt wurden... Nun ja, das half ihm jedenfalls nicht weiter. Mittelgroß, durchschnittlich gebaut, Unterwäsche ein wenig ZU lange getragen, Sneakersocken, man schwamm wohl nicht im Geld. Die Stiefel halfen auch nicht weiter. Detorix schaukelte und nippte gedankenverloren an seinem Teebecher. Sapperlot, das WAR knifflig! Der alte Strauchdaimon verputzte organisches Material, ausschließlich. Stellte sich nun die Frage, wenn das hier alles war, dann verfügten die beiden Ex-Einbrechenden nicht über Plomben, Brillen, künstliche Ersatzteile, Toupets, Kontaktlinsen, Schmuck. Demnach jünger, vielleicht auch ärztlich nicht ganz so gut versorgt. Hmmm. Wo befanden sich die Einbruchswerkzeuge? Wollten sie einfach hochklettern und durch ein Fenster im Giebel einsteigen? Wie waren sie durch das Tor gekommen? Detorix verfügte über zwei alte Bartschlüssel, einen fürs Tor in der Mauer und einen für die Tür zum Backsteinhäuschen. Über Einbruch oder Diebstahl machte er sich wenig Gedanken, denn von der Straße aus konnte man ja den Innenhof nicht einsehen. Wer wollte hier Wertvolles vermuten? Detorix erhob sich und öffnete die Haustür. Brrr, ganz schön frisch! Vor allem im Vergleich. "Du hast doch hoffentlich keine Falle aufgestellt, oder?", erkundigte er sich streng, zwei Neugierige angelockt?! Der Strauchdaimon wirbelte wild mit den Blättern. Detorix seufzte. "Wir stecken in der Klemme, lass dir das gesagt sein", tadelte er und kehrte wieder in die mollige Wärme der Wohnküche zurück, ließ sich im Schaukelstuhl nieder. Sehr ärgerlich. Möglicherweise hatte er das Tor nicht abgeschlossen. Aber wer paradierte auch einfach in einen Innenhof, wenn die Tür zumindest zugezogen war? Waren es möglicherweise Obdachlose? Nun gut, dazu fehlte das Gepäck. Detorix federte hoch und stapfte die Stiege ins Giebelgeschoss hoch. Dort befand sich nicht nur sein kleines Schlafzimmer, die Kajüte mit Koje, sondern auch sein Büro, zumindest sein Arbeitsplatz, ein altmodischer Sekretär mit Hocker und Lampe, Regale mit Büchern, dazu in der Neuzeit unverzichtbar das Ausgabegerät für den Anschluss an die weite Welt. Vermisstenmeldungen von Erwachsenen wurden nur in besonderen Umständen sofort publiziert, dafür waren die mutmaßlichen Ex-Besitzenden der Klamottenhaufen noch nicht lange genug abgängig. Trotzdem. Während Detorix sich Verlautbarungen auf den Schirm rief, dachte er nach. Schon merkwürdig, die Angelegenheit. Wie sollte man jemanden SAUBER verschwinden lassen, wenn man nicht wusste, um wen es sich handelte? Natürlich konnte er den Altkleiderhaufen in einem geeigneten Container entsorgen. Nichts würde sich zuordnen lassen, käme man nicht auf die Idee mit DNA-Tests und derlei aufwändiger Technik. Das konnte man jedoch mit einem flinken Blick in den Abfallkalender ausschließen. Zur Not, im äußerten Fall, wäre auch die Toilette eine Lösung, wobei Detorix eigentlich nicht schon wieder die Zimmerdecke über dem HEISSEN Örtchen streichen wollte. Brand- und Rußspuren ließen sich an dieser Stelle eher schwierig erklären. Natürlich zeitigte seine kurze Suche keinen Erfolg, dafür rummste es vernehmlich neben dem Bücherregal. Detorix erhob sich und schlurfte hinüber, entnahm, ein wenig widerstrebend, die Rohrpostkapsel. "Na prima", seufzte er grimmig, eine Vorladung vor die Vorstehende des Friedensgerichts, Thekla Anuphobis! ~~~~*> Detorix hatte sich mit ausreichend Pfefferminzbonbons versorgt und wartete auf der Holzbank. Schubweise ging es rein und raus. Mee-Poos, Metropolitan Polis, rapportierten, die Schocklanzen im Spalier im Foyer an der Garderobe abgestellt. Meistens ging es um Kleinigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder schlicht eine Vermittlung, die Abstimmung von Maßnahmen im öffentlichen Interesse. Spektakuläre Verhandlungen gab es selten. Allerdings schwante Detorix, dass er sich auf direktem Weg in eine solche, sehr unschöne Situation bewegte. Ihn beruhigte, dass er noch keine P.U.D.E.L. gesehen hatte. Trat DIE Truppe auf den Plan, steckte man in Schwierigkeiten, die "Kalamität" nur euphemistisch umschrieb! Sein Name wurde aufgerufen, also meldete er sich artig an und folgte in den Verhandlungsraum. Oben präsidierte die Vorstehende des Friedensgerichts, darunter, im "Schützengraben" schrieb ein Gerichts-Typse mit. Einen Anklagenden konnte Detorix nicht erblicken, als er hinter dem halbhohen Gatter stehen blieb. "Szenarize Detorix, richtig?", Thekla Anuphobis orgelte an ihren Augengläsern herum. Das dauerte, denn sie verfügte über gleich acht Augenpaare. "Korrekt, Euer Ehren", bestätigte Detorix höflich und wartete. "Augenblick...Augenblick", die Vorstehende des Friedensgerichts fledderte durch mehrere Aktenstapel. Der Gerichts-Typse knackte eine Kokosnuss, schlürfte und ließ anschließend spielerisch die Hämmerchen um die Klauen kreisen. "Ah...hier!" Detorix fühlte sich plötzlich ARG in den Fokus genommen. Bei so vielen Augenpaaren! "Ich lese hier, dass mutmaßlich gegen die Regeln verstoßen worden ist: zwei Menschen verschwunden, in Ihrem Zuständigkeitsbereich." Detorix straffte die Schultern. "So genau lässt sich das nicht sagen, Euer Ehren. Momentan findet sich lediglich ein Häufchen Altkleider. Könnte auch über die Mauer geworfen worden sein", hasardierte er tollkühn. Thekla Anuphobis studierte ihn unangenehmerweise mit noch stärker aufgedrehten Augengläsern. Wahrscheinlich zählte sie gerade jede einzelne Pore auf seiner Nasenspitze! "Detorix, mache ich den Eindruck, Nebelkerzen zu schätzen?", rhetorische Frage. Er schnaubte, "schön, es SIEHT danach aus, als wären zwei Menschen verloren gegangen. Aber ich weiß nicht, wer und warum. Durch die Bruchstelle ist niemand gelangt, das weiß ich mit Sicherheit." Die Hämmerchen des Gerichts-Typse legten eine erwartungsvolle Pause ein. "Menschen neigen nicht dazu, einfach zu verschwinden. Wir wissen beide, dass es nicht gestattet ist, ihre Existenz mutwillig zu beenden." "Ausgenommen, es handelt sich um Notwehr oder schlicht Müllentsorgung. Wenn sie vorher schon, nun, tot waren", warf Detorix geschmeidig ein, um für den alten Strauchdaimon Punkte zu erzielen. Thekla Anuphobis beäugte ihn sezierend, "Anzeichen für Notwehr wären in dem Fall...Fackeln? Streichhölzer? Ein Bulldozer?" "Na ja, auch Molotowcocktails oder Herbizide. Benzin", ergänzte Detorix etwas steif. "Du hast entsprechende Spuren gefunden? Indizien gesichert?" Detorix seufzte, "nein, Euer Ehren." Der Gerichts-Typse kaute angespannt Kokosnussfleisch, die Hämmerchen hinter die Ohren geklemmt. "Beweise dafür, dass die Menschen schon verblichen waren, 'Müllentsorgung', war das nicht dein Hinweis?" Aufgeben wollte Detorix noch nicht, "tja, das ist ein wenig schwierig, da ich nicht zugegen war und noch nicht herausgefunden habe, WER diese Leute waren. Aber ich würde es für vorschnell halten, von einem Regelverstoß auszugehen." Das Kokosnussfleischkauen stoppte abrupt. Es wurde unangenehm still. "So, würdest du." Ja, man sollte Vorstehende des Friedensgerichts nicht provozieren, schon richtig, aber die Konsequenzen zeichneten sich für Detorix allzu deutlich ab. Für die Menschenwelt galt als Primat: du sollst dich nicht einmischen, nichts verändern! Auf GAR KEINEN FALL einen Menschen töten. Falls das geschah, nein, er wollte gar nicht herausfinden, was dem alten Strauchdaimon dann zustieß. Er räusperte sich, "Euer Ehren, ich benötige Zeit, um herauszufinden, wer diese Personen waren. Dann lässt sich wahrscheinlich auch aufklären, warum sie das Haus betreten wollten, was für Absichten sie hegten." Ein aus acht Augenpaaren gebündelter, äußerst grimmiger Blick traf ihn. "Ich entscheide in der Angelegenheit, blabla...", der Gerichts-Typse legte mehrere Hammersoli hin, nickte dann hoch, "dass Szenarize Detorix, dem Friedensgericht bekannt, Personalien und Hintergründe aufklärt. Um seine Ermittlungen zu unterstützen, wird Mee-Poo Lahyrim die Untersuchung begleiten." Detorix seufzte stumm. Na klasse, auch noch ein Mee-Poo zum Aufpassen! ~~~~*> Nicht gerade von überschäumender Begeisterung erfüllt begab sich Detorix am nächsten Morgen durch das Portal. Eine kurze Kontrolle der einschlägigen Meldungen nach dem Frühstück zeitigte keine Neuigkeiten. Nun, nicht gerade unerwartet. Zumindest jedoch hatte er sich schon eine Strategie zurechtgelegt. Jetzt hieß es, den Mee-Poo einsammeln. Detorix hatte sich in Schale geworfen, also zu Hemd, Hose und Sandalen noch ein lockeres Jackett und einen Strohhut. Es herrschten nämlich angenehme 25 Grad Lufttemperatur mit beständigem, sanftem Wind, sehr gemäßigte Klimazone, quasi keine Jahreszeiten. Daran musste er sich regelmäßig erinnern. Er wippte dezent von Zehen auf Fersen und zurück, die Hände rücklings verschränkt und wartete. Um ihn herum dominierte das übliche, nicht allzu beschleunigte Treiben. Klar, dieses Portal war keines zum üblichen "Grenzverkehr". »Ah, oha«, stellte Detorix, der müßig das Panorama studierte, fest, denn ein Mee-Poo stolperte heran, maximal 1,55m groß oder eher klein, sehr zierlich, beinahe über die eigene Schocklanze fallend. Eine Nymphe! Die Trageschlaufe für die Schocklanze war mit farbigen Flechten umwickelt. An der Schärpe hing ein geschlossenes Glas, in welchem Grünzeug dümpelte. Das durchscheinende Kleidchen über den hochgebundenen Sandalen wies farbige Flecken auf. Große, blaue Augen, eine sehr flache Nase, die eigentlich nur aus zwei winzigen, schlitzartigen Öffnungen bestand, die durchaus hübsch geschwungenen Lippen formulierten eine Entschuldigung. "Oh, oh, Verzeihung! Tut mir so leid! Szenarize Detorix, richtig? Ich bin zu spät", dabei ließ Lahyrim im Heranflug auch noch die Schocklanze fallen. Detorix fing sie ab, geübt. Eine Gefahr bestand nicht, denn die Sicherung saß. "Oh, Verzeihung! Wirklich, das... ich bin so aufgeregt! Mein erster Einsatz, Entschuldigung!", stammelte Lahyrim kläglich. "Guten Morgen", setzte Detorix ein Zeichen und verneigte sich, erstattete die Schocklanze ihrer Eigentümerin. "Guten Morgen. Verzeihung, ich habe leider... es ist mir so unangenehm..." Detorix tippte höflich auf seinen nicht vorhandenen Kleidersaum, "vielleicht, meine Liebe, sollten Sie einen Augenblick darauf verwenden, die Spuren dort zu entfernen. Der Nachwuchs, hm?" Entgeistert blickte Lahyrim an sich herab und errötete dezent. Ihre Hautfarbe, ebenso durchscheinend-bleich wie das Kleidchen, tendierte dezent ins Grünliche, was sich nur kleidsam ausnahm, wenn man dazu babyblaue Löckchen trug, die aus dem Dutt entwischten und sich wie Lianen abseilten. Mit dem Kinn wies Detorix hilfreich zu einem Trinkbrunnen, wartete geduldig, bis Lahyrim den Kampf gegen die Flecken und die Schwerkraft gewonnen hatte. "Das tut mir wirklich leid, Herr Detorix! Die Zwillinge sind morgens ein bisschen unleidlich", gestand sie kläglich ein. "Detorix genügt vollkommen. Wenigstens frühstücken sie, das ist schon mal eine gute Voraussetzung", entgegnete er galant. Lahyrim seufzte, die Schultern, ohnehin schmal und zart wie die gesamte Nymphe, sackten tiefer. "Darf ich fragen, was Sie bei sich tragen?", referierte Detorix auf das umgehängte Schraubglas. Es war nämlich recht ungewöhnlich, ein Naturwesen als Mee-Poo anzutreffen. Nicht, dass sie nicht geeignet wären, oh nein! Doch die territoriale Bindung erwies sich häufig als recht hinderlich, wenn man sich in größeren Kreisen bewegen musste. "Ah, das ist eine kleine Seerose in Feenmoos. Ich kann sonst nämlich nicht, na ja, weiter weg vom Teich am Stadtrand", deutete Lahyrim die Richtung an, lächelte verlegen. "Ich habe aber die Umschulung bestanden! Das Zertifikat habe ich...!", sie kramte in einem Beutel, der an einer Schnur hing, über die andere Schulter transportiert. "Oh, ich ziehe Ihre Qualifikation nicht in Zweifel!", wiegelte Detorix ab, wich der schwankenden Schocklanze aus. Die wurde zwar unter eine Achsel geklemmt, um das Wühlen zu ermöglichen, hatte für seinen Geschmack jedoch ein wenig zu viel Spielraum. "Oh, es ist einfach furchtbar! Dabei wollte ich mich heute von meiner besten Seite zeigen!", gestand die Nymphe kläglich ein. Detorix sah sich genötigt, ein Machtwort zu sprechen, "Mee-Poo Lahyrim, bitte fassen Sie sich! Wir haben einen kniffligen Fall aufzuklären." Lahyrim reckte bei dieser direkten Ansprache das spitze Kinn und stand stramm, "Verzeihung! Ich bitte um Einweisung in den Tatort." Detorix nickte gravitätisch und stellte einen Ellenbogen aus, "sehr wohl. Darf ich bitten?" Nach einem Augenblick hängte sich die Nymphe tatsächlich ein, "ich war perplex, deshalb...mein Ex ist Faun und Tänzer..." ~~~~*> Während Detorix höflich den Vorhang beiseite schob, damit sie in die Wohnküche eintreten konnten, war er schon im Bilde. Die wenigen Schritte vom Trinkbrunnen durch das Portal ins Backsteinhäuschen hatten genügt. Die immer noch aufgeregte Mee-Poo zog ihn ungefragt ins Vertrauen. Der Ex, Faun, Tänzer, Vater der Zwillingssöhne, lebte bei seiner Mutter, weshalb man nicht von einer Trennung sprechen konnte. Sie jedoch hatte die Faxen dicke und war entschlossen, aus sich etwas zu machen. Nun, etwas anderes als eine hübsche Dekoration am Teichrand, doch als alleinerziehende Mutter ließ sich das gar nicht so einfach an! Was ihren derangierten und verspäteten Auftritt illustrierte. "...oh...", staunte sie nun, warf Detorix aus den großen, blauen Augen einen verzückten Blick zu, "das ist aber ein hübsches Häuschen! Und so schön warm!" Detorix, sich seiner Gastgeberrolle bewusst, gestikulierte Richtung Schirmständer. "Wollen Sie die Schocklanze dort abstellen? Dann zeige ich Ihnen gerade den Fundort, es ist jedoch sehr frisch!", warnte er vor und wählte eine gefaltete Decke von der alten Truhe unterm Fenster. Aufmerksam legte er sie der Nymphe um, warf sich selbst seinen doppelreihigen Seebärenkurzmantel über die Schultern. Durch die Haustür gelangte zwar die Wärme nach draußen, doch ein ungemütlicher Wind pfiff eisig. Nun, blau anlaufen konnte die Nymphe wohl nicht, zumindest nicht merklich! Dennoch beschränkte er sich auf eine kurze Erläuterung, "hier, der Strauchdaimon. Die fremden Kleider lagen hier. Das Tor in der Mauer stellt den einzigen Zugang zum Haus dar. Es war ge-, aber nicht verschlossen, als ich zurückkehrte." Lahyrim klapperte und schlotterte erbärmlich. "Bitte, gehen wir hinein, meine Liebe", beendete Detorix den ungemütlichen Ausflug an den "Tatort". Drinnen setzte er den Wasserkessel auf, dirigierte die stocksteife Nymphe zum Schaukelstuhl, schenkte das dampfende Wasser in einen Becher mit Kakaopulver, wenig entölt, plus raffiniertem Zucker ein, rührte gründlich. Auf die breite Armlehne des Schaukelstuhls deponierte er zusätzlich ein Porzellantellerchen mit Waffeln, klein, aus dem uralten Eisen geschüttelt, das man sehr kurz in die Backröhre einlegte. Er nahm mit seinem Anteil auf der Fenstertruhe Platz. "Stärken Sie sich erst mal, meine Liebe, während ich Ihnen die nächsten Schritte erläutere." ~~~~*> Detorix, warm verpackt in seinen Gummistiefeln, gefütterten Hosen, Hemd, Pullover, Seebärenkurzmantel, Schal und Bowler, betrat das Revier, im Erdgeschoss eines mehrstöckigen, gesichtslosen Bürokomplexes untergebracht. Er stellte den Müllsack neben seine Füße und adressierte die Beamtin hinter dem Schalter. "Guten Morgen", Detorix lüftete den Bowler artig, verzichtete mangels Ablage jedoch darauf, sich barhäuptig zu präsentieren. "Guten Morgen. Wenn es um eine Auskunft geht oder irgendwas, das im Computer steckt", sie tippte mit einem ironischen Seufzer auf das handgeschriebene Schild auf der Panzerglasscheibe. Detorix nahm die Information zur Kenntnis. Aufgrund eines unvorhersehbaren Defekts waren sämtliche IT-Geräte außer Betrieb. Man dankte für das Verständnis, welches ungefragt vorausgesetzt wurde. "Ich bin nicht sicher, ob ein Computer zwingend involviert ist", so einfach gab Detorix nicht auf. "Na, dann finden wir das mal raus, nicht wahr?", sein Gegenüber fahndete nach einem Blatt Papier, offenbar einem nun gerade nutzlosen Fach des Multifunktionsgerätes entnommen. Um die Seriosität seines Anliegens zu unterstreichen, präsentierte Detorix einen Personalausweis, tippte auf seine Adresse und platzierte dazu noch einen Ausdruck des Grundstücks aus dem Kataster. Dann schilderte er, wie er ahnungslos den Innenhof betreten hatte, um dort herrenlose Kleidungsstücke am Haus vorzufinden vor einem rankenden Gewächs. Ohne Eigentümer, ohne weitere Erkenntnis. Damit lupfte er den Müllsack in die Höhe. "Hm, also, wollen Sie eine Anzeige wegen unerlaubter Müllablagerung auf Ihrem Grundstück aufgeben?" Detorix zuckte mit den Achseln, den pflichtbewussten Bürger mimend, "Sehen Sie, ich bin nicht sicher, ob es sich darum handelt. Das sind Bekleidungsstücke für genau zwei Personen. Nun frage ich mich doch, wo sind die Eigentümer? Sind sie bestohlen worden? Denn warum sollte jemand bei mir eindringen, um seine Kleider zu hinterlegen?" Die Beamtin legte einen abgeschabt wirkenden Kugelschreiber beiseite, öffnete die Zugangstür zu den Räumen, trat zu Detorix und spähte in den Sack. "Und das ist alles? Zwei Paar Treter, Unterwäsche, Klamotten, sonst nichts?", hakte sie kritisch nach. Detorix nickte gravitätisch, "das hat mich ja auch gewundert. Aber sonst lag nichts herum, keine Papiere, keine Schlüssel, gar nichts!" "Augenblick bitte", die Beamtin kehrte, einen altmodischen Schlüssel bemühend, weil der Transponder auch nicht funktionierte, in die Räumlichkeiten zurück, kramte in einer Schublade nach einer Pappschachtel mit Einweghandschuhen. Sie mit schmatzenden Geräuschen überziehend stapfte sie erneut an Detorix' Seite, fischte nacheinander den Inhalt seines Müllsacks heraus, seufzte. "Also, an eine Diebstahlmeldung würde ich mich bestimmt erinnern", grummelte sie. "Was könnte denn passiert sein?", erkundigte sich Detorix nach einer Arbeitshypothese. ER wollte keine Vermisstenanzeige anstoßen! "Na, könnte doch ein Streich sein. Oder Müllentsorgung. Altkleidercontainer, da stehen mal Tüten herum, durchgewühlt und dann doch nicht behalten", sie pellte mit einiger Mühe die hartnäckig klebenden Handschuhe ab, "wir hatten auch schon die verrücktesten Sachen. Nackig aus dem Stundenhotel raus. Oder einmal, da hielt eine Streife zwei Burschen an, die unbekleidet in einem Kleinwagen fuhren, die wollten wohl, zurück zur Natur, ein bisschen privaten Spaß haben, hatten aber nicht mit einem Hundeausführer gerechnet, sind zum Auto geflüchtet. Da lagen dann die Klamotten eben im Gebüsch. Wenn Sie nen Innenhof haben...ist zwar lausig kalt, aber Leute...sind Leute." Sie zuckte mit den Achseln, ließ Detorix stehen, um wieder hinter den Schalter zu treten. Bevor sie sich jedoch dem Blatt Papier widmen konnte, auf dem sich lediglich Detorix' Personenangaben fanden, öffnete sich eine Hintertür, "Erfolg! Der schnucklige Admin hat das Faxgerät zum Laufen gebracht!" "Toll", brummte die Beamtin vor Detorix mit stark gebremster Begeisterung, "jetzt brauchen wir nur noch die Walkie Talkies aus der Zentrale. Falls der Kollege auch ohne Navigationssystem und Handy dort hinfindet." Detorix lauschte mit großen Ohren. "Besteht irgendeine Chance, dass die Computer wieder laufen?" "Nöhö!", trällerte die Kollegin gut gelaunt, "übrigens sind eben ein Versicherungsfuzzi und der Datenschutzbeauftragte gemeinsam in den Aufzug gestiegen. Seitdem ist es im vierten Stock verdächtig still." Vorne schnaufte man verdrossen, "prima. Was bin ich froh, dass wir die Steuerzahlenden entlasten und unsere Hardware in den gemeinsamen Serverraum gestellt haben." "Gell?!", strahlte ihre Kollegin, verteilte Kaffee in Becher und garnierte Gummibärchen auf ein Tablett. "Und was wird das jetzt?" Ein Grinsen erhellte den gesamten Raum, "oh, der schnucklige Admin darf nicht in die Räume rein, weil der Arbeitsschutz wohl einen Schreikrampf beim Anblick der Aufzeichnungen bekommen hat. Offenbar lauter Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, tsktsk. Ich bedank mich bloß, dass er unser Fax zum Laufen gebracht hat. Ist richtig niedlich, wie er so ein Nickerchen hält!" Damit verließ sie ausgestattet mit Nahrhaftem den Raum. Detorix lächelte betont arglos, "ach herrje, das klingt aber ernst. Hoffentlich steckt niemand in Schwierigkeiten?" Sein Gegenüber knurrte grimmig, "vermutlich alle außer 'dem schnuckligen Admin'! Wahrscheinlich haben sich umgeschulte Wühlmäuse eingeschlichen und die Hardware zerkaut. So kommen wir in den Genuss einer Zeitreise, Stand frühe Achtziger!" Detorix schnalzte mitfühlend mit der Zunge, "sehr bedauerlich. Wenn ich das gewusst hätte..." Hinter dem Sicherheitsglas winkte man ab. "Freund und Helfer, das ist ja unser Motto, nicht? Also, Folgendes schlage ich vor: ich habe Ihre Personalien aufgenommen. Wenn das Fax tatsächlich funktionieren sollte, schicke ich eine Aufstellung der Klamotten ans städtische Fundbüro. Wir lassen zwei Wochen verstreichen, falls es sich um einen Diebstahl oder Verlust handelt. Danach ist es eine Anzeige gegen unbekannt wegen des Versuchs unerlaubter Müllentsorgung. Da will ich Ihnen aber keine großen Hoffnungen machen, dass wir da jemanden ermitteln." Verständnisvoll nickend lüftete Detorix den Bowler, "nein, das verstehe ich. Vielen Dank für Ihre Mühe, trotz dieser widrigen Umstände!" "Schon recht. Einen guten Tag noch." Detorix verabschiedete sich artig mit demselben frommen Wunsch. Vor dem Gebäude wandte er sich kurz um, riskierte einen Blick nach oben, dann auf die Klingelschilder. »Sieh an, eine Zeitarbeitsfirma, ein Reinigungsunternehmen und ein kleines Maklerbüro unter dem Dach! Ob die alle sich den Serverraum geteilt hatten, in Kostenersparnis? Einen jungen Mann ausbeutend, der beinahe keinen anderen Ausweg mehr als Baumfrevel gesehen hatte?« Detorix schob sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund. Fürwahr, die Welt WAR klein! ~~~~*> Kapitel 3 Lahyrim lauschte der Aufnahme des Gesprächs vom Revier. "Das klingt nicht besonders hilfreich", wagte sie eine Hypothese. Detorix, der einen kleinen, deftig gewürzten Auflauf aus der Backröhre barg, nickte knapp, "eine Vermisstenmeldung können wir nicht absetzen, wir wissen nichts über Aussehen, Alter, Erscheinung. Hinsichtlich der intimen Schäferstunde hege ich Zweifel, selbst wenn kein Autoschlüssel vorzufinden war. Das erscheint mir eher unwahrscheinlich." Die Nymphe, einen Anteil des Auflaufs entgegen nehmend, blickte konzentriert auf den zugezogenen Vorhang, "ich möchte nicht voreilig urteilen, aber keine dieser Hypothesen beweist, dass die Personen tot waren." Was unerfreulicherweise den Strauchdaimon noch immer in den Ruch brachte, gegen die wichtigste Regel verstoßen zu haben. Detorix, der auf seine Gabel blies, um sich nicht die Zunge zu verbrühen, nickte, "nun, Vermisstenmeldungen werden erst nach drei Tagen angenommen. Wie ich der Vorstehenden des Friedensgerichts schon sagte: ich benötige mehr Zeit. Wir haben schlichtweg nicht genug Anhaltspunkte, um eine Identitätsprüfung vornehmen zu können." Lahyrim mümmelte emsig, "schade, dass der Strauchdaimon nicht sprechen kann." In der Tat. Sich einen verdünnten Fruchtsaft nachschenkend kaute Detorix nachdenklich. Was konnte für die Fremden hier interessant gewesen sein? Was brachte sie um? Er würde eine schlüssige Theorie aufstellen müssen, um die Anklage mit Zweifeln behaften zu können. ~~~~*> Detorix entließ Lahyrim auf die andere Seite, damit sie ihre Zwillinge betreuen konnte. Er fragte sich, ob die Vorstehende des Friedensgerichts eine bestimmte Taktik verfolgte, ihm eine Anfängerin in Teilzeit zuzuweisen, die darüber hinaus als ehemals der Menschenwelt zugeordnetes Wesen dort eigentlich nicht in Erscheinung treten durfte, sich auf seine Aufzeichnungen verlassen musste. Hmmm... Noch konnte Detorix sich darauf keinen Reim machen. Immer, wenn er das Gefühl hatte, auf der Stelle zu treten, warf er sich in seine "Menschen-Arbeitskluft", richtete den Bowler, kontrollierte den unverzichtbaren Werkzeuggürtel und verließ das Backsteinhäuschen, verschaffte sich bei einem Spaziergang einen freien Blick und einen erfrischten Kopf. Zudem musste der Vorrat an Bonbons aufgefüllt werden. Tja, was tun? Die Hände in den Jackentaschen des doppelreihigen Seebärenkurzmantels flanierte Detorix gedankenvoll. Warten, bis die drei Tage verstrichen waren? Und dann? Es konnte durchaus möglich sein, dass niemand die beiden Personen, mutmaßlich Männer, vermisste. Wenn sie keiner geregelten Beschäftigung nachgingen, beispielsweise. Bei Jugendlichen sähe es wohl anders aus, obwohl, wenn man es bedachte: Ferien! Richtig, noch waren ja Schulferien. Nein, das half nicht weiter. Dann doch lieber auf sein Domizil konzentrieren. Konnten sie etwas gesucht haben? Fehlte etwas? Das wäre ihm doch aufgefallen, wenn es offenkundig war. Anders betrachtet: gab es MEHR als vorher? Hatten sie vielleicht versucht, etwas zu deponieren und dabei den alten Strauchdaimon in Gefahr gebracht? Doch so sehr Detorix sich anstrengte, dafür konnte er keine Anzeichen erkennen. Verflixt noch eins! Ob er vielleicht mal unter seiner Adresse eine Recherche laufen lassen sollte, welche Begriffe und Stichworte die schlauen, manipulierten Algorithmen mit seinem Heim in Verbindung brachten? Eine eher verzweifelte Maßnahme, doch zumindest besser, als gar nichts zu unternehmen, entschied Detorix und marschierte zurück. ~~~~*> Als Detorix sorgsam das Tor hinter sich absperrte, wusste er schon, dass ERNEUT etwas vorgefallen war. Der alte Strauchdaimon rauschte und raschelte eifrig. Im Innenhof lagen einige Dachschindeln, die von geduldigen Saugnäpfen an den Ranken an der Hauswand wieder nach oben befördert wurden. Detorix schwante Übles. Er schloss eilig die Tür auf, betrat die Wohnküche. Niemand zu sehen. Den Schirm aus dem Ständer ergreifend pirschte er sich die offene Treppe ins Giebelgeschoss. Wie gewohnt standen die Türen zu Büro und Schlafzimmer offen, sodass Detorix noch einen letzten Tageslichtschimmer des Frühabends bemerkte, den es nicht geben sollte, weil üblicherweise das Dach... Detorix preschte in sein Schlafzimmer, den Schirm wie eine Lanze ausgerichtet. Auf seinem Bett lag ein Mann, splitternackt. Und mausetot. ~~~~*> "Das nimmt ja langsam Ausmaße an!", stellte Detorix entrüstet fest, die Arme in die Hüften gestützt, aber auch das nachdrückliche Anpieken mit der Schirmspitze bestätigte ihm: der war hin. Ex-Mensch. In aller Emsigkeit wurde das Loch im Giebeldach geschlossen, lediglich auf dem gewebten Vorleger und seiner ehedem glatten Bettdecke fanden sich Bruchstückchen. Was sich nicht fand, war, nun, eine Sauerei. Wenn Leute durch Dächer zu krachen pflegten, dann reichte üblicherweise ein wenig Kosmetik mit einer Kehrschaufel nicht aus, um die Spuren zu beseitigen. Aufgrund der deutlich höheren Temperaturen entschied Detorix, sich erst mal in seine Hauskleidung zu werfen, ein Pfefferminzbonbon nachzulegen, dann einen gründlichen Blick auf den vormaligen Menschen zu werfen. Nun, männlich, zumindest den äußerlichen Merkmalen nach zu urteilen, Mitte Dreißig, kein körperlicher Arbeiter, blass, recht dünn. Hätte mal einen Barbier aufsuchen müssen! Braune Naturwelle, viel zu lang, fast auf Hippie-Niveau, acht-Tage-Bart, stoppelig und wenig kleidsam, Augenringe. Ein zeitlich desorientierter Weihnachtsmann auf der Suche nach dem fehlenden Kamin?! Unwahrscheinlich. Warum hatte der Strauchdaimon ihn nicht vertilgt, sondern aufgefangen? Abgebremst? Kein Herzschlag, kein Puls. Keine Wunden. Woran war der Mann gestorben? Detorix verbrachte einige Momente damit, eine Sicherheitsvorrichtung zu basteln, nämlich einen "Friedensstifter" direkt über dem Schädel des Ex-Menschen baumeln zu lassen. Richtete der sich nur wenige Zentimeter auf: bumms, Auszeit! Umbringen konnte ihn das ja wohl nicht mehr. Komische Sache. Im Büro war das Rohrpostfach noch immer leer, somit war der Tod nicht auf dieser Seite eingetreten, oder die P.U.D.E.L. hatten schon Feierabend. Detorix schnaubte. Nein, das Haus befand sich nicht in einer Einflugschneise, deshalb war es auch sehr unwahrscheinlich, dass blinde Passagiere oder Fallschirmspringer ohne Fallschirm hier reinplatzten, wobei letzteres sich dankenswerter Weise NICHT ereignet hatte. Ihm reichte es trotzdem, deshalb warf Detorix sich in seine Arbeitskluft und verließ das Backsteinhäuschen, blickte im Innenhof hoch in die einsetzende Dunkelheit, den Regen ignorierend, dann machte er sich auf den Weg. ~~~~*> Was man einbrechend nicht tun sollte: heimlichtuerisch herumschleichen. Das brachte die Leute nur auf Ideen. Deshalb ließ sich Detorix mit größter Selbstverständlichkeit im Nachbarhaus herein, aktivierte die Beleuchtung des Treppenhauses, das seinem Backsteinhäuschen am nächsten war. Schießschartenfenster, nicht zu öffnen, Flachdach mit Aufzugsschacht. Es regnete stärker, Böen kamen auf. Eine trostlose, eingezäunte Dachlandschaft, mit Pfützen und aufwellenden Teerflicken. Detorix arbeitete sich an den Rand vor. Der marode Maschendrahtzaun war mit den verrosteten Stangen aufgewickelt worden und lag neben einem Schornsteinrohr. Auslässe der Klimaanlage flatterten und klapperten. Detorix bückte sich: abgetretene Sneaker, Jeans, Doppelripp-Unterhose, verfilzte Socken, ein grauenvoller Weihnachtspullover und eine Brille, Marke Kassengestell der Sechziger. Er fingerte aus seinem Werkzeuggürtel ein zusammengerolltes Tuch, breitete es trotz der Windstöße aus, sammelte die Habseligkeiten ein. In der Jeans fand er einen Schlüsselbund. Einer passte zum Dachzugang, und jener dort? Man hatte eine Nummer eingeprägt, aber die konnte Detorix erst im Treppenhaus entziffern, bei Licht. 0.3A. Den Kleidern nach musste der Freispringer im Haus beschäftigt gewesen sein, denn bei diesen Temperaturen ohne Jacke oder Schal?! Detorix verglich die Geschossangaben. Der Schlüssel zum Dach trug die 7.1. Bei sechs Stockwerken stellte demnach die Null das Unter- oder Kellergeschoss dar, richtig? Tatsächlich führte im Erdgeschoss eine unscheinbare Tür ins Erdreich, wo der Aufzug keinen Zugang hatte. Dafür fand sich eine triste Leiste an der Geschosstür. 0.1 und 0.2 waren frei, doch bei 0.3 klemmte eine Visitenkarte. [Valentejn Ejken. Ihr Gestalter für Ihren Webauftritt.] Detorix mutmaßte, dass dessen letzter AUFtritt ein ABtritt war. ~~~~*> Trist war noch untertrieben: gemauerte, unverputzte Kellerwände, oben zogen sich Rohre, an den Wänden in Klemmen marginal gebündelt offene Kabelstränge, dünne Türen aus Stahlblech zu den einzelnen Räumen. Eine Brandverhütungsschau musste hier lange nicht mehr durchgeführt worden sein. Detorix beäugte kritisch die flackernde Grubenlampe an der Decke, die ihm den Weg ausleuchtete. Der Schlüssel passte zum Schloss, und an der Tür klebte auch, ein wenig schräg, eine weitere Visitenkarte. Dahinter befand sich ein Gelass ohne Fenster. Eine Neonröhre zuckte in ein blauweißes Leben, als Detorix den altmodischen Schalter drehte. Auf einem Campingtisch stand ein Laptop, daneben ein kleiner Drucker und eine Plastikflasche mit einer Neige Wasser. Der Klappstuhl war zur Seite geschoben, als habe sich der Inhaber dieser Räumlichkeit nur für einen Moment entfernt. An der unverputzten Mauerwand hing auf einem schlichten Drahtbügel eine gefütterte Winterjacke, die sich schon in der Mauser befand. Detorix tippte den Laptop an. Der erwachte tatsächlich und ließ den Betrachter wissen, dass er gekapert worden sei. Gegen eine gewisse Summe in digitaler Währung könne man möglicherweise den Entschlüsselungscode erhalten. Detorix wandte sich der Winterjacke zu: erbärmlich geringe Barschaft, der Personalausweis passte zur Visitenkarte und zum unbekleideten Auf-Lieger seiner eigenen Bettstatt. Er bemerkte einen Turnbeutel-Rucksack, verteilte ungeniert den Inhalt auf dem Campingtisch: Blisterverpackungen von Kopfschmerz- und Schlaftabletten, Post, Kündigung der Unterkunft, fristgemäß, Schreiben der Krankenkasse, dass man keine Möglichkeit sehe, Therapiekosten zu übernehmen, selbst wenn sich innerhalb der nächsten sechs Monate ein Termin arrangieren ließe. Detorix fühlte sich unangenehm an den verhinderten Baumfrevler erinnert. Er seufzte, dann räumte er den Turnbeutel-Rucksack wieder voll, vertüdelte die Gurte mit seinem Tuch-Sack und sammelte die Winterjacke ein, blickte sich um. Plötzlich lärmte es warnend in einer seiner vielen Gürteltaschen. Alarmiert ließ Detorix die Winterjacke sinken, die verbundenen Taschen los und zupfte rasch eine schmale, eingerollte Membran heraus. Er hob sie hoch, hauchte sie an, und sie entfaltete sich flink, saugte sich über Mund und Nase. Er sah sich wachsam um. Die Winterjacke am Drahtbügel hatte teilweise die Entlüftungsanlage blockiert. Als er sie herunterhob, hmmm! Er schob den Bowler etwas tiefer in den Nacken und blickte sich um. Woher wurde die Luft angesaugt? Irgendwas Merkwürdiges ging hier vor! ~~~~*> Detorix justierte die Lesebrille, spähte über ihren Rand, um Kollisionen vorzubeugen, denn die Sicht veränderte sich mit jeder Einstellung. Nein, ein Thermogramm half nicht weiter, die Membran über Mund und Nase zeigte mit ihrem Farbspektrum an, dass sich die Gefährlichkeit erhöhte. Aha! Die monochrome Darstellung der Partikel mit Verdichtungen und Bewegungsmuster half. Eine über dem Rand der Lesebrille unsichtbare Spur in der Luftbewegung führte ihn aus 0.3A heraus auf den Gang. Er folgte, immer wieder Brillen- mit Normalsicht vergleichend, der Fährte. Heizungskeller, hmm. Erstaunlich hochwertig abgeriegelt, enthielt auch Hochspannungsanlagen, wie der Aufkleber verkündete. Detorix ließ seine kleinen Helferlein von der Leine oder vielmehr aus der Schachtel. Sie mochten Herausforderungen. Wo es eine, sei sie winzig, Lücke gab, fanden sie einen Durchschlupf und knobelten dann im Kollektiv aus, wie man den Zugang entriegelte. Auch hier waren sie erfolgreich, was Detorix mit Leckerli belohnte, bevor er sie zurück in die Schachtel beorderte. Der Raum bot das übliche Panoptikum: Rohre, Kessel, blinkende Anzeigetafeln, ein ausrangierter Stuhl, ein nahezu bartloser Besen, Flecken auf dem Beton und zwei tote Ratten. Hmmm. Detorix wusste, dass die schlaueren Ratten etwas minderbemittelten Artgenossen den Vortritt ließen, quasi Kundschafter beschäftigten. Er näherte sich und studierte die Lage. Oberhalb der Rattenkadaver verliefen Rohre, vermutlich auch zur Beheizung der höheren Geschosse. Ihre Ummantelung zwecks Isolierung war dem Zahn der Zeit und der Nager partiell zum Opfer gefallen. Durch die Risse und Lücken strömte erkennbar in der Thermogramm-Darstellung der Lesebrille Hitze. Diese hatte wohl auch die beiden Tüten, auf einem Kabelstrang deponiert, beeinträchtigt. Unbedrucktes Papier, Obsttüten-Qualität, darunter Plastik, geschmolzen, was den Inhalt ausgasen ließ und Teile auf den Boden befördert hatte. Die Membran glomm warnend, gleichzeitig "sah" Detorix auch den stetigen Luftstrom, der über träge rotierende Ventilatoren angesaugt wurde. Tsktsk. Der zu Boden gegangene Inhalt der Beutel war in eine Art Münzen gepresst, gelb, rosa, bleu, mit Pflanzenstempel. Detorix seufzte stumm. Vermutlich irgendeine synthetische Droge, schlecht abgemischt, verunreinigt (soweit man überhaupt von Qualitätsstandards sprechen konnte) oder absichtlich zu hoch dosiert. Er lichtete die Szenerie ab, wandte sich dann den zahlreichen Tafeln zu, die den Betrieb der Anlagen optisch dokumentierten. Knifflig. Was tun? Die Ventilatoren abstellen? Dann konzentrierte sich die Ausgasung in diesem Raum. Die Heizung herunterfahren? Ginge das, ohne Alarm auszulösen? Gab es eine Fernwartung? Detorix blickte sich Hilfe suchend um. Nein, leider kein praktisches Anleitungsheft für Aushilfs-Heldische des Alltags verfügbar! Gut, ein wenig vermessen, aber man wusste ja nie! Noch einmal durchmaß er den Raum, orientierte sich, fand keine weiteren Indizien. Tja. Er verließ die Grabkammer der zwei glücklosen Ratten, griff in seine Gürteltaschen und fand ein spezielles Harz. Damit verklebte er gründlich den Schlüsselzugang. Das sollte als Minimal-Vorkehrung einstweilen genügen. Er warf einen Blick auf seine altmodische Taschenuhr. Viel zu tun und wenig Zeit! In 0.3A sammelte er die zerpflückte Winterjacke sowie die gebündelten Säcke ein, ließ aus einem Fläschchen etwas Flüssigkeit auf den geöffneten Drucker und den aufgeklappten Laptop tropfen, pflückte beim Weg nach draußen die erbärmlichen Visitenkarten ab, verriegelte den Kellerzugang, dann warf er den Schlüsselbund in den Hausbriefkasten. Im Innenhof hielt Detorix einen Moment inne, deponierte kurz Bündel und Winterjacke in der Wohnküche, bevor er noch mal hinaus trat, sich orientierte. Hmmm... So langsam entwickelte er eine solide Arbeitshypothese. Doch damit war es nicht getan! "Alter Freund, ich glaube, wir sind einer sehr unerfreulichen Angelegenheit auf der Spur", ließ er den Strauchdaimon wissen. Auf dem Ess-/Arbeitstisch vor dem Ofen pflügte er rasch durch die Habseligkeiten des verhinderten Fliegers, konfiszierte den verbliebenen Schlüsselbund, an einem dieser unsäglichen Würgebänder befestigt, prägte sich die Adresse ein. Tja, Bewegung sollte ja gesund sein. ~~~~*> Ein Gründerzeithaus, bereits eingerüstet, das Klingelpaneel nicht mehr als herrenlos heraushängende, dünne Drähte. Briefkästen gab es gar keine mehr. Kein Fenster war erhellt. Detorix bezwang die eingesetzte Baustellentür, aktivierte die Taschenlampe, denn auf den Druck des Lichtschalters hin tat sich nichts. Treppenhaus, zersprungene Bodenfliesen, offenkundig nicht beheizt, feucht-modriger Odeur. Wo mochte Valentejn Ejken hausen? Der altmodische Verteilerkasten verriet, dass die Stromzufuhr von den Stadtwerken abgeklemmt worden war. Hatte das Mobiltelefon zufällig noch "Saft", konnte man sich bei Zahlung der Außenstände um Reaktivierung bemühen. Detorix beäugte kritisch die ausgetretenen Steinstufen der sich windenden Treppe. Es sah wirklich nicht so aus, als hauste in dieser Baustelle noch jemand! Andererseits erinnerte er sich, in dem mahnenden Schreiben das verbindliche Auszugsdatum gelesen zu haben, Ende des Monats, reguläre Kündigungsfrist. Allzu lange konnte Valentejn Ejken den morbiden Charme dieser Ruine nicht genossen haben. Nun, nach oben, oder... ? Einem Impuls folgend lief Detorix an der Treppe vorbei nach hinten und fand ein Loch, das er ausleuchtete und den Zugang zum Souterrain bot, quasi einstmals Dienstbotengelasse, wenn man oben lieber eine Maisonette für die Gouvernante einrichtete. Eine weitere dieser tristen Visitenkarten wies den Weg zu einem Kabuff, einfache Holzqualität die Tür. Der Schlüssel passte. Dahinter Tristesse, möbliertes Appartement, aha. Es erinnerte Detorix eher an antiquierten Strafvollzug: Duschvorhang um eine Kloschüssel mit Handwaschbeckenaufsatz, Kochplatte, Wasserkocher, Feldbett, schief an der Wand lehnendes Sperrholzregal. Dass es um Valentejn Ejken nicht gut bestellt war, ließ sich kaum leugnen. Detorix schnaubte und ignorierte dank Pfefferminz den Odeur de Morast, packte in den aufgeklappten Rollkoffer, der von deutlich besseren Zeiten kündete, alles an Kleidung, was er finden konnte plus die erbärmlich unzureichende Fleecedecke von der dünnen Matratze, auf der ein Stoffpinguin Wache hielt, Erkennungszeichen eines alternativen Betriebssystems. Papiere, Check. Irgendwelche Lebensmittel? Eher nicht, ohne Strom wohl auch nicht sinnvoll, hier zu lagern. Erinnerungsstücke, Persönliches, Photos? Valentejn Ejken musste sehr, sehr bescheiden gelebt haben in der letzten Zeit. Die wenigen Photographien, die Detorix in einem Hefter fand, deuteten auf vergangene Zeiten hin: erfolgreicher Studienabschluss, Firmeneintritt, strahlende Gesichter in Anzügen und Kostümen. Nun ja. Detorix barg noch die wenigen Hygieneartikel, sah sich dann um. Alles passte in den Rollkoffer und die Tragetasche eines Einrichtungshauses. Der Rest würde ohnehin entsorgt. Die Kaution konnte man vergessen, das war nicht mehr wichtig. Er schaffte Rollkoffer und Tasche hinaus, ließ in der offenen Tür den nutzlosen Schlüssel stecken. Hier brauchte man nichts mehr zu kündigen, aber er würde gleich zu Hause noch eine kleine Meldung verfassen, die den ehemaligen Mieter Valentejn Ejken abmeldete. Der Ordnung halber. ~~~~*> Im Backsteinhäuschen nach einem strammen Marsch samt Gepäck zurückgekehrt zog sich Detorix erst mal um, immerhin war es hier drinnen mollig warm und trocken. Dann röstete er Brot, strich Marmelade auf die Scheiben und setzte auf der Ofenplatte Kaffee in einer alten Kanne an. Der würde nach einer Weile die Konsistenz von Schweröl annehmen. Ausgerüstet mit dem ersten Becher und seinen Teller stieg er in das Giebelgeschoss. Im Schlafzimmer zeichnete sich keine Veränderung ab, deshalb machte er sich in seinem Büro in gewohnter Effizienz ans Werk. Abmeldung durch den Vermieter absenden, "nach unbekannt". Bankzugang online herausfinden, aha! Sämtliche Lastschrifteinzüge anhand der letzten Kontoauszüge widerrufen, nur zur Sicherheit. Sie verrieten Detorix, dass lediglich Strom und die Miete gezahlt worden war. Keine weiteren Versicherungen. Hmm...aha, in den Unterlagen fand er eine temporäre Zustimmung zur Einfrierung des Beitrags für die Kranken- und Pflegeversicherung. Das Mobiltelefon, Bestandteil eines Vertrags, war jüngst eingefordert worden, der Vertrag selbst nicht verlängert. Dem Gewerberegister konnte Detorix auch mitteilen, dass der Geschäftsbetrieb eingestellt worden war. Die hatten aufgrund des Umsatzes nicht mehr mal etwas festgesetzt. Das Finanzamt bescheinigte, unter der Grenze zur Umsatzsteuerpflicht zu liegen. Mit anderen Worten: Valentejn Ejken steuerte VOR seinem finalen Solo-Jungfernflug bereits direkt einem Absturz entgegen. Detorix überprüfte noch mal anhand von Papieren und Korrespondenz seine Tätigkeiten. Valentejn Ejken würde sich nicht in Luft auflösen, nur quasi seine Geschäftstätigkeit ins Ausland verlagern, weshalb er die Bank auch ersuchte, einem Wechsel zu einem Institut auf Madagaskar zuzustimmen. Der Kaffeebecher war nach einer Stunde geleert, der Teller blank. Detorix erhob sich und entschied, sich in der Wohnküche dem zweiten Teil seines Abendprogramms zu widmen, den Kaffeebecher auffüllen (es lief schon etwas zäher aus der Kanne), dann die Habseligkeiten seines uneingeladenen Gastes sortieren. Er betrat sein gemütliches Badezimmer, lupfte von einem scheinbar stillgelegten Rohr einen kräftigen Korkpfropfen. Sofort stieg nebelartig Wasserdampf auf, mit dem man ungeheuer bequem Kleider "luftreinigen" konnte. Dann ließ Detorix in die gemauerte Wanne Wasser laufen. Geothermie vom Feinsten! So weit, so gut. Mit einem ganz speziellen Werkzeug ausgerüstet stieg er die Treppe hoch und betrat sein Schlafzimmer. Die Leuchtkäfer verteilten sich gemütlich summend in einer Laternenschale, die das Licht brach und vervielfältigte. Detorix packte die beiden Knutschfrösche jeweils im Genick, trennte sie energisch von einander und presste sie blitzartig an die Schläfen des verhinderten Flugkünstlers. ~~~~*> "Huuuuhhhhh!", Valentejn Ejken klappte reflexartig hoch, die Augenlider flatterten im Kurzschluss, dann keuchte er und hustete. Detorix, die einander wieder traulich knutschenden Frösche verstauend, packte Valentejn im Genick und setzte an der Front den Kaffeebecher an. Nein, man konnte mit dem Inhalt keine Toten aufwecken! Zumindest aber blickte ihn, ein wenig kurzsichtig, sein Gast an. "Ihre Brille", reichte Detorix, auf der Bettkante Platz nehmend, das Gedächtnis-Kassengestell an. "Ah, vielen Dank. Oh...huch!", prompt zupfte Valentejn eiligst einen Deckenzipfel hoch, "wo sind meine Kleider?" "Ein Teil trocknet gerade nach der Dampfreinigung", erläuterte Detorix mit liebenswürdigem Tonfall, "im Übrigen zunächst guten Abend, Herr Ejken. Mein Name ist Detorix." Valentejn umklammerte den Deckenzipfel, "....guten Abend...aber...wo bin ich?!" Detorix lächelte höflich, "ah, das ist jetzt eine der kniffligeren Fragen." ~~~~*> Detorix hatte Valentejn überzeugt, zunächst ein Bad zu nehmen, da er sich zweifelsohne ungeheuer steif fühlen musste, was der, verwirrt und erstaunt, bestätigte. "Oh, so ein schönes Heim...und dieses Bad...!", ächzte Valentejn nun selig, die Brille beschlagen. Detorix schmunzelte, "ja, angenehm, nicht wahr? Nach einem langen, regnerischen Tag das reinste Paradies, im übertragenen Sinne", ergänzte er mit einem hintergründigen Grinsen. "...Herr Detorix..." "Detorix genügt vollkommen, Herr Ejken." "Dann bitte Valentejn, ja? Immerhin darf ich sogar Ihr herrliches Bad benutzen." Selbstverständlich "hörte" Detorix die Fragezeichen. "Sagen Sie, Valentejn, an was können Sie sich noch erinnern?" Man wischte sich durch die überlange, braune Naturwelle, die sich prompt stärker kräuselte, "tja, ich habe in meinem Büro gesessen, gearbeitet, versucht zu arbeiten, und, hmm, also... Also, auf einmal hatte ich das Gefühl, ich müsste mal raus, mich freimachen. Ich glaube, ich bin auf das Dach gestiegen." Detorix ahnte den hilflosen Blick hinter den beschlagenen Brillengläsern, "ich verstehe. Nun, da Ihre Kleider und Schuhe auf dem Dach lagen, sind Sie ziemlich gründlich dem Bedürfnis des 'Freimachens' nachgekommen, in der Folge abgehoben und ohne sich von der Schwerkraft 'freizumachen' durch mein Dach geschlagen." In der gemauerten Wanne saß man aufrechter, die Beine angezogen, die Arme um die Knie geschlungen, "aber, also, das Bürogebäude, in dem ich arbeite, hat sechs Stockwerke, ich meine, dann müsste ich ja tot sein, wenn ich vom Dach gestürzt wäre." Gravitätisch nickend nahm Detorix diesen Einwand auf, "in der Tat, korrekte Beobachtung. Wann haben Sie denn zuletzt Ihren Puls kontrolliert?" Verwirrung. Zögern. Nervöses Tasten...Handgelenk...Kehle... "Oh, ein Herzschlag würde es auch tun, der ist leichter zu orten", empfahl Detorix höflich. Valentejn keuchte verschreckt, "aber-aber, ich verstehe nicht...?!" "Immer mit der Ruhe", stellte Detorix streng fest, erhob sich, um ein Handtuch anzureichen, "gewöhnlicherweise hätte ich Ihrem Hinweis nichts entgegenzusetzen, Valentejn. Wenn Menschen aus dieser Höhe ungebremst dem Erdmittelpunkt entgegenstreben, pflegen sie üblicherweise sehr derangiert zu sein und in der Regel zutreffend tot." Valentejn kam sehr klapprig auf die Beine, kletterte aus der Wanne und wickelte sich in das Handtuch. "Nun, für einen Ex-Menschen machen Sie sich im Moment jedoch recht ordentlich, nicht wahr? Das ist die Antwort auf die knifflige Frage, wo Sie sich befinden. Nehmen Sie beispielsweise mal Kontinente. Die schwimmen so auf dem flüssigen Erdmantel herum, kollidieren hin und wieder, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Risse. Solche Bruchstellen gibt es auch zwischen Welten, Dimensionen, wie auch immer man es nennen möchte. Dieses Haus befindet sich auf einer solchen Bruchstelle, was Auswirkungen hat, wenn man von einer Welt quasi in eine andere wechselt." "Ich bin tot?!", unterbrach Valentejn ihn schockiert, "uh, aber ist das das Leben nach dem Tod?! Ich fühle mich nicht tot." Detorix sah rücksichtsvoll von einer Ermahnung ab, denn Valentejn hatte einen ereignisreichen Tag hinter sich, "lassen Sie mich das in Ruhe erklären. Vielleicht sollten Sie sich setzen und etwas essen." Als er die Tür öffnete und Valentejn höflich in die Wohnküche dirigierte, waren sie nicht länger zu zweit. Mee-Poo Lahyrim und zwei riesige Kollegen bevölkerten zusätzlich den Raum. Einer der beiden gähnte und entblößte dabei sein Revolvergebiss. Prompt sackte Valentejn mit einem leichten Ächzen spannungslos hinter Detorix auf den Boden. ~~~~*> "Ich muss doch bitten!", tadelte Detorix grimmig, ging in die Hocke. "Das tut die Vorstehende des Friedensgerichts, die Ehrenwerte Anuphobis auch. Nur nich so höflich", ließ ihn der zweite Mee-Poo wissen, bückte sich aber neben Detorix und klaubte Valentejn vom Boden. Gemeinsam schaffte man diesen in den Schaukelstuhl. "Schön, wir wollten ohnehin gehen, wenn der junge Mann dazu im Stande ist", teilte Detorix mit, wedelte mit einem Küchentuch vor Valentejn Luft. Der blinzelte hinter den Brillengläsern. "Verzeihung, Valentejn, das Essen wird warten müssen. Wir haben einen Termin vor Gericht." "Gericht?!", Valentejn wurde bleich, "das...darauf bin ich nicht vorbereitet...ich kann nicht..." "Hab keine Angst, es wird bestimmt alles gut!", mischte sich Lahyrim ein, fasste Valentejns Hände und tätschelte sie aufmunternd. Valentejn starrte sie verängstigt an, "ich kann wirklich nicht...ich muss in Behandlung", stammelte er zitternd. "Darum kümmern wir uns auch", ließ Detorix ihn wissen, packte trockene Waffelbruchstücke und Fruchtleder ein. "Ähem!", räusperte sich der Haifischdaimon ermahnend, verzichtete aber auf eine erneute Inspektion seiner dentalen Ausrüstung. "Nur noch einen Moment. Der junge Mann muss sich schließlich bekleiden", konterte Detorix die Aufforderung, angelte vom Hängetrockner vor dem Ofen die ausgewählten Einzelstücke, wandte sich Valentejn zu, der ihn unglücklich anblickte. "Mee-Poo Lahyrim, ein wenig MEHR Privatsphäre bitte", erinnerte er. Die Nymphe blickte ihn verblüfft an, noch immer Valentejns Hände haltend. "Bitte? Oh!", verlegen trat sie zurück und folgte dem Beispiel ihrer Kollegen, die sich abgewandt hatten und auf den Vorhang starrten. Detorix nickte Valentejn zu, "nur Mut. Sie sind bereits tot, also, was kann Ihnen jetzt noch passieren?" ~~~~*> Kapitel 4 Die Vorstehende des Friedensgerichts Thekla Anuphobis schätzte es gar nicht, wenn man sie aus ihrem Feierabend holte. Andererseits, und das wog schwer, handelte es sich um einen ernsten Fall. Oder vielmehr mittlerweile mutmaßlich drei! Sie beäugte die versammelte Mannschaft hinter dem Trenngitter aus ihren acht Augenpaaren streng, "kommt es nur mir so vor, Szenarize Detorix, dass sich Ihre Tätigkeit in die gegenteilige Richtung verschiebt?!" Detorix, den Strohhut höflich abgesetzt, räusperte sich, "im Augenblick mag das so erscheinen, Euer Ehren. Allerdings erlauben mir die jüngsten Ereignisse, Licht in die verwickelte Angelegenheit zu bringen." Der Gerichts-Typse brachte seine Hämmerchen in Stellung. Die Vorstehende des Friedensgerichts grummelte ungnädig, "dann will ich hoffen, dass es sich um eine GROSSRÄUMIGE Beleuchtung handelt." Detorix erlaubte sich ein Pfefferminzbonbon, "darf ich vortreten und einige Aufnahmen präsentieren?" "Sind die bereits Mee-Poo Lahyrim bekannt? Mee-Poo Lahyrim!", schnalzte Thekla Anuphobis tadelnd. Lahyrim hielt noch immer Händchen mit Valentejn, der zusammengesunken und zitternd in einem Jogginganzug mit Flipflops auf der Bank kauerte, "oh, Euer Ehren?" "Wollen Sie die Güte haben und Ihre Aufmerksamkeit den Ermittlungen schenken?!", schnarrte die Vorstehende des Friedensgerichts bissig. Die Nymphe errötete, "ja, Verzeihung, Euer Ehren! Nur, ich fürchte, Valentejn geht es gar nicht gut." "Das will ich annehmen, immerhin ist der Mensch tot. Darüber verhandle ich anschließend." "Selbstverständlich, Euer Ehren. Wäre es möglich, dass er draußen...?" Detorix bewunderte die Tollkühnheit der Nymphe. Vielleicht waren es aber auch fehlgeleitete Mutterinstinkte? "Mee-Poo Lahyrim kennt die Aufnahmen noch nicht, Euer Ehren. Ich habe sie ja gerade erst gemacht. Wenn Sie gestatten, lasse ich sie an die Wand projizieren." Oben grummelte man ungeduldig, "schön, in Ordnung. Aber ich erwarte eine schlüssige und chronologische Erklärung!" Detorix verneigte sich leicht, dann rollte er die Geschichte auf, angefangen mit einer Theorie über zwei nicht allzu schlaue Drogenkonsumenten, die sich bereichern wollten... ~~~~*> "...und dann haben wir uns hier bei Ihnen eingefunden", schloss Detorix seine Ausführungen ab. Das letzte Trommeln der Hämmerchen verklang. Thekla Anuphobis folgte dieser Vorgabe nicht, sondern klopfte ungeduldig mit langen Klauen auf ihr Pult, "Szenarize Detorix, nun, zunächst nimmt das Gericht die Ausführungen zur Kenntnis." Detorix trat ein wenig zurück und registrierte, dass man nicht mehr Händchen hielt, sondern Lahyrim Valentejn Waffelstücke in Bröckchen brach und ihn quasi fütterte, was der Vorstehenden des Friedensgerichts schwerlich entgehen konnte. "Mee-Poo Lahyrim. Mee-Poo Lahyrim!" Die Nymphe schreckte hoch und stellte die Fütterung ein, "ja, Euer Ehren?" "Seien Sie so zuvorkommend, den jungen Mann nicht weiter auszustopfen. Ich habe nämlich Fragen und schätze keine Antworten aus vollem Mund", schnarrte Thekla Anuphobis. Verlegen senkte Lahyrim den Kopf, "ja, Euer Ehren." "Valentejn Ejken?" Der kam klapprig auf die Beine, musste sich auf dem Trenngitter abstützen, "Euer Ehren?" "Haben Sie vernommen, was Szenarist Detorix soeben ausgeführt hat?" "...ja, Euer Ehren..." Die Vorstehende des Friedensgerichts grummelte, "um des Großen M Willen, setzen Sie sich!" Sehr klapprig plumpste Valentejn wieder auf Bank, "Verzeihung, ich bin sehr aufgeregt." "Dann wollen wir dem Zustand zügig abhelfen. Also, Sie haben in Ihrem Büro im Keller gearbeitet, korrekt?" "Ja, Euer Ehren." "Ist Ihnen da Besuch aufgefallen? Andere Personen?" Valentejn, dem schon wieder eine Hand getätschelt wurde, zögerte, "nein, Euer Ehren. Allerdings war ich sehr auf meine Arbeit konzentriert." Thekla Anuphobis justierte die Augengläser, "wollen Sie sagen, Sie hätten Fremde nicht bemerkt?" Unten nickte Valentejn, bevor er sich eilig auf eine verbale Variante besann, "das stimmt. Aber ich hätte mich auch nicht darum gekümmert, wenn ich jemanden bemerkt hätte. Es gibt ja weitere Büros im Keller. Shared Workspace, damit wirbt der Vermieter. Man kann kurzfristig einen Raum buchen." Der Gerichts-Typse schwang die Hämmerchen emsig. Die Vorstehende des Friedensgerichts trommelte mit den Klauenspitzen auf ihr Pult, "aha. Sagen Sie, Herr Ejken, wie sah Ihr Tag heute aus? Wann sind Sie zur Arbeit eingetroffen?" Valentejn hielt sich an dem kleinen Händchen der Nymphe fest, "ich war gar nicht in meiner Wohnung. Ich habe durchgearbeitet oder vielmehr an einem Problem gesessen." Über ihm wechselten die Okulare der Brille merklich, "aha. Haben Sie Ihr Büro heute mal verlassen?" Nach einigen Sekunden der Besinnung nickte Valentejn, "ich war in der Fremdentoilette im Erdgeschoss. Dort habe ich mir auch etwas Wasser abgefüllt. Und dann, später..." "Nur zu meinem Verständnis: bis auf eine kurze Pause befanden Sie sich in Ihrem Büro, richtig?" "Das ist korrekt, Euer Ehren." Thekla Anuphobis knackte kurz mit den Mandibeln, "war Ihnen bekannt, dass in diesem Kellerraum Drogen lagen?" "Nein! Nein, Euer Ehren, davon wusste ich nichts!", beteuerte Valentejn verschreckt. "Haben Sie mal solche Drogen konsumiert?" "Nein! Ganz sicher nicht!" Was für eine etwas längere Pause angespannter Stille sorgte. "Also, Sie arbeiten, dann, wie Sie Szenarize Detorix sagten, spürten Sie diese Anwandlung. 'Sich freizumachen', zitiere ich das korrekt?" Valentejn nicke, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. "Aha. Wie sind Sie auf das Dach gekommen?" Ein kurzes Stutzen, dann antwortete Valentejn artig, "über die Treppe, Euer Ehren." "Nicht den Aufzug?" "Nein, der bedient den Keller nicht. Und ich fahre nicht gern Aufzug." Thekla Anuphobis schwieg, ihn nicht aus dem Fokus der achten Augenpaare lassend. Argus hätte keine schlimmere Wirkung ausüben können, "so. Die Treppe, ist sie offen oder geschlossen? Ein Treppenhaus?" Verwirrt richtete sich Valentejn ein wenig auf, "ja, ein Treppenhaus. Mit Geschosstüren." "Sicher beheizt, oder?" "Äh, nein, Euer Ehren, keine Heizung." "Also, Sie sind sieben Stockwerke hoch durch ein ungeheiztes Treppenhaus aufs Dach gestiegen." "Ja, Euer Ehren.." Die Vorstehende des Friedensgerichts trommelte erneut einen kurzen Marsch auf ihr Pult, "sehen Sie, und da bin ich frappiert. Die Ratten liegen tot im Keller, direkt bei den Drogen. Szenarize Detorix hat eine Theorie entworfen, wo sich zwei Personen aus dem Haus in seinen Innenhof begeben haben. Eine kurze Strecke, bevor sie der Drang überkam, sich zu entkleiden und tot umzufallen, entsprechend seiner Theorie. SIE sagen mir jetzt, dass Sie KEINE Droge konsumiert hatten, sondern mutmaßlich diese nur gerochen. Unter diesem Einfluss sind Sie jedoch durch das unbeheizte Treppenhaus bis unters Dach gestiegen, ohne zwischenzeitlich die Kleider abzuwerfen oder tot umzufallen. Hätte die orale Wirkung der Droge nicht nachlassen müssen? Und, was mich auch beschäftigt, was hat IHREN Tod ausgelöst?" ~~~~*> Detorix unterdrückte ein Grummeln. Nein, die Vorstehende des Friedensgerichts konnte sich eines scharfen Verstands rühmen. Sie hatte die Unschärfen seiner Argumentation aufgedeckt und stellte nun in Frage, schon wieder, dass die mutmaßlich zwei Verschwunden schon 'mausetot' waren, bevor der Strauchdaimon sie verspeist hatte. Ärgerlich! Valentejn stemmte sich zittrig auf die Beine, "ich .möchte meine Aussage ergänzen, Euer Ehren." Der Gerichts-Typse lupfte die Hämmerchen. "Ich bitte darum, Herr Ejken." Valentejn umklammerte das Trenngitter, stählte die Muskeln. "Ich vermute, dass die Drogen bei mir länger wirkten, weil ich unter starkem Medikamenteneinfluss stand", er seufzte leise, "eigentlich bräuchte ich dringend eine Therapie. Vor drei Jahren war ich Augenzeuge eines Unfalls. Ein junger Mann lief direkt vor eine Straßenbahn." Würgend musste Valentejn sich räuspern, "mir war nichts geschehen, ich machte eine Aussage als Zeuge vor Gericht, aber ich wurde die Bilder nicht mehr los. Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren, nicht schlafen, nicht richtig arbeiten. Da musste ich einen Auflösungsvertrag unterzeichnen und mich selbstständig machen, irgendwie funktionieren. Deshalb habe ich Medikamente genommen, zum Schlafen, gegen die Kopfschmerzen, zum Wachbleiben." Valentejn löste eine Hand, um sich zittrig über die Augen zu wischen, dabei die unkleidsame Brille achtlos hochschiebend, "ich wollte bloß durchhalten, bis ich eine Behandlungszusage bekäme, aber dann konnte ich die Versicherungsraten nicht mehr zahlen. Meine Wohnung wurde gekündigt und vorgestern, da ist dann auch noch mein Computer gekapert worden." Lahyrim sprang auf, stützte ihn ab, streichelte ihm mitfühlend über den Rücken. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich deshalb nicht umgekehrt bin, im Treppenhaus, auf dem Dach, sondern einfach tot heruntergefallen bin. Weil ich alle verbliebenen Tabletten geschluckt hatte." ~~~~*> Detorix half Lahyrim, Valentejn wieder auf die Bank zu bugsieren. Der schluchzte leise, den Kopf tief eingezogen, ein Bild des Jammers. Thekla Anuphobis räusperte sich. Der Gerichts-Typse hob zögernd die Hämmerchen. "Nun, es ist aller Ehren wert, dass Sie Ihre Aussage ergänzt haben. Das Gericht wird sich zu einer kurzen Pause zurückziehen. Szenarize Detorix, auf ein Wort!" Detorix, der Valentejn bei Lahyrim in aller fürsorglichsten Händchen wusste, nickte knapp. Nein, er war noch längst nicht aus dem Schneider, aber er sah zumindest eine Möglichkeit, sich mehr Zeit auszuhandeln. ~~~~*> Thekla Anuphobis drehte geschmeidig einen Zigarillo und steckte diesen an. Ein aromatisch-würziger Geruch wehte zu Detorix. Tabakblätter wie in der Menschenwelt gab es hier nicht, die getrockneten Pflanzenblätter enthielten auch keinen Abwehrstoff, der sich zur schleichenden Gesundheitsgefährdung ausweitete. "Deine Theorie steht auf tönernen Füßen, Szenarize Detorix." Detorix konnte dies nicht bestreiten. "Allerdings sanktioniere ich das Abschließen des Kellerraums, was auch diesen bemitleidenswerten jungen Ex-Menschen umfasst", sie schmauchte gründlich. "Einer von Dreien", zählte sie Detorix vor, der sich dieses Umstands sehr wohl bewusst war. "Es besteht die Möglichkeit, bessere Untersuchungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen zu können", wies Detorix auf einen positiven Aspekt hin. Die Vorstehende des Friedensgerichts blies Kringel, "möglicherweise. Wir werden sehen." Ihre freie Klaue tippte einen Marsch, "stellt sich die Frage, warum, Detorix. Warum hat dein alter Freund die zwei Unbekannten dem Anschein nach verputzt, diesen hier aber abgefangen, ein Loch ins Dach gefügt, um ihn auf dein Bett zu drapieren. Nicht sonderlich konsequent." Detorix grummelte verdrossen, "nun ja, ein nackter Mann im Hof bei der Witterung hätte Fragen ausgelöst. Fürs Sonnenbaden ist es zu kalt." Thekla Anuphobis blies einen weiteren Kringel, "umso merkwürdiger, findest du nicht auch? Praktischerweise schon entblättert, beinahe wäre ich versucht, 'verzehrfertig' zu sagen." In der Defensive wusste Detorix nun auch nicht weiter, "vielleicht hat er sich überfressen." "Hm. Und der hier war ihm wegen der Tablettendosis nicht so schmackhaft wie die zwei Drogenopfer? Zu seicht, nicht genug Pfeffer?" Detorix grimassierte gequält. Die Vorstehende des Friedensgerichst erstickte den traurigen Rest ihres Zigarillos in einer Keramikschale, "einer von Dreien, Detorix, einer von Dreien." ~~~~*> Wenig gehobener Stimmung gesellte sich Detorix zu den Wartenden hinter das Trenngitter. Valentejn hatte sich gefasst und offenkundig auch den Rest des Rationpäckchens verputzt. Der Mee-Poo mit dem imposanten Haifischgebiss reichte ihm ein Glas Wasser dazu und Lahyrim tätschelte ihm die braune Mähne, redete ihm offenkundig gut zu. Der Gerichts-Typse lüftete die Hämmerchen und schluckte rasch den Rest Kokosnussfleisch herunter. "Das Gericht stellt in der Sache der beiden mutmaßlich Verschwundenen fest, dass die Untersuchung andauert. Szenarize Detorix wird alle vier Wochen seine Fortschritte in der Aufklärung berichten." Detorix, der dies schon vermutet hatte, nickte bloß. "Valentejn Ejken." Valentejn schoss hastig hoch, dabei unabsichtlich Lahyrim mitziehend, "Euer Ehren?" Thekla Anuphobis studierte mit allen acht Augenpaaren die Szene ein wenig länger als dem Seelenfrieden zuträglich, "das Gericht empfiehlt Ihnen dringend, einen Einbürgerungsantrag zu stellen. Jetzt. Also, beantragen Sie die Einbürgerung?" Verunsichert warf Valentejn einen Blick hinunter auf Lahyrim, der vor Nicken fast das Köpfchen abfiel. "...ja...?", optionierte er nervös. Die Vorstehende des Friedensgerichts schnalzte mit dem Mandibeln, "zu Protokoll. Entscheidung in der Sache Einbürgerung Valentejn Ejken, Ex-Mensch. Dem Antrag wird stattgegeben. Folgende Auflagen: Ad 1) Kurs in Verkehrssprache und -schriftzeichen ist zu absolvieren. Ad 2) Überweisung zwecks Untersuchung an das Medi. Ad 3) Vorstellen bei Honorize Oktan zwecks Trauma-Therapie. Ad 4) Betreuung durch..." Alle acht Augenpaare äugten tiefer, wo Lahyrim auf und nieder sprang, wild mit dem freien Arm wedelte. "Ja, Mee-Poo Lahyrim?" "Euer Ehren, Verzeihung, wirklich, aber...ICH könnte mich um Valentejn kümmern! Er müsste auch nicht im Wohnheim unterkommen. Es ist ja alles ganz neu für ihn, und wir sind schon ein klein wenig vertraut..." Die blauen Augen adaptierten die Nymphen-Version eines feuchten Dackelblicks. Die Vorstehende des Friedensgerichts trommelte kurz auf ihr Pult. "Ad 4), Betreuung durch Mee-Poo Lahyrim. Ohne Protokoll..." Die Hämmerchen stoppten auf halber Höhe. "Mee-Poo Lahyrim, ich bin mir bewusst, dass das Ihr erster Einsatz ist. Seien Sie daher von mir erinnert, dass es KEINE Gewohnheit werden sollte, jeden mit nach Hause zu nehmen. Sonst sind Sie besser beraten, ein Gästehaus zu eröffnen." Lahyrim strahlte unbeeindruckt hoch, "oh, keine Sorge, Euer Ehren, mit Valentejn ist schon alles voll! So groß ist meine Grotte gar nicht." Detorix registrierte das Rollen von sechs Augenpaaren. Zukünftig würde Lahyrim wohl bestimmte Aufgaben nicht mehr übernehmen, wenn es nach Thekla Anuphobis ging! Anderseits hatte er gegen die Entwicklung nichts einzuwenden. Valentejn Ejken benötigte persönliche Aufmerksamkeit und offenbar gefiel er Lahyrim. Das verschaffte ihm nicht nur Handlungsspielraum, sondern auch weniger Beaufsichtigung. Oben nickte Thekla Anuphobis dem Gerichts-Typse zu, "damit beenden wir die Verhandlungen. Auch wenn es heißt, Gerechtigkeit schläft nie, ICH brauche jetzt Augenpflege." Von denen sie schließlich eine Menge hatte. Alle erhoben sich, bereit zum Ausmarsch. "Ah. Szenarize Detorix?" Detorix wandte sich um. "Die Knutschfrösche nimmt das Gericht in Verwahrung." ~~~~*> "Ich möchte keine Umstände...", Valentejn wirkte wie ein verirrtes Kaninchen ohne Uhr oder Alice oder Herz-Königin, was nicht Wunder nahm, denn trotz der sehr späten Stunde waren noch Flanierende unterwegs. Für einen Menschen, wenn auch sehr ex, vermutlich gewöhnungsbedürftig, was den äußeren Anschein betraf. "Oh, macht mir keine Umstände!", postulierte Lahyrim strahlend, an seinem Arm hängend, "oder hast du vielleicht Angst vor Wasser? Geschlossenen Räumen?" Detorix unterdrückte ein Schnauben. Jemand, der vermutlich die letzten drei Jahre in feuchten Kellerlöchern gehaust hatte, würde eine Grotte sicher kaum als Nachteil empfinden! Valentejn schüttelte hastig den wirren Schopf, "nein, nein, sicher nicht, ich bin nur ein bisschen...meine Sachen..." Das Stichwort für Detorix, seinen Abschied einzuläuten, "die habe ich in Verwahrung, Valentejn. Kommen Sie erst mal hier an, ruhen sich aus, in Ordnung? Ich melde mich, wenn ich das Übersiedeln im Großen und Ganzen abgeschlossen habe." "Oh, sehr nett!", trällerte Lahyrim erfreut, strahlte zu Valentejn hoch, der noch immer einem verlaufenen Schaf ähnelte. "Ist das ein Riese?", meldete sich urplötzlich ein Duett sehr heller Stimmen. Sie gehörten zu einem Zwillingspärchen in kurzen Hosenanzügen mit aufgedruckten Seesternen. "Was..?! Ihr beide solltet längst daheim schlafen! Was tut ihr hier?! Ich sagte doch, ich muss arbeiten!", schimpfte Lahyrim nach einem kurzen Moment los, nur EINE Hand in die Hüfte gestützt, die andere fest Valentejn im Griff bewahrend. "Frau Kababus schnarcht so laut! Und wir sind keine Zwerge." Valentejn, unbeeindruckt vom Duo gestellt, das gerade seine Kniescheiben erreichte, blinzelte nervös hinter der unkleidsamen Brille. "Äh, ich bin kein Riese", konstatierte er schließlich, einen hilflosen Blick auf Lahyrim werfen, 35 Zentimeter tiefer. "Und was dann?!" "Ihr beiden hört sofort auf, Valentejn auszufragen!" "Wenn er antwortet", kam es prompt zurück, was konsequent, aber auch ein wenig nassforsch wirkte. "Uh, also, ich war ein Mensch", tastete Valentejn sich zu Detorix' stillem Amüsement an die neue Lage heran. "Dann musst du jetzt tot sein. Sonst sind Menschen hier nicht erlaubt." "Das ist genug, so unhöflich! Wirklich, ich entschuldige mich..." "Ein Zombie! Fallen dir die Körperteile ab?!", kindliche Begeisterung überhörte geübt die strengen Ermahnungen der Mutter. Valentejn beäugte sich prüfend. "Also, bis jetzt noch nicht", enttäuschte er die beiden Jungen. "Och, wie langweilig! Kannst du wenigstens einen Trick?" Lahyrim schnaubte durch die Nasenschlitze, ließ spitze Zähne erkennen, löste sich widerwillig von Valentejn und packte je einen Zwilling am Kragen der kurzen Hosenanzüge, "mir reicht's jetzt mit euch beiden! Habt ihr vergessen, was mit ungezogenen Bengeln passiert?! Die Kronks werden euch fressen, jawohl, das habt ihr dann davon!" In diesem Moment entschied Valentejn, dass er wohl doch einen Trick beherrschte, weshalb er trotz Flipflops einen passablen Schuhplattler hinlegte. ~~~~*> Detorix schritt durch den Vorhang und atmete tief durch. Es war spät und er durchaus müde, trotzdem warf er sich rasch eine Decke von der Fenstertruhe über die Schultern und trat zur Tür hinaus in den Innenhof. Keine Kleiderhaufen, kein Loch im Dach. Nur leises Rascheln der Blätter des Strauchdaimons. "Wir stecken immer noch in der Klemme", ließ er ihn wissen, kehrte ins Haus zurück, faltete die Decke wieder und deponierte sie an ihrem gewohnten Ablageort, dann stapfte er die Stiegen hoch. Niemand belegte sein Bett. Wenigstens eine Erleichterung! Dennoch entschied Detorix, die Bettwäsche zu wechseln, im Erdgeschoss dampfzureinigen. Ein wenig missmutig betrachtete er die fremden Habseligkeiten in seinem Büro, aber für diesen Tag reichte es ihm, deshalb stellte er den Wecker und bat die Leuchtkäfer, sich woanders zu verlustieren. Auszeit! ~~~~*> Tatsächlich hatten die Zwillinge nicht übertrieben. Die alte Nachbarin, die sich bereiterklärt hatte, kurz auf die Brut zu achten, schnarchte ohrenbetäubend. Ein Seeelefant wäre beeindruckt gewesen. Weshalb die Zwillinge einfach in der Grotte in das Separee ihrer Mutter schlüpften, was zu einer gewissen Situation führte. Valentejn betrachtete noch fasziniert das fluoreszierende Licht im seichten Wasser der Grotte. Sie wirkte wie in einem Märchen, an den Wänden glitzernder Bewuchs, Flechten, Moose, Gneis. Es roch auch nicht unangenehm, im Gegenteil, denn im Wasser schwammen auch kleine Blütenpflanzen. Die Seerosen zogen das tiefe Wasser des Teichs vor, selbstredend, aber schön waren diese Exemplare hier auch. "Oh, macht es dir was aus, draußen zu schlafen? Die Kinder sind manchmal sehr anstrengend", gestand Lahyrim ihre Niederlage ein. "Das macht nichts, wirklich, ich bin ja sehr froh, dass ich bleiben darf", versicherte Valentejn, um zu ergänzen, "so ganz habe ich es noch nicht verinnerlicht, tot sein und diese Welt hier und das alles." "Du wirst sehen, hier ist es prima!", tätschelte Lahyrim ihm die Hand, führte ihn außerhalb der Grotte zu einer kleinen Senke unterhalb einer Trauerweide. Deren herabhängende Äste wirkten wie ein diskreter Vorhang. "Hab keine Angst, Valentejn, deine fürchterliche Pechsträhne ist jetzt zu Ende", beteuerte Lahyrim, ohne die Ironie zu erkennen, von Sendungsbewusstsein erfüllt. Valentejn hockte sich brav in die Senke, streckte sich aus. Doch, gemütlich! Und wann hatte er sich das letzte Mal ausgestreckt? Bloß an Schlaf wäre wohl nicht zu denken... "Ah, darf ich? Ist ein wenig eng", schon schmiegte sich Lahyrim an seine Seite, zupfte den störenden Reißverschluss seines Jogginganzugoberteils herunter und bettete sich auf seine uncoiffierte Brustfellbespannung! Valentejn hielt den Atem an, aber das hatte recht wenig Effekt, so ohne Herzschlag. Lief er jetzt eigentlich auf Magie? Oder so? Detorix hatte bloß etwas von "Bakteriendingsda" gegrummelt und nicht sonderlich umgänglich gewirkt. Trotzdem hörte er beruhigend einen Herzschlag: Lahyrims. Das tröstete in der Ungewissheit, was exakt er jetzt eigentlich darstellte. Und vor allem, WIE er das anstellte! Essen und Trinken gingen, Atmen auch, obwohl er beim Luftanhalten nicht mal Beklemmung verspürte. Verrückt. Wie alles hier, die Leute, die Gebäude, die ganze Situation! Behutsam legte er einen Arm um seine Gastgeberin, die schlief. War bestimmt hart, mit zwei kleinen Kindern allein den Alltag zu stemmen. Wenigstens als Kissen schien er sich zu machen, obwohl er sich noch vage an spitze Bemerkungen hinsichtlich des Pelzes erinnerte. Oh weia, Rasieren und die Haare, das wäre auch fällig! Wobei, so ohne Strom...?! Andererseits, wann hatte er sich das letzte Mal über diese Trivialitäten Gedanken gemacht? Nun, wenn er nicht schlafen konnte, was schon lange anhielt, ohne die chemische Keule, stets von Erinnerungen überfallen... Bevor Valentejn sich überlegt hatte, wie er die schlaflose Zeit überbrücken wollte, leistete er Lahyrim schon Gesellschaft. ~~~~*> Der Wecker lärmte Detorix wach. Ein bisschen griesgrämig stapfte der ins Erdgeschoss, gönnte sich eine Dampfbrause, dann ein Frühstück, denn ohne eine ordentliche Grundlage würde ihm der Tag so gar nicht gefallen. Von dem man ohnehin noch wenig sah, stockfinster und allzu früh plus Nieselregen und gerade 3 Grad Celsius. Detorix verstaute Valentejns Habseligkeiten in seinem Schlafzimmer, wo Koffer und Taschen nicht so auffielen. Im Büro heftete er das, was Valentejns Biographie in Meilensteinen ausmachte, in einen Ordner. Dann setzte er eine anonyme Anzeige ab und schickte einen Feuerfunkendaimon kurz im Nachbarhaus vorbei, dem Brandmelder guten Morgen wünschen. ~~~~*> Eine Viertelstunde später herrschte emsiges Treiben. Der Umwelt-Zug der Feuerwehr warf seine kreiselnden Scheinwerferpegel an die Hochhauswände. Es gab keinen Brand, aber der Melder hatte eine seltsame Konzentration von Luftteilchen registriert. Gleichzeitig traf eine Streife ein, die einen erstaunlich konkreten, anonymen Tipp zu einem Drogenbunker erhalten hatten. Weil man sich so traf, schien es besser, erst mal die luftdicht verpuppten Einsatzkräfte in das geräumte Haus ziehen zu lassen. So wurde auch niemand geschädigt, als man dank Drohne im Keller erhöhte Schadstoffwerte feststellte. Zwei Stunden später klingelte die Besatzung eines Streifenwagens an Detorix' Tor, der ganz den neugierigen, aber hilfsbereiten Bürger gab. Ah, nein, die Beamten waren nicht da, Neuigkeiten in Sachen Kleiderhaufen...? Oh, sicher, gern, da, der Fundort direkt an der Mauer zum Nachbarhaus... Wie, eine Verbindung? Nein, nein, das sei doch Beton und Stahl, nicht wahr? Ach, der Keller gemauert? Ob man sich von hier oben da durchbuddeln könne? Das wäre ihm sicher...ach du liebe Zeit, ein Drogenbunker?! Nein, so was! Ob die Kleider etwas damit zu tun hätten? Ja, selbstverständlich, Bilder, bitte, gern! So eine Sache, nein, nein! Nein, er habe nie etwas bemerkt, ganz sicher nicht! Detorix schloss das Tor hinter den Vertretenden der staatlichen Obrigkeit des Volkes. Mit ein wenig Glück würde nun eine versierte Spezialisiertentruppe die farbigen Münzen des Todes analysieren und herausfinden, wer die beiden Vermissten waren, denn in der Drogen- oder Partyszene kannte Detorix sich überhaupt nicht aus. Damit wäre ihm schon ein wenig die Arbeit abgenommen, wenn das funktionierte, sodass er sich der wesentlich wichtigeren Frage widmen konnte. Wie sollte er beweisen, dass der Strauchdaimon die zwei verhinderten Drogenbunker-Ausräumer nicht umgebracht hatte? ~~~~*> Valentejn hielt still, mucksmäuschenstill, sogar die Luft an, was ihn eigentlich ja umgebracht hätte, wäre das nicht längst geschehen. Aber er sorgte sich umsonst, denn Lahyrim bewegte die scharfe Muschelklinge geübt und sicher, strahlte ihn dann munter an, als er sich im Wasserspiegel begutachtete, wenn auch unscharf, so ohne Brille. "Vielen Dank! Ich bin das gar nicht gewöhnt..." "Oh, gern geschehen, nicht der Rede wert! Bei meinem Ex habe ich auch immer den Bart abgenommen, aber der war ganz kratzig!", eine kleine, dezent grünstichig wirkende Hand streichelte ihm das kantige Kinn. Valentejn blinzelte und schubste rasch die Brille auf den Nasenrücken. "Ich fürchte sehr, dass ich keinen guten Eindruck vor Gericht gemacht habe", murmelte er, an der Naturwelle zupfend. Zwar hatte das Bad bei Detorix sicher die schlimmsten Auswüchse reduziert, aber... Und dann auch noch losheulen und...! Er schämte sich nun doch, Detorix in Schwierigkeiten gebracht zu haben, wegen der Richtigstellung der möglichen Ursache seines freien Falls in ein Nachleben nach dem Ableben. "Nicht doch! Gräm dich nicht!", Lahyrim tätschelte ihm erst die Hand, kreiste dann über seinen Rücken, wobei sie sich strecken musste, "kein Wunder, dass es dir nicht gut ging! Wenn du so viel Pech hast und dann schon so lange allein diese schlimmen Bilder im Kopf erträgst!" Ihre Solidarität berührte Valentejn. Es verhielt sich nicht so, als hätten Freunde und Kollegen ihn nicht bedauert, zunächst geschont, aber wie hieß es so schön: das Leben muss weitergehen! Das tat es ja auch, bloß war Valentejn mit unerbittlicher Deutlichkeit die Endlichkeit der Existenz eingeätzt worden. Zugegeben, die größte Schuld trug damals der Passant. Verkehrsregeln missachten, die Ohren zugedübelt, abgelenkt... Doch für Valentejn reichte das nicht aus, "die Sache abzuhaken". Von einem auf den anderen Moment konnte es vorbei sein. Sendeschluss. Und zwar in einer grausigen Szenerie. Splatter- und Horrorfilme mochten lustig sein...Valentejn drehte sich schon der Magen um, wenn einer nun eine Wurst aufschnitt. Im Nachhinein hätte er sich viel schneller um Hilfe bemühen müssen, warf er sich vor. Andererseits war er nicht verletzt worden, kein Helfer, kein Retter, kein Opfer. So hatte er den Anker verloren und trieb immer weiter ab. Lahyrim streichelte ihm, kniend, die Arme reckend, über den wirren Schopf. "Wir gehen gleich nach dem Frühstück zum Medi. Und zu Honorize Oktan! Ich helfe dir, versprochen!", nickte sie entschlossen, die blauen Löckchen rieselten wie Spritzer eines Wasserfalls aus ihrem losen Dutt. "Vielen Dank, Lahyrim", lächelte Valentejn aufrichtig, "kann ich mich denn vorher irgendwie nützlich machen? Du hast mir schon so sehr geholfen." Lahyrim kam von den Knien elastisch auf die Beine. "Wenn es dir nichts ausmacht, könntest du die Zwillinge wecken? Sie sind leider morgens furchtbar unleidlich", seufzte sie. Valentejn, der keine Erfahrungen mit Kindern hatte, entschied, dass er zumindest einen Versuch wagen konnte. Allerdings erwiesen sich die Zwillinge als putzmunter und recht ungezogen, denn er wurde sofort mit zwei Kissen bombardiert. Valentejn erinnerte sich an die Lektion des späten Vorabends, bekam je einen Zwilling am Kragen zu packen, beutelte sie ordentlich durch. Da er jedoch Lahyrim weit überragte, sahen die Zwillinge sich größerem Abstand vom Boden ausgesetzt. Jämmerliches Kreischen rief Lahyrim auf den Plan. Die zeigte keine Anzeichen einer Parteinahme für den Nachwuchs, sondern winkte Valentejn, ihr zu folgen. Am Teich reckte sie das Kinn. "Abwurf!", kommandierte sie wie ein Groß-Admiral. Valentejn, der perplex einen strengen Tadel ob seiner Taktik erwartet hatte, holte gehorsam Schwung und schleuderte die Zwillinge ins Wasser. "Sehr schön", stellte Lahyrim fest, als zwei recht begossene Köpfchen über der Wasserfläche auftauchten, "nehmt euch bloß in Acht! Valentejn werden die Kronks nicht fressen, aber euch bestimmt! Die lieben ungezogene Kinder, mit Essig und Öl." Dann fasste sie Valentejn bei der Hand, "lass uns nachschauen, was du essen kannst, ja? Ich hab jetzt Hunger." Im Teich paddelte man recht kleinlaut zum Ufer. Die Kronks schreckten nicht so sehr wie die Aussicht, dass sie nicht mehr Nummer 1 auf der Prioritätenliste ihrer Mama waren. ~~~~*> Kapitel 5 Detorix lüftete sein Gehirn aus. Den Rest selbstverständlich auch, sonst wäre das wohl recht unappetitlich. Er lutschte konzentriert ein Pfefferminzbonbon, zog den Bowler gegen die Böen tiefer in die Stirn. Was konnte den alten Strauchdaimon wohl dazu verleitet haben, die beiden Burschen aufzufressen? Vielleicht hatten sie, von der Droge schon benebelt, die Kleider abgeworfen, bevor sie wie die Kundschafter-Ratten tot umgefallen waren, wollten vielleicht wirklich im Innenhof überprüfen, ob sie von außen irgendwie an den Bunker herankamen. Demnach zwei kleine Lichter, obwohl das sicher nicht die passende Metapher war. Allerdings sah Detorix auch gerade zappenduster für seine nächsten Schritte. Valentejns menschliche Existenz abzuwickeln, ein Auswandern ins Unbekannte, das stellte ihn nicht vor Herausforderungen, eher ein wenig auf die Geduldsprobe. Aber was sollte er anfangen, FALLS er die Identität der beiden Vertilgten herausfand? Sollte er Notwehr annehmen? Dafür fanden sich keine Belege! Und warum hatte der alte Strauchdaimon Valentejn dann geholfen, dessen desaströsen Fall abgebremst, ihn sogar weich gebettet, im wahrsten Sinne des Wortes? Sehr knifflig, auch, weil Detorix recht wenig über ihn wusste. Auf der Bruchstelle, zwischen den Welten, tendierten die Dinge, aber auch Pflanzen dazu, eine ungewöhnliche Existenz anzunehmen. Detorix nahm es ihm nicht übel, die beiden Menschen verputzt zu haben, allerdings verstieß das gegen Regeln, wenn er nicht glaubhaft eine Theorie über Selbstverteidigung vortrug. Dann handelte es sich nur noch um Müllentsorgung, von einem gewissen Standpunkt aus. Doch was hätte den Strauchdaimon akut bedrohen können und löste sich dann in Luft auf? Detorix wusste nicht weiter, und das frustrierte ihn ungeheuer. ~~~~*> Valentejn fand, dass er mit seinem labberigen Jogginganzug kein gutes Bild abgab, auch wenn seine Umgebung sich nicht daran störte, die sich so phantastisch wie am Vortag darstellte, lebendige Fantasy quasi, aber hauptsächlich Leute. Leute wie, nun, offenkundig nicht wie er, in seinem Untoten-Status, aber man grüßte, hielt einen Schwatz, nippte an einem Becher, lachte. Normal, unangestrengt, lässig, geschäftig ohne Hektik. Es war angenehm warm, nicht zu heiß, mit einer steten Brise, ZWEI Sonnen am Himmel, Schäfchenwolkchen, überall gute Stimmung. Lahyrim hielt seine Hand fest und erklärte dabei: Standardverkehrssprache, örtliche Sprache, die Größe der Kleinstadt, wie man sich orientierte. Es fühlte sich fast so an, als hätte er Urlaub im Süden (Frühling, nicht Hochsommer) und spaziere mit einem bildhübschen Mädchen. Das eine so genannte Schocklanze trug, bläulich-grün schimmerte und eine Nymphe war. Surreal. "Oh, du wirst dich bestimmt schnell einleben, keine Sorge! Danke noch mal mit den Zwillingen. Die sind so schwierig, seit aus ihrem Vater mein Ex wurde", sie schnaubte, funkelte zu Valentejn hoch, "der wohnt bei seiner Mutter! 'Mutti ist eben die Beste!' Mutti räumt ihm hinterher, da ist er der Prinz, aber hallo!" Sie knurrte aufgebracht, "der blöde Kerl dachte wirklich, er könne weiterhin nach Belieben vorbeischneien! Gemeinsamer Haushalt, Verantwortung?! 'Oh, meine süße Lotosblume, das schränkt mich zu sehr in meiner Kreativität ein. Das verstehst du doch sicher, mein Seepferdchen, hm?'" Valentejn erkannte männliche Idiotie, wenn sie ihm so geschildert wurde. Neben ihm, 35 Zentimeter tiefer, schäumte Lahyrim, "nein, verstehe ich nicht! Und SEEPFERDCHEN! Dieser ungehobelte, aufgeblasene, kratzhaarige Pfeifenwichs!" Sie funkelte zu Valentejn hoch, "ich weiß selbst, dass meine Hüften breiter geworden sind! Aber den Waschlappen möchte ich sehen, wenn der so zwei Brocken rausdrücken müsste!" Valentejn fand, dass Lahyrim sehr nymphenhaft aussah, zart, schmal und beinahe ätherisch. Nun, abgesehen von der Schocklanze. "Ich finde dich sehr hübsch", wagte er todesmutig (oder nicht mehr länger in solcher Gefahr) einen Einwurf in die Tirade. Prompt nahm Lahyrim ihn in den Fokus ihrer großen, blauen Augen, "danke schön, wirklich! Tut mir leid, du willst das bestimmt nicht wissen, nur bist du so ein guter Zuhörer, und ich kann mich nicht darüber beruhigen, dass der Kerl den Zwillingen seine Marotten beibringt!" Sie schnaufte wütend, "der glaubt, ich müsste bloß den Teich dekorieren! Dabei gibt es so viel mehr in der Welt zu sehen. Das will ich wenigstens versuchen, auch wenn es nicht klappt." Ihre kleine Hand umklammerte grimmig die Schocklanze. Valentejn druckste ein wenig, bevor er Mut fasste, "Entschuldige, ich weiß nicht Bescheid, was tun Nymphen denn so?" Lahyrim blieb abrupt stehen, was Valentejn automatisch den Kopf zwischen die Schultern einziehen ließ. Er mochte weibliche Wesen durchaus, aber, HIMMEL, er verstand so ganz und gar nicht, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte! Ihr Programmcode blieb ihm ein ewiges Rätsel! Lahyrim drückte ihm unterdessen die Schocklanze in die Hand, fasste den Saum ihres Kleidchens, sprang leicht von einer Sandalenspitze auf die andere, plinkerte mit den langen Wimpern, staunte ein naiv-perfektes O in die Runde und schmachtete. Dann schnitt sie eine Grimasse und übernahm die Schocklanze wieder. Und Valentejns Hand. "Teichpflege und hübsch aussehen und einen Reigen tanzen, zum Auswachsen ist das! Der Teich ist prima in Schuss, die kleine Naive kann ich mit ZWEI Kindern wohl kaum markieren und Reigen!!", knurrte sie bissig. "Oh, du tanzt nicht gern?", Valentejn riskierte Kopf und Kragen, nun, vermutlich würde man das nähen können, falls er selbigen kurzzeitig verlor. Neben ihm, 35 Zentimeter tiefer, seufzte Lahyrim, "doch, ich tanze unheimlich gern, deshalb bin ich dem blöden Faun ja auch nachgestiegen! Reigen sind nett und traditionell und", sie seufzte, "ich wollte mehr. Mein Ex hatte die Flötentöne, bewegte sich geschmeidig und ich dämliche Sumpfdotterblume habe mir was vorgemacht." Valentejn empfand großes Mitgefühl mit der zierlichen Nymphe. Ihm schien auch, dass so viel Temperament mit geziertem Kreis-Tanzen wohl kaum befriedigt werden konnte. "Also, ich habe auch mal einen Tanzkurs absolviert", warf er sich unerschrocken in die geknickte Gesprächspause. "Tatsächlich? So ein Tanz wie gestern?" Sich seines "Tricks" erinnernd grinste Valentejn, was man ohne Bart deutlich erkennen konnte, "nein, das habe ich als Kind gelernt, eine Tradition da, wo wir gewohnt haben. Ich habe mit meinen Kollegen damals einen Tanzkurs belegt, so als Wette. Wir dachten, damit finden wir die perfekten Partnerinnen, denen es nicht so viel ausmacht, dass wir sonst nur an Hardware herumschrauben, Programme testen, na ja", er seufzte melancholisch. "Hat es nicht funktioniert?", erkundigte sich Lahyrim sanft. "Doch, schon. Nur, na ja, drei Wochen nach der letzten Tanzstunde passierte dieser Unfall." Und seine Chancen, die perfekte Freundin zu finden, reduzierten sich rapide bei einem zerrütteten Nervenkostüm. "Was waren das für Tänze?", lenkte Lahyrim ab. Etwas verlegen raufte Valentejn sich mit der freien Hand durch die wirre Naturwelle in Überlänge, "Samba, Rumba, Chachacha, hat schon Spaß gemacht." Lahyrim stellte die Schocklanze gegen eine Mauerwand, deren Aufschrift "Medi" letterte, was Valentejn noch nicht lesen konnte, "zeig mir das doch mal! Dann bist du schon im Schwung." Valentejn runzelte kurz die Stirn, "uh, ohne Musik? Hmmm, ich zähle leise, wenn es dich nicht stört, ja?" Lahyrim blickte entschlossen hoch, nickte auffordernd. Valentejn schloss kurz die Augen, konzentrierte sich, dann verneigte er sich höflich, "darf ich bitten?" ~~~~*> "Nun, gut in Form sind Sie. Für einen Untoten", stellte Honorize Oktan fest, in vier Tentakeln die Bulletins sortierend. Wie alle anderen auch hatte er sich aus dem Fenster gelehnt, um die Freiluftaufführung zu verfolgen. Dass ein untoter Mensch bei ihnen vorsprechen würde, war vom Friedensgericht angekündigt worden, in einer so kleinen Stadt kannte man sich ja. Neue, Zugereiste, Besucch, die fielen auf. Der hier war nicht nur recht groß, ungewöhnlich bekleidet, sondern offenbar künstlerisch tätig, Ex-Mensch, denn ihm fehlte die Ex-Göttlichkeits- oder Naturwesen-Ausstrahlung. Legte eine flotte Flipflop-Sohle hin, das musste man schon sagen. Offenkundig hatte auch die Injektion mit den Knutschfröschen Früchte getragen. Tot, ja, aber spritzig! Honorize Oktan fand, die detaillierten "Umbauarbeiten" im Inneren seines Klienten mussten nicht eigens spezifiziert werden. Man hatte sich darauf geeinigt, Valentejn mitzuteilen, er liefe nun "auf Magie". Valentejn errötete, "danke. Ich bin dann wohl wirklich ein Zombie, oder?" Honorize Oktan justierte die mobile Wasserblase um seinen Kopf, "schwierige Frage, mein Lieber. Meine Nichte, sehr an menschlicher Populärkultur interessiert, hat mir mal ein Dossier überlassen. Ich finde das jedoch reichlich verwirrend. Psychologisch zweifellos hochinteressant, aber so als Diagnose?" Er blätterte geschmeidig, rührte mit einem weiteren Tentakel seinen Tee um. "Hier steht, Zombies sind mutierte Verstorbene. Sie wollen lebende Menschen wegen deren Fleisch auffressen. Also, biologisch gesehen", hätte Honorize Oktan über Schultern verfügt, wären diese zuckend kurz in die Höhe gefahren, "blanker Unsinn, bedaure. Und diese verfaulenden, herabstürzenden Körperteile: unhygienisch und unpraktisch, nach meiner Einschätzung. Etwas unordentlich zudem." Weshalb er "Zombie" nicht zutreffend fand. "Ex-Mensch. Untot. Ja, das würde ich schon sagen. Aber ist Ihnen das wichtig? Was geht Ihnen durch den Kopf?" Valentejn, der sehr bequem auf einem Sitzsack hockte, der sich perfekt seiner Figur anpasste, seufzte, "eigentlich finde ich das gar nicht mehr so wichtig. Ich dachte ja, mit dem Tod bin ich alle Probleme los. Jetzt bin ich ein wenig verwirrt. Es ist schön hier, alle sind so nett und großzügig. Ich möchte nicht weitermachen, wie ich aufgehört habe." Honorize Oktan blubberte kurz aufmunternd, "das klingt doch schon sehr gut. Reden wir über das, was Ihnen bei Ihrem Neustart hinderlich erscheint." Valentejn umklammerte die eigenen Hände, "das ist...haben Sie denn wirklich so viel Zeit für mich?" Das konnte er kaum glauben. Honorize Oktan grinste schelmisch in seiner mobilen Wasserblase, "ich würde ja sagen 'frisch von der Leber weg', aber in Ihrem Fall... Immer heraus damit, nur wer frei schwimmen kann, ist ein glücklicher Kopffüßler!" ~~~~*> Detorix saß in seinem Büro, ging noch mal die Schritte durch, Valentejns "Ableben" betreffend. Sicher, die Bank würde etwas mehr Zeit benötigen, aber üblicherweise gab es keine Schwierigkeiten. Die traurigen Reste würde er dann, nun, umtauschen, in Gegenstände oder die Währung, die Valentejn in seinem "Nachleben" nützlich würden. Alle Papiere ordnete er säuberlich und heftete sie ab, dann erhob er sich, um die übrigen Habseligkeiten zu sortieren. Vieles würde der Ex-Mensch nicht mehr benötigen, und, das war auch zu bedenken, es waren Menschen-Sachen. Ein wenig heikel, was den Transfer betraf. Nicht, dass es Zollbeamte per se gab, aber die Portalwache. Es zählte nun mal auch zu seinen Aufgaben, auch wenn es sich üblicherweise umgekehrt verhielt, wenn er dafür sorgen musste, dass kritische Artikel nicht die Menschenwelt erreichten, um die "Neu-Pseudo-Menschen" nicht zu gefährden. Dann klickte er sich wieder durch die Nachrichtenportale. Natürlich hatte der "Umweltalarm" am frühen Morgen für Aufsehen gesorgt. Die sparsame Meldung, man habe "Substanzen" beschlagnahmt, lud zu Spekulationen ein, auf die Detorix hoffte, denn er konnte sich ja kein Labor halten oder interne Mitteilungen der Sicherheitskräfte mitlesen. Ohne erheblichen Aufwand zumindest nicht. Hatte man bei den synthetischen Drogen geschlampt? Oder stand eine Absicht dahinter, die Konsumenten zu töten? Wer hatte sie hergestellt und wo? Wie lange befanden sie sich schon im Keller? Gab es noch andere Margen an anderer Stelle? Alles sehr wichtige Fragen, wenn er herausfinden wollte, was sich zugetragen hatte, vor den traurigen Kleider- und Schuhhäufchen im Innenhof. Allerdings war Detorix auch bewusst, dass Analysen und Ermittlungen in der Szene Zeit beanspruchten, auf schnelle Antworten konnte er nicht hoffen. Er stieg hinunter und setzte den Wasserkessel für Tee auf. Reichlich verwickelte Angelegenheit! Jetzt wäre es ja schön, wenn jemand für seine Tarn-Geschäftstätigkeit Bedarf meldete! Wie jeder andere Szenarize vor ihm pflegte Detorix eine Beschäftigung zum Broterwerb, denn sonst kamen schnell unangenehme Fragen auf. Er fungierte als Beratung, Ordnungsberatung. Damit war nicht das formschöne Falten von Socken durch japanische Aufräum-Feen gemeint, nein, er half dabei, geschäftliche Vorgänge in eine nachhaltige Ordnung zu fügen, unverzichtbar für die Schuhkarton-Quittungen-Sammelnden und Bodenstapel-"Archivierenden"! Auch ohne Werbung für sich zu machen kam Detorix regelmäßig an Aufträge. Er zog dann aus, mit Werkzeuggürtel, aber auch Aktenmappe, einem Kasten Wachsmalkreide und Malerkrepp, verschaffte erst sich einen Überblick, setzte dann einen Kostenvoranschlag an und schritt zur Tat. Möglicherweise gab der Bowler den Ausschlag, denn niemand zweifelte je seine Kompetenz an. Nun, die dezent hypnotisierende Visitenkarte half auch. Detorix nippte an seinem Teebecher und blickte in den Innenhof. Regenschnüre, endlos. Jetzt könnte er einen Auftrag wirklich brauchen, so als Ablenkung. ~~~~*> Valentejn verließ das Gebäude neben dem "Medi" in Gedanken. Honorize Oktan hatte sich tatsächlich fast zwei Stunden für ihn Zeit genommen. Und er hatte erzählt, von dem Unfall, den Umständen. Natürlich fühlte er sich verpflichtet, vieles zu erklären. Hier schien es nach seinem Eindruck keine Straßenbahnen zu geben, Kopfhörer, Musikbeschallung aus winzigen Geräten. Dabei hatte ihn Honorize Oktan auf eine seltsame Entwicklung stoßen lassen. Valentejn wollte präzise sein, die Details darstellen, registrierte jedoch, dass die Bilder in seiner Erinnerung nicht mehr so scharf gestochen waren. Er sprach natürlich aus, was ihm noch einfiel, all die quälenden und furchtbaren Einzelheiten, aber... Honorize Oktan beruhigte ihn, er könne bei ihrem nächsten Gespräch Ergänzungen vornehmen. Man habe keine Eile, denn es bedürfe schon einer längeren Konsultation, einer Regelmäßigkeit im Austausch, vielleicht einiger Übungen, die das Abschalten, das Sich-aus-der-Schleife-Herausnehmen erleichterten. Valentejn verspürte schon eine Entlastung, weil er wieder eine Perspektive hatte, weil er sich auch nicht anhalten musste, DIESES Thema nicht anzuschneiden. Endlich jemand, der ihm nicht riet, zu vergessen, Gras wachsen zu lassen, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, während im Blinden Fleck ein wahres Monster heranwucherte! Die einzige Aufgabe, die Honorize Oktan ihn bis zu ihrem Treffen aufgegeben hatte, lautete: mit Lahyrim zu tanzen. Förderte die Beweglichkeit (immerhin war er ja untot), Musik half beim Erlernen der Verkehrssprache und schien ihm wohl Vergnügen zu bereiten! Valentejn gestand, dass es ihm in erster Linie, denn so ein begnadeter Tänzer war er nicht!, darum gegangen war, Lahyrim eine Freude zu bereiten. Sie hatte es ja nun wirklich nicht leicht, half ihm aber trotzdem und brachte ihn sogar bei sich daheim unter! Das Wenigste, was er zu leisten im Stande war, musste ohne Zögern in die Waagschale geworfen werden. Valentejn erreichte, ohne sich verlaufen zu haben, eine Tür. Sie stand zwischen zwei Häusern, wie alle aus einer Lehm-Gräser-Backstein-Mischung gebaut. Man nickte ihm bloß zu, freundlich, nicht übertrieben neugierig. Valentejn klopfte, drückte dann die Klinke und zog die Tür auf, streckte den Kopf durch den Vorhang, "hallo, Detorix? Kann ich einen Moment stören?" Denn, so fand Valentejn, er musste unbedingt etwas wegen seines Äußeren unternehmen! ~~~~*> Detorix empfing Valentejn höflich, bat ihn in sein Büro, dann sortierten sie erst mal dessen Habseligkeiten und sprachen dabei über die andere Seite. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Valentejn die Kleinstadt gefiel, auch wenn sie einen rustikalen Charme hatte: keine anderen Verkehrsmittel als Karren oder die eigenen Füße, Kommunikation durch Aeroflott per Rohrpostempfang. "Es kommt mir alles wie im Märchen vor. Wie in einem Freizeitpark", gestand er Detorix und seufzte dann erleichtert, "und endlich, nach so langer Zeit, habe ich das Gefühl, es geht wieder aufwärts. Dass ich tatsächlich eine Trauma-Behandlung bekomme." Kaum zu fassen. Woraufhin ihn auch sein Gewissen plagte, "Detorix, können Sie mir raten, was ich tun kann? Ich meine, um mir den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich weiß, die medizinische Versorgung ist kostenfrei, wie so vieles, aber zum Beispiel Lahyrim, ich kann doch nicht einfach so bei ihr wohnen und essen!" Er wischte sich durch die wirre Hippie-Mähne, schenkte Detorix durch die grässliche Brille einen flehenden Blick. Der richtete sich auf, die beiden Stapel nun final aufgeteilt. "Sehen Sie, Valentejn, ich bin überzeugt, die KOK-Offize werden Ihnen eine Einsatzmöglichkeit aufzeigen. Nur sollten Sie zunächst auf Honorize Oktan hören: ankommen. Es hat doch keinen Sinn, sich auch im Nachleben so abzuplagen, oder nicht? Eine weitere Chance ist meines Wissens nicht vorgesehen", ergänzte er spitz. Prompt zog Valentejn den Kopf zwischen die Schultern, "ja, das stimmt, ich bin auch wirklich dankbar! Aber einfach nur nehmen?", druckste er beschämt. "Nach meiner Erfahrung gleicht sich das aus. Zudem sollten Sie die Auflagen der Vorstehenden des Friedensgerichts nicht auf die leichte Schulter nehmen: Sprach- und Schriftkurs. Es brächte Mee-Poo Lahyrim in Verlegenheit, wenn Sie da versagten", arbeitete Detorix mit bewährten, psychologischen Tricks, registrierte befriedigt den besorgten Gesichtsausdruck, ohne den Bart sehr viel jünger wirkend. Valentejn seufzte leise, "Sie haben recht, da würde ich ihr einen entsetzlich schlechten Dienst leisten." Er räusperte sich verlegen, ".bitte entschuldigen Sie, dass ich, .nun, vor dem Friedensgericht... Das hat nicht geholfen, Ihren Freund vom Verdacht reinzuwaschen." Detorix winkte ab, "nicht doch, machen Sie sich darum keine Gedanken, mein Lieber. Einer falschen Fährte nachzulaufen bringt mich nicht weiter. Im Übrigen ist das auch das Stichwort: Ihre Fährte. Im Moment ist bis auf Kleinigkeiten alles geregelt, aber wir haben noch nicht über persönliche Kontakte gesprochen." Valentejn setzte sich den Stoffpinguin auf einen Oberschenkel, "ich verstehe nicht ganz?" Auf seinen Ordner tippend erläuterte Detorix, "nun, den Behörden lege ich die Vermutung nahe, dass Sie ins Ausland abgewandert sind. Was wollen Sie Angehörige und Freunde wissen lassen? Wir haben verschiedene Modelle, je nach Intensität der Kontaktpflege." "Das sparsamste Modell", unterbrach Valentejn ihn mit einer Grimasse, "ich meine, mit meiner Familie habe ich kaum noch eine Verbindung. Und ehemalige Kollegen, Freunde, ich bin aus der Firma raus, weggezogen. Das hat sich quasi im Nichts aufgelöst. Also, ich denke, wenn ich mich nach TakaTuka-Land aufmache, würde ihnen das genügen." Er wirrte die überlange Naturwelle durch, studierte den Stoffpinguin, um Detorix nicht ansehen zu müssen, "meine Eltern waren immer von mir enttäuscht. Ich glaube, ihnen hätte die Version der Vertauschung in der Geburtsstation zugesagt. Irgendwie habe ich nie in ihr Bild von einem Sohn gepasst." Valentejn zuckte resigniert mit den Schultern, "allerdings habe ich mich auch revanchiert, das muss ich zugeben. Mich dem gewidmet, was für mich wichtig war. Hat leider auch nicht so richtig funktioniert." Detorix verspürte Mitgefühl, auch wenn er solche Entwicklungen nicht zum ersten Mal vernahm. Manchmal passte es einfach nicht, Biologie-Chemie-Wasauchimmer zum Trotz. "Das Gute ist, Sie können jetzt neu starten", lenkte er Valentejn ungeniert auf ein anderes Gleis, "ich werde eine unserer subtileren Modelle bemühen. Und Sie, mein Freund, können nach und nach den Ballast abwerfen." Die hehere Absicht, ihn aufzumuntern erkennend nickte Valentejn mit einem scheuen Lächeln und wirrte erneut durch die Mähne, "uh, Detorix, ich glaube, ich muss dringend was wegen meiner Haare unternehmen?" Detorix grinste, "bedaure, DA bin ich raus." Und strich über seine perfekt polierte Glatze. ~~~~*> Den Tag über verfolgte Detorix die Nachrichten. Zu seiner Überraschung meldete der erste Sender schon am frühen Nachmittag den Fund von "Substanzen", weil man eine eilige Pressekonferenz einberufen und über alle Medien eine Warnung versandte. Niemand, der die farbigen Münzen aka "Partydrogen" im Zugriff hatte, sollte sie konsumieren! Die Mischung war, aus noch unbekannten Gründen, toxisch und führte zu lebensbedrohlichen inneren Blutungen. Produktionsfehler oder Absicht? Das konnte man nicht beantworten, bat aber dringend um Zeugenaussagen zu Beobachtungen. Detorix grummelte leise. Nun würden sich überall Ermittelnde gegenseitig auf die Füße treten, was positiv zu werten stand. Möglicherweise würde man auch mit Aufrufen nach den zwei Unbekannten suchen. Party- und/oder Drogenszene, da konnte er nicht mitmischen (und wollte es auch gar nicht). Andererseits WAR es verwirrend. Nach seinen bescheidenen Kenntnissen würde niemand an "Einmal-Kundschaft" verdienen. Welches Ziel verfolgten die Drogenköche dann?! Konkurrenten verleumden? Ein Racheakt? Terrorismus? Serienmord? Detorix schnaubte und nippte an seinem Kaffeebecher. Er notierte seinen Rapport und gab KaISch III den Zettel zu fressen. Dass sich etwas tat, war gut. Dass ER selbst nichts dazu beitrug, weniger. ~~~~*> Valentejn zog seinen Rollkoffer hinter sich her, den Pinguin vorne im T-Shirt-Ausschnitt eingeklemmt, auf dem Rücken seinen einfachen Rucksack, von leeren Pillenblistern befreit. Rollkoffer waren hier weder vertreten noch nützlich, wie ihm nicht entging. Die festgetretenen Straßen entsprachen nicht dem gewohnten Pflaster oder Asphalt, weshalb der Koffer in seinem Schlepp abenteuerlich hopste und hüpfte. Valentejn schlug, artig grüßend, wie er rasch gelernt hatte, den Weg an den Rand der Kleinstadt ein, wo Lahyrims Teich sich befand. Hier wuchsen niedrige, krautige Pflanzen auf der Piste, was seine Annäherung zumindest weniger geräuschintensiv gestaltete. "Oh, Valentejn! Hast du deine Sachen abgeholt?", Lahyrim arbeitete offenkundig im Teich, winkte ihm paddelnd zu. "Ja, nun, die Dinge, die hier hilfreich sein könnten", stotterte Valentejn. Spielten ihm seine Augen (oder vielmehr die Brillengläser) einen Streich oder trug Lahyrim tatsächlich anstelle des Kleidchens zwei Muschelschalen und einen sehr rudimentären Lendenschurz? Sie ähnelte in dieser Aufmachung eher einer Nixe (wenn auch mit Beinen) als einer Nymphe, aber immer noch märchenhaft schön. "Dann pack sie einfach in die Grotte, ja?", gestikulierte Lahyrim und tauchte ab. Tapfer stapfte Valentejn weiter, sich definitiv zu groß fühlend, mit zu viel Gepäck. In der Grotte war es sehr ruhig, sah man vom sehr gedämpften, gelegentlichen Tropfen in den Flechten und Moosen ab. "Sei nicht so ein Schisser!", zischte Valentejn sich zu. Lahyrim würde ihm schon eine klare Ansage geben, wenn er sich nicht passend verhielt oder zu viel Raum beanspruchte! Er schlüpfte rasch aus dem Jogginganzug, dankbar für Detorix' Dampfreinigung der Kleider, fischte aus seinem Koffer unschlüssig ein eher als modischen Fauxpas einzustufendes Kleidungsstück: eine Bade-Bermudas mit Ananas, Flamingos und Delfinen. Sie passte noch, auch wenn er enger kordeln musste. Fast ein Jahrzehnt alt, als er in der Studienzeit mal mit Kommilitonen eine Woche Urlaub gemacht hatte, in Ungarn, hauptsächlich Baden und ein wenig Wandern. Es kam ihm vor wie, nun, noch ein anderes Leben. Jetzt aber, mit blankem Pöter im Schlafzimmer quasi seiner Gastgeberin, konnte er sich wohl kaum Sentimentalitäten hingeben! Tapfer, sich erneut durch den wirren Wust auf seinem Schädel wirrend, verließ er die Grotte und ließ sich vorsichtig in den Teich hinab. "Kann ich mich vielleicht nützlich machen?", erkundigte er sich zögerlich. Lahyrim glitt trotz nicht allzu bemerkenswerter Wassertiefe geschmeidig heran, tauchte zu seiner Bestürzung, kam dann wieder hoch, staunte ihn an. "Oooohh, ist das jetzt Mode bei Menschen?! Was sind das für bunte Dinge?", sie kaperte seine Hand, "das muss ich mal richtig ansehen, komm mit!" Valentejn hatte keine Wahl. Er musste sich am Teichufer als Modell betätigen und exakt erläutern, was diese Mode-Sünde ausmachte, kam sich dabei äußerst unzulänglich vor, so dürr und bleich und, nun ja, haarig. "Oh, das ist ja so spannend! Aber ich sollte vielleicht nicht danach fragen, oder? Hat Honorize Oktan dazu eine Empfehlung gegeben?", erkundigte sich Lahyrim plötzlich gebremst, sich aufrichtend, was Valentejn durchaus erleichterte, der unter Gürteläquatorhöhe selten zu Besichtigungen eingeladen hatte. "Das ist kein Problem." "Aber es scheint dir nicht gut dabei zu gehen", stellte Lahyrim fest, drückte seine Hand, "dann lasse ich das besser bleiben, richtig?" Valentejn sah sich von seinem Gewissen ZACKIG genötigt, die Situation richtigzustellen, "also, das ist es nicht. Ich schäme mich bloß ein bisschen, weil ich nicht rasiert bin und so bleich und meine Haare..." Die großen, blauen Augen nahmen ihn überrascht in den Fokus, "aber ich habe doch deinen Bart abgenommen?" "Uh!", Hitze musste förmlich in seinem Schädel explodieren, kein Zweifel! "Ähem", doch Lahyrim wartete aufmerksam auf eine Antwort, "na ja, es ist, sozusagen, gewissermaßen, gerade in Mode, also...." Valentejn holte, unnötigerweise, tief Luft, fragte sich dabei, wie ohne Herzschlag oder sonstige Indikatoren es TROTZDEM in ihm wummern und pochen und bitzeln konnte! "Also, glatte, gebräunte Haut ist eher angesagt, Muskeln, deshalb bin ich jetzt nicht sonderlich vorzeigbar", rutschte ihm prompt auch noch die Brille auf die Nasenspitze. Er rückte sie verlegen mit der Fingerkuppe über den Steg zurecht. "Du meinst, rasieren, überall?!", Lahyrim starrte ihn fassungslos an. Und dann von seinen Zehen bis hoch zu seinem Kopf. "Uh, die Haare auf dem Kopf, da wäre eine schicke Frisur modisch", korrigierte Valentejn ehrlich mögliche Fehlinterpretationen. "Ach du Großer M", stellte Lahyrim so diplomatisch wie möglich fest. Ihre Miene verriet Valentejn jedoch, dass sie SO ETWAS ganz und gar nicht nachvollziehen konnte oder goutierte. "Ah, wegen meiner Haare, da wollte ich Detorix schon um Rat bitten", bemühte Valentejn sich, wenigstens ein kleines Bisschen Schadensbegrenzung zu betreiben. "Oh, wegen seiner Glatze, verstehe, ist ja sehr modisch", klang Lahyrim äußerst reserviert zu ihm hoch. "Nein, nein, nicht deshalb, sondern, weil...es ist so ungepflegt und ich möchte keinen schlechten Eindruck...!", stotterte Valentejn herum, schloss sogar die andere Hand um Lahyrims Händchen. Stoffelig, stoffelig, stoffelig! Da konnte nicht mal ein Tanzkurs helfen, verflixt! Glücklicherweise schien Lahyrim seine liebe Not mit der Völkerverständigung zu erkennen, "also, ich könnte dir bei deinen Haaren helfen. Allerdings, .musst du denn wirklich so rasiert sein?" Valentejn schüttelte den Kopf so heftig, dass es warnend im Genick knackte, "nein, nein, ohne Bart genügt mir völlig, wirklich! Und ich möchte mich lieber den hiesigen Gepflogenheiten anpassen, ja?" Obwohl er keine Vorstellung davon hatte, wie Untote/Zombies sich hier darzustellen pflegten. Lahyrim lächelte aufgemuntert zu ihm hoch, "dann kann ich was machen! Warte mal einen Augenblick, ja?" Sie löste sich von seinen Händen, glitt in den Teich, durchmaß ihn, huschte in die Grotte. Erleichtert plumpste Valentejn auf Ananas, Flamingos und Delfine. Herrje, wieso konnte er bloß nicht so lässig wie, wie...Jack Cougar mit den Ladys sprechen?! Souverän und humorvoll und charmant! Valentejn seufzte und raufte sich die wirre Mähne, blickte an sich herab. Ja, so ein wenig sah es leider immer danach aus, als trage er einen haarigen Anzug. Gut, etwas schütter, nicht gleich dichter Hochflor, trotzdem! Und Muskeln?! Er seufzte. Ein paar von den Leuten hier sahen wirklich IMPONIEREND aus. Zugegeben, wenn das mit einem Haifischgebiss und Heckflosse einherging, wollte er dann doch nicht tauschen! Überhaupt, wie schliefen die dann, immer auf dem Bauch? Oder konnte man diese Finne irgendwie umklappen? Klang ungemütlich. "HU!", quietschte Valentejn erschrocken, als ihn ein gezielter Spritzwasserstrahl ins Gesicht traf, hauptsächlich die Brillengläser, was temporäre Blindheit nach sich zog. "He! Was hab ich euch gesagt?!", hörte er, tropfend, blinzelnd, Lahyrim ärgerlich schimpfen. Ah, die Zwillinge! Kreischen, planschen, vermutlich tobte im Teich gerade das Leben. Valentejn kam auf die Beine, schüttelte die Brille, um wenigstens ein paar Tropfen loszuwerden. Vor seinem unscharfen Blick jagte Lahyrim die begeisterten Zwillinge durchs Nass, fing sie schließlich ein und zerrte an jedem Knöchel ein Kind hinter sich her. Auch wenn Valentejn optisch gehandicapt war, schien es ihm, als könne sie sehr viel besser schwimmen als die Kinder. "Ihr werdet euch jetzt entschuldigen! Und wenn ihr Valentejn noch mal ärgert, häng ich euch in den BAUM! Da können euch die Kronks dann in Ruhe anknabbern!" Valentejn wusste nicht, von welchem Baum die Rede war, aber zumindest die Kopf nach unten baumelnden Zwillinge wirkten nicht mehr vergnügt. "Tschuldige, Zombie." "Wie sagt man?!" "Entschuldigung, Herr Zombie." Die Brille noch immer benetzt krächzte Valentejn, "oh, okay. Entschuldigung akzeptiert." Lahyrim machte kehrt und ließ die Zwillinge in den Teich plumpsen, stapfte dann ärgerlich zu ihm zurück, ein Magazin auflesend, das offenbar auch vom Spritzwasserstrahl getroffen worden war. "Nun sieh dir das an!", was leider nicht nur wegen der Brillensituation ein wenig schwierig war. Lahyrim ließ es tropfen, einen Arm in die schlanke Hüfte gestützt, "das Apollon-Magazin, eine Kopie aus deiner Welt! Völlig ruiniert!" Von diesem Magazin hatte Valentejn durchaus mal gehört. Gab es da nicht sogar Radio-Sendungen? Einer der Moderatoren war jedenfalls sehr bekannt, Sänger, Modell... "Das tut mir leid. Ich habe mal gehört, dass man Bücher im Ofen trocknen kann?", voluntierte Valentejn einen Lösungsvorschlag. Bei Magazinen war er sich da nicht sicher. Hochglanzbedrucktes Papier? Lahyrim schnaubte eindrucksvoll (trotz der schmalen Nasenschlitze), "diese Bengel!" Valentejn traf ein SEHR durchdringender Blick, "nun, dann werden wir dich eben so frisieren, wie es MIR gefällt. Und ZWEI UNGEZOGENE GÖREN hören heute keine Geschichte!" Unwillkürlich zog auch Valentejn den Kopf ein. Nein, es schien wirklich eine sehr schlechte Idee zu sein, Lahyrim zu verärgern, auch wenn sie so zart, ätherisch und märchenhaft wie eine Nymphe aussah! ~~~~*> Kapitel 6 Detorix hatte das übliche Programm durch, nämlich Ablage durchsehen, das Bad reinigen, Nachschub an Keksen backen und durchfegen, aber leider half ihm das nicht, denn er fühlte sich unzulänglich, auf der Stelle tretend. Irgendwas musste er doch unternehmen können! Überhaupt, der Gedanke machte sich bei ihm unbeliebt, war es vielleicht die falsche Lösung, die zwei Verzehrten, nun, verschwinden zu lassen, was sie zwar waren, aber seine Forte lag ja im Hinzufügen! Bloß existierten dann tatsächlich auch Pendants in, nun, Fleisch und Blut, plus dem Rest, der eine humanoide Erscheinung prägte! Somit galt es, zwei Probleme zu lösen. Demnach konnte er sich nicht darauf konzentrieren, seinen alten Freund "rauszuhauen". Aber wie sollte er zwei Figuren ins Ausland auswandern lassen, deren ehemalige Identität er gar nicht kannte?! Zudem konnten die unangenehm prominent werden, weil er ja vom Verlauf der Ermittlungen keine intime Kenntnis hatte. Detorix schnaubte und wischte sich über die polierte Glatze. Ja, er war höchst unzufrieden mit der eigenen Ratlosigkeit. Möglicherweise brachte ihn ein Spaziergang auf andere Gedanken oder durchnässte ihn trotz Seebärenkurzmantels so, dass er sich in der Wanne auftaute und müde unter die Laken kroch. ~~~~*> Valentejn justierte sein unkleidsames Nasenfahrrad und beugte sich vor. Mangels Lektüre des tropfnassen Apollon-Magazins blickte ihm eine "klassische Frisur" entgegen, respektive das, was man von Statuen aus griechisch-römischen "Magazinen" der Museen kannte, ob mit Torso oder bloß als Briefbeschwerer. Seine Naturwelle ringelte sich kurz gestutzt um sein ein wenig zu mageres Gesicht. Fehlte bloß noch ein Lorbeerkranz. "Was stimmt damit nicht?", bevor Valentejn die Frage missinterpretieren konnte, tippte Lahyrim, ihre Muschelschneiden verstauend, auf den Steg der Brille. "Ah, sie hat sich ein bisschen verbogen, schätze ich. Vielen Dank für die neue Frisur, Lahyrim! Ich fühle mich gleich viel leichter", lächelte er brav hoch. Möglicherweise konnte er heimlich doch einen Blick in den kleinen Spiegel werfen? "Gut, dann gehen wir morgen bei den Augenglasmachenden vorbei", entschied Lahyrim, seine abgeschnittenen Haare in ein grobes Tuch verfrachtend. "Ihr habt hier Brillen-Geschäfte?!", brach es undiplomatisch aus Valentejn heraus. Über die schmale Schulter zwinkerte Lahyrim ihm zu, "Herr Zombie, wir leben durchaus komfortabel auf dieser Seite. Nur ein wenig anders." "Verzeihung", murmelte Valentejn verlegen und kam eilig auf die Beine, "ich möchte dir auch keine Mühe machen", ergänzte er, denn es stand zu vermuten, dass Augenglasmachende bezahlt zu werden wünschten. Außerdem, bei einem Kunststoffgestell, ob da nicht doch....? Die herrschende Geothermie samt erschreckend heißer Direktleitungen war ihm nicht ganz geheuer. Lahyrim ging auf seine kläglichen Versuche, den Fauxpas auszumerzen, gar nicht ein. Das Schnittgut wurde verfeuert, dann gab es Abendessen. "Morgen müssen wir auch Brot tauschen", wies Lahyrim auf ein kleines Netz mit Muscheln hin. Die züchtete sie im Teich, der auch sonst die Versorgungsgrundlage darstellte. Die Zwillinge, ebenfalls im Freien speisend, etwas abseits, grummelten. "Ich will KEIN WORT über den Met-Aufstrich hören!", warnte Lahyrim grimmig vor, "Kronks lieben den auch. Wer sich damit überfrisst, ist leichte Beute!" Valentejn, der sich an die recht gesunde Kost gewöhnte, fand, er müsse diese Bildungslücken doch schließen, "ähem, was sind Kronks denn eigentlich? Wenn ich fragen darf?" Lahyrim nagte an einem gerösteten Rohrkolben, "die sind riesig groß! Brüllen so laut, dass dir das Trommelfell platzt. Sie verstecken sich in den Wäldern, um kleinen Daimonenkindern aufzulauern, dann fressen sie sie! Ganz und gar, mit Fell, Hörnern, Klauen, Krallen, Schwingen, ratzfatz, weggeputzt!" Valentejn zweifelte ein wenig an dieser Erläuterung. Sie klang nach den dubiosen Drohungen erziehungsgeplagter Eltern. Erstaunlicherweise zogen die Zwillinge in Hörweite den Kopf unisono ein. "Uh, ist das denn erlaubt? Ich meine, Detorix erwähnte eine unbedingte Friedenspflicht?" Zwei Ohrenpaare wuchsen rapide an, doch Lahyrim kam jedem Versuch, mit Skepsis und Logik Untiefen in der Kronk-Drohung zu entdecken, zuvor, "sicher doch. Vorher war Unfrieden durch UNGEZOGENE Kinder. Nachher ist es still und friedlich." Valentejn schenkte ihr einen entsetzten Seitenblick. Von wegen Märchenland und Freizeitpark! Da wagte er nicht mal mehr, nach dem verbotenen Met-Aufstrich zu fragen. Stattdessen ging man im Abendglühen der zwei Sonnen noch mal in den Teich, hier ausputzen, da Ein- und Ablauf kontrollieren. Die Zwillinge sagten Reime und Sprüche auf, um das Zählen zu lernen, sich Wichtiges einzuprägen. Lahyrim übersetzte für Valentejn, der zunächst gehemmt, dann entschiedener mitkrähte. Dabei zeigte sich, dass seine Stimme gar nicht so schlecht klang. Die Zwillinge spritzten prompt nach ihm, denn mit der Brille hatte Valentejn, nun, nicht das Nach-Sehen, eher das Kaum-Sehen dank Schlieren und Tropfen. Er revanchierte sich nach Gehör und wagte, einen erhaschten Spritzer hoch durch die Luft ins Wasser zu befördern. Noch mehr Kreischen, aber nicht aus Angst oder Wut, vielmehr schienen die Bengel Gefallen daran zu finden, weshalb Valentejn bald kreiselte, um die "Päckchen" abzufeuern. Endlich jagte Lahyrim die müden Zwillinge in die Grotte. Valentejn, aus dem Teich kletternd, lächelte vage, nahm dann die Brille ab, "Entschuldigung, ich bin den Umgang mit Kindern nicht gewöhnt." "Ich auch nicht!", grummelte Lahyrim entwaffnend, seufzte tief, "klingt bestimmt fürchterlich dumm in deinen Ohren, aber ich war ne ziemlich naive Nymphe. Hätte ich mal vorher das Apollon-Magazin entdeckt!" Valentejn blickte ratlos in die einbrechende Dunkelheit. Lahyrim zog eine Grimasse, "ich bin ein bisschen tollpatschig, weißt du? Nicht nur wegen der Zwillinge, die mir am ersten Arbeitstag noch Marmelade aufs Kleid kleckern! Ich hatte keine Ahnung, dass Männer es attraktiv finden, wenn man derangiert erscheint, Frisur zerwühlt, Kleid zerknittert, Sandalen nicht richtig gebunden!" Plötzlich begriff Valentejn. Behutsam drückte er eine sehr schmale Schulter, "die meisten Männer sind Schisser. Ich auch. Wir haben Angst vor weiblicher Souveränität, was keine Entschuldigung ist, die Situation auszunutzen." Das vermutete er nämlich ein wenig abgestoßen beim Ex, dem Faun. Lahyrim lachte, nahm vertraut seine Hand, "oh, DIESE Art von Dämlichkeit war es nicht. Mir schmeichelte bloß ungemein, dass ich entgegen den Ermahnungen meiner Mutter einen Verehrer gefunden hatte, der gern die Tanzhufe schwingt, eine Künstlerseele, nicht so akribisch auf die Etikette achtet." Sie schnaubte, "das war durchaus prima, bis zu einem gewissen Grad. Weibliche Souveränität ist leider harte Arbeit, Valentejn. Hin und wieder wäre mehr Unterstützung da sehr willkommen", grummelte sie, ihn zur Grotte führend. Valentejn fühlte sich ganz und gar nicht gerüstet, für die XY-Chromosomenträger in die Bresche zu springen, "das ist richtig. Tut mir leid, wirklich. Du hast so viel um die Ohren und schaffst das alles, Respekt! Wenn ich helfen kann, bitte sag es mir, ja? Am Besten direkt, wenn es geht, weniger, na ja, subtil." Das brachte Lahyrim zum Lachen. Sie grinste schelmisch zu ihm hoch, die großen, blauen Augen funkelten, "Einverstanden. Ein bisschen was habe ich inzwischen auch dazugelernt." Valentejn lächelte erleichtert, schaffte es unfallfrei ins Separee aka Schlafzimmer. Rasch fahndete er nach einem Brillenputztuch, denn Durchblick wäre doch sehr wünschenswert. Inzwischen begutachtete Lahyrim unbefangen seine Habseligkeiten im aufgeklappten Koffer, "trägt man das jetzt gerade? Wozu ist das gut? Oh, hast du es lieber kalt?" So sah Valentejn sich genötigt, einige weniger schmeichelhafte Einlassungen zur Person zu geben, denn sein verbliebenes Eigentum entsprach weder besonderem Chic, noch zeichnete es ihn als Träger aus. Auch der Pinguin wurde erklärt, denn zum Südpol zog es ihn ganz gewiss nicht. Vielmehr hatte er die traurigen Reste seiner Herbst-/Winterbekleidung bei Detorix zurückgelassen. Auch wenn es andere Gegenden gab, eine größere Streuung bei den Jahreszeiten, ihm gefiel sein aktueller Aufenthaltsort, übersichtlicher, zugewandter, wärmer. Außerdem sah Valentejn sich auch in einer Bringschuld, wenn er dazu fähig war oder befähigt wurde. Lahyrim gähnte hinter vorgehaltenem Händchen, blinzelte müde. Valentejn las zumindest diese Zeichen korrekt und wollte sich verabsentieren, zumindest die Badehose wechseln. Dazu kam er nicht. "Wir brauchen jetzt beide Schlaf, finde ich", gab Lahyrim vor, arrangierte ihn, MIT PINGUIN, in die kleine Senke und kuschelte sich bequem auf ihm ein. Nicht wenige Augenblicke später, nur noch ein vager Schimmer von Gneis zwischen den Flechten und Moosen, schlief sie erschöpft. Valentejn wagte kaum sich zu rühren. SIE SCHLIEF AUF SEINER BRUST! Sehr vorsichtig strich er durch den Wasserfall entwischter, blauer Löckchen. Eine so zarte, zerbrechlich anmutende Person! War ihr das denn nicht unbequem, kratzig, irgendwie unzivilisiert?! Oder... Valentejn lauschte auf den einsamen Herzschlag, rang mit einem sehr hässlichen Anfall von vollkommen unberechtigter Eifersucht. So Faune, waren das nicht Typen mit Ziegenunterbau? Hatte Lahyrim nicht was von Hufen gesagt? Was, wenn das wortwörtlich zu verstehen war? Wenn ihr Ex tatsächlich so ein komischer Ziegenbock mit Fell...?! Ob sie ihn vermisste? Immerhin hatte sie ihn genug geliebt, um die Zwillinge zu bekommen, und der Blödmann heftete sich weiter an Muttis Rockschöße oder was auch immer Faun-Mütter hier so trugen! Valentejn zog sich die Brille vom Nasenrücken und vertraute sie dem Stoffpinguin an. Das dezente Glitzern verschwamm nun zwar, aber das störte ihn nicht. Wie konnte man Lahyrim wohl eine Freude machen? Sie war so zupackend und herzlich und unerschrocken! Während Valentejn sich noch ermahnte, auf diese dringende Frage eine Antwort zu finden, schlief er ein. ~~~~*> Keine neuen Erkenntnisse oder zumindest keine Nachrichten darüber. Detorix, der sich ein Wannenbad gegönnt hatte, saß beim Ofen im Schaukelstuhl, rief sich Krimihandlungen ins Gedächtnis, zugegeben, eher die sehr altmodischen, britischen Varianten, widerstand der Versuchung, doch herauszufinden, ob man bei dieser Serie, die Spezl Heuseidl mal empfohlen hatte... Aber Detorix misstraute amerikanischen Szenarien, die waren doch immer maßlos übertrieben und aufgepumpt! Außerdem, Schul-Chemielaboratorien hierzulande, die beherbergten eine Elemente-Schautafel und lauter Absperrhähne. Kein Gas, kein Wasser, kein Irgendwas, um die marode Bausubstanz nicht noch stärker zu gefährden. Zudem, welcher Versicherer fand sich noch, wenn da wirklich "Substanzen" zum Einsatz kamen?! Äußerst unrealistisch! Weshalb Detorix sich trotzig weigerte, mal nachzuschlagen, so den groben Handlungsverlauf... Nein. Punkt. Detorix seufzte. Wie konnte man zu Tode kommen, ohne Spuren zu hinterlassen? Zweimal Freiflüge vom Dach schieden aus. Spontane Herzinfarkte, synchron? Wegen der Drogen tot umgekippt? Detorix grummelte und stemmte sich hoch. Er wusste einfach zu wenig! Man müsste es wie ein Detektiv anstellen, die Spur aufnehmen, aber nicht mehr heute, entschied Detorix nach einem Blick in den finsteren Innenhof. Bei dem Wetter hörte er unmissverständlich sein Bett nach ihm rufen. ~~~~*> "Keine neuen Nachrichten", bestätigte Detorix am Morgen, als Valentejn mit Lahyrim hereinspazierte. Sie wirkten vergnügt, was Detorix erleichterte, denn immerhin gehörte die "Anpassung" ja auch zu seinem Aufgabenspektrum, zugegeben hauptsächlich auf der anderen, der menschlichen Seite des Vorhangs. "Ob ich dich wohl später treffen kann? Ich würde gern mit Detorix noch etwas besprechen", Valentejn schob mal wieder die abtrünnige Brille zurück an ihren Platz, plädierte 35 Zentimeter tiefer. Lahyrim grinste, "oho, Männergespräche? Aber sicher, ich tausche inzwischen die Muscheln gegen das Brot. Treffen wir uns bei der Augenglasmacherei, in Ordnung? Frag nach Ludmilla, dann zeigt man dir den Weg." Valentejn nickte artig und wiederholte auch brav in der Standardverkehrssprache die korrekte Phrase. Er konnte allerdings nur hoffen, dass man ihm langsam und gestisch antwortete. Detorix offerierte einen weiteren Keks zum Tee, "nun, was liegt denn an?" Ihm gegenüber, in den Schaukelstuhl genötigt, sammelte Valentejn sich, "ich würde gern wissen: was veranlasst die Leute, auf die Menschenseite zu wechseln?" An seinem Teebecher nippend sondierte Detorix die Lage. Offenbar arbeitete sich Valentejn über Umwege an sein Thema heran. "Tja, manche ernähren sich von menschlicher Energie. Nein, KEINE Seelenfresserei, sondern einfach das, was Menschen ständig in die Gegend aussenden. Andere erledigen Aufträge, borgen bestimmte Artikel aus. Dann gibt es die, die aufpassen, dass niemand von uns unter die Räder kommt. Hmm, Werbetragende, Ausbildende, viele können Menschen gar nicht sehen oder wahrnehmen. Andere tarnen sich mit einem menschlichen Erscheinungsbild. Allerdings kann nicht jeder durchs Portal. Ehemalige, also die, die mal der Menschenwelt angehört haben, dürfen nicht wechseln. Das würde wohl zu Turbulenzen führen, aber die Details sind mir nicht bekannt." Valentejn lauschte ihm sehr konzentriert, "und die, die drüben bleiben?" Ah. Die alte Frage. Detorix schmunzelte, "na, das sind zumeist starke, persönliche Bindungen. Nicht Liebe, die ist zu unspezifisch in ihrer Bedeutung! Nein, in der Regel ist es eine Zuneigung, die die andere, menschliche Person über die eigene stellt, die so mächtig ist, dass man alles riskiert, um in der Menschenwelt zu bleiben, weil das für den zugehörigen Menschen das Wichtigste ist." Etwas Tee musste nachgespült werden. "Die Menschenwelt ist für uns faszinierend, aber auch sehr gefährlich, häufig befremdlich, manchmal grauenvoll und abstoßend. In diese Welt zu wechseln und nicht mehr umzukehren, das ist ein absoluter Sonderfall. Natürlich gibt es Pendelnde, die die Welten wechseln können, kein Zeitlimit haben, aber das ist sehr selten. Wenn man geht, dann geht man. Ganz und gar." Valentejn nickte langsam, "das klingt wirklich nach einer Entscheidung, die wohlüberlegt sein muss." Detorix kaute seinen Keks, "nun, darum prüfen wir, unter anderem auch ich, ob die Optionen ausreichen. Erfreulicherweise ist das menschliche Pendant häufig eine sehr gute Wahl." Weshalb er eigentlich nicht mit Neuaufträgen überschüttet wurde, sondern den Status quo im Auge behielt. Im Schaukelstuhl ging man offenbar eine Liste durch, "ich habe gehört, dass Kronks Kinder fressen. Ist das wahr?!" Oh, eine dieser kniffligen Angelegenheiten! Detorix entschied sich für eine diplomatische Antwort, "das habe ich auch schon gehört. Mir persönlich ist jedoch nie ein Kronk begegnet, der ein Kind gefressen hat. Somit bin ich diesbezüglich nicht im Besitz der letzten Weisheit." Nein, nur ein klein wenig großzügig mit den Fakten. Valentejn seufzte, "ich dachte erst, das wäre so eine Märchengeschichte, um Kinder zu erschrecken, aber langsam macht es mich doch nervös. Irgendwie habe ich eine Art Wunderland mit Spielpark erwartet." "Sie sind enttäuscht?" Eilig winkte Valentejn ab, schwenkte den Teebecher wild, "nein, nein, gar nicht, so meine ich das nicht! Alle sind so nett und freundlich, es ist friedlich. Aber wenn man Mee-Poos hat, dann kann das ja nicht immer so sein. Und Kinderfresser..." Ihn schauderte sichtlich. Nun sah Detorix sich aufgefordert, etwas richtigzustellen, "Mee-Poos, also Metropolitan Polis, das ist weder Heer noch Polizei, Valentejn. Mee-Poos wahren Ruhe und Ordnung, richtig, aber durch Empathie, Verhandlungsgeschick und eine breite Vernetzung. Sie bringen die Leute zusammen, vermitteln, haben ein Auge und Ohr offen für alle. Die Schocklanzen dienen hauptsächlich der Warnung oder als Signalgeber." Etwas betreten schob Valentejn die Brille hoch, "ah, verstehe. Ich wollte Lahyrim nicht fragen, weil..." "Weil sie möglicherweise beleidigt gewesen wäre?", ergänzte Detorix schmunzelnd, der die Fährte identifizierte, "ich habe volles Vertrauen in ihre Fähigkeiten, eine gute Mischung aus Mitgefühl und Tatkraft." Valentejn knabberte an seinem Keks, haderte mit der letzten Hürde. "Ich verfüge nicht über diese Fähigkeit", bemerkte Detorix ein wenig boshaft, was ihm einen verwirrten Blick einbrachte, "Gedankenlesen, mein Bester. Es bedarf schon einer Frage, die ausgesprochen wird, damit ich antworten kann." Prompt färbten sich Valentejn magere Wagen dunkler, "uh, ja, richtig, selbstverständlich! Ähem, also, ich habe mich gefragt, ich meine, ob ich Lahyrim vielleicht ins Gerede bringe, so als lediger Mann in ihrer Grotte?" Auch wenn er nun untot war, SO TOT fühlte er sich dann doch nicht! Detorix lächelte zufrieden, "nun, zunächst mal handelt es sich ja um eine richterliche Anordnung, formal gesehen. Zweitens glauben wir, dass gute, persönliche Beziehungen beim Eingewöhnen helfen. Drittens würde man nur ein Problem annehmen, wenn ihr euch nicht vertragt. Ist das denn der Fall? Fühlen Sie sich von Lahyrim bedrängt?" Valentejn sprang eiligst aus dem nachwippenden Schaukelstuhl, "nein, nein! Ganz und gar nicht! Sie ist wunderbar und gastfreundlich und großzügig! Ich will ihr nur keine Schwierigkeiten bereiten! Ich meine, noch mehr, weil sie es sowieso schon schwer hat!", beteuerte er hastig, sich fast überschlagend. "Nun, ICH würde meinen, dann käme ihr Unterstützung sicher gelegen. Da ihr euch gut zu verstehen scheint, wird es sie bestimmt freuen, wenn die Integration perfekt gelingt. Wird ihrem Leumund noch größeren Glanz verleihen", stachelte Detorix ungeniert zu Engagement an. Valentejn schenkte ihm einen erbarmungswürdigen Blick, "ob ich das hinbekomme? Im Moment bin ich nicht sonderlich nützlich." "Oh, hat sie sich darüber beklagt?", Keine Gnade, wenn es so flutschte! "Nein, gar nicht, sie lobt mich sogar! Aber so als Ex-Mensch kann ich nichts beitragen. Na ja, Tanzen vielleicht." Detorix bleckte die Zähne, "für den Anfang nicht schlecht, würde ich meinen, immerhin hat dieser Faun ja so ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt." Eine Ahnung von Ingrimm blitzte in Valentejns Augen auf. Detorix gratulierte sich indessen selbst. Manchmal half ein abschreckendes Beispiel bei mustergültigem Verhalten. "Nun empfehle ich jedoch, sich zu sputen, mein Bester. Damen soll man nicht warten lassen, wenn man ihre Gunst nicht verlieren möchte." Valentejn nickte entschieden, straffte seine schlaksige Gestalt, "ganz richtig! Die richtige Einstellung und Engagement! Ich schaff das!" Detorix hielt ihm höflich den Vorhang auf, neigte grüßend das polierte Haupt, grinste in sich hinein, als sich die Tür zu seiner Welt wieder energisch schloss. Schon niedlich, dieser Zombie! ~~~~*> Die Augenglasmachende Ludmilla, eine Art Kauz, beäugte Valentejns Brille, kritisch, flüsterte dann mit Lahyrim, was Valentejn beunruhigte, der sich ohnehin in der Minderzahl und nicht tauglich empfand. "Sag mal, Valentejn, brauchst du eigentlich diesen...?", wisperte Lahyrim nun IHM ins Ohr! Verwirrt schüttelte er den Kopf. Die Nymphe grinste breit, "schön. Bleib bitte bei Ludmilla, ja? Lass die Stärke der Gläser lieber kontrollieren. Bin gleich zurück!" Die Schocklanze unter den Arm klemmend, in der anderen Hand den Beutel mit Brot, spurtete sie los. Einige Passanten lachten und warnten sie, nicht zu stürzen, sonst gäbe es nur Krümel und Feuerwerk. Eingeschüchtert kauerte sich Valentejn auf dem Hocker zusammen. Ludmilla operierte in einer Art Kasten, nahm ihm dann die Brille mit den Klauen herunter, "du kannst auch Augenschalen bekommen. Allerdings sehr aufwändig." "Augenschalen?", piepste Valentejn hilflos, der großen Respekt vor den Krallen an den Klauenenden hatte. "Ah, Kontaktlinsen. Wir haben hier Augenschalen", Ludmilla tippte auf eine kleine Spinne, die sich in einem runden Kästchen tummelte, "werden gewebt und gehärtet. Tragedauer etwa zehn Tage. Aber viele mögen die Fummelei nicht. Dazu Tropfen." Sie selbst trug eine gewaltige Brille mit Auf- und Anbauten. "Mir reicht eine Brille, bitte, danke schön", murmelte Valentejn ängstlich. "Gut, dann testen wir jetzt die Glasstärke. Sieh auf die Laterne und dann sag mir, was du siehst." ~~~~*> Lahyrim schmunzelte, als sie nach einem Spurt wieder in Ludmillas Laden trat. Valentejn kauerte auf dem Hocker, ohne seine Brille, lauschte einem engagierten Vortrag der Augenglasmachenden. Sie hatte, wie Lahyrim erkannte, schon auf einer Tafel Gestell, Stärke und weitere Details eingekratzt. Lahyrim hüstelte gekünstelt, dann präsentierte sie: Caruso! ~~~~*> Valentejn hatte sich bereits daran gewöhnt, quasi im Wimpernschlag-Takt fremden Leuten vorgestellt zu werden, präsentiert, der erste Untote/Ex-Mensch/Zombie hier! Sensationell! Wobei Valentejn keine Vorstellung davon hatte, was man erwartete. Ob sie auch "Tricks" sehen wollten oder ob Menschen per se eine Besonderheit waren, ganz gleich, in welchem Stadium ihrer Existenz. Und die andere Sache: Lahyrim hielt ihn ständig an der Hand, ein bisschen wie bei einem unsicheren Kleinkind. Oder aber... Nun ja, es war ein fester Griff der sehr kleinen Hand, nichts Verspieltes, Tändelndes. Trotzdem. Also, er beklagte sich ja keineswegs, überhaupt nicht, gar keine Rede! Nur, also, ein ganz klein wenig fühlte Valentejn sich verunsichert, kam jedoch gar nicht dazu, etwas zu äußern, weil er ständig neue Bekannte traf, was ihn schon an eher spezielle Kostüm-Partys erinnerte. Die Leute hier waren jedoch alle echt. Endlich eine kleine Verschnaufpause! "Lahyrim, darf ich etwas fragen?", wenn auch nicht in der Standardverkehrssprache, weil er die noch nicht beherrschte. "Hm, sicher, nur zu!", die Nymphe lächelte beschwingt zu ihm hoch. "Also, wer ist dieser Caruso?" Lahyrim grinste breit, winkte Valentejn vertraulich zu sich herunter. Folgsam winkelte der den Oberkörper ab, um den Größenunterschied zu reduzieren. "Ludmilla schwärmt für ihn, der totale Fan! Also, Caruso ist ein Bassbariton, sehr populär. Wenn der auftritt und loslegt, huiii, da kribbelt's von den Zehen bis zum Scheitel!" Sie zwinkerte, "genau das Timbre, das alle zum Schmelzen bringt und auch auf gewisse Gedanken." Bei Valentejn fiel der altmodische Groschen verspätet, "oh. Oh!" Trotzdem konnte er seine Verwirrung nicht abschütteln. "Dieser berühmte Caruso sieht dem Pinguin ähnlich?", hangelte er sich durch fremde Welten. Lahyrim lachte nachsichtig, "nein, der Stoffpinguin sieht ihm ähnlich, weil Caruso ein Pinguindaimon ist, Valentejn. Die Variante hier wiegt nur keine zwei Zentner, ist kuschelig und passt in Ludmillas Nest." Weshalb sie durchaus den Gegenwert eines neuen, perfekt angepassten Nasenfahrrads darstellte! "Oh", murmelte Valentejn hilflos. Das Anhängsel "Daimon" irritierte ihn, denn ein Dämon war in seiner Vorstellung gefährlich, gehässig, bösartig und abstoßend hässlich. Die Leute, denen er hier begegnete, waren optisch ein wenig ungewohnt, aber liebenswert und sympathisch, selbst wenn manches Gebiss Respekt einflößte. Lahyrim drückte seine Hand, "du wirst dich schon dran gewöhnen, Valentejn. Ich war am Anfang auch ein wenig überfordert. Wenn man bloß am heimatlichen Teich hockt, weiß man wenig von der Welt." Sie sah in seinen Augen, hinter der mal wieder abgerutschten Brille, die Fragezeichen. "Na ja, ich bin ja auch zugewandert. Also, Naturwesen, so wie ich, gelten als extrem standorttreu. Und..monothematisch! Furchtbar!", sie schnaubte, "mein Baum, mein Strauch, meine Quelle, mein Erdloch, immer nur EIN Thema!" Valentejn nickte leicht, um Aufmerksamkeit zu signalisieren, auch wenn er mit dem Begreifen seine liebe Not hatte. "Nimm zum Beispiel mal Nymphen! Mein See, mein Bach, dieser Reigen, jener Fisch, diese Muscheln. Der Horizont ist WINZIG!", Lahyrim schnaubte, selbst die blauen Löckchen schüttelten sich, "das ist so LANGWEILIG! Immer dieselben Leute, dieselben Themen! Das kann einen wirklich gruseln!" So klang es aus ihrem Mund auch, fand Valentejn. "Na ja, nachdem ich rausgefunden hatte, dass ich mit Glas", sie tippte auf das umgehängte mit Seerose und Feenmoos, "mobil bin, habe ich das genutzt", ein Seufzen, "gut, zunächst bloß, um dem blöden Faun nachzurennen. Der macht ständig eine Tournee, immer eine Tagesreise von Mutti weg, im Umkreis. Musik, Gesang, Tanz, neue Leute." Lahyrim grummelte, "ich hab gemerkt, dass die Welt mehr zu bieten hat. Und dann, ich war schon ziemlich rund, dachte ich, oh nein! Jetzt heim zum See, zur trauten Familie?! Den Rest meines Lebens den Blick meiner Mutter minütlich aushalten?! Den 'Ich-hab-dir-ja-gleich-gesagt'-Besserwissenden-Blick?!" Sie schnaubte aufgebracht, blickte zu Valentejn hoch, der folgsam stehen blieb, "nein, hab ich entschieden, das tu ich mir nicht an! Also bin ich kugelrund losgezogen, dem Weg nach. Hab gefragt, ob es irgendwo ein freies Gewässer gibt." Die großen, blauen Augen funkelten eindeutig kriegerisch, "die Leute hier waren alle so nett. Zudem gibt es ja ein Medi hier, der Teich ist prima. Perfekt!" Die Nymphe zuckte mit den schmalen Schultern, "außerdem ist es nicht zu weit vom, na ja, blöden Faun weg. Die Bengel können ja nichts dafür, dass ich mit dem Depp Knies habe." Valentejn drückte behutsam das kraftvolle Händchen, "das finde ich sehr rücksichtsvoll." Lahyrim grimassierte, "na ja, ich hoffte da noch, der würde sich von Mutti loseisen. Außerdem, so oft, wie ich mich damals schon in die Büsche schlagen musste, wäre ich ohnehin nicht mehr viel weiter gekommen." Obwohl es sehr unhöflich war, entwich Valentejn ein Glucksen. Seine Begleiterin grinste schelmisch zu ihm hoch, "praktisch denken, das habe ich gelernt. Übrigens auch, dass es hier den Kindergarten gibt! Ein Geschenk des Großen M, aber hallo!" Sie seufzte bis in die nackten Zehen, "ich hatte keine Ahnung, WIE anstrengend Kinder sind! Wenn sie mehr als ein Thema haben." Lahyrim blickte zu ihm auf, "ich mag die Bengel wirklich, aber manchmal rauben die mir den letzten Nerv. Und bei so gemischten Paarungen hast du keine Garantie für nix! Wundertüten!" Sie grummelte grimmig, "deshalb auch der Ärger mit dem Met-Aufstrich." Valentejn lauschte artig, denn das Verbot der Frage vom Vorabend war ihm noch erinnerlich. "Naturwesen vertragen keinen Met, außer, man will grundsanieren. Kein Scherz, da wird aus allen Rohren gefeuert!", Lahyrim schüttelte sich angewidert, "das ist kein Gerücht, habe ich selbst gesehen! Der blöde Faun bekommt natürlich Met, wobei es hier keine Honigbienen gibt, also frag besser nicht, was drin ist! Soll sich mal für zwei Stunden um seine Söhne kümmern! Kriegt der das hin?! 'Oh, mein Seepferdchen, sie waren so laut, da musste ich was unternehmen.' Hat ihnen Met-Aufstrich serviert!" Eine freie Hand stemmte sich in die schmale Hüfte, "ehrlich, hat der Kerl gar keinen Verstand?! Gut, sie haben nicht alles vollgekotzt und -geschissen, aber durchgepennt und dann Kopfweh! Katerstimmung, aber das bei Dreijährigen!" Valentejn blickte entsetzt herunter. Welcher Vater ließ denn seine Kleinkinder Alkohol konsumieren?! "Ich hockte also einen halben Tag im Medi, damit wir einigermaßen normal nach Hause ziehen konnten. Trotzdem entblödet sich der Depp nicht zu behaupten, der Aufstrich wäre bloß schlecht gewesen, sonst kein Problem!", empörte sie sich, funkelte zu Valentejn hoch. "Rockstar-Attitüden. Sex, Drugs and Rock'n'Roll", nickte Valentejn verständig. Lahyrim zog die Augenbrauen zusammen. "Oh!", eine Übersetzung musste her, "also, das ist so ein Motto, quasi geflügeltes Wort. Bekannte, berüchtigte Musiker leben angeblich so: Sex, Drogen und Alkohol, und eben eine etwas wildere Musikrichtung", dolmetschte Valentejn hilflos. Kannte man hier denn Rock'n'Roll? Möglicherweise sollte man Sex lieber nicht erwähnen, falls der depperte Faun...! Lahyrim wandte sich wortlos ab, zog ihn an der Hand weiter. Oh weia! "Entschuldigung", murmelte Valentejn kleinlaut. Lahyrim lachte leise auf, schmerzlich, "nein, du hast es genau auf den Punkt getroffen. Feiern, sich anschickern, Orgien! Wenn der Depp nicht so an Mutti hängen würde, käme es wahrscheinlich wirklich so, aber da er auch ziemlich bequem ist... Eigeninitiative ist nicht so sein Ding." Valentejn blieb trotzdem tapfer stehen, "es tut mir leid, Lahyrim. Ich hätte das nicht sagen sollen, das war sehr unsensibel. Entschuldige bitte." Sie blickte zu ihm auf, ein schiefes Lächeln auf den Lippen, "es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen, Valentejn. Ich wusste das, auch ohne die Ermahnungen meiner Mutter, ja selbst. Ich wollte es bloß nicht wahrhaben. Für eine Weile hat es auch Spaß gemacht." Die Nymphe straffte ihre zarte Gestalt energisch, "ich bin an meinen Eseleien gewachsen. Die Bengels sind ja meistens auch ganz in Ordnung. Hätte schlimmer kommen können." Valentejn blinzelte hilflos hinter seiner herabgerutschten Brille. Wie sollte er bloß die Stimmung aufheitern?! Bevor er jedoch die Flinte ins Korn werfen konnte, sein Unvermögen verwünschend, zupfte Lahyrim an seiner Hand, "he, wir haben noch ein wenig Zeit, bis ich meine ungezogene Brut auslösen muss! Lass uns noch mal tanzen, ja? Dieser Samba, den find ich klasse!" Schon wurde die umgehängte Schocklanze an eine Hauswand angelehnt. Etwas nervös blickte Valentejn sich um, denn sie befanden sich in einer etwas ruhigeren Gasse der Kleinstadt, "ähem, bist du sicher? Ich muss mitzählen, so ohne Musik. Wenn wir jemanden stören?" Lahyrim grinste zu ihm hoch, "was denn, Herr Zombie, fürchtest du dich?" Valentejn, derart herausgefordert und leider an seine verflixte Schüchternheit erinnert, schob energisch die Brille hoch, "na schön! Was kann mir schon noch passieren?! Darf ich bitten?" ~~~~*> Kapitel 7 Detorix überprüfte seinen Werkzeuggürtel, vielmehr den Inhalt. Regelmäßige Einsatzkontrolle, Reinigung, das gehörte einfach dazu. Den KaISch III hatte er schon gefüttert, immer noch keine wirklichen Neuigkeiten, nur Spekulationen und offene Fragen. Das half ihm nicht weiter. Thekla Anuphobis' Ansage dröhnte ihm mahnend im Hinterkopf: einer von Dreien! Ja, die verflixten zwei Kleiderhaufen respektive ihre Ex-Besitzenden! Doch niemand wurde offiziell vermisst, was zunächst positiv war, denn das Hinzufügen stellte sich nicht als dringlichstes Problem dar, momentan. Als Detorix die Membran abtupfen wollte zur Desinfektion, brummelte es vernehmlich. Stirnrunzelnd gab er die Tasche frei, zog den Kasten heraus. Winzige Käfer brummelten, schwirrten um die Membran und dotzten dann gegen die Haustür. Hmmm. Detorix erhob sich, tupfte eilig die Membran sauber, rollte sie ein und verstaute sie. Eine kalte Fährte, ganz sicher. Vermutlich führten die Käfer ihn bloß zum Nachbarhaus. Trotzdem. Ein Spaziergang konnte nicht schaden. Er zog sich rasch an, rüstete sich für die gemeingefährliche Menschenwelt aus und justierte seinen Bowler, das Pfefferminzbonbon in die Backe bugsierend. "Na schön, dann machen wir mal einen Ausflug!" ~~~~*> Valentejn registrierte einen Dauerzustand von Hilflosigkeit, wie zum Beispiel vorhin, beim Daimonenkindergarten, der selbstredend auch andere Sprösslinge aufnahm. Die ungezogenen Zwillinge, die ihn bespritzt hatten, zerrten ihn an den Hosenbeinen (höher als Kniescheibe kamen sie ja nicht) hinter sich her, um "ihren Zombie" vorzuführen. Ein ganzes Panoptikum an, nun, Miniatur-Ausgaben der Leute, umringte Valentejn neugierig. Um sich ein wenig Freiraum zu verschaffen, hatte er erneut den Flipflop-Schuhplattler hingelegt. Man staunte mit offenem Mund, lachte dann laut heraus. Valentejn wollte gar nicht wissen, was die Eltern später von Menschen dachten, wenn sie so etwas hörten! Ein dürrer, zappeliger Kerl mit abstürzender Brille, der auf der Stelle herumeierte und sich gegen die Knochen kloppte! Erstaunlicherweise war er NUN jedoch populär bei den Zwillingen, weshalb er mit ihnen und ohne Brille im Teich herumtoben und Sprüchlein aufsagen musste. JETZT schmerzten ihn die Arme vom "Abwerfen der Päckchen" und seine Stimme verabschiedete sich gerade Richtung Reibeisen. Lahyrim, die in der Zwischenzeit geübt nach Muscheln sah, Grünzeug erntete und Brotscheiben für das Abendessen säbelte, grinste, "sag ich nicht, dass Kindergärten ein Geschenk des Großen M sind?" Valentejn angelte seine Brille heran und hoffte, die Fütterung der hungrigen Raubtiere würde ihm eine Pause verschaffen. Mitleidig tätschelte Lahyrim ihm den Lockenschopf, bevor sie neben ihm Platz nahm, ihren Anteil am Abendessen servierte, "ich weiß auch nicht, woher die die Energie nehmen, aber mit ein bisschen Glück sind sie gleich so müde, dass sie ohne Geschrei einschlafen." Valentejns Achtung vor seiner Gastgeberin wuchs noch mal um mehrere Höhenmeter. Sie hatten so viel erledigt, waren ständig auf den Beinen gewesen: wie bekam sie das nur hin?! Lange konnte er aber nicht kontemplieren, weil die Zwillinge schon herangestürmt kamen und verlangten, dass "ihr" Zombie ihnen eine Geschichte erzählte! Valentejns völlig verschreckter Blick löste bei Lahyrim einen Lachanfall aus. ~~~~*> Detorix folgte, seine "Lesebrille" konsultierend, den winzigen Käfern. Zu seiner Verblüffung gruppierten sie sich nicht final vor dem Nachbargebäude, das noch immer abgesperrt war, sondern zuckelten gemächlich, aber unaufhaltsam mit ihm durch die Stadt. War die Fährte doch nicht so "kalt", wie er angenommen hatte? Was genau witterten sie? Die Drogen? Oder...? Er seufzte und blendete das lästige Donnern vorzeitig gezündeter Böller aus. Manche Leute waren selbst zu dumm, einen Kalender zu lesen! ~~~~*> Valentejn leistete Lahyrims Aufforderung Folge, mit ihm noch ein wenig neben dem Teich die Abwärme der beiden Sonnen zu genießen, obwohl es längst dunkel war, die Sterne schienen. Sie hatte sich auf seiner Armkuhle eingerichtet, seine andere Hand gekapert, um sich damit über den Bauch zu streichen, was Valentejn tat, behutsam, besorgt. Ging es ihr vielleicht nicht gut? "Darf ich dir eine blöde Mädchen-Frage stellen?", sie drehte den Kopf leicht zu ihm hoch, die blauen Löckchen längst dem Dutt entwischt, der schief auf ihrem Hinterkopf thronte. "Natürlich", nickte Valentejn, nervös, weil Lahyrim so ernst wirkte. "Gibt es wirklich niemanden auf der anderen Seite, der dir nahesteht?" Beinahe erleichtert schnaufte Valentejn durch, "oh, also, nein, nicht sonderlich." Sanft zog er Kreise über der Bauchpartie, ihre Verspannung durchaus registrierend. "Ich habe das Detorix auch schon erklärt, also, es ist keine zu heikle Frage", führte er beruhigend aus, "hmmm, na ja, mit meinen Eltern stehe ich schon ziemlich lange nicht mehr in engem Kontakt. Zwischen uns gibt es eigentlich keine Verbindung mehr. Ich bin nicht der Sohn, den sie erwartet haben, und ich habe mich auch nicht darum bemüht. Über die Jahre haben wir uns wohl einfach damit arrangiert." Ihre Finger schoben sich zwischen seine. Sonst, also, es ist dir, denke ich mal, aufgefallen: ich bin eher schüchtern. Oder unbeholfen. Mit Frauen. Oder Kindern", seufzte Valentejn, "früher hatte ich mal eine Freundin, zur Schulzeit, aber das habe ich vermasselt. Mich musste man auch immer zum Jagen tragen, quasi. Sie hatte den Plan. Ich wollte bloß studieren und weg von meinen Eltern. Mir war das wichtig. Heiraten, Familie und sonst so, nein, da bekam ich Panik und hab die Flucht ergriffen." Valentejn spürte den Händedruck. "Mir ging das zu schnell, und wenn schon, wollte ich mit MEINER Unzulänglichkeit mein Leben verpfuschen." Zugegeben, der Vorwurf hatte ihn gefuchst. Im Nachhinein betrachtet konnte er DEN zweifelhaften Erfolg jedoch für sich verbuchen. "An der Universität war vieles im Umbruch, wir waren euphorisch, wollten es wie unsere Vorbilder machen, etwas Tolles auf die Beine stellen, für viel Geld verkaufen", er seufzte leise, "die Idee war jedenfalls, genug Geld zu haben, um dann eigene Projekte verfolgen zu können, die Welt mit Technik besser zu machen. Naiv, ganz sicher. Ich wollte das glauben, das hat mich beflügelt, immer angetrieben. Wie in einem Rausch, alles lief, toller Job, Herausforderungen, ein Team, gemeinsame Unternehmungen." Bis ihn der Verkehrsunfall vollkommen aus der Bahn geworfen hatte. "Ich war vollkommen auf mich fokussiert. Danach war niemand mehr da. Ich wollte weitermachen, konnte aber nicht, brauchte Hilfe, kam aber nicht an sie heran. Hab irgendwie versucht, mich durchzulavieren, damit ich eine Therapiezusage erhalte." Lahyrim entzog sich ihm, setzte sich neben ihm auf, "was denkst du, warum hat der Strauchdaimon dich gerettet?" Valentejn blinzelte hoch, vermisste ihre Nähe, ihre Wärme, das Gewicht des zarten Körpers. "Vielleicht wollte er keine Scherereien", denn so ein Absturz, der sorgte ja nicht nur für Zerstörung und Dreck, sondern auch für Fragen, Getümmel rund um eine Bruchstelle zwischen den Welten. Gar nicht wünschenswert! Die Nymphe blickte auf ihn herunter, "er hätte dich einfach essen können." Wie die zwei mutmaßlich anderen Menschen. Valentejn blickte hilflos hoch, "ja, richtig. Ich weiß nicht..." Lahyrim ließ sich auf seinem Brustkorb nieder, so, wie sie zuvor geschlafen hatten. Zögernd, aber mutig drapierte Valentejn seine Arme um sie. "Ich werde mich bei ihm bedanken, dass er dich gerettet hat." Behutsam kraulte Valentejn durch die blauen Löckchen, "ich auch. Ich bin froh, untot zu sein." Er wartete darauf, dass sich Lahyrim entspannte, einschlummerte, doch ihr Herzschlag wurde nicht langsamer. Was beschäftigte sie wohl? Valentejn wagte es, sich zu erkundigen, "Lahyrim, ist dir nicht gut?" Die Nymphe entschlüpfte seinen Armen und kniete neben ihm, blickte ernst auf ihn herunter, seufzte, "ich ringe gerade ziemlich mit meinem Arbeitsethos." Verwirrt stemmte Valentejn sich ebenfalls hoch. "Ah. Ähem, weshalb?", erkundigte er sich nervös. Wahrscheinlich hatte er doch etwas angestellt! Hätte er vorhin bloß nicht diese Rockstar-Attitüde erwähnt! Lahyrim grimassierte, legte ihm eine kleine Hand auf die magere Wange, "wenn du dich jetzt sehen könntest! Du hast nichts angestellt, Valentejn." Der fühlte sich trotzdem wie ein unzulänglicher Schulbub. Die Nymphe wischte sich wirre Löckchen auf den Rücken, visierte ihn dann an, mit einem schmerzlichen Lächeln, "sieh mal, ich hab eine definitive Schwäche für haarige Burschen, die tanzen können. Ich merke, dass ich DIR nachsteigen will, aber das verstößt gegen meine Mee-Poo-Pflicht, sogar erheblich. Bloß bin ich gerade ratlos, wie ich das Dilemma lösen soll." Valentejn blickte auf sie herunter. Es dauerte eine Weile, bis er begriff und trotz Untoten-Status rot anlief, "oh! Verstehe. Oh, ähem." Lahyrim massierte sich wieder grimmig, mit abgewandtem Gesicht, die Bauchpartie. "Wirst du mich wegschicken?", seine Stimme klang so hohl und brüchig, wie Valentejn sich auch fühlte. Er erhielt keine Antwort. Tollkühn beugte er sich vor, schmatzte auf eine zarte Wange, "bitte nicht! Bitte lass mich bei dir bleiben!" Lahyrim blickte ihn an, grollend, "hör mal, Valentejn, ich bin ziemlich aus der Übung, aber ein ENTHUSIASTISCHER Naturgeist, ja? Das bedeutet, dass ich mich nicht mit vornehmer Zurückhaltung auszeichne." Valentejn dolmetschte hastig, seine Unfähigkeit verwünschend, weibliche Botschaften subtiler Natur zu dechiffrieren, "möchtest du vielleicht, unter Umständen?" Die Nymphe legte die freie Hand auf seinen Schritt, funkelte ihn aus großen, blauen Augen an. "Das war hoffentlich eine rhetorische Frage", warnte sie ihn finster, senkte dann den Kopf, entzog sich Valentejns Blick, "wenn du nur nicht so verschreckt gucken würdest! Ich komm mir vor wie ne Schurkin!" Hastig legte Valentejn ihr die Hände auf die schmalen Schultern, "entschuldige! Ich bin nur nervös und auch sehr ungeübt." Außerdem noch untot. So ganz sicher war Valentejn sich nicht, dass...oh! OH! Er schnappte nach Luft, weil Lahyrim herausfand, ob sich überhaupt ein Grund für Vorfreude unter der Badehose verbarg. "Hilf mir mit dem Kleid, ja? Bei meinem Geschick verheddere ich mich noch mit den Haaren", erteilte Lahyrim ihm Anweisungen, ließ sich dann auf seinen Oberschenkeln nieder. Valentejn, der eigentlich keinen Bedarf mehr hatte, japste. Standing Ovations, quasi. "Oh, wow! Fühlt sich gut an", kommentierte Lahyrim, die mit beiden Händen "arbeitete", was Valentejn auf den Rücken beförderte, da seine dürren Oberschenkel zuckten. Er presste die Lippen aufeinander, um nicht vor Lust aufzustöhnen, legte sich die Hände aufs Gesicht. "Foul", stellte die Nymphe fest, etwas heiser, pflückte seine Hände ab, legte sie sich auf den Oberleib, "spiel mit, sonst gibt es kein Frühstück!", drohte sie ihm mit blitzenden, leicht verschleierten Augen. Valentejn entrang sich ein Glucksen, was seine nervöse Verspanntheit etwas reduzierte. "Hilf mir", eine klare Ansage. Er nickte mutig, spürte ihren warmen, soliden, weichen Körper in seinem Zugriff. Außerdem, wenn sie Hand, Hände anlegte, durfte er sich nicht lumpen lassen! Zudem, Fahrradfahren verlernte man ja auch nicht, oder? Sie war so schön und sexy und herausfordernd!! Er stöhnte auf, hörte Lahyrim ebenfalls ächzen. Kein bisschen ätherisch, sondern solide, wie eine, nun, normale Frau, die dafür sorgte, dass er ihr Lust bereitete und nicht wie eine tote Sardine herumlag, flaggte und nur die eigene Erfüllung anstrebte! Für einen Augenblick spürte er die alte Überforderung. Tat er ihr nicht weh? Oder erwies sich als egomanische Lusche? Uh, sie hatten gar kein Kondom! Wenn er sie jetzt schwängerte... Aber Lahyrims ekstatisches Stöhnen verdrängte diese rationalen Anflüge restlos und Valentejn musste sich sehr urtümlichen, lange vernachlässigten Impulsen geschlagen geben. ~~~~*> Lahyrim lag auf seiner haarigen, nackten, dezent verschwitzten Brust. Ihr rascher Herzschlag und die Atemzüge spiegelten seine eigenen, wenn auch untoten, Empfindungen. "Großer M", stellte die Nymphe heiser fest. "Uh, hab ich dir wehgetan?", schreckte Valentejn aus post-koitaler Seligkeit hoch. Lahyrim lachte, ein wenig atemlos, "ich dachte, nach der Geburt der Zwillinge, aber...WOW!" In diesem Moment dämmerte Valentejn, dass er möglicherweise Adressat eines Kompliments wurde. "Oh. Hat es dir gefallen?", auch wenn er nun nicht wirklich sehr aktiv mitgetan hatte. Eine Hand fasste tiefer und griff zu. Prompt stöhnte Valentejn auf. "Noch mal, Valentejn, ja?" Der hätte gern auf gewisse Bedenken hingewiesen, aber der Zugriff zeitigte bereits Wirkung! Die Nymphe setzte sich auf, ohne ihn an neuralgischer Stelle freizugeben, "wir tauschen, du oben, ich unten." Valentejn rang mit sich, denn seine Koordination funkte Blutunterversorgung oder Magie-Stau, weil Lahyrim gewissermaßen prominent Aufmerksamkeit konzentrierte! Sie lächelte ihn jedoch mit halb gesenkten Lidern an, ließ sich nach hinten sinken, den freien Arm um seinen Nacken schlingend, was wegen der Größenunterschiede eine gewisse Beweglichkeit forderte. Valentejn kniete breitbeinig, sich mühsam besinnend, "ist das für dich auch wirklich...?" Lahyrim versiegelte ihm gründlich die Kommunikationsquelle. Zugegeben, ein großartiger Küsser war an ihm nicht verloren gegangen, was der Schmatzer ja peinlich demonstrierte, aber... Die Nymphe fand, dass Übung den Meister machte und natürlich auch davon ablenkte, dass sie von Valentejn ein weiteres Mal verwöhnt zu werden wünschte, der wirklich, also, Großer M!!, die richtige Ausstattung und die richtige Einstellung mitbrachte, sich nämlich aufmerksam zeigen zu lassen, was IHR sehr gefiel! ~~~~*> Detorix mümmelte das dritte Pfefferminzbonbon. Er dachte nicht mehr »komisch!, sondern ziemlich grimmig sehr unerfreuliche Tatsachen. In seiner Tasche fand sich eine Liste, Punkte, bei denen die Käfer wie zuvor beim Keller im Nachbarhaus größeres Gesumme und Gebrumme veranstaltet hatten. Detorix fühlte sich wie bei dieser modernen Schatzsuche, Geo-Caching. Nun stand er, bereits in Nebelschwaden, spät am Abend vor einem Werksgelände, ehemalig, denn die aufgegebene Schuhfabrik, ein schöner Backsteinbau, beherbergte ein exklusives Restaurant der modernen Sorte. Hyper-modern. Letzter Öffnungstag am vierten Advent, danach bis nach den Heiligen Drei Königen im neuen Jahr geschlossen! Für die Belegschaft Familienpause, Urlaub, Erholung. Eigentlich jedoch die höchste Zeit des Umsatzes, denn viele Leute gingen ja an den geballten Feiertagen lieber aus, doch hier hielt man es anders, konnte sich das wohl auch leisten. Das Restaurant war geschlossen, die Küche kalt und man konnte zugehängte Möbel erahnen. Regelmäßig wurde auch die Dekoration, Second Hand, verändert. Detorix hatte davon gelesen, befand sich jetzt jedoch zum ersten Mal vor dieser Örtlichkeit. Was wollten die Käfer hier? Aber er kramte aus seinem Werkzeuggürtel andere Helfer heraus. Die legten die Stromkreise der Alarmanlage schlafen und ließen ihn auf das alte Fabrikgelände. Die Nebelschwaden halfen nicht bei der Orientierung, aber seine Lesebrille ließ ihn nicht im Stich, führte ihn um das Gebäude herum. Plötzlich erinnerte sich Detorix wieder. Genau! Verfügten die Betreiber nicht auch über eine Destille und eine Lizenz zum Brennen von Obst- und Kräuterschnaps? Das konnte das kleinere Gebäude dort sein! Durch ein Fenster erkannte er eine kupferfarbene Kuppel. Detorix rückte seinen Bowler zurecht. Kalte Fährte, von wegen! Wenn er jetzt mal kombinierte, könnte sich hier die Drogenküche befunden haben, wo niemand etwas merkte, weil ja schon seit einigen Tagen alles geschlossen war! Jetzt musste er sich bloß überlegen, wie er die Polizei... Detorix taumelte nach vorne, registrierte vage das Reißen von festem, widerstandsfähigem Stoff. Ohne seinen Werkzeuggürtel hätte ihn der Stich mit dem Stilett tödlich getroffen, doch bevor er Widerstand erwägen konnte, zückte sein Angreifer ein knisterndes Kästchen. ~~~~*> Valentejn fühlte sich extrem lebendig, nicht nur für einen Untoten. Mutmaßlich sollte er ja nun gar nicht..., aber offenkundig ließ sein Betriebssystem auf "Magie" keine Wünsche offen! Lahyrim lag nackt und sehr entspannt auf seiner Brust, in seinen Armen. "Großer M, ich danke dir", murmelte sie mit rauer Stimme. Valentejn gluckste leise. Er fühlte sich durchaus ein wenig einbezogen in diese Danksagung, "Lahyrim?" "Hmmm?", sehr schläfrig und sehr sexy. "Schick mich nicht weg, bitte." Eine Hand grub sich in seinen Brustpelz. "So viel Verstand hab ich noch. Gerade so", grummelte sie. Valentejn grinste. "Danke", wisperte er und hob den Kopf an, den blaulockigen Schopf zu küssen. "Nichts zu danken. Kannst auch nicht zu Mutti entwischen", mühsam robbte sich die Nymphe höher zu ihm, ächzte ermattet auf seiner Schulter. Behutsam drehte Valentejn sich auf die Seite, Lahyrim in seinem Arm bergend. "Lass mich dein Zombie sein, bitte", dippte er einen Kuss auf ihre Lippen. "Geht klar. Nur brauch ich jetzt Schlaf", blinzelte sie, kuschelte sich an ihn. Valentejn wartete noch eine Weile, bis er sicher war, dass sie nicht aufwachen würde, dann bugsierte er sie vorsichtig auf seine Arme und transportierte sie in die Grotte. Die Kleider würde schon niemand stehlen. Im Zwielicht der Gneis-Glitzer betrachtete er die Märchengestalt auf seiner Brust. So schön, so wunderschön! Der Tanzkurs hatte sich DEFINITIV gelohnt! ~~~~*> Kapitel 8 Detorix schlug die Augen auf und mochte ganz und gar nicht, was er da sah, denn es war ihm nicht vertraut. Außerdem pochte sein Schädel, und weiter unten, autsch! Trotzdem. Er rollte sich auf die weniger leidende Seite und saß, wenn auch wacklig. »Krankenhauszimmer«, detektierte sein Verstand. In den beiden anderen Betten röchelte/schnorkste man vor sich hin. Mit Ingrimm tastete Detorix nach seiner Stirn: Druckverband. Das erklärte zumindest das enervierende Hämmern. Vorsichtig drehte er den Kopf, die Zunge gegen den Gaumen pressend. Uh, ihm wurde flau, doch ein paar Mal schnaufen half. Igitt! So ein grässliches Hemd ohne Knöpfe, sprich hinten offen! Nicht euphorisch gestimmt pellte er die anhängliche Decke ab und lupfte den Saum: noch ein Verband, und untenrum war er entblößt, kein Zustand, den Detorix goutierte. Wo waren seine Kleider?! Und, oh Großer M, der Werkzeuggürtel! Entschlossen kam Detorix auf die nackten Füße, nicht angenehm bei dem kalten Boden und auch bei seinem Kreislauf nicht beliebt, doch die wachsende Panik trieb ihn an. Ohne seinen Werkzeuggürtel! Wenn jemand den gefunden und zerlegt hatte! Auf dem Tisch, zwischen zwei Stühlen, thronte sein Bowler, davor, trügerisch harmlos zusammengeklappt, seine Lesebrille. Hastig, sich abstützend, setzte Detorix sie auf, ignorierte das blöde Pflaster auf der Stirn. Im Hutband des Bowlers steckte ein Zettelchen, unbeschriftet, dem Anschein nach. Die Lesebrille verriet ihrem Träger jedoch die Notiz: [Sag, du hast ein Licht gesehen. Dann weißt du nichts mehr. P.S. Du schuldest mir was.] Detorix plumpste unelegant auf das Krankenhausbett. Verflixt noch eins! SO hatte er sich das nicht vorgestellt! ~~~~*> Valentejn schreckte vom Geschrei der Zwillinge auf, die mal wieder ihre Mutter beim Frühstück auf die Palme brachten. Eilig angelte er sich eine Bermudas heran und erhob sich, um den Stand der Dinge zu erkunden. Zwei Heulbojen beschallten die Grotte, während Lahyrim, die Hände in die schlanken Hüften gestützt, definitiv derangiert, fauchte, "kommt nicht in Frage! Da könnt ihr noch so plärren!" Zornig wandte sie sich ab, stürmte hinaus und man hörte nur noch ein Platschen. "Guten Morgen", versuchte es Valentejn in die eintretende, bleierne Stille. Verheulte Gesichter inspizierten ihn, zudem noch beschmiert mit dem Frühstücksmenü. "Du bist nicht unser Vater!", stellte der Klagechor bedrohlich fest. Valentejn raufte sich kurz die Locken und justierte die Brille. Wirklich, er freute sich schon auf das neue Modell von Ludmilla. "Stimmt", bestätigte er aufgeräumt, pickte aus den Trümmern Nahrhaftes. "Wir können jederzeit zu unserem Vater gehen!", behauptete das Duo quengelig. Geübt mischte sich Valentejn einen Spritzer Nektar in sein Wasser, schluckte, "ist der denn in der Nähe? Mit seiner Tournee?" Seine sachlichen Fragen schienen den Dampf der beiden Schreihälse abzulassen. "Fast! Beinahe!" Valentejn kaute. "Wollt ihr den Kindergarten ausfallen lassen? Ich meine, man muss ja hin und dann zurück gehen", wies er auf eine Komplikation hin. Die Zwillinge zögerten, aber sie schienen in ihm einen Komplizen zu vermuten. "Wird auch schon spät, oder?", deutete Valentejn auf ein kleines Loch in der Decke, das eine improvisierte Sonnenuhr an der Wand bediente. "Ist vielleicht besser, den Besuch zu verschieben, um es richtig zu planen", schlug er vor, eine zweite Brotscheibe bestückend. In den Zwillingen arbeitete es sichtlich, dann, auf Kommando, erhoben sie sich, "wir müssen jetzt los, Zombie." Valentejn nickte bloß, verzichtete auf jeden Hinweis einer fälligen Gesichtsreinigung. Wenn man bekleckert im Kindergarten auftauchte und von ANDEREN gemustert wurde, lektionierte das stärker als jede Ermahnung der Eltern! Er räumte auf, machte sich selbst ausgehfein und trat dann aus der Grotte. Nur ein vager Schimmer verriet ihm, dass Lahyrim noch im Teich tauchte, ausputzte, erntete und langsam ihre Wut durch Arbeit abbaute. Valentejn ließ sich am Ufer nieder und wartete geduldig, bis die Nymphe endlich, tropfnass, grimmig zu ihm watete. "Guten Morgen", wünschte Valentejn mit einem zögerlichen Lächeln. Lahyrim fauchte und warf sich ihm an den Hals, mit Schwung, weshalb er auf den Rücken kugelte, sie aber fest in seinen Armen hielt. "Die Brut macht mich noch wahnsinnig", ließ sie ihn wissen. Valentejn fand, ganz egoistisch, dass er selbst einen Anteil erkämpfen musste, weshalb er sie höher schob und küsste, ausreichend lange und intensiv, das Trommelfeuer ihres Herzens zu spüren. "Erst mal rettet uns der Kindergarten, dann sehen wir weiter", lächelte Valentejn aufmunternd in ihr Gesicht. "Oh, verflixt!", murmelte Lahyrim, löste sich von ihm, versuchte, ihren Dutt zu ordnen, "ich komme noch zu spät! Und, oh, nein, man wird mir ansehen...!" Kleidsame Schatten färbten ihre bläulich-grünlichen Wangen. Valentejn grinste, auch wenn es ein sehr unfeiner Impuls war, "du bist wunderschön, Lahyrim. Das wird man sehen." Die Nymphe schnaubte und klemmte ihm tadelnd die Nasenspitze ein, "ich werde besser gleich gestehen, was ich angestellt habe!" Sie seufzte, wandte sich aber nicht von ihm ab, sondern stützte sich auf seinen Brustkorb, "die Vorstehende des Friedensgerichts wird so was von sauer sein! Mein erster Auftrag, voll vergeigt!" Valentejn kaperte ihre Hände, "es ist nicht deine Schuld! Außerdem, sich zu verlieben, das ist doch kein Verbrechen!" Lahyrim grummelte, "aber es sieht unprofessionell aus, Valentejn! Überhaupt, du bist ja nicht mal eine Woche hier!" Das konnte man nicht bestreiten, trotzdem fühlte sich Valentejn sehr geknickt. Da sackte Lahyrim einfach auf ihn herunter, "jetzt schau doch nicht so! So eine Lektion war nicht Bestandteil meiner Ausbildung." Valentejn gab ihre Hände frei und umarmte sie einfach. "Wir gehen zusammen hin. Sie wird schon nicht zu böse sein, immerhin ist das ja fast eine Integrationsgarantie, nicht wahr?", argumentierte er entschlossen. Lahyrim seufzte, schmiegte sich an, "jetzt hab ich auch noch Hunger", drang kläglich an Valentejns Ohr. Der schmunzelte, hielt Lahyrim fest und erhob sich mit steigender Übung, küsste sie, zwinkerte in das grämlich-verschämte Gesicht, "dann kümmern wir uns darum zuerst. Alles weitere findet sich schon." Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühlte er sich befähigt, größere Verantwortung zu tragen und das auch GENAU SO zu wollen. ~~~~*> Detorix wollte auch, nämlich SOFORT nach Hause. Andere teilten diesen Wunsch nicht. Zunächst mal das Personal, das ihn in Kenntnis setzte darüber, was für ein Glück er gehabt hatte. Danach fühlte es sich nicht gerade an. Außerdem verlangte es Detorix nach angemessener Bekleidung, nicht nach einem hinten geöffneten Kittel! Doch seine sämtlichen Bekleidungsstücke minus Bowler und Schuhen befanden sich bei der Kriminalpolizei, die dann, seine Vernehmungsfähigkeit begrüßend, auch anrückte. Detorix hielt sich an das unsichtbare Skript: Spaziergang, unerwartetes Licht, Restaurant doch eigentlich geschlossen, dann Betriebsabsturz. Glück für ihn, dass ein anonymer Hinweisgeber seinen Beinahe-Mörder verscheucht und den Rettungsdienst alarmiert hatte! Sonst wäre er mausetot! Der Name seines Angreifers sagte Detorix gar nichts und es missfiel ihm auch, was die nachmittäglichen Presseveröffentlichungen am letzten Tag des Jahres meldeten! Demnach hatte die Polizei unzählige Verstecke der gesuchten Drogen-Münzen gefunden, die tatsächlich im Restaurant produziert und gepresst worden waren. Ein anonymer Tippgeber hatte nicht nur eine Liste der Fundorte eingereicht, sondern auch eine tödliche Attacke verhindert! Detorix knurrte, denn EIGENTLICH hatte er ja wohl auch einen nicht zu unterschätzenden Anteil geleistet. Den Angreifer, den man aufgegriffen hatte, zeichneten jedenfalls Größenwahn, Geltungsdrang und andere Störungen aus. Akribisch vorbereitet sollte sein "Finde das Drogenversteck"-Spiel dazu führen, Klein-Dealer auszustatten, die damit zu Veranstaltungen zogen, um möglichst viele Leute umzubringen, die sich dort tummelten, während man ihn nicht reinließ. Hätte man ihn nicht mit Elektroschocker, einem Stilett und Anhaftungen der Drogen aufgegriffen, leicht desorientiert ob eines Schlags ins Genick, wäre man seinem vermeintlichen Genie NIE auf die Schliche gekommen!! Detorix rieb sich an der Stirn, weil der Verband juckte. Er war mit dieser Platzwunde und einer genähten Fleischwunde davongekommen, weil der abgängige Werkzeuggürtel Schlimmeres verhindert hatte. Jetzt dachte Detorix, das grässliche Mahl ignorierend und seine Bettnachbarn verwünschend, nach. Draußen böllerte man Feuerwerk, zählte schon die Stunden bis zum Wechsel. Er wollte hier raus, hatte aber keine Kleidung! Wehtun konnte ihm alles auch zu Hause. Also, wenn der Kerl versucht hatte, ihn abzustechen und zur Sicherheit noch einen Elektroschocker zum Einsatz brachte, konnte es denn sein, dass die beiden Vermissten schon auf sein Konto gingen? Gezögert hatte der Soziopath ja keinen Augenblick. Gestanden allerdings auch nicht, wie man meldete. Detorix knurrte, weil er den KaISch III nicht mit diesen neuen Erkenntnissen füttern konnte. Außerdem hatte er die Liste nicht mehr. Gab es eine Gemeinsamkeit bei den Verstecken? Hatten die beiden glücklosen Verputzten vorzeitig das Versteck entdeckt? Schon gekostet? Wieso war dieser Soziopath ihnen gefolgt? Bei so vielen Fundstellen, gab es vielleicht eine elektronische Überwachung? Oder einen, na ja, Piepser bei den Drogen, wo man per Satellitenortung...? Aber nein, den hätte er ja gefunden! Detorix schnaubte frustriert und vermisste seine Pfefferminzbonbons. ~~~~*> Die Vorstehende des Friedensgerichts Thekla Anuphobis äugte in den Schützengraben, sehr intensiv, was bei acht Augenpaaren keine Kunst darstellte. Die Subjekte ihrer Betrachtung hielten Händchen und wirkten merklich erschüttert. "Nun, Szenarize Detorix ist zwar verletzt, aber auf dem Weg der Besserung. Offenkundig muss ich mit IHM ein paar Worte über Amateur-Detektive wechseln", ergänzte sie grimmig, dann trommelte sie einen Marsch auf das Pult. "Schön, sollen wir auf Gerichts-Typse warten? Dann könnt ihr es gleich amtlich machen." Unten blickten Valentejn, Untoter/Zombie und Lahyrim, Nymphe und Teilzeit-Mee-Poo, verdattert hoch. Thekla Anuphobis seufzte vernehmlich, "ich will doch sehr hoffen, dass es ein ordentliches Verhältnis ist?!" Mit der unordentlichen Variante hatte Lahyrim ja schon genug zu bewältigen, fand sie. Valentejn nickte so sehr, dass man befürchten musste, ihm falle der Kopf gleich herunter. Anderseits saß die neue Brille bombenfest und stand ihm durchaus gut. "Gut, dann steht es schon 2 zu 1", sie knackte mit den Mandibeln und winkte ihrem arglos hereinspazierenden Gerichts-Typse zu, "kauen Sie leiser, wir müssen rasch noch die Heirat registrieren." Die Backen prall schwang der die Hämmerchen und summte gedämpft die ersten Takte einer sehr bekannten Melodie. Über ihm grinste Thekla Anuphobis amüsiert auf zwei nervös-glückliche Gesichter herunter. Szenarize Detorix würde es ordentlich fuchsen, DAS HIER nicht arrangiert zu haben! ~~~~*> Detorix seilte sich ab, nicht wörtlich, er benutzte die Treppe und dann die Automatiktüren. Irgendwer hatte ihm nicht nur seine Kleidung beschafft, sondern auch die zwei Schlüssel, sodass er unerlaubt ausrücken konnte, wenn auch mit zusammengepressten Lippen. Die Platzwunde störte zwar den korrekten Sitz des Bowlers, aber die Stichwunde schmerzte doch enervierend, weshalb er langsam gehen musste. Irgendwer war IN sein Heim eingedrungen. Der Irgendwer, der wohl auch den Werkzeuggürtel einkassiert hatte. Wieso hatte der Strauchdaimon das zugelassen? Mutmaßlich ein autorisiertes Eindringen? Detorix schnaubte. Um ihn herum sammelten sich schon einige Grüppchen. Zwei Stunden bis Mitternacht. Albern. So ein Zirkus. Das hob seine Laune nicht gerade, denn man hatte einen Möchtegern-Massenmörder und -Drogen-/Giftmischer einkassiert (mutmaßlich). Reizend. ER hätte dem Kerl gern mal den Riechkolben neu justiert, im Hinterkopf beispielsweise, aber das löste ja die Rätsel noch nicht. »Einer von Dreien«, dachte Detorix angesäuert. Er wollte gar nicht wissen, was die Vorstehende des Friedensgerichts ihm unter die Nase zu reiben beliebte. Da konnte man sich gerade mal die eigene Decke über den Kopf ziehen! ~~~~*> Valentejn hielt Lahyrim an der Hand. "Sagen wir es ihnen gleich?", erkundigte er sich, hielt vor dem Kindergarten inne. Die Nymphe war gedrückter Stimmung, auch wenn es Detorix besser ging. Natürlich hätte sie ihm nicht in die Menschenwelt folgen können, doch dass er verletzt wurde, während sie zusammenarbeiteten...! Valentejn beugte sich ein sehr gutes Stück tiefer und küsste sie sanft. "Ich hab heute so gar keine Lust mehr auf Geschrei", ließ Lahyrim ihn wissen. Er nickte verständnisvoll. Schön, so eilig hatten sie es auch gar nicht und er musste ja noch den Komplizen bei den Zwillingen geben, in einem sicheren Rahmen, deshalb hielt er unerschrocken auf den Zaun zu, der die Außenfläche abgrenzte. "Oh, der Zombie! Hallo, Herr Zombie!" Valentejn grüßte mit der freien Hand und nahm die Zwillinge ins Visier, "habt ihr für heute genug? Muss ja ein Weilchen vorhalten, nicht wahr?" Er spürte Lahyrims verspannten Händedruck und morste zurück. Die Zwillinge grollten zwar, wollten aber nicht aus der Rolle fallen und auch gewiss nicht an den Händen ihrer Mutter laufen, weshalb es eine recht grimmige, schweigsame Prozession zu beobachten gab. Am Teich hielt Valentejn Lahyrim einen Augenblick fest, "lass mich mit den Jungs sprechen, ja? Wegen der Sache von heute Morgen." Lahyrim grummelte leise, nickte schließlich. "Na schön. Ich hab ohnehin noch was zu erledigen", steif stapfte sie in den Teich. Valentejn lächelte und folgte den Zwillingen in die Grotte, wo er, ganz Informatiker, die Liste der Punkte abhakte, die den Besuch des Vaters auf Tournee ermöglichen sollten. Was die kurzen Revoluzzer durchaus anstrengte, denn mit Fünf war man dann doch nicht SOOOOO unabhängig... ~~~~*> "Das geht nicht!", protestierte Lahyrim aufgebracht, die Arme vor der Brust kreuzend. Valentejn, der brav vor ihr auf dem Boden hockte, blinzelte hoch, "warum nicht?" "Mein blöder Ex wird sie direkt bei seiner Mutter abladen!" Valentejn nickte höflich und wartete. Lahyrim studierte ihn grimmig. "Reichlich hinterhältig", stellte sie fest. Die Hände hoch reichend wich Valentejn dem finsteren Blick aus den großen, blauen Augen nicht aus, "Familie kann man sich nicht aussuchen. Es könnte helfen, beim Urteil darüber, wo und mit wem man leben möchte." Die Nymphe schnaubte. "Ein Versuch ist es wert, meinst du nicht?", Valentejn gab nicht auf. Das Gras auf der anderen Seite des Zauns schien IMMER grüner zu sein. Erst, wenn man mal den Zaun überwunden hatte, konnte man seine Sinne feinjustieren. "Wenn es schiefgeht?! Wenn der Idiot sie wieder mit Met-Aufstrich ruhigstellt?!" "Oder wenn sie lieber bei ihm bleiben wollen?", ergänzte Valentejn tollkühn. Bevor Lahyrim ihn aufgebracht stehen lassen konnte, umschlang er sie, hielt sie fest, "das weißt du erst mit Sicherheit, wenn sie mal die Wahl hatten, Lahyrim. Es klärt die Fronten. So können sie ihn weiter idealisieren und dein schlechtes Gewissen befeuern." Die Nymphe schlug ihm wütend auf die Schultern, "wer bist du, und wo ist der Valentejn, der so verunsichert und bange war?!" Sie zog die Nase hoch und blinzelte Tränen weg. Valentejn lächelte schief, "das bin immer noch ich. Ich bin sehr verliebt in dich, Lahyrim, deshalb möchte ich, dass deine Jungs verstehen, was für eine tolle Mutter sie haben. Betriebsblindheit kam man kurieren, wenn man mal den Betrieb verlässt", ergänzte er leise. Lahyrim trommelte ihm noch ein paar Mal auf die Schultern, pro forma, "gut. Schön. Mist. Gefällt mir nicht, auch wenn es eine clevere Idee ist", verkündete sie schließlich, ließ sich in Valentejns Arme sinken. Der tupfte Küsse auf, hörte Lahyrim nach einer Weile murmeln, "bist du auch so müde? Boah, der Tag heute hat mich wirklich geschlaucht!" Valentejn lachte leise und pflückte Lahyrim vom Boden. "Dann schlafen wir, und morgen sieht alles besser aus", raunte er zärtlich, genoss die dünnen Arme, die sich vertrauensvoll um seinen Nacken legten. Er fürchtete sich nicht davor, die Zwillinge morgen zu ihrem Vater zu begleiten. Wenn Lahyrim nicht übertrieben hatte, würde es nicht lange dauern, bis die kleinen Racker wieder abgeholt zu werden wünschten und in der Zwischenzeit konnte er Lahyrim beweisen, dass er auch als Zombie nützlich war! ~~~~*> Ziemlich ausgepumpt erreichte Detorix sein trautes Heim. Der Strauchdaimon raschelte munter. Detorix knurrte, "denk dran: Böller NUR zurückpfeffern wenn dich keiner sieht." Heute war er nämlich nicht in der Stimmung, dem Strauchdaimon allzu strenge Zügel anzulegen. Drinnen war es mollig warm, was ihn ein wenig versöhnte, denn er vermisste den gewohnten doppelreihigen Seebärenkurzmantel. Der alte Anorak saß ein wenig, nun, spack, nicht nur wegen des Verbands. Man sollte sich endlich mal davon trennen, aber für die Altkleidersammlung war er dann doch zu abgetragen! Detorix gönnte sich einen Kaffee, denn bei dem Radau in weniger als einer Stunde, der wahrscheinlich noch drei Stunden anhalten würde, da konnte man kaum schlafen! Außerdem verspürte er Hunger, weil das Krankenhausmenü für unerwartete Kurzbesucher nicht SEINEM Geschmack entsprach. Erst zwei Kekse aus der Notration, dann, ja, eine deftige Suppe! Oder eher Eintopf, wenn er sich umgezogen und grimmig sein Büro behaust hatte, übellaunig die letzten Pressemeldungen aufnotierte, dem KaISch III eintrichterte. Per Rohrpost die süffisante Mitteilung erhielt, die Thekla Anuphobis habe den Bund der Ehe für Lahyrim und Valentejn hämmern lassen. Detorix schnaubte, rieb das Pflaster und seufzte. Nun, so ganz unerwartet kam das nicht, nicht, wenn man die Details in Betracht zog. Eigentlich fand er es gut. Die Nymphe konnte bei den Bengeln Unterstützung brauchen, der Ex-Mensch litt unter einem Trauma und einem erheblichen Zuneigungsdefizit. In seinen "Hausanzug" gewandet, was sich durchaus als mühsam herausgestellt hatte, schlappte Detorix die Stiege zur Wohnküche herunter, schöpfte sich Eintopf in eine Schüssel. Als er gerade Platz nehmen wollte, schob sich eine hochgewachsene, völlig in fließendes Schwarz gekleidete Gestalt hinein. "Puh! Wird gleich neblig wie Erbsensuppe!" Detorix starrte ungläubig auf den Eindringling. "Darf man fragen, was das werden soll?!", erkundigte er sich bissig, Richtung Schirmständer lavierend. "Oh, sicher, Augenblickchen, Moment, gleich hab ich's", der Mantel flog in einer eleganten Bewegung herab, die Maske wurde gelüftet. "Ach du Schande", stellte Detorix fest und wurzelte perplex an. "Also, das ist jetzt ein klitzekleinwenig übertrieben!", behauptete sein unerwarteter Gast, schnupperte begehrlich, "hmmm, das riecht aber lecker. Kann ich auch ein Schüsselchen bekommen?" Detorix glotzte fassungslos. Vor ihm stand das, was sonst kitschige Liebesromane illustrierte, ein perfekt modellierter, eindeutig männlicher Körper, volles, leicht gewelltes Haar, markante Züge, allerdings in Nuancen von Pink, sah man von der weichen Mähne ab, die seidig-weiß schimmerte. Die Kombination, mit der man Plastik-Viecher an kleine Mädchen vertickte. Zugegeben, mit anderen Gestalten. "Ähem, oh, nicht erschrecken, die schnall ich noch ab! Meine Erfindung! Übelenergie-Katalysatoren! Weil, also, vielleicht ist es dir entgangen, ich bin jetzt kein Energie-Daimon, so, per se, von Haus aus, quasi gebürtig", man strahlte, NATÜRLICH, mit perfekten Beißern in die Gegend. Detorix blinzelte mühsam. "Ah, du fragst dich sicher, warum der Tanga, richtig? Also, mein Kapuzenumhang, der hier, den habe ich beschichtet! Prima Qualität, Temperaturausgleich, wasserabweisend. Wenn ich so die Waben hier trage, in denen der Kat ist, also, da wird mir schon warm." Detorix zweifelte nicht daran, dass ANDEREN auch warm wurde, um nicht zu sagen heiß. Wobei der Malabsorbo vor ihm üblicherweise von der menschlichen Bevölkerung nicht gesehen werden konnte. "Ach so, Verzeihung, ich habe mich ja gar nicht bekannt gemacht! Wollte ich gestern Abend schon, aber da war es ein wenig hektisch. Also, sehr angenehm, ich heiße Artemis!" Artemiiii gesprochen, stimmloses S, dozierte Detorix stumm, der sich fragte, ob die Eltern wussten, dass Artemis die WEIBLICHE Variante der ebenfalls WEIBLICHEN Diana war, Göttin der Jagd. "Uh, und, na ja, weil ich dich gestern gerettet habe und du in einem solchen Märchenschloss wohnst, also, will sagen..." Detorix starrte hilflos auf eine ausgestreckte Hand. Sie portierte ein großes Päckchen Pfefferminzbonbons und der (wenn auch farblich völlig derangierte) Cover-Sexgott von Liebesromanen deklamierte mit leichtem Akzent, "oh, mit Pfeffermiiinz, bin iiiich dein Märchenpriiiinz!" ~~~~*> "Pardon?", erkundigte sich Detorix, die Länge des Tisches zwischen sie bringend. Der Malabsorbo musste durchgedreht sein! Genau, hatte vielleicht zu viel Übelenergie geschnüffelt! Oder von den Drogen was abbekommen! Artemis (ohne gesprochenes S) warf ihm aus pinkfarbenen Augen einen flehentlichen Blick zu, "na ja, ist doch wie im Märchen, richtig? Verwunschenes Häuschen mit Bewuchs, eine Maid in Bedrängnis, ein Held zur Rettung?" "MAID?!", donnerte Detorix aufgebracht, "ich bin keine Maid! Offenkundig nicht. Herzlichen Dank für die Hilfe, auch wenn ich weniger Wunden vorgezogen hätte, aber das kommt nicht in Frage!" Artemis, noch immer die Pfefferminzbonbons präsentierend, warf ihm einen verstörten Blick zu, "wieso nicht?" "Wieso nicht?!", echote Detorix, der endlich wieder Boden unter den Schlappen fand, stemmte die Hände in die Seiten, was seiner Wunde nicht zusagte, ihm aber den nötigen Schwung verlieh, "hast du mal in den Spiegel gesehen?! Wenn du schon ein, nun ja, ziemlich merkwürdig gefärbter Held sein willst, dann doch nicht hier! Da verschwendest du deine Talente!" Artemis adaptierte den Dackelblick, kombiniert mit Ratlosigkeit. "Oh nein, das zieht bei mir nicht! Schön, du hast mir geholfen, danke, kriegst auch was vom Eintopf. Dann ist aber Abmarsch, klar?!", stellte Detorix die kurzfristige Abendgestaltung auf. Der ausgestreckte Arm klappte herunter, und Artemis schniefte kläglich, "aber...aber...ich mag dich!" Detorix verdrehte die Augen. "Reizend, wirklich, tut aber nichts zur Sache. Wo, sagtest du, hast du vorher gearbeitet?", erkundigte er sich überheblich, eine zweite Schüssel mit Eintopf bestückend. Ernsthaft, der Bursche mochte ja wie knackige Zwanzig aussehen, aber sonst...! "Ähem, also, Euro-Disneyland, und ich bin übrigens ein Einhorn." "Sieht man", antwortete Detorix knapp, Löffel verteilend. "Weißt du, was das heißt?", hakte Artemis nach, ließ sich, in Turnschuhen (!) und Tanga am Tisch nieder, noch immer dezent schniefend. "Dass du keine Hüte tragen kannst?", ätzte Detorix, dem das verstärkte Knallen signalisierte, der Jahreswechsel nähere sich. "Na ja, ich meine, also, die Leute", beugte sich Artemis näher, flüsternd, "die wollen IMMER das Eine von mir." Detorix löffelte kurz, zog die Augenbrauen zusammen, was die Platzwunde nicht mochte, weshalb er grimassierte. "Überrascht mich jetzt nicht sonderlich. Und was wäre das?", grillte er unbarmherzig seinen allzu unbekleideten, allzu perfekt modellierten Gast. "Sex", ließ der ihn mit dem hohlen Ausdruck bodenlosen Entsetzens flüsternd wissen. "Aha. Nun ja, alle sollten ein nettes Hobby haben, richtig?", tat Detorix diese Einlassung ab. Vielleicht gab es ja genug Farbenblinde, denen diese Kombination aus Pink und Weiß gefiel?! Artemis kauerte wie ein Häufchen Elend vor seiner Schüssel. "Ich mag das aber nicht", piepte er kindlich, wenn auch mit Tenorstimmlage. Detorix seufzte laut, "dann sollte doch eine klare Ansage genügen, oder nicht? Überhaupt, das ist kein Grund, sich mir an den Hals zu werfen! Du warst zu lange in diesem komischen Freizeitpark. Das verklebt offenbar den Verstand", urteilte er streng. Artemis schluchzte nun unterdrückt in seine Schüssel, die mächtigen Schultern zuckten. "Oh du Großer M! Jetzt hör schon auf zu heulen!", grollte Detorix, stemmte sich hoch und fischte ein Stofftaschentuch heran. "Schnäuzen! Dann gehst du ins Bad, wäschst dir das Gesicht, verstanden? Wir essen erst mal was und klären deine missliche Lage", ordnete er an, sich über die Wunde am Rücken streichend. Großer M, nicht nur zwei Verschwundene am Hals, sondern auch noch ein verheultes Einhorn, das als Malabsorbo arbeitete! Noch bekloppter konnte das alte Jahr nicht zu Ende gehen! ~~~~*> Mit einer der Decken von der Fenstertruhe etwas bedeckter wippte Artemis im Schaukelstuhl und vertraute dem inquisitorisch nachhakenden Detorix seine Biographie an. Er wollte so gern Erfinder sein! Bloß fanden alle, er solle lieber was unter Leuten machen, also, nicht UNTER, im räumlichen Sinne, sondern dazwischen, quasi. Nur, die Leute, die hatten immer EINE Erwartung an ihn, was Artemis aber ganz und gar nicht wollte, nein, nein, nein! Da flog die perfekte Mähne wild, so schüttelte er sich und den Kopf. Detorix, ebenfalls Kaffee nippend, nickte aufmunternd. Deshalb, wegen der nicht übereinstimmenden Interessen, war Artemis auf den Gedanken verfallen, sich unsichtbar zu machen, quasi, weil, also tatsächlich, da klappte das noch nicht so ganz, aber unter Menschen WAR er erstens nicht sichtbar, zweitens, Tusch! genau, Malabsorbo arbeiteten immer mit Vollrüstung! Gut, für sein Einhorn benötigte er zur Kapuze noch einen Überzieher, aber das war nicht schwer, mit der richtigen Nähmaschine. Detorix ignorierte die Ausbrüche von Feuerwerk. Artemis auch, was ihm bewies, dass der wohl wirklich als Malabsorbo für Energie-Daimonen in dem komischen Themenpark gearbeitet haben musste. Was ihm ja auch gefiel, bloß, also, da gab es so ein kleines, winziges, eigentlich nur mikroskopisches Malheur! Denn eigentlich war er ja Erfinder, richtig? Erfindungen musste man testen, weshalb er ausprobieren wollte, ob man auch das abendliche Feuerwerk ohne stinkende Explosionen...? Offenkundig, die sehr zerknirschte Miene bewies es, hatte es nicht ganz funktioniert. "Wir dürfen uns nicht merklich einmischen", erinnerte Detorix, der diese Vorgabe durchaus sinnvoll fand. Bis auf gestern, denn erst angestochen zu werden, damit DANN ein Malabsorbo in PINK ihn rauspaukte: nicht gerade eine Feder am Hut, oh nein! "Na ja, ich dachte mir, hier kann ich ja meinen Detektor testen, für Übelenergie. Ist eine Modifikation!", Artemis strahlte ihn lobheischend an. "Schön, und dabei hast du diesen Vollspinner entdeckt, der mich aufspießen UND elektrisch grillen wollte. Gut, meine Zustimmung hat die Erfindung", brummte Detorix, registrierte, dass der Strauchdaimon verirrte Raketen ZIEMLICH treffsicher zurückfeuerte. Nun, bei dem Nebel würde schon keiner was merken! "Also, nun ja, nicht so ganz", gestand Artemis verlegen, "irgendwie hat es falsch herum funktioniert, so Leerstellen- Aufzeichnung in etwa." Detorix nippte an seinem Kaffeebecher, schicksalsergeben. "Nenn mich kleinlich, aber ich habe den Eindruck, dass du bei mehr Freizeit noch mehr Katastrophen auslöst", bemerkte er spitz. Hier würde es ja nicht so viel Trubel geben, und der Bursche war gerade mal DREI Tage vor Ort! Artemis seufzte kläglich, "wenn ich auf der anderen Seite testen will, bin ich ständig belagert. HIER kann ja hin und wieder mal so ein winziges Malheurchen..." Was Detorix an den Anfang zurückführte, "gibt es denn keinen Ort, wo du für dich sein kannst?" Das Einhorn schniefte leicht, "das glaube ich nicht. Immer, wenn ich denke, ich habe was Nettes gefunden, dann wächst urplötzlich die Bevölkerungszahl." "Wobei du daran keinen aktiven Anteil hast", legte Detorix säuerlich nach. Artemis zog die Schultern hoch, "ich mag das einfach nicht. Da du hier quasi als Vorposten der Zivilisation allein und in großer Not ausharrst..." Detorix knurrte aufgebracht, "danke schön, aber FALSCH! Ich bin Szenarize, habe das auch voll im Griff und fühle mich hier pudelwohl! Also brauche ich hier keinen verrückten Erfinder, der glaubt, er könne mich als HELD beglücken!" Artemis schniefte schon wieder. "Oh, Großer M, sag mal, WIE ALT bist du eigentlich?!", donnerte Detorix empört, weil einer bei DIESER Ausstattung einfach nicht so verflixt kläglich-verzagt-hilflos sein sollte! "32", winselte Artemis, wischte sich mit den Handrücken über die Augen, sah selbst verheult einfach noch unerträglich erotisch aus! Detorix schnaubte und reichte ein weiteres Stofftaschentuch an. "Sind das Menschen- oder Hundejahre?", erkundigte er sich zweifelnd. Artemis warf ihm einen tränenfeuchten Blick zu. "Ach du Schande", kommentierte Detorix und apportierte noch mehr Kekse. "Hör mal, Artemis, du scheinst ein sehr netter Kerl, ein Einhorn zu sein, aber ich kann mir nicht noch einen Hausgenossen zulegen. Der Strauchdaimon draußen reicht schon, und ich stecke noch wegen SEINER Essgewohnheiten in der Klemme. Außerdem wirkst du auf mich, mit Verlaub, wie ein ausgesetztes Haustier. Wenn du nicht allein klarkommst, müssen wir einen Ort suchen, wo du bleiben kannst." Und jemanden, der diese verdrehte Kombination von Sexgott und Erfinder mit emotionalen Alter von fünf Jahren goutierte. ~~~~*> Artemis mümmelte Kekse und blickte trübsinnig-geknickt in die Nebelschwaden, die auch den Innenhof invahierten. Detorix dachte nach, ohne Häme, dafür mit merklichem Pochen seiner Wunden. Ja, zugegeben, er schuldete diesem kuriosen Einhorn etwas, nein, es zeichnete ihn ganz und gar nicht aus, dessen Optik als Vorwand zu nehmen, existenzielle Nöte zu ignorieren. Sein unerwarteter Gast pflegte wohl in regelmäßigen Abständen entlassen zu werden, weil man ihn allzu gerne erobert hätte, was nicht auf Gegenliebe stieß. "Eine Verschwendung", brummte Detorix. Die pinkfarbenen Augen richteten sich auf ihn, der imposante, sehr appetitliche Oberkörper wurde gestrafft, "denkst du nicht, dass es niederträchtig ist, allein mein Äußeres wertzuschätzen, meine Persönlichkeit zu negieren?" DAS klang nicht nach fünf Jahren und verrückter Erfinder. Detorix kassierte den Volltreffer beschämt. "Stimmt. Reichlich ungezogen von mir", gestand er ernst ein. Artemis seufzte leise, "diesen Satz mit der Verschwendung, den hab ich SO OFT gehört, mein bisschen Würde verteidigt, indem ich mich komplett verhülle, doch nicht mal das hilft. Das Einhorn kann man nicht tarnen." Er wippte behutsam im Schaukelstuhl, "ich mache niemandem einen Vorwurf. Nur das, was von mir gefordert wird, das mag ich nicht. Mich schaudert, mir wird übel, ich gerate in Panik. Was bleibt mir da noch?" Detorix grummelte, "so viel zum Held. Klingt für mich, als wärst DU die Maid." Plötzlich bemerkte er selbst, dass er von Anfang an allzu vertraulich mit dem Einhorn sprach. Nicht mal Valentejn hatte er derart intim adressiert! Artemis lachte leise, traurig, "mich würde es nicht stören, die Maid zu sein, wenn die Helden nicht, nun ja..." "Das erhoffen, was nach dem Fall des Vorhangs auf der Bühne ausgeblendet wird", ergänzte Detorix nassforsch. Das Einhorn nickte minimal. Draußen rummste und lärmte es noch immer. Das neue Jahr zählte schon eine Stunde, aber trotz Nebel zum Scheibenschneiden tobten sich manche, wenn auch gedämpft, immer noch aus. Tsktsk. Detorix erhob sich, um Kakao nachzuschenken. "Sag mal, wo hast du denn Quartier genommen?", wollte er sich auf die praktischen Fragen verlegen. Artemis leckte sich, wahrscheinlich unabsichtlich, in aufreizender Manier die Oberlippe vom Kakaobärtchen frei, "oh, da gibt es so ein kleines Wabenhotel, für Besuch, aber die wurden wegen der Uniform nervös, so als Malabsorbo. Na ja, da habe ich nur mein Handgepäck da gelassen und draußen Nickerchen gehalten. Deshalb war ich zu spät dran, und wegen des komischen Fehlers... Weißt du, ich dachte wirklich, ich hätte herausgefunden, warum mein Detektor Leerstellen aufspürt!" Er brach ab, zog die Schultern hoch. Detorix, der noch stand, gab der Versuchung nach, striegelte leicht die seidig-weiße Mähne am Hinterkopf, "es sind keine Erfindenden vom Himmel gefallen, vermutlich wegen der entstehenden Sauerei. Du könntest es mal in Kinderhorten versuchen. Erstaunlicherweise sind Betreuende in Kindergärten unglaublich talentiert im Flicken von Dingen." Er hatte da faszinierende Berichte gelesen: man benötigte nur den richtigen Sprachcode, um die verborgenen Fähigkeiten hervorzulocken! Artemis, der beinahe schnurrte, nickte, "ja, das habe ich selbst gesehen! Nur, na ja, ich wollte das auch probieren, aber es gab dann unerklärliche Elternzusammenkünfte. Die wollten alle ihre Kinder stundenlang verabschieden oder abholen." Aha. "Knifflig", gestand Detorix ein, schnaubte dann seinerseits geplagt, "ich stecke sowieso in der Klemme. Wenn ich nicht herausfinde, wer die zwei Verputzten waren, kann ich sie nicht verschwinden lassen, zumindest nicht, wenn ich dem Widerling, der mich abstechen wollte, einen Mordprozess verpassen will. Aber da sie weg sind, so ohne Leiche, muss ich es arrangieren, als lebten sie noch." Wirklich frustrierend! Er ließ sich auf der Fenstertruhe nieder. "Wenigstens hast du schnell geschaltet und die Liste mit den Drogenablageorten weitergegeben. Aber was hatten die gemeinsam? Wie hat der Mistkerl die beiden abgepasst? Und wie ist er darauf gekommen, mich zu erwischen?" Lauter offene Fragen. Der Amateur-Detektiv in seinem Inneren bewertete seine bisherige Leistung als unterirdisch. Artemis zögerte, nahm dann sichtbar seinen Mut zusammen, "nun, er könnte einen zweiten Alarm eingerichtet haben, um mitzubekommen, wann die Alarmanlage abgeschaltet wird. Ich meine, dann müsste er sich ja wappnen, dass man vielleicht doch Spuren entdeckt." Was NACH der geplanten Racheaktion mit erhofften Opferzahlen schon nicht mehr von Bedeutung war. Detorix nippte an seinem Kakao. "Hätten meine Käfer nicht den zweiten Stromkreis bemerken müssen?", überlegte er laut. "Nicht, wenn die Meldung, dass KEIN Strom auf der Alarmanlage liegt, für die Meldung genügt", warf Artemis engagiert ein. "Hmm", Detorix stand auf, schlappte rund um den Tisch, in Gedanken vertieft. Ja, SO könnte es geklappt haben. WENN der Stinkstiefel schon in der Frühphase seiner Mord-Aktion auf Probleme stieß, war der gewarnt. Schnell mit dem verdammten Stilett, hatte nicht mal gezögert! "Waren die beiden Verschwundenen zu früh dran?" Denn die Drogenpakete SOLLTEN ja gefunden und ihr toxischer Inhalt unter die Leute gebracht werden mit dem Argument, man wolle sich im Markt etablieren. Wie leicht kam man eigentlich an die Päckchen heran? Der Heizungskeller nebenan zumindest war ziemlich gut gesichert, also eher ein Hindernis für die gewünschte Verbreitung! Sein Blick fiel auf seinen Werkzeuggürtel, den das Einhorn nonchalant zum eigenen Umhang an die Garderobe gehängt hatte. "Ist meine Liste noch drin?", erkundigte sich Detorix grimmig, schlappte zur Garderobe. "Alles so, wie du es vorher hattest", bestätigte Artemis artig, setzte sich im Schaukelstuhl neugierig auf. Grimmig apportierte Detorix seinen treuen Werkzeuggürtel zum Tisch, marschierte dann die Stiege hoch, um im Büro einen aktuellen Stadtplan aufzulesen. Virtuell hin oder her, er brauchte Haptik! Mit Ziehharmonika-Faltung. In der Wohnküche breitete er den Stadtplan aus, legte den Zettel daneben und pinnte "Käferstationen" mit Stecknadeln fest. Niemand sollte über die Drogenverstecke stolpern, aber das Ergattern selbst durfte nicht allzu schwierig sein. Artemis leistete ihm Gesellschaft. "Hmmm, hauptsächlich Keller, Wohn- und Geschäftsgebäude. Zum Jahreswechsel wird viel herumgeräumt, aussortiert. Außerdem fahren Leute in den Urlaub, andere haben Gäste", grummelte Detorix konzentriert. Ja, da konnte man durchaus schon mal in einen Kellerverschlag schlüpfen, einen harmlosen Kasten finden... "Ich finde, dieser Ort hier passt nicht ins Muster", kommentierte Artemis, tippte mit einem perfekt manikürten Fingernagel auf den Stadtplan. Detorix nickte langsam, bedächtig. "Folgendes Szenario: die zwei Glücklosen finden ein Versteck, räumen es aus. Irgendwie wird der Bekloppte informiert. Die beiden Figuren haben Zugang zum Heizungskeller und deponieren dort die Beute. Sie verlassen das Gebäude, der Bekloppte spricht sie an, sticht sie ab oder grillt sie oder beides, schleift sie hier rein, sammelt alles ab, was sie identifizieren könnte, lässt sie liegen, hat aber nicht genug Zeit, selbst den Heizungskeller zu besuchen." Artemis hüstelte, "nun, bitte korrigiere mich, aber bist du nicht erst am nächsten Abend...?" Detorix knurrte, "selbst wenn er die Schlüssel erbeutet hat, es gibt ZWEI Gebäude mit sechs Stockwerken und Keller hier. Und immer ein wenig Betrieb, zu viele Beobachtende. Außerdem hatte ich danach das Schloss verklebt." Er richtete sich auf und ignorierte das enervierende Pochen der Fleischwunde. "Könnte so gewesen sein. Nur wie soll ich beweisen, dass die beiden Menschen schon tot waren? Einen bereits Toten hat der alte Strauchdaimon nicht gefressen. Bösartig, aber konsequent argumentiert: er zieht lebende Menschen vor, selbst wenn sie noch entpellt werden müssen", seufzte Detorix verärgert. Artemis nickte, "man bräuchte ein Geständnis." "Und ein paar passende Leichen", grummelte Detorix. "Was ist mit den Kleidern?", Artemis arbeitete begeistert mit. "Ach, bah. Bloß Indizien. Kein bisschen Blut dran! Klinisch rein, quasi", schoss Detorix einen grimmigen Blick auf die Hauswand ab, was den Strauchdaimon wohl kaum inkonvenierte. "Tote pflegen sich hierzulande nicht so einfach in Luft aufzulösen", grollte Detorix, rieb sich die Stirn und zerrte final den Verband herunter. Das Jucken konnte einen IRRE machen! "Uh, vorsichtig, bitte!", sofort tupfte ihm Artemis uneingeladen über die getackerte Wunde, was Detorix nahelegte, dass zumindest Berührungsängste nicht vorhanden waren. "Ich kann nicht riskieren, dass hier die Polizei durchs Haus schwirrt", stellte Detorix klar. Der Innenhof ging noch, aber das Haus selbst, zu riskant! Seine Schultern sackten herunter und er registrierte eine bleierne Müdigkeit. "Vielleicht sollten wir darüber schlafen", schlug Artemis ihm vor, stellte das Abtupfen ein. Detorix schnaubte, musterte Artemis dann, der ihn flehend beäugte, Dackelblick plus Baby-Seehund, "du trägst Pyjama. Und wehe, du schnarchst!" ~~~~*> Kapitel 9 Valentejn nötigte die Zwillinge zum Frühstück, kontrollierte ihre Beutel, nickte Lahyrim zu, die sich wortkarg und griesgrämig in den Teich verzogen hatte. Die Zwillinge marschierten vor ihm, noch etwas müde, aber bester Laune, schließlich besuchten sie heute ihren Vater! Valentejn schlenderte hinter ihnen, denn für ihn war ihr Tempo aufgrund der Größenunterschiede keine Herausforderung. Man konnte sich auch kaum verlaufen, so viele Wege gab es nicht und jede Gabelung war beschildert. Wenn man sie lesen konnte, was Valentejn noch nicht gelang, aber er hatte, in akribischer Vorbereitung, entsprechende Notizen eingesteckt. Nach zwei Stunden Marsch erreichten sie tatsächlich die nächste Siedlung. Man hörte bereits Etüden, es wurde gehämmert, um eine Bühne aufzustellen. Ein Karren plärrte mit schreienden Farben auf dem Verdeck Werbung für die Vorstellung. "Vater! Vater!", krähten die Zwillinge und hasteten los. Valentejn spazierte hintendrein, den Faun inspizierend. Der wirkte noch übernächtigt, ein wenig aus der Form geraten und verdattert wegen der Zwillinge, "aber..äh...wie...was...?!" Lächelnd machte Valentejn seine Honneurs, wenn auch nicht in der Standardverkehrssprache. "Ah...der Zombie...ja...aber..." Die Ausfallerscheinungen nutzend ging Valentejn vor den Zwillingen in die Hocke, "so, Jungs, da seid ihr nun, Männer-Zeit! Habt Spaß und schickt eine Rohrpost-Nachricht, wenn ihr abgeholt werden wollt." Man strahlte ihn an, "danke, Zombie. Bis dann!" Lässig aus der Hocke schnellend tippte sich Valentejn grüßend an die Schläfe und machte kehrt. Irgendwie war ihm SEHR leicht ums Herz. Er fand schon, durchaus eingebildet, dass er dem Ex seiner geliebten Nymphe nicht nachstand. So, wie der gerade wirkte, würde sein Plan Erfolg haben! ~~~~*> Detorix fluchte im Badezimmer ausgiebig, weil ihm die Knochen wehtaten, er nicht ins heiße Wasser steigen konnte und überhaupt...! Zumindest sein unerwarteter Gast zeigte sich, nun, zivil, wenn auch geradezu verstörend sexy in einem recht schlichten Pyjama, schnarchte nicht, schob keine eiskalten Füße rüber oder rollte unablässig hin und her. Detorix rasierte sich grimassierend. Zu seiner eigenen Empörung empfand er Mitgefühl für das Einhorn. Es WAR kleinlich, aus eigenem Minderwertigkeitsempfinden dessen SUPERBE Optik zu instrumentalisieren. Zugegeben, er selbst machte sich auch überhaupt nichts aus Horizontal-Extremsport, weil ja immer Personen beteiligt waren, die ihre ganze Vita samt Ballast mitbrachten, was bei ihm diesen verflixten Problemlöse-Modus anstachelte. Dabei wollte er unbedingt Berufliches von Privatem trennen! Happyends oder vielmehr glückliche Neuanfänge, das reichte ihm im Job vollkommen!! So viel Zucker privat, das überdosierte doch! Er seufzte, schlappte in die Wohnküche. Kaffee, genau, ein ordentliches Frühstück, dann dem KaISch III die Überlegungen zum Ablauf zu schlucken geben! Von der Stiege kam ein Hüsteln. "Guten Morgen, Artemis. Das Bad ist frei, dann frühstücken wir", hielt Detorix sich nicht mit großen Worten auf. "Guten Morgen! Das ist aber nett, danke schön!", strahlten ihm die perfekten Beißer entgegen und selbstredend würde man Artemis nicht mit einem verwüsteten Schopf am frühen Morgen ertappen! »Stopp!«, bremste Detorix sich selbst. Nicht die eigenen (sich längst erledigt habenden Unzulänglichkeiten) auf Artemis projizieren, um diesem zu zürnen! Das hatte er doch auch sonst nicht nötig! Während er den Tisch deckte, kam ihm ein Gedanke, "Artemis, sag mal, WIE unsichtbar kannst du dich machen?" ~~~~*> Lahyrim klopfte an der Tür und der Klinkendruck führte sie hinter den Vorhang. "Guten Morgen?", machte sich die Nymphe bemerkbar, schnüffelte dann irritiert. Detorix, der gerade grimmig ein Brot in den Ofen bugsiert hatte, richtete sich ächzend auf. Verflixte Wunde! "Guten Morgen, Mee-Poo Lahyrim. Meine herzlichsten Glückwünsche zur Vermählung!" Lahyrim, die ihre Schocklanze im Schirmständer abstellte, schüttelte artig Detorix' Hand, wirkte jedoch verdrossen. "Darf ich fragen, wo der Gemahl abgeblieben ist?", stippte Detorix direkt in das Fettnäpfchen, mit Absicht, also Wissen und Wollen. Seufzend fischte sich Lahyrim eine gefaltete Decke von der Fenstertruhe, "er bringt die Bengel zu meinem Ex. Nach Valentejns Vorstellung hören sie dann auf, meine Nerven zu strapazieren. Konfrontation mit der Helden-Realität. Find ich Mist, aber es funktioniert vermutlich." Was Detorix ausreichend die sparsam getaktete Laune erläuterte. "Darf ich einen Moment raus?" Mit einer einladenden Geste ließ Detorix die Nymphe in den eisig kalten, nebelverhangenen Hof hinaustreten, verfolgte verblüfft, wie sie die kleinen Hände und die Stirn an den Strauchdaimon, respektive den verdickten Stamm, legte, etwas wisperte, das Haupt neigte und dann rasch zu ihm ins Warme schlüpfte. "Er hat Valentejn gerettet. Dafür schulde ich ihm Dank", ließ Lahyrim ihn wissen. Detorix grummelte, "der alte Kerl wird sentimental. Liegt wohl an dem Apfelbäumchen", vermutete er knorzig. Das entlockte der Nymphe ein schiefes Lächeln, "darf man fragen, warum es hier so-SO riecht?" Schnaubend winkte sie der Szenarize zum Tisch, wo noch der Stadtplan nadelgespickt aufgespießt war, "mein Übernachtungsgast hat seine Kats oder vielmehr die Filter erst thermisch geleert und dann gereinigt. Aus unerfindlichen Gründen stinkt das dann wie eine übergärige Zitronenfabrik!" Lahyrim staunte ihn fassungslos an, "Übernachtungsgast? Kats?!" Detorix klopfte auf die Lehne des Schaukelstuhls, schob sich Ofenhandschuhe über die Hände, "nehmen Sie bitte einstweilen Platz, meine Liebe. Ich hole das Brot raus, dann bringe ich Sie auf den neuesten Stand." ~~~~*> Eine Viertelstunde später faltete Detorix mit großer Akkuratesse den Stadtplan zusammen, legte ihn neben seinen überprüften Werkzeuggürtel. Lahyrim schaukelte sehr engagiert, in tiefen Gedanken. "Ich weiß nicht", bekannte sie schließlich grimmig, "wie sollen wir das anstellen? WENN es Artemis gelingt, in die Zelle einzudringen, die wir noch finden müssen, wie soll er diesen widerwärtigen Mörder dazu bringen, seine Taten zu gestehen?" Detorix nickte, "darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen. Wir dürfen ja nichts wesentlich beeinflussen. Außerdem habe ich ihn schon zu tief reingezogen durch die Rettungsaktion." Zudem war er sich nicht sicher, ob Artemis die Nerven behielt, obwohl es sich um einen Malabsorbo handelte, die schon sehr viel gewöhnt sein mussten. Aber, wenn er sich korrekt entsann, kam Artemis dank seiner Katalysatoren und Filter gar nicht in Kontakt mit der Übelenergie. Und da gab es ja auch Qualitätsunterschiede! "Auf menschliche Gerechtigkeit kann ich verzichten, aber..." "Aber wir müssen darlegen, dass der Strauchdaimon keine lebenden Menschen verputzt hat", beendete Lahyrim seinen Satz, wirbelte aus dem Schaukelstuhl hoch, "man müsste die Eitelkeit dieses Ekels nutzen können!" Bloß setzte das eben eine Kontaktmöglichkeit voraus. Dass bestimmte Daimonen für Menschen unsichtbar waren (oder vielmehr nicht wahrgenommen wurden), befähigte sie noch lange nicht, Mauern zu durchqueren. Ein paar Tricks beherrschte Detorix ja auch (oder die passenden Utensilien), doch das hier?! Sie schnaubten synchron durch. In diesem Moment der Verblüffung, wo sich ihre Augen trafen, stürzte jemand durchs Tor, hastete durch den Innenhof und zur Tür hinein. Draußen hörte man hysterisches Gebell und Geschrei. Artemis, der Mantel löchrig, großflächig in Nuancen Pink und damit extensiv unbekleidet, warf Detorix einen panischen Blick zu. Der drückte geistesgegenwärtig Lahyrim seinen Werkzeuggürtel in die Hand, "durch den Vorhang, fix!" ~~~~*> "Ja, das Tor klemmt bei der Witterung hin und wieder", behauptete Detorix ungerührt. Vor allem, wenn von innen der Strauchdaimon den Zugang blockierte. Die zwei Uniformierten nickten unisono, während eine Hundeführerin ihren jaulenden, vierbeinigen Kollegen zu trösten suchte. "Was riecht hier denn so intensiv?", erkundigte man sich, spazierte, Detorix nicht aus den Augen lassend, durch die Wohnküche. Der, ordnungsliebend und Bürokratisch verstehend, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, "oh, Reinigungsmittel. Neues Jahr, gleich sauber beginnen, das ist mein Motto. Frohes neues, übrigens." Man beäugte ihn, blieb höflich, "Ihnen auch, danke. Sagen Sie, sollten Sie sich nicht im Krankenhaus befinden?" Detorix lächelte zähnestarrend, "schon, aber bei den beiden Zimmergenossen konnte ich kein Auge zutun. Schlecht schlafen kann ich auch daheim. Außerdem war bestimmt gestern Hochbetrieb in der Notaufnahme, da muss ich nicht unnötigerweise Kapazitäten in Anspruch nehmen." Man schlenderte interessiert/inspizierend umher, "Sie leben hier allein?" "In der Tat. Das ist bestimmt eine Verwechslung, bei dem Wetter, schlechte Sicht.Hier ist jedenfalls niemand unerlaubt eingedrungen. Sie haben ja selbst gemerkt, wie schwergängig das Tor ist und seit dieser Sache mit den Kleiderhaufen bin ich vorsichtig, schließe immer ab", stramm gelogen, zumindest der zweite Part. "Ja, diese Kleiderhaufen. Merkwürdige Sache..." Detorix lud mit einer Geste ein, sich auch im Giebelgeschoss umzusehen. Dort herrschte Ordnung, natürlich. Verräterische Objekte würde man nicht finden. "Wenn Sie dürfen, würde ich Ihnen einen Kaffee ausschenken, auch der jungen Frau draußen. Dem Hund scheint es hier ja nicht zu gefallen. Sicher das Reinigungsmittel." Detorix durfte Kaffee ausschenken, denn es war kalt, er nicht verdächtig und man hatte schon eine zähe Neujahrsnacht hinter sich. "Gibt es schon etwas Neues von dem Drogen-Ausleger? Ich bin ja froh, dass der unter Aufsicht ist", rieb sich Detorix demonstrativ den Rücken, aber auch, weil die Wunde juckte. "Der Verdächtige schweigt. Was glauben Sie, warum hat er Sie attackiert?" Um Zeit zu gewinnen, ließ sich Detorix erst mal auf der Fenstertruhe nieder, "tja, ich war einfach spazieren, hab nicht auf meine Umgebung geachtet. Wenn ich nicht das komische Licht am Restaurant gesehen hätte", er zuckte in schauspielerischer Hochform mit den Schultern, ignorierte das Kneifen am Gürteläquator. Man warf sich Blicke zu. Detorix bewahrte die Ruhe. "Können Sie sich vorstellen, dass dieser Überfall etwas mit Ihrer Anzeige zu tun hat?" Detorix runzelte die Stirn, was nun auch oben schmerzte, denn die Platzwunde versuchte gerade, den Schaden aufzuarbeiten, "ach, die herrenlosen Klamotten?" Plötzlich überkam ihn ein Geistesblitz, so mächtig, dass er schauderte und das eilig mit Erschrecken tarnte, "du meine Güte, Sie denken, der wollte mir wegen der Anzeige ans Leben?! Der ist mir gefolgt, um mich zu erledigen? Waren die Kleider etwa Spuren?! Hat er die getragen, als er die Drogen zusammengerührt hat?! Wollte der die irgendwo entsorgen?" Die Theorie wies Löcher auf, aber Detorix erkannte plötzlich eine Möglichkeit, und auch, dass die Kriminalpolizei nicht auf amateurhaftem Niveau Detektivarbeit leistete. "Sind Ihnen diese beiden Personen schon mal begegnet?" Detorix nahm zwei Abzüge entgegen, "nein, bewusst bestimmt nicht. Sehen noch jung aus. Nicht mein Klientel, und sonst, nein, könnte nicht sagen, dass sie mir erinnerlich sind." Aber nun hegte er einen gewissen Verdacht. "Sind sie ausgerückt? Oh nein, haben die etwa die Drogen probiert?", lockte Detorix zu Einlassungen. Wieder wechselte man Blicke, "nun, wir suchen diese beiden, 16 und 19 Jahre alt. Ihr Onkel hat sich bei uns gemeldet, vermisst seinen Privatwagen. Darin lagen auch Schlüssel, unter anderem für den Heizungskeller nebenan. Hausmeisterservice." Detorix nahm die Abzüge noch mal hoch, spürte eine traurige Gewissheit, "Sie vermuten, dass die Kleider in meinem Innenhof diesen Jungs gehört haben, oder? Hätte ich die Kleider nicht schlicht weggeschmissen... Ich habe aber keine Schlüssel oder irgendwas im Hof gefunden." Man erhob sich, "Sie verstehen, dass wir uns dazu nicht äußern können. Ihre Bekleidung wird als Beweis bei uns verbleiben." Detorix nickte nachdenklich, "tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann. Falls mir noch etwas einfällt oder auffällt, werde ich mich melden." Man dankte höflich, verabschiedete sich dann. Selbst die Hundeführerin schenkte Detorix ein verfrorenes Lächeln, während ihr vierbeiniger Kollege bloß raus wollte. Detorix schloss das Tor zu, um seiner Geschichte mit der klemmenden Klinke etc. Glaubwürdigkeit zu verleihen, dann wandte er sich dem Strauchdaimon zu, "lass jetzt erst mal niemanden mehr rein, ja? Ich muss für eine Weile nach drüben." Und gleich zwei Probleme auf einmal lösen! ~~~~*> Als Detorix durch die Tür in die andere Welt trat, formal gekleidet, aber ohne Sonnenhut (wegen der juckenden Wunde), erwartete ihn ein wahrer Auflauf, in dessen Mitte Artemis kauerte, von Lahyrim und Valentejn flankiert. Die eine winkte energisch Detorix heran, während Valentejn beruhigend auf Artemis einredete. "Aha", stellte Detorix fest, nahm seinen Werkzeuggürtel entgegen, "Glückwunsch, Valentejn, mein Bester. Jetzt dürfen Sie einem gemeinsamen Freund einen Dienst erweisen: sammeln Sie das Gepäck dieses Pechvogels ein, ja? Wir treffen uns im Friedensgericht." Valentejn tauschte einen Blick mit Lahyrim aus, nickte dann schmunzelnd und schob sich durch die Menge. "Es tut mir so leid! Wirklich! Das wollte ich nicht!", plädierte Artemis kläglich, umzingelt von Trostspenderinnen. Detorix begutachtete knapp die traurigen Fetzen des Umhangs. "Tsktsk!", tadelte er streng, "auf die Beine! Hör auf zu heulen, wir haben zu tun!", donnerte er Artemis an, der vor Schreck einen Schluckauf bekam, aber tatsächlich stand. "Mitkommen, aber zackig!", kommandierte Detorix im besten Kasernenhofton, "Mee-Poo Lahyrim: es haben sich wesentliche Entwicklungen ergeben. Wir müssen SOFORT die Vorstehende des Friedensgerichts in Kenntnis setzen!" Lahyrim straffte ihre zierliche Gestalt, reckte das Kinn, "gehen Sie voraus, Szenarize Detorix." Was dieser tat, mit flottem Schritt und einen ängstlich schniefenden Artemis auf den Fersen. ~~~~*> Die Vorstehende des Friedensgerichts Thekla Anuphobis warf einen strengen Blick auf Detorix aus der Höhe, trommelte dann mit den Krallen auf ihrem Pult, was ihren Gerichts-Typse im Schützengraben leicht aus der Ruhe brachte, da er sonst zu hämmern pflegte, "also, anhand der Kleidung, im Vergleich mit deinen Kleidern, Szenarize, hat man vermutet, dass alle Opfer dieses mutmaßlich gestörten Menschen sind?" Detorix nickte entschieden, spürte auch die Aufmerksamkeit der Nymphe auf sich, "sehen Sie, die Kleider waren quasi porentief rein, keine Blutspuren, kein Nichts mehr, nicht neu, hatten schon Tragespuren. Anders bei meinen Sachen, als mich der besagte Mensch hinterrücks zu ermorden trachtete. Man kann anhand der Spuren, nämlich der Risse, der versengten Kunststofffasern nachstellen, ob es Gemeinsamkeiten gibt: Einstichwinkel, Höhe, die eingesetzte Hand. Vielleicht habe ich keinen stillen Alarm ausgelöst, sondern der Kerl verfolgte mich tatsächlich, war nervös geworden, weil man keine Leichen gefunden hatte, sondern nur Klamotten, wollte einen lästigen Zeugen ausschalten. Die Jungs hatten wohl Zugang zum Heizungskeller, der, wie wir schon nachgewiesen haben, NICHT das ursprüngliche Versteck sein konnte. Möglicherweise wollten sie das Zeug bunkern, sich nicht an die Regeln halten. Er hat ihnen aufgelauert, sie überwältigt und getötet, in den Hof geschleift, wo der Strauchdaimon, nun ja, für Ordnung sorgte, gewissermaßen. Er muss nicht töten, führt weder Messer noch Elektroschocker, würde Kleidung nicht in eindeutiger Weise beschädigen müssen." Thekla Anuphobis trommelte noch immer, "das sind Mutmaßungen, keine Beweise, Szenarize Detorix." Der nickte entschlossen, "das ist mir bewusst, Euer Ehren. Es wird dauern, bis ein Gerichtsverfahren eröffnet wird, man erfährt, welche Beweise die Menschen gefunden haben. Ganz sicher werde ich den Prozess verfolgen. Ich bitte darum, meinen alten Freund, den Strauchdaimon, im Licht dieser Entwicklung zu betrachten. In dubio pro reo. Für die beiden Menschen konnte er nichts mehr tun. Valentejn hat er gerettet. Alle Indizien legen nahe, dass er nicht gegen das oberste Gebot verstoßen hat", beendete Detorix sein Plädoyer, auch wenn noch gar keine Anklage erhoben worden war. Thekla Anuphobis schnalzte mit ihren Mandibeln, "Mee-Poo Lahyrim, schließen Sie sich den Schlussfolgerungen des Szenarize an?" Die Nymphe stand kurz stramm, "voll und ganz, Euer Ehren." Man trommelte immer noch auf dem Pult, räusperte sich dann knackend, "Protokollaufnahme! Szenarize Detorix und Mee-Poo Lahyrim als Ermittelnde werden ihre Theorie zum Hergang in einem Bericht zusammenfassen. Szenarize Detorix obliegt die Weiterverfolgung der Vorgänge in der Menschenwelt. Er wird dem Friedensgericht regelmäßig berichten. Das Friedensgericht geht einstweilen nicht von Tötungsdelikten durch Angehörige dieser Welt aus." Die Hämmerchen trommelten noch einige Augenblicke länger, dann war die Entscheidung geprägt. "Schön. Kommen wir jetzt zu diesem Aufruhr", gab Thekla Anuphobis die zweite Runde frei, lauschte, konzentrierte alle acht Augenpaare inklusive ihres Spekuliereisens auf Detorix, der nicht mal zuckte. "Ich würde annehmen, das ist ein Fan-Club", identifizierte er den diffusen Lärmpegel. Neben ihm seufzte Lahyrim auf, "ja, Euer Ehren, klingt für mich auch so." Oben knackte man mit den Mandibeln, "Fan-Club?! Hier?! Warum?!" Sehr bänglich kam Artemis auf die Beine und umklammerte Detorix' Rechte wie einen Rettungsanker, "es tut mir wirklich, wirklich SEHR, SEHR leid, Euer Ehren!" ~~~~*> Die Vorstehende des Friedensgerichts Thekla Anuphobis studierte das Panorama. Einhörner sah man hier selten und so appetitliche Mannsbilder auch, selbst wenn die weder singen noch tanzen oder sonst etwas konnten. Vor allem im Fall dieses speziellen Einhorns. Sie blätterte in den Täfelchen, auf die man eilig die Rohrpostmeldungen genagelt hatte, beäugte immer wieder Artemis, der nun mit beiden Händen Detorix' Rechte umklammerte, "beeindruckende Biographie, junger Mann. Sie haben offenbar mehr Karrieren abgebrochen als andere in drei Leben überhaupt nur ansteuern." Artemis schrumpfte noch stärker in sich hinein. "Wollen Sie mich darüber erleuchten, was diesen Aufruhr in der Menschenwelt ausgelöst hat?" Man wollte durchaus, wenn auch verdruckst und kläglich, "Euer Ehren, ich war in meiner Funktion als Malabsorbo im Einsatz. Sehen Sie, ich benutze Katalysatoren, weil ich ja kein Energie-Daimon bin. Da muss ich regelmäßig die Filter leeren und ausbrennen. Heute Morgen kam mir dann eine Idee, also, wenn man diese Energie komprimieren könnte? Verstehen Sie, ich dachte, dann könnte ich mehr Energie aufnehmen und mehr Luft reinigen." Schniefen. "Ich wollte wirklich keinen Ärger auslösen." Schluchzen, kläglich. Thekla Anuphobis nahm Detorix ins Visier, der erstaunlicherweise keine Anstalten unternommen hatte, jede Verantwortung für diesen Jammerlappen zurückzuweisen oder seine Hand einzufordern, "Euer Ehren, auf der Menschenseite wurde niemand geschädigt. Durch die Explosion der Kats ist der Mantel beschädigt worden, wie Sie sehen können. Somit wurde Artemis sichtbar, und es ist bei den aktuellen Temperaturen eher untypisch, nur im Tanga zu paradieren. Na ja, die Leute sind ein wenig nervös, sehen einen Mantel und wenig darunter, denken Terrorismus oder Exhibitionismus. Ein Missverständnis." Lahyrim reichte Artemis mitleidig ein Stofftaschentuch. "So, so. Eine weitere Folge fehlgeschlagener Experimente, hm?", Thekla Anuphobis legte ein gewaltiges Mosaik aus Täfelchen. Diesem Panorama nach konnte das Einhorn eigentlich gar nichts, außer in regelmäßigen Abständen Chaos auslösen! "Artemis, stellen Sie das Heulen ein und hören Sie zu." Das Einhorn rückte noch näher an Detorix heran. "Auf meine Anordnung hin werden Sie sofort Ihre Lizenz als Malabsorbo herausgeben. Ihr Zutritt zur Menschenwelt ist gestrichen. Das ist im Moment zu Ihrem eigenen Besten, junger Mann." Artemis nickte kläglich, schnüffelte deprimiert, "ich verstehe, Euer Ehren. Ich wollte nie jemandem Schaden zufügen." Etwas mehr Lärm drang nun herein. Prompt verkrampfte sich Artemis sichtlich, schlotterte sogar. Thekla Anuphobis justierte ihre Augengläser grimmig, "was soll dieser Rabatz?!" Detorix räusperte sich, "Euer Ehren, man möchte, in größeren Mengen, Artemis gern behilflich sein. Seine äußere Erscheinung zieht regelmäßig erhebliche Aufmerksamkeit auf sich. Wie Sie unzweifelhaft den Berichten entnehmen können, ergeben sich daraus Komplikationen." Man schnaubte in der Höhe. Der Gerichts-Typse zögerte. Detorix winkte mit der freien Hand, "ich nehme Artemis einstweilen mit, damit in Ruhe erwogen werden kann, wie seine Zukunft aussehen könnte. Zwischen den Welten herrscht nicht so viel Trubel." Das Einhorn japste, richtete einen Dackel-Baby Seehund-Katzenvideo-Blick auf das Richterpult. Thekla Anuphobis blinzelte geblendet. Dagegen waren sogar die Augengläser machtlos. "Na schön. Protokoll! Der anwesende Artemis erhält einen Passierpass für die Bruchstelle und steht unter strenger Aufsicht von Szenarize Detorix. Erfindungen sind bis auf Weiteres strikt untersagt." Die Hämmerchen trommelten ein furioses Solo, und Artemis fiel Detorix um den Hals. ~~~~*> Valentejn hielt Lahyrim an der Hand, grüßte freundlich. Nachdem Artemis an Detorix' Hand mit dem Gepäck durch einen Hinterausgang verschwunden war, herrschte wieder Ruhe, gewürzt mit einer Unze Enttäuschung. "Das ist nett, Artemis aufzunehmen. Kann einem schon leidtun. Er ist ja extrem ansehnlich, aber völlig verschüchtert", in einem Maße, das selbst Valentejn nicht für möglich gehalten hatte. Knackige Kerle hatten es wohl auch nicht leicht! "Haben sie was gesagt?" Valentejn blickte 35 Zentimeter tiefer auf ein ernüchternd sortiertes Haupt mit eingefangenen, blauen Löckchen in einem strengen Dutt. "Sie waren sehr tatendurstig. Gib ihnen ein bisschen Zeit, ja? Sonst kann das Abenteuer ja kein Abenteuer werden", zwinkerte er aufmunternd, drückte das kleine Händchen. "Ich weiß, ich sollte die Gelegenheit nutzen, immerhin sind wir allein, außerdem hab ich noch so viel zu tun", die schmalen Schultern sackten noch tiefer. Valentejn blieb stehen, ging vor Lahyrim in die Hocke, "du MUSST überhaupt nichts erledigen, Lahyrim. Es ist in Ordnung, sich bedröppelt zu fühlen, sich zu sorgen." Er nahm ihre andere Hand auch, "wir könnten uns aber auch gemeinsam richtig auspowern, ich meine, ranklotzen. Das macht den Kopf frei. Außerdem sind die beiden pfiffig. Wenn etwas sein sollte, können sie uns eine Rohrpostnachricht schicken." Die Nymphe zog einen Schmollmund, den Valentejn geradezu hinreißend fand, "du bist gerade unausstehlich vernünftig, weißt du das?!" Valentejn grinste, "das liegt daran, dass ich einfach ungeniert glücklich bin, weil meine liebste Frau sich NICHT in Artemis verguckt hat. Und weil ich es mit deinem Ex aufnehmen kann. Da fühl ich mich gleich bärenstark!" Er zwinkerte frech hinter der neuen Brille, die perfekt saß. Lahyrim schnaubte, prustete dann gedämpft, entzog ihm ihre kleinen Hände und schlang die dünnen Arme um seinen Hals. Valentejn hielt die Nymphe ebenso fest umarmt. "Für ein keusches Einhorn habe ich keine Verwendung, mein liebster Zombie-Ehemann! Außerdem kann Artemis nicht tanzen." Geübt richtete Valentejn sich auf, ohne Lahyrim freizugeben, lächelte in das schelmische Grinsen, "lass uns heim gehen, ja? Tanzen und Hochzeitsnacht am helllichten Tag nachholen und Spaß haben. Bitte?" Lahyrim gluckste amüsiert, "nettes Programm, das dir da in den Sinn kommt. Lass mich jetzt runter, und wer zuletzt daheim ist, muss für die Zwischenmahlzeiten sorgen!" ~~~~*> "Danke schön", kleinlaut kauerte Artemis im Schaukelstuhl, während Detorix grimmig dessen Gepäck durchsah. "Hast du keine richtigen Kleider?!" Artemis druckste herum, "nun, es ist so, weißt du, sie gehen kaputt. Schnell, meine ich." Detorix schnaubte, rieb sich geistesabwesend die Wunde am Rücken, "weil sie explodieren? Wie der Mantel?!" Das Einhorn seufzte, "also, das ist das erste Mal vorgekommen. Meistens, na ja, die Leute..." Ein prüfender Blick traf ihn. Und seinen Tanga, an den man sich kaum klammern konnte. Detorix schnaubte, "so geht das jedenfalls nicht! Leihweise bekommst du Hemd und Hose von mir, dann müssen wir dich ausstatten. Zu viel Pink auf einem Fleck macht mich nervös", knurrte er grimmig. Überhaupt schien Artemis neben dubiosen Werkzeugen, Notizbüchern und besagter Unterwäsche kaum etwas zu besitzen! "Entschuldigung", murmelte der nun erneut kläglich. Detorix beendete die Inspektion und kraulte Artemis den seidig-weißen Schopf, "ist nicht so, als hätte ich das Problem nicht begriffen, allerdings müssen wir uns schon Gedanken machen. Auf halber Strecke scheinen einige deiner Erfindungen ja recht nützlich zu sein. Du musst bloß aufhören, bevor sie Katastrophen auslösen." Was zugegeben eine sehr delikate Angelegenheit darstellte. "Verstehe." Außerdem hatte die Vorstehende des Friedensgerichts ja verboten, neue Erfindungen auszuhecken. Detorix blickte konzentriert auf das Apfelbäumchen im Kübel vor dem Fenster. Man hatte es aufgegeben, nicht gepflegt. Hier blühte es im wahrsten Sinne des Wortes auf, trug nicht nur metaphorisch Früchte. "Wir sollten uns über deine Aufzeichnungen Gedanken machen. Die sind total wüst und unstrukturiert. Ich halte es für wichtig, dass du dich mit den Grundzügen von Bürokratisch vertraut machst." Artemis, der leise und wohlig schnurrte, merkte auf. "Ich lerne gern neue Dinge", ließ er Detorix wissen, lächelte schüchtern, wirkte auf ihn, einmal mehr, wie ein possierliches Haustier. "Gut", versicherte Detorix aufgeräumt. Vielleicht, wenn Artemis nicht mehr in Panik geriet, mehr Ordnung in seine Gedanken brachte, konnte er WIRKLICH ein guter Erfinder werden, was gar nicht schlecht war, denn man konnte ja nie wissen, wie das nächste Szenario gestaltet werden musste. Detorix seufzte. »Verdammt!«, dachte er, »jetzt bin ich auch ein alter Softie!« Draußen raschelte höchst vergnügt der Strauchdaimon und flirtete mit dem schmucken Apfelbäumchen. ~~~~*> Ende ~~~~*> Vielen Dank fürs Lesen! kimera