Titel: Zuhause Autor: kimera Archiv: http://www.kimerascall.lima-city.de/ Kontakt: kimerascall@gmx.de Original FSK: ab 12 Kategorie: Seifenoper Ereignis: Halloween 2023 Erstellt: 21.10.2023 Disclaimer: Ken, Ichi, Pearl, Juulio und andere treten in "Jungfernmeister" (Kapitel 20 bis 23) zuerst auf. (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) (^w^) Zuhause Kapitel 1 - Der Countdown Ken balancierte den gewohnten Zahnstocher von rechts nach links, warf einen prüfenden Blick Richtung Dschungel, dann zu Pearl hinunter, die ihn kritisch beäugte, bevor sie sich auf drei Tatzen zu nächtlichen Abenteuern aufmachte. Er streckte und reckte sich, drehte sich dann einmal um die eigene Achse. »So weit, so gut«, traf es nicht unbedingt, aber im Augenblick konnte er hier nicht mehr ausrichten. "Tja", Ken rieb sich über die wollige Tolle, die mal wieder eine Konsultation bei Juulio verlangte, stapfte dann in den bewährten Gummistiefeln durch die von wilder Vegetation überwucherte Brache Richtung Straße. Einer der kürzesten Arbeitswege im Umkreis schloss sich an, denn direkt entlang der Fassade der Vorderhäuser befand sich auch der Zugang zum Warenlager. Dort konnte er sich den Regenumhang abstreifen, das Polo-Shirt überziehen und schlichte Segeltuchschuhe gegen die Gummistiefel tauschen. Ken blickte sich um und entdeckte wie gewohnt recht wenige Kartons, deren Inhalt noch einzusortieren war in das geniale Hochregal-Seilzug-Transportsystem seines Großonkels. Dann konnte er wohl gleich die Honneurs auffrischen, was ihn schon unbewusst dazu veranlasste, den Zahnstocher hinter ein Ohr zu klemmen. Die Glastüren schnurrten pneumatisch auseinander, etwas blechern tönte die winkende Plastikkatze am Eingang ihr Willkommen. Dem strapazierfähigen Teppich folgend hielt Ken auf die Theke zu, hinter welcher Ichi wirbelte, Interessierte mit Artikeln versorgte und kassierte, während er gleichzeitig den Zahlungsdienst für die Stromrechnung bediente. Munter summte und surrte das für Ken anheimelnd klingende Konzert der verschiedenen Seilzüge. Er nutzte die Gelegenheit, Ichi zu betrachten, der offenkundig mal wieder als "Model" für Juulios göttliche Inspirationen gedient hatte, denn eine extravagante Turmfrisur mit diversen Kämmen, Klammern und anderen Dekorationsobjekten schmückte seinen Kopf. Üblicherweise neigte Ichi dazu, die (noch immer dezent nussbraun gefärbte) Masse seiner schweren, glatten Strähnen nach dem Engagement wieder zu befreien und schlichter aufzutreten, um besonders seriös zu wirken, doch dieses Mal schien das Arrangement nicht ganz so komplikationsfrei aufzulösen zu sein. Geduldig wartete Ken, bis er an der Reihe war, vielmehr ungeniert Ichis Rechte okkupieren, einem tadelnden Schnauben zuvorkommen und diesen ausgesprochen gründlich bis leidenschaftlich küssen konnte. Dass sie in wechselnden Schichten arbeiteten, nagte doch ein klein wenig an seiner Libido! "...wir sind hier nicht zu Hause!", zischelte Ichi schließlich, eine sanfte Röte auf den Wangen, die schwarzen Augen funkelnd. Zwinkernd nahm Ken diese zutreffende Kritik an, pflückte durchaus bedauernd den Zahnstocher hinter seinem Ohr ab. "Apropos 'Zuhause'..." (^w^) Ichi hätte gern den "Hausfrauen-Imbiss" aufgesucht, der von Seniorinnen der Nachbarschaft betrieben wurde und mit schlichten Gerichten alle Kochmuffel der Umgebung versorgte, die nicht bis zum Bahnhof laufen und dort in den zahlreichen Geschäften auf die Suche nach Nahrhaftem gehen wollten. Allerdings endete seine Schicht um 22 Uhr, da war seit einer Stunde Zapfenstreich. So konnte er nur, die schlichten Autoreifen-Getas in der Linken, barfuß durch den Dschungel zum zweistöckigen Werkstattgebäude staksen, das ihm seit einer denkwürdigen Nacht Obdach bot. Der schlichte Plastikumhang bewies die Qualitäten eines Müllsacks, zwar perlte der Regen ab, aber in Nullkommanichts stand man im eigenen Schweiß! "Pearl?", wagte Ichi einen Versuch. Da er keine Bewegung wahrnahm, reckte Ichi das Kinn und stapfte, nur vom schwachen Widerschein der Beleuchtung der anderen Häuser assistiert, die steile Stiege hoch, wischte sich die nassen Füße trocken und betrat über die Veranda den "Wohnraum". Dort hatte der andere Bewohner dieses merkwürdigen Gebäudes bereits tüchtig gearbeitet, was Ichi im Schein einer Taschenlampe erkennen konnte. Ichi zündete eine Kerze im Windlicht an, setzte sich und entschied grimmig, zunächst wenigstens die am Mittag erworbene Bento-Mahlzeit zu verkosten. Wie immer bekam auch Pearl ein Eckchen ab, was sie stets bei ihrer Rückkehr von nächtlichen Streifzügen mit Appetit zu verzehren pflegte. So richtig wollte jedoch kein Genuss aufkommen und die ambitionierten Versuche, Juulios Meisterwerk endlich in Einzelteile zu zerlegen, kosteten Ichi ebenfalls Kraft. Besorgt, frustriert und recht zerrupft kroch Ichi schließlich in den fürsorglich ausgelegten Futon. »Nur bis Sonntag...!« (^w^) Irgendwann, das hatte Ken durchaus berücksichtigt, müsste er sich von seinem sehr bequemen, wenn auch eher Dauer-Camping-mäßigen Lebensstil verabschieden, weil der ominöse Zustand unklarer Eigentumsverhältnisse ein Ende hatte. Das seltsame Werkstattgebäude mit Anschluss an die Kanalisation, aber ohne fließendes Wasser und ohne Strom war in zahlreichen Augen ein Ärgernis. Andererseits munkelte man, es gebe da Verbindungen zu bestimmten "Organisationen"... da hielt man sich besser zurück. Tatsächlich hätte man das Gelände sicherlich besser nutzen können, wenn es denn eine Zufahrt gegeben hätte und nicht nur einen schmalen Durchgang. Abgesehen von den undurchsichtigen Besitzverhältnissen über die Jahre. Ken hatte seinen "Vermieter" nie persönlich getroffen. Er zahlte die Miete wöchentlich und genoss die direkte Nähe zum wunderbaren Geschäft seines Großonkels. Dem wiederum behagte es sehr, dass sein Großneffe immer in Reichweite war und mit der gleichen Zuneigung den einzigartigen Verkaufsbetrieb mit den Hochregalen und Seilzug-Akrobatik betreute. Offenbar war nun eines der älteren Einfamilien-Häuschen, deren Nutzungsdauer maximal 50 Jahre währte aufgrund der sehr schlichten Bauweise, verkauft worden und konnte abgerissen werden, was ENDLICH den ersehnten Zugang ermöglichte. Die Ankündigung, das Werkstattgebäude sei innerhalb einer Woche zwecks Abriss zu räumen, hatte in ihm eine gewisse Betriebsamkeit, jedoch keine Panik hervorgerufen. Die beweglichen Habseligkeiten wurden zusammengestellt, der Großonkel informiert, denn immerhin gab es einen kleinen Tresor für die Auslieferungen, die Ken nach Ende der eigenen Schicht noch pflegte, wenn er den Seniorinnen-Imbiss aufsuchte oder andere Geschäfte. Man müsste schauen, wie man ihn abseilte und dann abtransportierte... Außerdem hatte er in der Nachbarschaft gestreut, dass sie eine neue Unterkunft suchten, schlicht, aber Katzen-freundlich, für einen bescheidenen Geldbeutel geeignet. Keine aussichtslose Sache, beschied Ken gewohnt gelassen. Wenn Ichi noch über seine Kalkulation blickte und vielleicht schon mal einige Adressen von Makelnden mit dem Geschäfts-Handy kontaktierte... (^w^) Ken traf Ichi wie häufig, wenn dieser erst die zweite Schicht übernahm, zum Frühstück/"Nachtmahl" im Imbiss. Da konnte man sich ein wenig austauschen und darauf hoffen, dass vielleicht ein kleines Tete-a-tete die Adelung der Nachtschicht krönte. Es ging schon auf 7 Uhr zu, als Ken eintraf, denn er hatte mit seinem Großonkel Details zur Abholung des kleinen Tresors abgesprochen, die temporäre Nutzung des Lagers für ihre Habseligkeiten vereinbart und erfreut die Zusage entgegengenommen, dass der Großonkel für sie als Bürge eintreten werde. Ichi saß, lediglich mit einem Schnürsenkel die schweren Strähnen aus dem Gesicht haltend, vor dem Imbiss und mümmelte missmutig sein Frühstück. In der giftgrünen, verfilzten Wolljacke, die vorher offenkundig einen Sumo-Ringer bekleidet hatte, glänzten noch Regentropfen. Über gelben Leggings trug er ein kurzes Kleidchen aus Chiffon, das seltsam zwischen dunkelblau und violett changierte. Ken hatte es aufgegeben, die merkwürdigen Kompositionen zu analysieren, da die wenigen Kleidungsstücke, die Ichi besaß, auf ihn allesamt so wirkten, als habe man sie aus einer Altkleidertüte entwendet, nachdem sie bereits Ausschuss gewesen waren. "Guten Morgen", grüßte er höflich unter dem Vorhang hindurch, zwinkerte in die Runde emsig wirkender Seniorinnen. "Ah, Kennie, hast du unsere Lieferung dabei?" Die befand sich im kleinen Trolley, den Ken apportiert hatte, weshalb es zunächst um das Geschäftliche ging, bevor ihm die "Börse" vorgestellt wurde, nämlich der aktuelle Sachstand aller Neuigkeiten in der Nachbarschaft plus Recherchen in Sachen "Unterkunft". Während Ken wohlerzogen auf seine Mahlzeit wartete, erschloss sich ihm, warum Ichis Miene viel mit Zitronenverkostung zu tun hatte. Der Wohnungsmarkt war angespannt, schon jeher, zudem waren die eigenen Mittel zu bedenken, die Konkurrenz und die Zusatzkosten. Junge Menschen mit wenig Geld, die sich auch besondere Mobilität nicht unbedingt leisten konnten, gab es zuhauf. Dazu kamen noch ältere Menschen, die ebenfalls nicht viel Rente aufweisen konnten und an die man nicht gern vermietete, aus Sorge, sie könnten es wagen, innerhalb der vier Wände zu versterben, was man nicht goutierte. Natürlich bedankte Ken sich, die Ruhe selbst, für die hilfreichen Auskünfte, ließ sich dann vor dem Imbiss neben Ichi nieder. "Wie soll das in einer Woche funktionieren?", grollte Ichi, hielt ihm eine Liste mit zahlreichen durchgestrichenen Einträgen hin. Offenkundig reduzierte sich die Auswahl der Makelnden schon erheblich in der Recherche vorab. "Wir legen ja gerade erst los", antwortete Ken gelassen, "mein Großonkel bürgt für uns und wir können temporär unsere Sachen im Lager unterstellen." Ichi pickte in seinen Nudeln herum, "was ist mit deiner Familie?" "Hmm", Ken löffelte sämige Suppe als Entree, "die kennen sich hier gar nicht aus..." "Ich meine als Unterkunft", zischte Ichi grimmig, funkelte ihn an, bevor die schweren Strähnen wieder sein blasses Gesicht verbargen. "Tja", Ken unterdrückte ein Schmunzeln, "das klappt wohl eher nicht. Noch drei in die kleine Bude...? Und ich bezweifle stark, dass Pearl mit Chichi auskommt." Er wartete amüsiert, bis Ichi nachhakte, merklich angespannt und aufgebracht. "Wer ist Chichi?" "Meine Mutter behauptet, es wäre eine Chihuahua-Pinscher-Mischung, aber ich hege da Zweifel", antwortete Ken nachdenklich, denn für ihn sah Chichi eher aus wie eine Ratte mit Fellausfall und eingebauter Übellaunigkeit plus Asthma. Ichi schnaubte verärgert, "Manga-Cafés oder Kapsel-Hotels scheiden aus, das weißt du doch sicher, oder? Ich werde Pearl auf KEINEN FALL in ein Heim geben!" Ken stellte seine Schale ab und strich Ichi uneingeladen lange Strähnen hinter das rechte Ohr, küsste ihn sanft auf die Wange. "Davon ist auch keine Rede. Wir bleiben zusammen. Da wird sich schon was finden." Er zwinkerte. Ichis schwarze Augen blitzten Sturmwarnung, er rang um Selbstbeherrschung. "Du hast aber vernommen, was dir die Omas gerade alles erzählt haben?!" "Jupp", bestätigte Ken unbeeindruckt und schaufelte nun genüsslich Nudeln. Neben ihm brodelte es unterdrückt, bevor Ichi schnaubte, "wirklich, du bist ein komischer Kauz!" (^w^) Ken akzeptierte gelassen, dass mit einem Schäferstündchen nicht zu rechnen war, da Ichi angespannt wie ein Flitzebogen die Angebote sondierte, dabei immer wieder zornige Blicke auf das in Bälde ehemalige Einfachhaus warf. Denn da betätigte sich bereits, vorsichtig und mit Bedacht, um nicht die Nachbarhäuser zu beschädigen, ein Abreißtrupp. "Ich lege mich ein wenig hin, bevor heute Nachmittag Verstärkung wegen des Tresors kommt", kündigte er Ichi an. Dann wäre auch genügend Zeit, die wenigen bereits entbehrlichen Habseligkeiten nach vorne in das Lager zu räumen. Ichi knurrte bloß, hinter den schweren, glatten Strähnen kaum kenntlich, die zahlreichen Accessoires von Juulio in einer Tüte neben sich deponiert. Wenn er zu seiner Schicht ab 14 Uhr aufbrach, wollte er vorher noch die Retoure erledigen, im Imbiss essen, für Pearl und Ken etwas mitbringen, damit die nicht leer ausgingen, dazu das wie gewohnt regengespülte Geschirr zurückerstatten... Außerdem sollten sich doch Besichtigungstermine finden! In seinem Inneren lief ein Countdown, und der zeitigte sehr hässliche, drohende Konsequenzen mit sich zu bringen. (^w^) "Nun ja", Ken kletterte die schmale Stiege hinunter und kommentierte damit Pearls kritisches Niesen. Beim Einzug hatte er mit einer Seilkonstruktion den kleinen, aber schweren Tresor nach oben befördert, ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen. EINE Schwierigkeit hatte sich gerade von selbst erledigt, denn der per altem Teppich mühsam auf die Veranda gezogene Tresor verzog sich VOR dem kleinen, mobilen Kran mit Flaschenzug unerwartet flott Richtung Erdmittelpunkt: ein kleines Knacken später brachen die offenkundig doch nicht mehr so haltbaren Holzbohlen und der Stahlwürfel plumpste auf den gestampften Boden. "Schätze, wir haben ein paar Glücksgottheiten auf unserer Seite", ging Ken neben Pearl in die Hocke, ließ den unvermeidlichen Zahnstocher in den anderen Mundwinkel wandern. Von unten sah es tatsächlich so aus, als würde das kleine Gebäude auch vom Zahn der Zeit recht grob zernagt. Vielleicht also eine vorteilhafte Fügung, dass sie zu einem Umzug gezwungen wurden? Nun, wenigstens hatte er den Tresor schon mal auf Bodenniveau! Ken kraulte Pearl sanft, die energisch schnurrte und die ganzen Veränderungen nicht sonderlich begrüßte. "Richtig, aber jetzt gibt's kein Zurück mehr", erklärte Ken, sah sich nach der Transportkarre um, die für schwere Lasten genutzt wurde. Der Tresor musste auf die Tragfläche...ob da ein wenig Aushub zur Gewichtsverlagerung half? (^w^) Ichi starrte mit geballten Fäusten auf das ausfransende Loch. Wie konnte Ken bloß so...?! Er atmete tief durch. Pearl, die ihre nächtlichen Katzen-Aktivitäten noch nicht aufgenommen hatte, rieb sich an der Leggings, was ein herrliches Knistern in ihrem Fell erzeugte. Prompt klappte Ichi die dünnen Beine ein, hob Pearl auf und kuschelte trostsuchend. Das ehemalige Vorderhaus war schon eine Ruine, nun drohte auch hier der Zusammenbruch! Ichi fröstelte, obwohl es zur Abwechslung mal nicht enervierend vor sich hin nieselte. Die Taifun-Saison kam, er hatte zwar Arbeit, aber bald kein Dach über dem Kopf mehr... Pearl schnurrte aufmunternd, der kupierte Schwanz malte kurze Kreisel in die kaum beleuchtete Dunkelheit. Ichi schnaubte. Es half nichts, sich zu sagen, man habe schon Schlimmeres überstanden, wenn man genau wusste, wie das im Detail aussah! (^w^) Ken bewältigte wie gewohnt allein die Nachtschicht. Tauschen konnte er nicht, denn über Tag brauchte es in den zwei Schichten mindestens zwei Personen, und derzeit konnte man froh sein, dass überhaupt stundenweise diese Quote erfüllt wurde. Einzelhandel zahlte nicht viel, das Leben in der Metropolregion war teuer und Karrieremöglichkeiten gab es auch wenig. Zudem musste man sich auf vielerlei Talente berufen können, angewandte Psychologie, ökonomisches Verständnis, mechanische Fähigkeiten und eine Leidenschaft für kreative Problemlösungen. SEINEN Talenten entsprach diese Stellenbeschreibung vollkommen. Die Nachtschicht hätte auch den Vorteil bieten können, sich tagsüber um das Projekt der neuen Unterkunft kümmern zu können, doch Ken hielt es für wichtig, sich gemeinsam dieser Herausforderung zu stellen (soweit es zu einer Terminvereinbarung kam). Leider zeigte sich bereits am Anfang ihrer Unternehmung schon, dass es nicht ganz so geschmeidig verlaufen würde. Den Zahnstocher routiniert rotieren lassend sondierte er die verschiedenen Auftritte. Papierkataloge und -magazine hatten sich erheblich reduziert, auch, weil sich Mietverhältnisse so rasch änderten. Für Ken, der gleichzeitig Hochregale geübt bestückte, genügte ein Einzimmer-Appartement. Es sollte in Reichweite ihres Arbeitsplatzes liegen. Seine Aufstellung ihrer Finanzen hatte Ichi nicht widersprochen, der auch noch eine zerbeulte Katzen-Spardose vorhielt, um für Pearl vorzusorgen. Ken seufzte nachsichtig. Zugegeben, die Krankenversicherung, auf die sein Großonkel bestand, konnte für Pearl nicht bedient werden. Haustier-Versicherungen waren kostspielig. Dass Ichi Pearl an die erste Stelle setzte, nahm er auch nicht krumm, denn die dreibeinige Katze mit dem buntscheckigen Fell bewahrte Ichis seelische Gesundheit, stärkte seinen Selbsterhaltungstrieb. Ken war nicht offiziell eingeladen, die Katzen-Spardose zu füttern, tat es deshalb heimlich, denn natürlich waren sie ein Trio, die drei Musketiere quasi, und deshalb würde er ebenfalls zu Pearls Wohlergehen und tiermedizinischer Versorgung beitragen! »Na schön«, dachte Ken deshalb, studierte die wenigen freien Offerten und die zum Teil exorbitanten Mietzinsen. Möglicherweise musste man ein wenig kreativer werden, aber ihn schreckte das nicht ab! (^w^) Etwas überrascht nahm Ken zur Kenntnis, dass Ichi ihn nicht zum Frühstücken/"Abendessen" im Imbiss erwartete. Das abgelieferte Geschirr ließ jedoch erkennen, dass er die Seniorinnen-Riege aufgesucht hatte. "Ah, Kennie, guten Morgen! Das Herzchen hat sich schon auf den Weg gemacht", wurde er adressiert, als er wie gewohnt erst den Kopf unter dem Vorhang hindurch streckte, dann den Trolley näher heranzog. "Ist ja eine ganz schöne Strecke, und warten muss man bestimmt auch", ging es für Ken recht kryptisch weiter. Das Mysterium würde sich wohl aufklären, wenn er zunächst die geschäftlichen Aufgaben erledigte, entschied Ken. Damit lag er in seiner Einschätzung richtig, denn offenbar hatte Ichi entschieden, sie als "Wohnungssuchend" bei der Stadtbezirksbehörde registrieren zu lassen. Da er gleichzeitig auch noch das ihnen für die Bereitschaft überlassene Handy mitgenommen hatte, konnte Ken nur vermuten, er habe kurzfristig einen Vorsprachetermin erhalten. Nun gut, für diese Zwecke verfügten sie ja über eine "Bewerbungsmappe", nicht wahr? Er ließ sich seine Ration zum Mitnehmen verpacken, denn Pearl konnte bestimmt eine frühe Stärkung vertragen. Dann würde er sich selbst um potentielle Alternativen bemühen, bevor es galt, ein wenig Schönheitsschlaf aufzuholen. (^w^) Der Fußweg dauerte fast eineinhalb Stunden, aber Ichi nahm dieses Hindernis entschlossen auf sich. Umleitungen, Baustellen, Staus, "agile" Verkehrssteuerung, das war schließlich nur der Anfang. Dann hieß es warten, auf unbequemen Hartschalen-Stühlen. Auch wenn die Chancen sich gering ausnahmen, hielt er es für notwendig, wenigstens alle Anstrengungen unternommen zu haben. Wie üblich bedeutete das zunächst, auf einem Klemmbrett auf den Knien einen mehrseitigen Antragsbogen auszufüllen, diesen abzuliefern und dann erneut zu warten. Ichi riskierte einen Blick auf das Handy, sparsam darauf bedacht, es nur zu aktivieren, wenn es sich nicht vermeiden ließ, da sie es nur im Laden aufladen konnten. Ein Leben ohne eigenen Stromanschluss sorgte für planvolles Vorgehen! Drei weitere Absagen! Ichi schnaubte kurz, lockerte dann die angespannten, schmalen Schultern, reckte das spitze Kinn und richtete sich auf. Aufstecken kam nicht in Frage! Endlich wurde sein Name aufgerufen, sodass er an einen Schalter treten konnte. An die scheelen Seitenblicke hatte er sich längst gewöhnt und ignorierte sie ebenso entschlossen wie stolz. Zunächst wurden die Eintragungen, die er mit sorgfältig ausgeführten Schriftzeichen gemacht habe, wiederholt, bereits stockend bei der augenblicklichen Wohnadresse. "Wir haben dort kein Gebäude registriert", die Mitarbeiterin blickte ihn fragend an. Ichi zückte das Handy, rief erst den Stadtplan auf, dann ein (bei besserem Wetter) geschossenes Bild des Werkstattgebäudes. "Es befindet sich im Hinterhof, an dieser Stelle. Es ist an die Entwässerung angeschlossen. Hier ist auch ein Abzug des Mietvertrags", reichte er ein in Klarsichtfolie eingeschlagenes Dokument über den Schalter. Ratlosigkeit, erneutes Tippen auf der blütenweißen Tastatur. "Vermutlich müsste ein Abrissantrag jüngeren Datums vorliegen", ergänzte Ichi, "das ist nämlich der Grund, warum wir ausziehen müssen. Bis Sonntag", betonte er nachdrücklich. "Solche Anträge können wir nicht abrufen", wurde ihm beschieden, was Ichi nicht sonderlich wunderte. Vernetzung gab es nur analog, per Papier, vor allem, wenn unterschiedliche Ressorts betroffen waren. Hier war er im "Sozial- und Fürsorge"-Bereich, während Bau- und Geschäftsvorhaben von ganz anderen Abteilungen betreut wurden. "Sie arbeiten im Einzelhandel?" Eine rhetorische Frage, da Ichi nicht nur die Eintragungen vorgenommen, sondern auch eine entsprechende Bestätigung beigefügt hatte. "Richtig, das Geschäft befindet sich in unmittelbarer Nähe", bestätigte Ichi, sich eisern in Geduld übend. "Es ist eine...geteilte Unterkunft, richtig?" Ichi spürte, wie sich seine dünnen Augenbogen ärgerlich zusammenzogen und zwang sich ein Lächeln auf. "Ich bin erst vor kurzem miteingezogen", hielt er sich im Wesentlichen an die Tatsachen. Es spielte schließlich keine Rolle, in welchem Verhältnis er zu Ken stand, nicht wahr?! "Und der andere Herr...ist nicht hier?" Das konnte man wohl offenkundig erkennen, doch Ichi schluckte eine bissige Replik herunter. "Er hat gerade die Nachtschicht beendet und wäre nicht pünktlich hier gewesen. Wie Sie sehen können, habe ich seine Vollmacht, Erklärungen bezüglich unserer Unterkunft abzugeben." Was erstaunlicherweise schon am Sonntag von Ken vorbereitet worden war. Es hatte Ichi verblüfft, der nicht glaubte, dass Ken sich jemals dem harten Überlebenskampf hatte stellen müssen...andererseits, ein komischer Kauz war der Bursche in jedem Fall! Man blätterte...und blätterte. "Hier steht, dass Sie eine Katze haben." Das klang beinahe vorwurfsvoll. Automatisch stellte sich Ichi das metaphorische Fell auf, fuhr er die imaginären Krallen aus (seine Fingernägel waren gepflegt und kurz gehalten). "Richtig, das ist Pearl." "Nun, das ist durchaus ein Problem. Sehen Sie, die meisten Einrichtungen lassen aus hygienischen Gründen keine Tierhaltung zu. Zudem ist es auch ein erheblicher Kostenfaktor. Wir empfehlen eine Abgabe." Genau, Haustiere stellten einen veritablen Luxus dar, ihre Unterhaltung und Pflege war teuer. "Kommt nicht in Frage", beschied Ichi prompt und kompromisslos. NIEMALS würde er Pearl wie ein lästiges Gepäckstück irgendwo deponieren, wie Ballast einfach abwerfen. Ihn traf ein besorgter Blick, dann materialisierte sich auch ein Mann, mutmaßlich in Seniorität in der Bearbeitung. "Wir haben hier Regeln und Standards", ließ er Ichi wissen, wobei sein Blick von den Segeltuchschuhen bis zum geflochtenen Zopf wanderte. Ichi funkelte eisig zurück, "Pearl bleibt bei mir. Eine Abgabe steht nicht zur Debatte." Er konnte sehen, dass sein Gegenüber diese Art von Entschlossenheit von Bittstellenden nicht gewohnt war und noch weniger goutierte. "In diesem Fall..." Entschieden griff Ichi seine Unterlagen, verstaute sie in der Stofftüte. "In diesem Fall sollten Sie auf Ihrer Informationsseite gleich mitteilen, dass Haustiere abzugeben sind. Das erspart den Weg hierher und die Wartezeit. Guten Tag." Damit wandte er sich hocherhobenen Hauptes ab und marschierte zum Ausgang. (^w^) Ken fand nur wenig Ruhe, denn man begab sich daran, die Wände des ehemaligen Hauses abzutragen und anschließend die Bodenplatte aufzubrechen. Das Getöse konnte selbst ihm den Schlaf rauben, sodass er sich erhob, das Loch noch mal inspizierte und mit einem Holzbohrer auf die Jagd nach anderen Faul- und Schwachstellen ging. Pearl, die den Rabatz auch nicht leiden konnte, begleitete ihn und beäugte kritisch seine Anstrengungen. "Nun ja", balancierte Ken den Zahnstocher geübt in den anderen Mundwinkel. Möglicherweise kam der Umzug zur rechten Zeit, bevor die mürben Stellen überhand nahmen und sie schneller im Erdgeschoss residierten als gedacht! Er rieb sich über die krause, dichte Wolle, zwinkerte Pearl dann zu. "Lust auf einen Ausflug, Prinzessin Samtpfote?" (^w^) "So eine Schande!", kommentierte Juulio, während er flink um Ken rotierte, geübt die Haare stutzte, sodass sich wieder eine gepflegte Tolle erkennen ließ, "es wäre ja nicht so schlimm, wenn es halbwegs vernünftige Wohnungen für normale Leute würden!" Damit spielte er auf die Spekulationen an, die es zur geplanten Bebauung gab. Die Inflation plagte alle, auch und besonders das Bauen wurde teurer, was natürlich auf die Neubauten geschlagen werden würde. Ein Programm zum sozialen Wohnungsbau wie Anfang der 60-er des vergangenen Jahrtausends gab es nicht, man glaubte, mit "ultralockerer" Geldpolitik und der "unsichtbaren Hand" des Marktes jedes Problem lösen zu können. Wider alle Erkenntnisse dieser gar nicht neuen Theorien funktionierte diese Strategie nur bedingt und auf Kosten anderer Faktoren des Zusammenlebens. "Hoffentlich achtest du auf Ichi, ja?", Juulio zwinkerte Pearl zu, die noch nie einen Frisörsalon besucht hatte und das Treiben gespannt verfolgte, "der Süße macht sich bestimmt Sorgen!" Ken ersparte sich eine Antwort, denn ihm wurde gerade mit einem großen Pinsel über das Gesicht gewischt, um vorwitzige Haarsprengsel abzukehren. "Ich weiß leider auch von keiner freien Wohnung...ihr wollt doch hoffentlich in eine Wohnung, oder? Also, das Campieren in Autos kann ich nicht empfehlen!", lief "Radio" Juulio weiter, während er um Ken herumwieselte, dessen Kopf nach hier und da drehte, um die Perfektion seiner Arbeit sicherzustellen. Ken erinnerte sich, dass Menschen selbst in der Metropole in ihre Autos hatten "einziehen" müssen, weil sie ihr Einkommen verloren hatten und sonst kein Obdach fanden. "Das scheidet erst mal aus", antwortete er trocken, denn a) verfügte er über kein solches Gefährt und b) waren Autos jeglicher Größe oder Zuschnitts sehr teuer. Deshalb hatte er nie in Erwägung gezogen, sich in eine derartige Investition zu stürzen. "Lass dich bloß nicht von der Werbung irreführen!", Juulio gestikulierte ihm, dass er sich erheben durfte, "zwei Wochen Wandertour durch Hokkaido, ich kam mir später vor wie ein klappbarer Liegestuhl ohne Anleitung! Drei Monate Physiotherapie!" "Oha", kommentierte Ken sparsam, versorgte sich mit dem gewohnten Zahnstocher. Pearl maunzte mahnend. "Na, dir würde das auch nicht gefallen", Juulio kraulte Pearl sanft zwischen den Ohren, sortierte dann sein Werkzeug und tänzelte summend zu seiner altmodischen Registrierkasse. Ken beglich die Rechnung und vermutete, dass er die nächsten zwei Tage noch merklich nach Juulios Luftbedampfer riechen würde, häufig stark mit Patchouli versetzt. "Ich melde mich, sollte ich doch was hören", versicherte Juulio, klopfte Ken auf die Schulter, "sieh darauf, dass Ichi sich nicht zu sehr sorgt." Sich mit zwei Fingern an die Schläfe tippend signalisierte Ken Gehorsam, bückte sich dann, um Pearl auf den Arm zu nehmen. "Alles roger. Nun, Majestät, auf zum Imbiss." Denn dort würden sie hoffentlich Ichi wiedertreffen. (^w^) Den Seniorinnen gefiel es, dass Ken darauf achtete, halbwegs adrett zu erscheinen, was bei seiner "Putzwolle" gar nicht so einfach war. Zudem hatten sie für ihn und Pearl schon die Bento-Boxen gerichtet, warteten nun auf Ichi, der ja vor seiner Schicht noch bei ihnen einen Happen zu essen pflegte (und normalerweise die Bento-Boxen mitnahm, denn vor Kens Nachtschicht schloss ihr Imbiss ja). Ken ließ sich mit Pearl vor dem Imbiss nieder, genoss einige versprengte Sonnenstrahlen, die nicht darüber hinwegtäuschten, dass die Taifun-Saison begann. Es war unangenehm schwül, was nichts Gutes verhieß, doch in der Metropolregion gab es sogar unterschiedliches Wetter! Vielleicht schüttete es eher am Ufer? Pearl ließ sich kraulen, nippte von einem Tellerchen Wasser und putzte das eigene Fell sorgsam. Kens Zahnstocher rotierte. Ichi war spät dran, würde es überhaupt noch reichen, etwas zu essen, bevor die Übergabe und seine Schicht begann? Etwas überrascht bemerkte er eine sehr schlanke Silhouette mit Stofftüte, die energisch heranschritt. Ichi trug tatsächlich Hosen mit Bügelfalte und einen Pullunder?! "Sieh an", murmelte Ken und ließ Pearl entwischen, die lebhaft miauend auf Ichi zuhielt. Der ging sofort in die Hocke, schmuste mit der dreibeinigen kleinen Katze. Das, hoffte Ken, würde zumindest einige der düsteren Wolken aus Ichis Miene vertreiben. Er streckte das frisch coiffierte Haupt unter dem Vorhang hindurch, "Ichi kommt, aber ich glaube, wir nehmen das Essen besser mit." Ohne Publikum, im Lager, könnte Ichi wenigstens detonieren und ein wenig Druck ablassen. (^w^) "Oha", bemerkte Ken leise, als er mit Pearl den Durchgang zur Brache wählte. Überall fanden sich nun Metallstäbe mit flatternden Markierungsbändern. Ein hünenhafter Mann mit Bauhelm nahm sie zur Kenntnis und stapfte heran. Ken stellte sich und Pearl vor, damit es nicht zu "Missverständnissen" kam, denn noch hatten sie schließlich Zugang zu ihrer "Mietwohnung". "Handa", der Riese neigte den Kopf, reichte Ken eine gewaltige Pranke und schüttelte sie, "weiß Bescheid, Abriss erst am Montag...zumindest von dem, was dann noch steht." Er zwinkerte und Ken lächelte, denn offenbar hatte der Vorarbeiter sich gründlich umgesehen. "Wir markieren, damit wir wissen, wie die Entwässerung angelegt wurde. Dann brauchen wir ja auch weitere Leitungen und Kabelschächte." Was den Flatterband-Parcours erklärte. "Habt ihr denn schon was Neues?", unbefangen bückte Handa sich, um Pearl zu kraulen, die ihn neugierig studierte. "Noch nicht, wir arbeiten dran", bekannte Ken, ließ den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel rotieren. Handa nahm Pearl hoch, die sich das gefallen ließ und ihm sogar auf die Schulter kletterte, um die Aussicht zu genießen. "Tja, ich kenn mit meinem Trupp", damit gestikulierte er auf die verteilte Gruppe kräftiger Männer in Arbeitskluft, "nur Pensionen und Badehäuser. Schwierig mit Pelzträgern, obwohl das eigentlich kein Kriterium sein sollte", dabei strich er durch einen imposanten Vollbart und lachte volltönend. Pearl, die ihre Krallen in die Happi-Jacke gegraben hatte, rieb neugierig das Haupt an der Gesichtszier, was knisterte, ihr eine sichernde Pranke einbrachte und zwei amüsiert funkelnde Augen. "Na, wir mit Fell und Bart müssen zusammenhalten, oder nicht?", neckte Handa die kleine Katze, die er mühelos auf einer Hand balancieren konnte. Pearl maunzte nachdrücklich und rieb erneut das Fell am Vollbart, denn sie mochte das elektrostatische Knistern sehr gern. Fast so amüsant wie Kens Tolle! Der Mann mit der Statur eines gewaltigen Bären lachte dröhnend und nahm sie vor den großen Brustkorb. "Ich werd schon aufpassen, dass ihr nicht unter die Räder kommt. Viel Erfolg bei der Suche nach einer Unterkunft, Kamerad", wünschte er jovial, bevor er Pearl wieder in den Dschungel zu seinen Füßen absetzte. Ken nickte und wünschte seinerseits gutes Gelingen. Erfreulich, dass der Mann so zugänglich war, das würde die restliche Woche bestimmt erträglich gestalten! (^w^) Ichi erschien zum Schichtwechsel am Morgen, grimmig blickend, nicht nur dem Umstand geschuldet, dass es seit dem Abend ununterbrochen regnete und er barfuß gekommen war, um sich vor dem Lager die nackten Füße abzuspülen. "Der Vorarbeiter sagt, du kannst den Morgen für den Schönheitsschlaf nutzen, weil sie erst Rampen legen müssen, damit die Maschinen nicht feststecken. Ich denke allerdings, du solltest die Futon-Matratze kritisch prüfen. Langsam lassen sich die Klumpen nicht mehr rausbügeln." Ken nickte, von den Hiobsbotschaften nicht eingeschüchtert, löste das Sicherungssystem aus, damit Ichi hinter die Theke treten konnte. Mangels störender Kundschaft konnte er auch eine Attacke auf Ichis Tugend lancieren, diesen intensiv auf die ärgerlich geschürzten Lippen küssen. "Wird schon werden", zwinkerte er zuversichtlich, Ichis empörtes Schnauben belächelnd, "ich lass mir was einfallen." Zunächst aber würde er den gefüllten Trolley apportieren und sich ein Frühstück verschaffen. (^w^) "Na ja", räsonierte Ken und kraulte Pearl, der selbst als "Meerkatze" so langsam der ununterbrochene Regen aufs Gemüt schlug. Ichis Einschätzung bezüglich der Futon-Matratze, die aus mehreren Schichten bestand und für Feuchtigkeit anfällig war, konnte er nicht negieren. Ersatz müsste wohl her, vielleicht aus der Camping-Sparte? Iso-Matten? Wäre natürlich unpraktisch, wenn sie ein "modernes" Appartement ergatterten, da schlief man schließlich in Betten und nicht mehr auf dem Boden. Während er nach Sonderposten fahndete, arbeitete er gleichzeitig (dank Regenkulisse und ohne maschinelle Erschütterungen) ausgeschlafen durch die sich unerfreulich reduzierende Liste an Kontakten für eine Unterkunft. Vorteilhaft, dass der letzte Gesprächspartner nicht Ichi zugefallen war, denn das hätte dessen Laune zweifelsohne nicht gehoben. Empfahl der Mensch ihm doch glatt eine Unterkunft bei einem großen Park mit nettem Ambiente und Gleichgestellten, was keine sonderlich subtile Anspielung auf die Pappkarton-Häuschen der obdachlosen Menschen darstellte, die dort eine zweifelhafte Zuflucht gefunden hatten. Ken jedenfalls war nicht amüsiert, da er Unglücke seiner Mitmenschen nicht erheiternd fand, weshalb er seine üblicherweise gelassene Grundstimmung vernachlässigte und dem Makler mitteilte, er werde dessen großherzigen Ratschlag an entsprechender Stelle als Serviceleistung weiterempfehlen. Dann mochte sich die Innung damit befassen. Allerdings durfte man sich grundsätzlich von Unsympathen nicht die Petersilie verhageln lassen, erinnerte Ken sich und kraulte Pearl, die den Schnurrmotor anwarf. Wenigstens war es ihm gelungen, für den Sonntagnachmittag einen Ortstermin zu vereinbaren. Da könnten sie beide gemeinsam das Angebot inspizieren. (^w^) Ken blickte auf, als Ichi den Laden betrat, den Plastikumhang ausschüttelte und die schlecht intonierende Katze dabei zu mehreren Wiederholungen ihrer Begrüßungsformel zwang. Gewitterwarnung dechiffrierte Ken, der sicherheitshalber den Zahnstocher hinter ein Ohr deponierte. Ichi war am frühen Abend aufgebrochen, nachdem er für Pearl und Ken beim Imbiss die Mahlzeiten abgeholt hatte. Eine kurzfristige Ortsbesichtigung, gerade mal eine Stunde alt! Da Ken gleichzeitig die alte Futon-Matratze entsorgt hatte und das Tennisnetz als temporäres Lager aufhing, wurde er streng ermahnt, die Stellung zu halten und pünktlich zur Nachtschicht anzutreten. Der energisch anmarschierenden Sturmfront auf zwei Beinen nach zu urteilen war der Ortstermin nicht sonderlich gut verlaufen. "Das Angebot können wir streichen", Ichi reichte grimmig das Handy zwecks Stromfütterung über die Theke, trotz Plastikumhang recht feucht, die geflochtene Hochsteckfrisur ramponiert unter der lächerlichen Kapuze, "außerdem habe ich dem Arsch in die Eier getreten." Ken lupfte fragend eine Augenbraue, während er die Steckverbindung mit dem Adapter einrichtete. Ichi kochte noch immer vor Zorn, "dieser Drecksack wollte, dass ich ihm einen blase, dabei konnte ich schon am Eingang sehen, dass Tierhaltung verboten ist! Von so einem Scheißer lass ich mich doch nicht befummeln!" Eine Einlassung schien gefordert, weshalb Ken nickte und "richtig" bekundete. "Der dachte wohl, ich bin blöd und falle auf sein Gewäsch rein, aber da ist er TAUSEND Jahre zu früh dran, um mich einwickeln und unter Druck setzen zu können!", brodelte Ichi, die Fäuste geballt, "denk nicht, ich gebe mir keine Mühe, aber das war von Anfang an keine vermietbare Wohnung!" Ken hob die Hand und strich behutsam eine schwere Strähne hinter Ichis rechtes Ohr, sich weit hinüberlehnend. "Dieser Mistkerl hat sich das nur erlaubt, weil er in der Bewerbung mein Bild gesehen hat! Wenn DU hingekommen wärst...!" "Ich wäre gar nicht eingeladen worden", lächelte Ken, der sich auch abgelichtet hatte, "obwohl ich gar nicht so schlecht bin, was..." Blitzartig presste eine schlanke Hand seine nächsten Worte zurück, während Ichi wie ein Streuner fauchte. Mit einem Zwinkern nutzte Ken die Gelegenheit und drückte einen Kuss auf die Handfläche, die ihm den Mund versiegelte. "...jedenfalls ist diese Sache gestorben!", schnaubte Ichi, zog die Hand zurück und richtete sich lotrecht auf. "Nun, uns bleibt wenigstens noch Sonntag", beschwichtigte Ken schmunzelnd, "außerdem sind noch ein paar Option offen." "Wenn uns nicht vorher dieser blöde Regen wegspült", grollte Ichi unbeeindruckt, zerrte sich die Kapuze wieder über den Schopf, "gute Nacht!" Ken lachte leise, was ein wütendes Fauchen hervorlockte, als Ichi wie eine große Diva schwungvoll den Laden verließ. Pearl würde das aufgestellte Fell schon wieder glätten, hoffte er. Zudem zeigte sich die trotzige Abwehrhaltung gegen die Unbillen des Schicksals, die Ken darin bestärkte, dass Ichi ihm tatsächlich zutraute, sich nicht einfach davonzumachen und sie sich selbst zu überlassen, wenn es ein klein wenig schwierig wurde. Er durfte sich nicht allzu sicher wähnen, das wusste Ken, auch wenn Ichi sich weiterhin nicht über seine Vergangenheit ausließ. Die unveränderlichen Spuren an dem schlanken Körper sprachen eine deutliche, sehr hässliche Sprache, die Ichi überdies auf dem linken Ohr schon gar nicht mehr vernehmen konnte. Ken spürte, wie sich sein Unterkiefer verhärtete und deponierte entschieden den Zahnstocher in einen Mundwinkel. Nun, garantiert war im Leben bloß der Tod, aber bei allem anderen musste man sich eben tummeln! (^w^) Ichi schlief nicht zum ersten Mal in dem alten, als Hängematte umfunktionierten Tennisnetz. Glücklicherweise hielten die Wandhaken und trotz seiner Empörung hatte er sich ein wenig erholen können. Dazu trug auch Pearl bei, die es angesichts des Dauerregens und heftiger Windböen vorgezogen hatte, Dschungel-Abenteuer zu verschieben und sich mit Ichi die dezent schaukelnde Lagerstatt zu teilen. Frühschicht bedeutete nun allerdings, durch den sumpfigen Matsch, in den sich die Brache verwandelt hatte, Richtung Imbiss aufzubrechen, dort rasch zu frühstücken und zu hoffen, dass Ken später dort eintraf und für Pearl einen Nachtisch mitbrachte. Ichi teilte grundsätzlich die katzengeeigneten Mahlzeiten mit Pearl, wenn er Sorge hatte, nicht rechtzeitig für Nachschub sorgen zu können. Pearl sollte keinen Mangel erleiden, auf keinen Fall! Als Ichi sich von Pearl verabschiedete, die nasse Hitze verabscheuend, die den billigen Polyester eines Damenblüschens allzu eng auf den Leib klebte, flammten unerwartet Bau-Strahler auf, die die Brache fast taghell erleuchteten. Der Eindruck einer Schlammdeponie mit Unkraut wurde dadurch nicht besser, aber Ichi konnte sich wenigstens entlang der Markierungen durchschlagen, bis in die Kniekehlen bespritzt (was glücklicherweise die Hotpants nicht traf). Handa grüßte jovial, bevor er mit seiner Truppe auf ausgerollten Kunststoffstreifen das Gelände erkundete. Unwillkürlich wandte sich Ichi herum, hätte Pearl am liebsten mitgenommen, damit ihr auch wirklich nichts geschah. Pearl schien diese Sorge aufzufangen, denn sie sprang geschmeidig trotz der drei Beine auf die seltsamen Kunststoffstreifen und kam Handa entgegen, der lachte, sie hochhob, den Vollbart für knisternde Entladungen zur Verfügung stellte und dann mit Pearl auf der Schulter die Exkursion fortsetzte. Einen heftigen Anflug von Eifersucht verspürend zwang Ichi sich, eilig den Imbiss anzustreben, wo er zum ersten Mal an diesem Tag mit einer Gießkanne seine unteren Extremitäten abspülte. (^w^) Ichis schweigsame Sorge spürend verzichtete Ken bedauernd auf jeden Versuch des Anflauschens, obwohl er sich nach der Nachtschicht so ein Sahnehäubchen auf seine fleißige Tätigkeit durchaus gewünscht hätte. Aller seiner Aufgaben ledig, ohne besondere Vorkommnisse berichten zu müssen, zog er, den hartnäckigen Guss von allen Seiten ignorierend, zum Imbiss, um für sich und Pearl eine Stärkung zu erwerben. Die Brache sah, nicht nur durch die grelle Beleuchtung, verändert aus, als er beladen zu ihrem Noch-Heim zurückkehrte. Offenkundig war es gelungen, über die Kunststoffstreifen eine Erdfräse zu transportieren, die nicht Gefahr lief, im Schlamm festzustecken, sondern beharrlich Gräben in den verhärteten Boden zog. Pearl gesellte sich zu Ken, der auf der Veranda (weit genug weg vom Loch) sein Abendessen verkostete und dem Treiben zusah. Wegen der Matratze sollte ein Ersatz in Erwägung gezogen werden, das stand auf seiner Auftragsliste. Und dann blätterte er noch, sich die Augen reibend, durch die Liste an Pensionen, Hotels und Rund-um-die-Uhr-Cafés, die auch als temporärer Schlafplatz dienen konnten. Obwohl sie beide noch jung waren, schied eine Unterbringung in Wohnheimen offenkundig aus, wie er den Nutzungsbedingungen entnahm. Geschweige denn, dass dort freie Kapazitäten für ihren Geldbeutel bestanden! Ken liebkoste Pearl sanft, die schon mal in Vorlage in Sachen Schönheitsschläfchen ging. Er überschlug die Aufwendungen für Anreisen aus Satellitensiedlungen der Metropolregion, doch selbst das war nicht finanzierbar, da diverse Transportgesellschaften nach den Einbrüchen durch die Covid-19-Pandemie nun ihre Preise erheblich angehoben hatten. "Tja", rotierte er den Zahnstocher nachdenklich in den anderen Mundwinkel. Möglicherweise sollte man doch mal über ein ordentliches Zelt nachdenken... (^w^) Kapitel 2 - Eine kleine Horror-Show Ichi stapfte barfüßig durch die seltsame Graben-Landschaft zu ihrer Noch-Unterkunft, die schmalen Schultern hochgezogen, merklich verärgert. Ken, der ihm in gemächlichem Schritt in den bewährten Gummistiefeln folgte, apportierte die Bento-Boxen und fragte sich, ob Ichi eventuell mit einem Besuch des nächsten öffentlichen Bades (Sento) zuversichtlicher gestimmt werden könnte. Allerdings bedeutete das, noch zweimal an diesem Tag durch den Matsch in strömendem Regen mit auffrischenden Böen paradieren zu müssen. Möglicherweise also nicht gerade attraktiv, so als Option. Grollend spülte Ichi sich unterdessen zum wiederholten Mal die nackten Beine ab, funkelte mit in die schlanken Hüften gestemmten Armen durch das merkliche Loch und erklomm dann schnaubend die schmale Stiege. »Das könnte etwas besser laufen«, beschied Ken sich in dezenter Kritik. Andererseits hätte es nicht geholfen, Ichi zu verschweigen, dass irgendwelche besonders geistlosen Personen die digitalen Gesuche für Unterkünfte zu bösartigen Kommentaren nutzten. Er, der sich selten auf virtuellen Plattformen herumtrieb oder "Soziale Medien" verfolgte, pflegte derlei "Auswurf" zu ignorieren. Wenn andere dies sahen, sollte man jedoch zumindest informiert sein... und in ihrem Bekanntenkreis hier sowie bei der Kundschaft verfolgten zahlreiche Personen ihre Suche nach einer neuen Bleibe. Oben maunzte Pearl erwartungsvoll, die schon ihre Ration ahnte, strich Ichi um die nackten Beine. Ken zwinkerte Pearl zu, deren Aufmerksamkeit Ichi unfehlbar von anderen Alltagskatastrophen abzulenken versprach. "Wir haben gerade mal drei Tage noch!", stellte Ichi aufgebracht in das trübe Nachmittagslicht fest, plumpste zu Pearl betont ungraziös auf ein altes, zerrupftes Kissen. Ken verteilte Stäbchen und ließ sich ebenfalls nieder. "Ja", bestätigte er gelassen und schnupperte genießerisch. Eigentlich sollte nun eine aufgebrachte Explosion folgen, doch Ichi entdeckte in diesem Augenblick in den traurigen Resten ihrer Habseligkeiten (eine Kiste befand sich schon im Lager) zwei gerollte Neuzugänge. "Was ist das denn?", erkundigte er sich lauernd, die schwarzen Augen blitzend. Artig schluckend folgte Ken der Blickrichtung und erklärte, "gekettelte Badevorleger aus einem Hotel. Die sollten geschreddert werden, sind aber noch in Ordnung. Na ja, die Farbgebung ist möglicherweise etwas altmodisch." Was ihn nicht kümmerte, wenn man noch Decken darüber legte, um sich ein halbwegs angenehmes Lager zu verschaffen. Ichi klappte die dünnen Beine auseinander und erhob sich, rollte einen der Badevorleger aus. Natürlich waren sie gerade mal so lang wie eine der europäischen Badewannen, aber Gymnastikmatten konnten auch so kurz bemessen sein. Er schnupperte, doch außer einer Ahnung von feuchter Witterung rochen die Badevorleger sauber. Das Muster allerdings... Vage erinnerte er sich an überbordende Blütendekors Britischer Machart. Besser, man sah nicht zu genau hin, sonst wurde einem noch blümerant! Aufschnaubend nahm Ichi wieder Platz und das Essen auf. "Ich werde Pearl nicht allein lassen", stellte er kompromisslos fest. Ken streckte die Hand aus und strich sanft über den prächtigen Schopf schwerer, langer Strähnen. "Wir finden eine Lösung für uns drei", bekräftigte er aufmunternd. Ichi schnaubte nicht, sondern seufzte bloß und grummelte, "du bist so ein komischer Kauz!" Wann würde Ken ENDLICH begreifen, in welcher Klemme sie sich befanden?! Der hatte diese und ähnliche Beschreibungen seiner Person zu oft vernommen, um sie anzuzweifeln oder sich selbst in Frage zu stellen. Es würde sich schon etwas ergeben, darauf vertraute er schlicht. Wenn man mit offener Auffassungsgabe und etwas Kreativität durchs Leben ging, fand man immer eine Lösung! (^w^) In dieser Nachtschicht hatte Ken ordentlich zu tun, denn es kamen mehrere Lieferungen gleichzeitig, deren Inhalt direkt im Laden oder im Lager zu verstauen war. Abstellfläche blieb rar, deshalb musste zügig gearbeitet werden. Unterhalten wurde er auch vom Besuch des Arbeitstrupps, die sich staunend umsahen und dann einfach eine Weile blieben, als böte er mit dem Seilzugsystem eine besondere Unterhaltung. Ihn störte es nicht, da es vielen so ging und sie neben der Betrachtung noch das ein oder andere kauften. Offenbar durfte man in der Pension, die sie für die Dauer des Auftrags bewohnten, nicht allzu früh aufschlagen. Ken faltete Kartons und Transportkisten, hoffte, dass Ichi wenigstens etwas schlief. Anstelle des alten Tennisnetzes hatte er erklärt, die Badevorleger ausprobieren zu wollen. Nun, sie dämpften die Härte der alten Holzbohlen, das konnte man sagen. Natürlich war es nicht bequem wie ein weiches Bett mit ebensolcher Matratze, aber sie beide waren schließlich an etwas rustikalere Lebensumstände gewöhnt. Ken blätterte durch die Treffer in den Themenportalen. Obdachlosigkeit konnte wirklich jeden treffen. Wer nicht vermögend war, hatte keine Möglichkeit, Eigentum zu erwerben. Und wer etwas erbte, all die "Geisterhäuser" in den entvölkerten Dörfern, konnte damit selten etwas anfangen, weil es keine Arbeitsplätze vor Ort gab. Verlor man das Einkommen, ging es schnell bergab. Gab es persönliche oder gesundheitliche Schwierigkeiten, potenzierte sich die Wahrscheinlichkeit. Zwar existierte ein eklatanter Mangel an Arbeitskräften, aber das änderte wenig an der neuen Kultur des Heuerns und Feuerns. Die bedauerlich verbreitete Einstellung, man sei an Schicksalsschlägen nicht unbeteiligt, half da auch nicht gerade. Private Initiativen versuchten zu helfen, Tropfen auf heißen Steinen. Von der Politik wurde nichts erwartet, das Vertrauen war gering, die Distanz immens. Ken balancierte den Zahnstocher und überprüfte zur Aufmunterung das lautlose Ineinandergreifen mechanischer Bestandteile. Ja, man konnte durchaus trübsinnig werden, doch er bevorzugte es, auf die Menschen in seinem Umfeld zu achten. Sie engagierten sich, sie bei ihrer Suche zu unterstützen, boten Rat, Hilfe oder offene Ohren. Da richtete man sich doch gleich wieder auf und nahm einen neuen Anlauf! Selbst wenn es hieß, sich für eine Wohngemeinschaft zu bewerben. (^w^) Ichi umklammerte Kens Hand so sehr, dass der eine gewisse Taubheit registrierte, sich jedoch wohlweislich nicht beklagte. Die Wohngemeinschaft war sein Vorschlag gewesen, immerhin ein Versuch, eine halbe Stunde Fußweg entfernt. Unseligerweise störten sich die bereits vorhandenen Bewohnenden daran, dass Ichi "orientierungslos" war. Ken und auch sein Großonkel konnten derlei kaum verklausulierte Andeutungen nicht nachvollziehen. Für den Großonkel zählte, dass jemand offenkundig der Gattung homo sapiens angehörte, Sicherheitsmaßnahmen ausnahmslos beachtete und in ein Polo-Shirt mit Aufschrift des Ladens passte. Andere Talente waren wünschenswert, ganz sicher jedoch kümmerte ihn das optische Erscheinungsbild kaum. Ken, der seiner Umgebung mit aufgeschlossenem Interesse zu begegnen pflegte, konnte an Ichi nichts aussetzen. Ja, Ichi trug häufig Kleidungsstücke, die man eher Mädchen oder Frauen zuschrieb, und in seinen Papieren war er als "männlich" registriert, was mutmaßlich den primären Geschlechtsorganen zu verdanken war. Das sagte jedoch nichts über Ichi aus und spielte nun wirklich keine wesentliche Rolle! Zugegeben, ihm gefiel die "männliche" Ausstattung, da sie seiner eigenen Präferenz entgegen kam, aber ansonsten war Ichi schlichtweg Ichi. Von einer Geschlechtsangleichung hatte er bisher nichts vernommen, auch wählte Ichi nicht typisch weibliche Pronomen oder als "feminisiert" diffamierte Gesten. Eine "solche" Person hatte jedoch in einer Männer-Wohngemeinschaft nach Auffassung der Bewohner nichts zu suchen. Das führte ja wohl nur zu Streit und moralisch bedenklichem Verhalten! Ichi ballte die Fäuste und hielt merklich bissige Repliken zurück. Ken, der das Temperament seines Gefährten kannte, das sich trotz offenkundiger Zeichen von Prügeln und Misshandlungen nicht hatte ersticken lassen, lupfte lediglich den Zahnstocher und quittierte die Einlassungen mit "aha". Dann drehte er ab, einen Arm einladend winkelnd, damit Ichi sich einhaken konnte. Warum sinnlos streiten, wenn hier der Horizont in einem kleinen Punkt bestand? Hilfreich schien jedoch, die gärende Wut abzubauen, die er neben sich registrierte, weshalb er mit großem Vergnügen in jede Pfütze auf ihrem Rückweg sprang. Erwachsene Menschen enthielten sich derlei Albernheit selbstverständlich, aber Ken wählte seinen eigenen Pfad. Er schmunzelte in sich hinein, als Ichi seine Hand kaperte und ebenfalls, das Kleidchen ungeniert hochgeknotet, die nächste Lache ansteuerte. (^w^) Pearl knurrte guttural und stemmte Ichi energisch die drei Pfoten auf die schmächtige Brust, was diesen aus wirren Albträumen riss. "...was?!", erkundigte er sich heiser und verwirrt, blinzelte und fischte die Taschenlampe heran. Pearl fauchte unterdrückt, hielt auf die Tür zu. Ichi kam rasch auf die nackten Füße, folgte Pearl. Als er die Tür öffnete, erkannte er nicht nur Handy-Leuchten, sondern auch Feuerwerk. Blitzartig fegte er herum, griff in Kens "Werkzeugkiste", die dieser eingedenk des ausfransenden Lochs doch noch nicht ins Lager umgezogen hatte. Entschieden zerrte er am Sicherungsstift, dann brüllte ohrenbetäubend ein Signalhorn los. Im Dunkeln versprengte Gestalten gerieten in Panik, während in den Häusern um die Brache herum Lichter aufflammten. "Verpisst euch, ihr Idioten!", brüllte Ichi mit vollen Lungen, eilte die enge Stiege herunter. Er wusste über derlei gemeingefährliche "Streiche" Bescheid, wo man für vermeintlichen "Ruhm" in den "Sozialen Medien" vorgebliche "lost places" heimsuchte und dort Feuerwerk abbrannte, zum Teil mit explosiver Wirkung. Man gab Fersengeld, spritzend, stolperte in Gräben und riss Markierungen um. Das rief die Nachbarschaft auf den Plan, die trotz des Regens und der allgegenwärtigen Feuchtigkeit seit frühester Kindheit eins verinnerlicht hatten: Feuer tötete mehr Menschen als Erdbeben! In einer Metropolregion, die mehrfach bis auf wenige Ruinen abgebrannt war, ein wortwörtliches Fanal im kollektiven Gedächtnis. Deshalb goutierte man derart dämliche Aktionen überhaupt nicht. Ichi stellte das Signalhorn ab und sammelte Pearl auf, die, Arges ahnend, sich unter einige Kissen zwecks Lärmschutz verzogen hatte, nun aber mutig die Wollschnüre entlang die Stiege hinabkletterte. Im Durchgang konnte Ichi Kens Silhouette erkennen, der mit einer starken Stablampe eilig auf sie zuhielt. "Ich hab so was von die Schnauze voll!", adressierte Ichi ihn aufgebracht, in dem verschlissenen Babydoll sehr verletzlich wirkend. "Verständlich", kommentierte Ken, expedierte den Zahnstocher, bevor er Pearl und Ichi umarmte, "aber ihr seid heil, das zählt." Ichi grummelte Unverständliches, bevor er sich energisch löste. "Jetzt kann ich mir schon wieder die Beine abbrausen", konstatierte er verärgert. Ken schmunzelte, verfolgte, wie Ichi erneut vom Schlamm befreit die Stiegen erklomm, gefolgt von Pearl, die maunzte und offenbar die Aufregung nicht sonderlich genoss. Prompt kehrte Ichi sich um, sammelte Pearl auf und kuschelte tröstend, raunte Entschuldigungen für den Einsatz des Signalhorns. Erleichtert kehrte Ken zum Laden zurück, sich auf mehr Besuch als üblich einstellend, da besonders die Nachteulen zu ermitteln hegten, was gerade los gewesen war. (^w^) Ichi wirkte müde und in sich gekehrt, als er Ken zur Schichtübergabe am Samstag ablöste. Ken schnappte sich die schmalen Handgelenke, konterte eine unwillkürliche Ausweichbewegung aus und küsste Ichi ausgiebig. "Wir stecken immer noch in der Klemme", erinnerte Ichi ihn brummend, machte sich jedoch nicht energisch los. "Hab die Frist im Blick", versicherte Ken artig. Ihre Optionen blieben zwar übersichtlich, aber nach einem ordentlichen "Abendessen" im Imbiss und einer Kuscheleinheit mit Pearl konnte er zuversichtlich in den Tag blinzeln. Nun gut, eine Mütze Schlaf wäre auch nicht übel! Ichi grummelte und ermahnte sich streng, alle Aufmerksamkeit auf die Arbeit zu richten. Bloß nicht vor Sorge erstarren! (^w^) Handa begutachtete die "Vandalen-Werke" der Nacht konsterniert. Auf der Flucht waren Schächte und Gräben zertreten, Markierungen umgerissen und Flatterbänder zerrissen worden. Das fehlte ihm gerade noch, wo heute der erste Baucontainer angeliefert werden sollte! Ken stapfte die Stiege herunter und gesellte sich zu ihm. "Schöne Bescherung", brummte Handa, registrierte Pearl und bückte sich, die spielerische Attacke aus dem Grünzeug unterlaufend, damit die Katze sich mit seinem Vollbart amüsieren konnte. "Sollte heute nicht der Container kommen?", erkundigte sich Ken, bugsierte den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel. "Ja. Hast du wenigstens etwas Schlaf abbekommen?", in brüderlicher Sorge studierte Handa Ken. "Geht schon", zwinkerte der, strich sich über die wollige Tolle, "jetzt muss ich erst mal anstehen." "Ah, Besichtigung?", Handa kraulte Pearl. "Nicht ganz, Aufnahme in eine Lotterie für ein paar freie Wohnungen", stellte Ken richtig. Der Hüne brummte etwas Grimmiges, klopfte Ken dann auf die Schulter, "viel Glück, Kamerad." Ken tippte sich mit zwei Fingern grüßend an die Schläfe. Erst mal musste er ein Fahrrad leihen... (^w^) Ichi wartete im Imbiss, dass Ken sich endlich einfand. Wie lange hatte der bloß anstehen müssen? Überhaupt erschien ihm diese Aktion recht seltsam. Hoffentlich reichte es noch für ein Nickerchen! Reichlich spät trudelte Ken ein, den Parka über einen Arm gelegt, verblüffend zivil wirkend. "Wo hast du bloß gesteckt?!", Ichi rückte ein wenig, fand sich ebenso rasch entouriert von Seniorinnen, die ebenfalls neugierig waren. "Das ist ein wenig verwickelt", Ken nahm dankbar eine Suppenschale entgegen, nippte und seufzte genießerisch. Er spürte Ichis inquisitorisch-besorgten Seitenblick, setzte die Schale ab. "Ich habe mir ein Fahrrad geliehen, aber der Helmgurt war defekt, deshalb bin ich über Seitenstraßen gefahren", erläuterte Ken nachgiebig, das Magenknurren geflissentlich überhörend. Die Helmpflicht galt noch nicht so lange, aber er wollte sich nicht unbedingt in die Aufmerksamkeit der Ordnungshütenden begeben müssen. Verwarnungen kosteten ja auch Zeit! Mit dem Helm im Fahrradkorb hatte er Schleichwege pedaliert, dabei einen älteren Herren gesehen, der mit einem großformatigen Schild rang. Hilfsbereit hielt er an, man konnte ja anschließend schneller in die Pedale treten, bot Unterstützung an. Das Schild sollte herunter, denn das Hotel beherbergte keine Gäste mehr, sondern fungierte als "Zimmer-Pension", die gemietet werden konnten. Sozialer Anschluss über das ehemalige Restaurant, Selbstversorgung mit Mahlzeiten durch die umliegenden kleinen Kneipen und Läden. "Wir schaffen das alles nicht mehr", bekannte der alte Mann, dankbar für Kens Assistenz. Bedauerlicherweise waren aktuell alle Zimmer vergeben, längerfristig glücklicherweise, denn Kurzvermietungen machten viel Arbeit. Ken hinterließ für alle Fälle seine Kontaktdaten, falls es mit einer neuen Unterkunft nicht klappte und doch etwas frei wurde. Deshalb traf er auch recht spät bei der "Lotterie" ein. "Dann hast du nicht vor Ort den Verkauf von vermeintlichen Wohnanteilen kritisiert, bezweifelt, dass es überhaupt zu vergebende Wohnungen gab und damit einen Protestauflauf ausgelöst?", erkundigte sich eine der älteren Hausfrauen kritisch, ihr Handy schwenkend. Ichi zog hörbar Luft ein. Ken lupfte fragend eine Augenbraue. "Wo ich doch verspätet ankam? Wie hätte ich das bewerkstelligen können?", er löffelte dabei seine Suppenschale leer. "Also waren das doch Betrüger, die die Not der Leute ausnutzen und ihnen gegen Geld wertlose Anteilscheine andrehen wollten?!", empörte man sich. Nudeln auffädelnd brummte Ken nachdenklich, "hört sich ganz danach an, als würde sich die Glücksspielbehörde dafür interessieren, nicht wahr?" "Du hast davon nichts bemerkt?", Ichi warf ihm einen funkelnden Blick zu. "Oh, ich hab bloß Hinterköpfe gesehen, wie das am Rand so üblich ist", zuckte Ken nonchalant mit den Schultern und konzentrierte sich auf seine Nudeln. Da er bekannterweise nicht zu dramatischen Erzählungen neigte, verzog man sich wieder in den engen Imbiss, die Frechheit mancher Ganoven beklagen. Unterdessen neigte Ichi sich zu Ken und zischte, "ich glaub dir kein Wort." Erstens hatte sich der angebliche Termin gar nicht auf ihrer Liste befunden und zweitens passte so eine Weltverbesserungsaktion allzu gut in Kens "komischer Kauz"-Naturell! Der leerte unbeeindruckt seine Nudelschale und wirkte nicht, als könne er irgendein Wässerchen trüben. (^w^) Ichi sortierte die Bento-Boxen, ihre Rationen bis Montag, faltete Kleidungsstücke in seine alte Reisetasche. Ken nahm neben ihm Platz, wartete geduldig, bis Ichi seine Hausarbeiten abgeschlossen hatte. "Wenn das morgen nicht klappt...", er schnaubte. Die losen Strähnen auf Ichis Rücken streichend legte Ken dessen rechtes Ohr frei, küsste die Wange bis zum Ohrläppchen zärtlich. "Du weißt schon, dass du besser deinen Schönheitsschlaf beschleunigen solltest, damit du die Nachtschicht durchstehst?", erkundigte sich Ichi rhetorisch, die dünnen Augenbrauen kritisch gekräuselt. Ken zwinkerte und visierte die kritisch geschürzten Lippen an. Ichi ließ sich küssen, schlang ihm schließlich die dünnen Arme um den Nacken und wippte auf seinen gekreuzten Beinen. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben, zudem verfügte Ken über eine begeisterungsfähige Libido. Außerdem vermisste er Ichis heiseres Stöhnen beim Sex, die Zahnlücke, die er mit seiner Zungenspitze anflirten konnte, das Streichen der dünnen Beine um seine Hüften, wie Flügelschläge. Euphorie glich nach Kens Auffassung ein Schlafdefizit häufig aus! (^w^) Ichi löste ihn in der ersten Schicht ab. Sonntags konnte er Verstärkung gebrauchen und erhielt sie auch, wenn andere Nebenjobs ruhten. "Wir treffen uns nachher hier, ja?", erinnerte Ichi, unter dem weiten Polo-Shirt erstaunlich formell mit einem (offenbar verfärbten) Faltenrock im Uniform-Stil und einer Rüschenbluse, das lange Haar eingeflochten und hochgesteckt. Ken nickte und nutzte die Gelegenheit, Ichi ausgiebig zu küssen. "Hol besser Schlaf nach", knurrte der tadelnd, funkelte ihn auffordernd an. Zwinkernd spazierte Ken über die ehemalige Brache, die am Sonntag nicht bevölkert war, aber schon merklich Spuren der Bautätigkeit in spe trug. Pearl erwartete ihn maunzend vor dem Werkstattgebäude, das am folgenden Tag abgebrochen würde. Der Imbiss blieb sonntags geschlossen, weshalb er sich mit dem Gaskocher Wasser für den Tee erhitzte und sein Picknick auf Lufttemperatur verzehrte. Pearl frühstückte mit ihm, balancierte dann auf dem Kissenturm. Ichi hatte schon organisiert, was beim Morgengrauen noch ins Lager umziehen musste. »So viel haben wir gar nicht«, dachte Ken versonnen, während er einen Badevorleger als Matratze ausrollte. Klar, fürs Essen sorgte der Imbiss, gewaschen wurde in der umfunktionierten Zisternen-Tonne oder schlicht per Regenschauer. Ohne Stromanschluss konnte man zahlreiche Geräte gar nicht betreiben, weshalb ihr Besitz eher Ballast als Komfort bedeutete. Decken, Kissen, Kleidung, Werkzeug, umfunktioniertes "Strandgut"... Er kraulte Pearl, die ihn aufmerksam studierte. "Ja, ab morgen müssen wir uns ein wenig umstellen", bestätigte Ken. Darüber in Panik zu verfallen half jedoch nicht, deshalb verabschiedete er solche Anflüge konsequent. Es würde sich schon eine Lösung finden. (^w^) Ichi schloss den apfelgrünen Trenchcoat und justierte das bunte, etwas ausgefranste Tuch. Wo blieb Ken? Da bemerkte er einen Pedaleur mit Helm, beinahe seriös in langen Hosen und Parka. Ken bremste geübt, gestikulierte dann einladend auf den Gepäckträger, wo ein altes, mehrfach gefaltetes Handtuch den Sozius darstellte. "Dieses Mal aber bitte keine Samariter-Aktionen, ja?!", plädierte Ichi ohne besondere Hoffnung, ließ sich damenhaft nieder, Faltenrock und Trenchcoat geschuldet. "Steht dir gut", komplimentierte Ken, Fahrt aufnehmend. Ichi sträubte eilig das Fell, "ein Geschenk!" Auf keinen Fall wollte er sich nachsagen lassen, sein Gehalt für Eitelkeiten zu verpulvern! Den unvermeidlichen Zahnstocher balancierend schmunzelte Ken unbeobachtet in sich hinein. Er gönnte Ichi wirklich jedes Kleidungsstück, das der sich freiwillig, aus Neigung und nicht purer Not, zulegte. Den Hinweg gut eingeprägt benötigte er kaum zwanzig Minuten, bis sie ein größeres Geviert an einer Kreuzung erreichten. An der einen Ecke befand sich ein kleiner "Supermarkt", dann eine Front von Rolltüren zu Lagerräumen. Auf der anderen Seite lud ein verwittertes Schild in die "Sonnenschein-Siedlung für Familien" ein. Ichi stieg ab und richtete den Sitz des Trenchcoats, warf Ken einen fragenden Blick zu. "Die Adresse stimmt schon mal", bestätigte der gelassen, querte mit dem Leihfahrrad und Ichi die kaum frequentierte Kreuzung. "Sieht nicht sehr lebendig aus", wisperte Ichi angespannt. Tatsächlich schienen die sonnenreichen Tage der Siedlung schon einige Jahrzehnte zurückzuliegen. Zwei Gebäudewürfel waren zumindest durch Bauzäune abgeteilt und das Betreten untersagt. Ken zückte das Handy und konsultierte die Anweisungen. "Aha", kommentierte er sparsam, blickte sich um. Hinter dem ungepflegten Blumenrondell (nun ein Beikraut-Paradies) fand er einen Fahrradständer und eine Tafel für "Mitteilungen der Verwaltung". Darunter war ein kleiner Schlüsseltresor nachträglich montiert worden. Mit einem Code gelangte er an einen schlichten Zylinderschlüssel mit Anhänger. "Die Maklerin kommt wohl nicht?", hasardierte Ichi angespannt. "Terminschwierigkeiten", zitierte Ken, nahm Ichis Hand und spazierte gelassen auf die zwei noch nicht eingezäunten Gebäudewürfel zu. "Pah!", zischte Ichi und warf kritische Blicke in die Runde. Die Gebäudewürfel verfügten über ein offenes Treppenhaus in der jeweiligen Mitte, dann Flügel, die Wohnungen jeweils durch offene "Laubengänge" erreichbar. Hier und da flatterte Wäsche, stand ein Schirm vor einem Eingang, doch insgesamt konnte er den Eindruck nicht abschütteln, dass wenigstens die Hälfte des ersten Gebäudewürfels gar nicht bewohnt wurde. Der zweite Gebäudewürfel, von der Straße abgewandt, wirkte noch verlassener, die Front schäbiger, Türen zum Teil durch Sperrholz ersetzt, Fenster mit Folien verklebt. "Hm", Ken balancierte den Zahnstocher, nahm dann die offene Treppe in Angriff. Als sie das zweite Podest erreicht hatten, keuchte Ichi an seiner Seite, presste sich das bunte Tuch vor Nase und Mund, die schwarzen Augen geweitet. "Es-stinkt-nach-Tod", wisperte er tonlos, umklammerte Kens Hand, verstört und verängstigt. Ken bewegte sich vorsichtiger, schob sich vor Ichi, als er die zu besichtigende Wohnung, ein Einzimmer-Appartement zwischen zwei größeren Einheiten, erreichte. Der "Laubengang" war in beiden Flügeln leer, nichts deutete auf eine Nachbarschaft hin. Ichi ächzte asthmatisch. Der Schlüssel passte, ließ sich mit einiger Mühe drehen und Ken zog die Tür nach außen auf. Direkt gegenüber ertönte ein wildes, lautstarkes Kreischen, schwarze, riesige Schemen wirbelten wild und Ichi zerrte ihn ruckartig zurück. (^w^) Das Echo der lautstark zugefallenen Tür vibrierte noch. Ken wandte sich Ichi zu, der mit einem Unterarm das Tuch vors Gesicht presste und zitterte. "Ichi? Ichi, schaffst du es allein raus?", vorsichtig fasste er beide knochigen Schultern, studierte die aufgerissenen, schwarzen Augen. "Ich komme nach, in Ordnung? Wir treffen uns beim Fahrradständer", reihte er langsam Silbe an Silbe, wartete ab, bis er sich sicher war, dass Ichi ihn verstand. "Durchs Treppenhaus runter und dann vorne zur Straße hin, ja?", wiederholte Ken ruhig, spürte, wie Ichi trotzig das Rückgrat durchdrückte, gegen das hektische Keuchen ankämpfte. "Gut", nickte er, stemmte sich leicht auf die Zehen, um Ichi auf die Stirn zu küssen. Er wartete ab, bis Ichi, einen nervösen Blick absendend, die Treppe nach unten nahm, dann schloss er erneut die Tür auf. Dieses Mal löste er damit kein Spektakel aus. Direkt der Tür gegenüber lag das Zimmer mit Balkon. Dem hatte man ein Vogelschutznetz verpasst, welches offenkundig beschädigt war, was die traurigen Kadaver erklärte. Und die aufkreischenden Artgenossen, die sich in ihrem Imbiss gestört fanden. Ken zupfte den Zahnstocher heraus und deponierte ihn hinter ein Ohr. Krähen in der Hauptstadt erreichten mühelos die Größe von Hühnern und waren keine Kostverächter. Was er fand, lebte, zum Teil schon seit geraumer Zeit, nicht mehr. Da hätten sich wohl alle erschreckt. Er blickte sich um. Was hatte Ichi gemeint? Tatsächlich roch es etwas...seltsam. Die toten Vogelkadaver wirkten aber nicht so, als könne von ihnen noch ein merklicher Odeur ausgehen. Nun, Sicherheit geht vor! Ken schob sich sein Sweatshirt über die Nasenspitze und entschied, die abgetrennten Räumlichkeiten der Hygiene zu inspizieren. »Aha«, dachte er, deaktivierte die Handy-Leuchte und blickte sich um, schoss ein Foto, bevor er rasch die Türen wieder schloss. Auch den Balkon lichtete er ab, dann verschloss er die Wohnung wieder und begab sich nachdenklich hinunter. Ichi kauerte neben dem Fahrradständer, umklammerte mit einer Hand den Gepäckträger. Ken ging vor ihm in die Hocke, strich behutsam über die blassen Wangen. "Das waren nur Vögel, Ichi. Kannst du aufstehen?", bot er seine Schultern zur Stütze an. Ihm war bewusst, dass es nicht "nur Vögel" waren, sondern ein grauenhafter Film in Ichis Gedanken ablief, den er nicht kannte, der ihm vielleicht nie anvertraut werden würde. Erinnerungen und Erlebnisse, die mit dem seltsamen Geruch wieder hochkamen. Er löste Ichis verkrampfte Hand vom Gepäckträger, fädelte die dünnen Arme um seinen Nacken und richtete sich langsam auf, wiegte Ichi tröstend, vor allem aber stützend. "Machen wir eine Verschnaufpause. Da hinten, die kleine Mauer in der Sonne, das sieht doch einladend aus", dirigierte er Ichi vorsichtig außer Sichtweite des Gebäudewürfels, legte das Handtuch aus, damit Ichi Platz nehmen konnte. "Ich schließe den Schlüssel ein und hole das Fahrrad. Bin gleich zurück", drückte er behutsam die eiskalten, schmalen Hände. Den Schlüssel wieder dem Schlüsseltresor anzuvertrauen und das Fahrrad abzulösen kostete ihn wenig Zeit. Er nutzte die Gelegenheit, die Maklerin auf die Missstände aufmerksam zu machen, sandte die Fotos mit und löschte anschließend die Kontakte. Kurzentschlossen wechselte er die Straßenseite und betrat den Mini-Markt, das Fahrrad vor der Tür anlehnend. "Guten Tag, Söhnchen", der alte Mann hinter der Theke nickte ihm zu, "geht es deiner Begleitung nicht gut?" "Guten Tag", antwortete Ken artig, seufzte dann, "nur der Schreck. Wir waren zu einer Wohnungsbesichtigung verabredet, aber im Vogelschutznetz hatten sich Kadaver verfangen, an denen Krähen hackten und die Nassräume machten ihrem Namen alle Unehre, offenbar ein Wasserschaden mit Schimmelpilz und Algenbelag, der auch noch roch." "Ach du Schande", der alte Mann machte keinen überraschten Eindruck, "ist lange her, dass mal jemand zur Besichtigung kam. Hieß erst, sie wollten alles abreißen, neu bauen, aber na ja...", er zuckte mit den Schultern, "jetzt sind bloß noch die armen Schlucker übrig, die die Stadt unterbringen muss. Keine Ahnung, wo die herkommen, verstehe kein Wort." Ken wählte ein Eis aus, das man in zwei Teile brechen konnte, eine sehr alte, traditionelle Süßigkeit. "Schon ärgerlich, wir müssen morgen ausziehen und haben noch nichts Neues", sein Blick fiel auf ein kleines Körbchen. "Wo wohnt ihr denn? In der Nachbarschaft?", erkundigte sich der alte Mann interessiert, scannte das Eis und Kens zweite Erwerbung. Ken nutzte die Gelegenheit, präsentierte mit dem Handy Bilder des Werkstattgebäudes, des Ladens und natürlich von Pearl, die sich besonders staatstragend in Pose gesetzt hatte. "Is nich wahr, dein Großonkel betreibt den Laden!", der alte Mann staunte und grinste wissend, "oh ja, war ein paar Mal da, verlockend, stundenlang zuzuschauen!" So plauderte man über das unbekannte Gebäude, die Brache, die Mühe, bezahlbare Unterkünfte zu finden und die Schwierigkeiten selbstständiger Kaufleute. "Wenn's Ichi nicht besser geht, sag Bescheid", bot der alte Mann schließlich an, "hier ist sonntags nicht viel los, da kann man auf Hilfe schon mal länger warten." Ken bedankte sich, enttütete das Eis, balancierte das Leihfahrrad über die Straße und ging vor Ichi in die Hocke. Er trennte die Eishälften und offerierte ihm die Wahl. Ichi blinzelte verwirrt, wählte dann ein Eis, offenbar nicht vertraut mit dieser Süßigkeit. Geübt bugsierte Ken sein Eis in einen Mundwinkel, streifte Ichi den linken Segeltuchschuhe ab und drehte den Verschluss seiner zweiten Erwerbung ab. Auch wenn er dies zum ersten Mal unternahm, fand er doch, dass sein Pinselwerk auf Ichis Fußnägeln sich sehen lassen konnte. "Melone, im Ausverkauf. Steht nicht allen", damit leckte er sich die Mundwinkel, wechselte die Seite für das Eis und bedachte auch den zweiten Fuß mit schmückendem Nagellack. Ichi lackierte sich ausschließlich die Fußnägel, um "abzulenken", wie Ken ihm entlockt hatte. Allerdings konnte Ken nichts finden, was einer Ablenkung bedurft hätte. Der alte Lack hatte sich längst verabschiedet, denn Ichi pflegte eisern zu sparen und immer zuerst die "Katzen-Spardose" zu füttern. "Sehr chic", bekundete er schließlich, ließ sich auf die Hacken sinken und betrachtete Ichis bleiches Gesicht. Der mümmelte noch zögerlich an seinem Eis. "...das war unsere letzte Chance", wisperte Ichi endlich. "Nein", Ken erhob sich, nahm neben Ichi auf der niedrigen Mauer Platz und schlang einen Arm um die schmächtigen Schultern, "das hätte Pearl gar nicht gefallen, diese aufdringlichen Vögel und all der Schimmel im Bad. Ich glaube fast, das war ein Irrtum, die Wohnung stand gar nicht mehr zur Vermietung an." Zumindest wollte er das gerne glauben, denn die Maklerin hatte einen netten, wenn auch sehr gestressten Eindruck bei ihrem einzigen Telefonat auf ihn gemacht. "Was tun wir jetzt?", Ichi reckte den Kopf, rief sich mutmaßlich innerlich zur Ordnung. "Ich schau mal, was ich gewonnen habe", antwortete Ken prompt und drehte seinen Eisstiel, "hast du auch einen Gewinn?" Ichi studierte überrascht seinen blanken Eisstiel und seufzte vernehmlich. "Wir teilen", tröstete Ken, erhob sich und küsste Ichi zwinkernd auf die Lippen, bevor er erneut den Mini-Markt aufsuchte. Natürlich, nur so ein komischer Kauz wie Ken konnte ein Eis ohne "Niete"-Prägung ergattern! (^w^) Ken lächelte, als er den Mini-Markt verließ, wandte sich um und winkte dem alten Mann zu, der vor seinen kleinen Laden an der Ecke getreten war und ebenfalls mit einem kurzen Handtuch wedelte. Ichi erhob sich rasch und verbeugte sich höflich, verblüfft von dieser Entwicklung. "Hier", Ken reichte ihm ein kleines Erdbeerbonbon, "kannst du aufsteigen?" "Ja, aber...?", Ichi entpackte das Bonbon und warf Ken einen verwirrten Blick zu. "Herr Uyami kennt jemanden, der ein Häuschen frei hat, und das können wir uns jetzt ansehen", verkündete Ken aufgeräumt. "...wie bitte?!" (^w^) Man hätte es leicht verfehlen können, doch der schlanke Mann mit dem Gehstock signalisierte ihnen bereits. Ken bremste artig und ließ Ichi absteigen, damit sie über die Kreuzung gelangen konnten. "Ach du meine Güte...", murmelte Ichi. "Saotome mein Name, guten Tag! Verzeihung, ich war zuletzt vor einer Woche oben, es könnte etwas staubig sein", der schlanke Herr mit dem Gehstock, mutmaßlich in den Vierzigern, lächelte gewinnend. "Ichi und Ken", übernahm Ken die Honneurs, verneigte sich leicht, "vielen Dank, dass Sie es so schnell möglich machen konnten." "Ach, ich wohne da oben", Saotome wies mit der freien Hand auf den Gebäuderiegel direkt neben dem ungewöhnlichen Häuschen, "mit Blick auf den Schrein." Damit gestikulierte er auf einen bescheidenen Durchgang für Flanierende, von einem in Warnmarkierung gehaltenen Pfosten abgetrennt. "Am besten, wir fangen unten an, ja? Das Wasser und der Strom müssten erst wieder angeschlossen werden", erläuterte Saotome, während er auf eine kleine Gitterbox zuging. (^w^) Nein, unzweifelhaft gab es so ein "Häuschen" kein zweites Mal. Angefangen hatte es in den Jahren, bevor die "Bubble"-Ökonomie zusammenbrach. Das alte Einfamilienhaus sollte ersetzt werden, doch in der Nachbarschaft wollte man einen exklusiven Appartement-Gebäuderiegel hochziehen, weshalb unvermutet der freizuhaltende Platz für einen Hydranten auf das kleine Nachbargrundstück umgelagert wurde. Proteste und Prozesse wären ohne Ergebnis verlaufen, davon war der Vater des aktuellen Besitzers überzeugt. Ziel sollte es sein, dass aufgrund des Hydranten für die Löschwasserversorgung die Familie genötigt wurde, das Grundstück zu veräußern. Dieses Vorhaben neigte der Eigentümer zu durchkreuzen, indem er nicht das Grundstück veräußerte, sondern zwei Standardcontainer aufstellen ließ. Der kleinere, hintere, durch einen kleinen Stahlkäfig zugänglich, beherbergte Toilette, Dusche und eine winzige Kücheneinheit. Der zweite, flache Container wurde mit zwei schweren Stützen im rechten Winkel darüber gesetzt. Eine halb-spiralförmige Treppe führte auf ein kleines Plateau vor der Eingangstür. Der Löschwasserhydrant blieb folglich zugänglich, und der obere Container hatte freie Sicht auf den kleinen Schrein mit winzigem Garten dahinter. Die Familie hatte das Häuschen genutzt, dann waren die Kinder ausgezogen, die Eltern betagt in ein Wohnheim umgesiedelt und zuletzt hatte man das Häuschen für Kurzaufenthalte zum "Glamping"-Urlaub-Erproben vermietet. Das verlangte viel Arbeit, Putzen, Räumen, Kontrolle, An- und Abmelden der Versorgung mit Strom und fließend Wasser... Aufgrund der recht rustikalen Ausstattung schien es schwierig, eine längerfristige Vermietung erreichen zu können. Wenn jetzt aber der alte Bekannte anrief, der über einige Ecken den Großonkel samt Laden kannte UND ein Frisur-Model, quasi Prominenz, einziehen wollte, ja, dann...! (^w^) Ichi studierte WC und Dusche, die kleine Küchenzeile mit Gaskocher. Anschließend ging es die spiralförmige Treppe in den zweiten Container hoch. "Durch die beiden Nachbargebäude, das andere dort wird hauptsächlich als Bürokomplex genutzt, ist es hier recht abgeschirmt, wird weder zu kalt noch zu warm. Mit einem elektrischen Kotatsu ließe es sich bestimmt aushalten", warb Saotome, der geübt trotz Gehbehinderung die Treppe erklommen hatte, für das ungewöhnliche Ensemble. Dabei betrachtete er interessiert Ichis Hochsteckfrisur, der trotz der überstandenen Schrecken dezent errötete. Also, ein VIP war er nun wirklich nicht! "Wir haben auch eine Katze, Pearl", sondierte er entschieden etwaige Fußangeln. "Tatsächlich?", Saotome lächelte, "nun, Katzentüren haben wir nicht, aber wenn man in den Gitterkäfig ein Katzenklo stellt, sollte es keine Schwierigkeiten geben. Haustierhaltung ist nicht untersagt", ergänzte er. Ken ließ den Zahnstocher beschwingt kreisen und schob seine Hand in Ichis. Der umklammerte sie entschieden, reckte das Kinn. "Wie hoch ist denn der Mietzins?" Ja, das war die schlimmste aller Fragen, wenn Pearls Aufenthalt keine Einschränkung darstellte. Konnten sie sich dieses unverhoffte Glück überhaupt leisten? (^w^) "Ich werde alles weiterleiten", Saotome neigte den Kopf, verabschiedete sie freundlich. Dass er nicht nur das Häuschen verwaltete, sondern sich auch um den kleinen Schrein samt winzigem Park kümmerte, hatten sie fast beiläufig erfahren. Ichi nahm auf dem gefalteten Handtuch Platz, während es langsam dunkelte. "Ich hab ein gutes Gefühl", stellte Ken fest, trat in die Pedale. "Es ist zu schön, um wahr zu werden", brummte Ichi, schlang die dünnen Arme um Kens Taille. Der schmunzelte und beschleunigte, denn ihn erwartete bald die Nachtschicht. (^w^) Ichi beförderte die Kiste nach unten, hängte sich die Reisetasche um. Es war noch früh, zu früh für den Imbiss oder den Beginn seiner Schicht, aber er konnte ohnehin nicht mehr schlafen. Pearl maunzte zu seinen Füßen. Es musste etwas zu bedeuten haben, wenn ihr Lieblingskissen auch noch in der Kiste landete! "Wir gehen, Pearl", verkündete Ichi entschieden. Erst die letzten Habseligkeiten ins Lager, dann Frühstück, dann Schicht...und dann? (^w^) Aus unerfindlichen Gründen hatte sich die kleine Horror-Vorführung bei der vermeintlichen Wohnungsbesichtigung bereits herumgesprochen. Ichi wurde betüttelt, wenn auch nur außerhalb des Imbisses, denn Tiere waren drinnen strikt nicht erlaubt. Pearl, der zu viele Seniorinnen auf zu engem Raum mit spitzen Gegenständen nicht unbedingt geheuer waren, hielt auf Ichis Schoß Hof und ließ sich mit Leckereien füttern. Hinsichtlich einer Zusage zwang Ichi sich zur Skepsis. Herr Uyami hatte ihn vermutlich für eine Frau gehalten, auf den Fotos in ihrem "Bewerbungsbogen" wirkte er auch eher androgyn. Wenn sich nun abspielte, was bei der Wohngemeinschaft abgelaufen war? Pearl schnurrte aufmunternd und rieb das Köpfchen an seinem Brustkorb. Unwillkürlich lächelte Ichi. "Das wird schon, Pearl", flüsterte er der Katze zu. Irgendwas würde sich schon finden! (^w^) Ken erkannte an Ichis Blässe, dass die Nachtruhe wohl eher spärlich ausgefallen war. "Noch keine Nachricht, ist aber früh", antwortete er auf die unausgesprochene Frage. Nun, bei einer Absage hätten sie es bestimmt nicht eilig! "Und jetzt?", Ichi warf den schlichten Zopf auf den Rücken, um Contenance bemüht. "Ich geh mit Pearl frühstücken, dann suchen wir uns ein lauschiges Plätzchen für etwas Augenpflege", antwortete Ken nonchalant, zwinkerte. "Klar, aber..." Was Ichi vorbringen wollte, ging in einem merklichen Rumms unter. Dann hörte man lautere Stimmen. "Schätze, sie haben den Druck des alten Wassercontainers oben nicht vollends berücksichtigt", hasardierte Ken unbeeindruckt. Nun, vermutlich würde sich der Rest des Gebäudes leichter abreißen lassen...wenn man nicht vor lauter Matsch versank. Er küsste Ichi kurz, wickelte sich sein Sweatshirt um und setzte Pearl, die das Arrangement kritisch beäugt hatte, in die Schlinge. "Ich hol dich nachher ab", damit verstaute Ken Zahnstocher und Handy, bevor er doch nachsah, ob seine Vermutung hinsichtlich der Abrissbemühungen korrekt war. (^w^) Ken suchte sich einen Park in der Nähe, dazu ein sonniges Plätzchen. Was für ein Glück, dass zwar Wolken über den Himmel jagten, aber noch die Schleusen geschlossen blieben! Pearl hatte die Transportschaukel angenommen, weil so eine lächerliche Fußhupe, ein wandelndes Fellknäuel mit hysterischem Gebell, keine Chance hatte, sie hier oben zu belästigen! Sie fauchte bloß gelangweilt und gedämpft, ignorierte den Umstand, dass es wohl überall Kretins gab, die sich nicht zu benehmen wussten. Ken schmunzelte über diese Reaktion und bat Pearl, in der Nähe zu bleiben, während er es sich bequem machte, die Augen schloss und döste. Die Auszeit währte nicht zu lange, denn das Handy surrte und Pearl landete treffsicher auf seinen Oberschenkeln. Die Augen reibend überflog Ken die Nachrichten, grinste dann jungenhaft zu Pearl herunter. "Prinzessin Samtpfote, wir sind wieder im Spiel!" (^w^) Kapitel 3 - Zuhause "Du...aber...!" Ken erlebte Ichi zum ersten Mal sprachlos, was jedoch auch dem eigenen Momentum geschuldet war, da er das Lager um ihre Habseligkeiten erleichtern und gleichzeitig ein Leihfahrrad damit belasten wollte. "Ich zieh schon mal um, mach alles fertig. Komm später nach, ja?", damit trat er schon wieder kräftig in die Pedale. Der Zusage folgend hatte er spornstreichs (wenn auch mit mechanischem Leih-Pferd) Herrn Uyami aufgesucht, wo ihr Vermieter sich eingefunden hatte, um ein bisschen über alte Zeiten zu schwatzen und gleich die Nachweise im Original zu inspizieren. Tatsächlich, der Großonkel bürgte! Pearl gefiel ihm auch, er war nicht kleinlich, was Haustiere betraf! Ken siegelte den Vertrag, bedankte sich und strahlte ungewohnt sonnig in den Tag, verschob die fehlende Nachtruhe auf irgendwann. Jetzt also erst mal mit Pearl, der das Fahrrad-Reisen im Gepäckkorb vorn gut gefiel, zu ihrem neuen Heim! Saotome bot großherzig die eigenen Putzutensilien an, vermittelte auch den Kontakt zu den Versorgern, damit möglichst bald fließendes Wasser und Strom wieder flossen. Nachdem Pearl der kleine Park zum Schrein vorgestellt worden war, pflegte sie dort Saotome, der die trockene Phase nutzte, bei der Arbeit ein wenig Gesellschaft zu leisten. Deshalb konnte Ken auch den Umzug per Pedale durchführen, eine Kiste nach der anderen (was schneller ging, als das Rad schwer beladen schwankend mühsam zu schieben). Die frohe Kunde verbreitete sich rasch, was ihn mit Zuversicht erfüllte. Da konnte man auch noch einen kleinen Schlenker einbauen zum älteren Ehepaar mit der "Zimmer-Pension", nicht wahr? (^w^) Tatsächlich hatte Ken ALLES mitgenommen, was Ichi ein wenig grollen ließ, als er sich zu Fuß vom Imbiss aus zum neuen Domizil aufmachte. Also, die Reisetasche hätte er schon selbst geschafft! Überhaupt, was dachte sich der komische Kauz bloß?! In Kürze müsste er zur Nachtschicht antreten, fuhrwerkte (im wahrsten Sinne des Wortes) hier aber herum, als hätte er Batterien gefrühstückt! So oblag ihm lediglich der Transport von Bento-Boxen und frischen Reisbällchen. "Du willst sicher dem netten Mann vom Mini-Markt und dem Verwalter ein Dankeschön mitbringen, nicht wahr, Herzchen?" Die Hausfrauen neigten zu hilfreichen Tipps und vorausschauender Aktion. Ichi wollte, selbstredend. Dann konnte man es schließlich auch gleich hinter sich bringen... Herr Uyami zwinkerte, als er den kleinen Supermarkt betrat und höflich grüßte, sich dann formell verneigte. "Ichi, richtig? Oh, sind das Reisbällchen aus dem Imbiss?! Sehr aufmerksam, vielen Dank!" Erneut klappte Ichi vornüber und bedankte sich für die Vermittlung ihrer neuen Unterkunft. "Ach, nicht der Rede wert, ich bin gespannt, wie es läuft! Ist ja auch besser, wenn das Häuschen bewohnt wird. Sag mal, können wir ein Bild machen?" Damit winkte er Ichi eifrig heran, der überrascht blinzelte, dann aber gehorsam näher heranrückte. "Die Frau arbeitet bei der Putzkolonne im Bahnhof, für die Züge. Erzählt immer, welche berühmten Leute da ankommen und abfahren. Jetzt kann ICH mal was vorzeigen, mit einem VIP!" Artig lächelte Ichi in die Kamera eines älteren Smartphones, während der alte Mann feixte und den Auslöser betätigte. "Verzeihung, aber ich bin gar nicht so berühmt", wagte Ichi anschließend einen Einwurf. "Oh, hab die drei Bilder gesehen, die prämierten! Juulio, nicht wahr? Kenn ich von früher, aber", grinsend lupfte er die Baseball-Mütze, die eine Glatze teilweise beschirmte, "bin schon länger kein Kunde mehr mangels Masse." Ichi errötete verlegen. Juulio experimentierte gern mit seinem (noch immer dezent verfärbten) Schopf, was ihn nach dem ersten Schreck nun nicht mehr störte. Mode-Fotografien gab es unzählige, nichts war schnelllebiger, aber Juulio stach heraus, weil er eine besondere Sparte bediente und weil Ichi als Model nun mal authentisch war. Das digitale Magazin, in dem er seine Frisur-Entwürfe und Bilder einreichte, verlangte grundsätzlich Raw-Dateien, also unbearbeitete Fotos. Kein Aufhübschen durch Algorithmen, keine Spielereien mit Software-Verbesserungen! So konnte, da Ichi hauptsächlich von hinten oder mal im Profil abgelichtet wurde, niemandem entgehen, dass die zahlreichen Narben echt waren, seine Attraktivität auf einer faszinierend-verstörenden Mischung aus "goldenem Schnitt" der Perfektion und brutalen Lebenserfahrungen beruhte. Diese Art von Ästhetik hatte zahlreiche Anhängende, die auch die Vergänglichkeit der Kirschblüte feierten, den Kontrast zwischen dem Moment der vollen Schönheit zum raschen Verblühen/Vergehen in traurig-braunen Matsch. "Ihr arbeitet auch in unterschiedlichen Schichten, hm?", Uyami studierte stolz das "Promi"-Bild, zwinkerte dann listig, "ist gut für die Beziehung. Hat man sich immer was zu erzählen. Die Frau und ich haben mal ein Jahr gemeinsam hier gearbeitet, da hatten wir ab Mittag schon keinen Gesprächsstoff mehr." Er schnalzte mit der Zunge, "so ist es viel besser." Ichi erinnerte sich daran, dass Kens scheinbar ziellose Plaudereien ihnen zu einem rechtzeitigen Obdach verholfen hatten. Und dann auch noch die Idee mit dem Nagellack... "Ob Sie mir helfen können? Ich glaube, Ken mag gern traditionelle Süßigkeiten, aber ich verstehe davon nichts", suchte er etwas verlegen Unterstützung. Der alte Mann lachte, ließ dann wie ein Preisringer die Schultern kreisen. "Da bist du bei mir genau richtig, Ichi! Ich hab früher mal ein reines Süßwarengeschäft geführt!" (^w^) Natürlich begann es auf den letzten Metern zu tropfen, sodass Ichi beschleunigte, um einer Taufe in spe zu entgehen. In einem Klappstuhl leistete Saotome unter dem aufgeständerten Container Pearl Gesellschaft, für die ein findiger Geist in die Wendeltreppe ein Körbchen mit Kissenpolsterung gehangen hatte, hoch genug, angeleinte Konkurrenz auszuschließen. "Oh, Ichi, wie schön! Leider hat sich das gute Wetter wohl für heute verabschiedet", Saotome erhob sich, fasste nach seinem Gehstock und überreichte Ichi einen kleinen Schlüsselbund, "Ken hat ihn mir anvertraut, bevor er sich ein Päuschen oben gegönnt hat." "Vielen Dank für Ihre Mühen und Ihre Unterstützung, Herr Saotome", Ichi klappte wieder höchst höflich nach vorne, tauschte den Schlüsselbund (mit Katzenanhänger!) gegen die zweite Partie Reisbällchen. "Ach, das ist aber nett, herzlichen Dank! Ich würde dich ja einladen, aber ich glaube, ihr hattet beide eine sehr kurze Nacht", Saotome zwinkerte freundlich. Unterdessen hatte Pearl sich auf eine Treppenstufe begeben und maunzte Ichi auffordernd an. Der registrierte das ungewohnte Halsband. "Oh, das war ich", erläuterte Saotome leicht verlegen, "Ken sagte mir, es sei eine gute Idee, weil Pearl ja gern spazieren geht, und wenn die Leute sehen, dass sie die Farben des Schreins trägt, wird man sie sicherlich nicht behelligen." Erschrocken starrte Ichi den Verwalter an. War etwa zu befürchten, dass Pearl hier in Schwierigkeiten kommen konnte?! Gab es vielleicht Katzen-Feinde?! Saotome schien die Sorge zu erkennen, denn er hob die Hand mit den Reisbällchen, "oh nein, gefährlich ist es nicht, nein! Aber die meisten Haustiere hier tragen Halsbänder oder Identifikationsmarken. Sie werden ausgeführt, dürfen nicht alleine auf Streifzüge gehen. Es dauert wahrscheinlich ein bisschen, bis sich Pearls Ankunft herumspricht." Die maunzte selbstredend vernehmlich und selbstbewusst, ließ sich von Ichi zwischen den gespitzten Öhrchen kraulen. "Vielen Dank! Bisher hat sich diese... Komplikation nicht ergeben", bekannte Ichi, der darauf vertraute, dass Pearl viel zu gewitzt war, sich in die Bredouille zu bringen. Allerdings... "Ich jedenfalls bin froh, wenn du mich im Schrein-Garten besuchst", Saotome nickte Pearl lächelnd zu. Sie miaute hoheitsvoll, setzte sich elegant in Szene. "Einen schönen Nachmittag noch, Ichi, erhol dich gut und noch mal herzlich Willkommen in der Nachbarschaft." Erneut klappte Ichi nach vorne, unterdrückte ein Schnauben, als er mit Pearl zunächst den kleinen Container ansteuerte. Natürlich hatte Ken geputzt, alles eingerichtet, sogar Katzenfutter für Pearl besorgt! Handtücher warteten, die Toilette war bestückt, die Gasflasche am Gaskocher montiert. "Wie soll ich ihn SO auszanken?!", grollte Ichi, hob Pearl hoch und schmuste frustriert. Der komische Kauz hätte sich nicht so eine Mühe geben müssen, also wirklich! Den Schlüssel wechselnd stieg Ichi mit Pearl auf dem Arm die Wendeltreppe hoch. Der Regen nahm zu, das sanfte Rauschen wirkte erstaunlich gedämpft. Selbstredend hatte Ken auch hier gewirkt, ihre Habseligkeiten verteilt, es duftete dezent nach Putzmitteln. Die Badevorleger ausgerollt und ein gemütliches Lager gerichtet schien er nun trügerisch harmlos eine Siesta einzulegen. Pearl steuerte sofort ihr geliebtes Kissen an und machte es sich bequem. Ichi seufzte, streifte sich Leggings, Hotpants und struppige Strickjacke ab, bevor er seine "Hälfte" enterte, Ken den Rücken zukehrte. "Strolch", grummelte er leise. Hinter ihm brummte man, drehte sich und löffelte unaufgefordert. "Ich bin zu Hause", murmelte Ichi leise den traditionellen Gruß beim Betreten des eigenen Heims und verwünschte das fürchterliche Talent des komischen Kauzes, ihn metaphorisch mittschiffs zu versenken: auf einer umgedrehten Kiste standen ein Täfelchen mit dem Namen seiner Mutter, daneben ein winziger Behälter für Räucherstäbchen und eine Chrysantheme in einem Wasserglas. (^w^) Pearl pflegte ihre Gewohnheiten, noblesse oblige! Deshalb galt es, pünktlich Hof zu halten, weshalb sie eine bepelzte Wange demonstrativ an Kens wolliger Tolle rieb. Der registrierte unterbewusst den Weckruf, schmunzelte und setzte sich auf. Durch die beiden Fenster an den Längsenden des Containers konnte er sich halbwegs orientieren, löschte darum auch rasch den einprogrammierten Alarm des Handys. Hm, die Batterieanzeige drohte Ungemach. Schön wäre es wohl, wenn rasch Strom und fließend Wasser eingerichtet würden. Er deponierte den obligatorischen Zahnstocher, zupfte eine Decke über Ichi zurecht, der sich wie gewohnt auf den Bauch gerollt hatte, die Beine etwas angezogen. Pearl maunzte leise, aber mahnend. "Richtig", wisperte Ken, erhob sich, präparierte die Taschenlampe in Ichis Nähe, schlüpfte rasch in Socken, Hose und ein Sweatshirt, verstaute Handy und Schlüsselbund, bevor er Pearl hochnahm. Auf Zehenspitzen (bis zur Tür) huschte er, dann ging es in Schuhen runter in den kleinen Container. Er kredenzte Pearl ihr Abendessen, mümmelte selbst ein paar Reste und entschied, die leeren Bento-Boxen mitzunehmen und im Laden zu reinigen. Regenwäsche wäre auch möglich gewesen, aber die Nachbarschaft hätte es wohl ein wenig befremdlich gefunden. Ken grinste, als er nach einem Abstecher ins winzige Bad, sich mit Wasser aus einem Kanister versorgend, die eigene Erscheinung aufpolierte. Süßigkeiten! Ichi hatte ihm Süßes mitgebracht, obwohl er vermutlich eher reif für Saures samt einer Abreibung wäre! Nun, das konnten sie später ja nachholen, richtig? Er bestückte das Leihfahrrad und topfte den Leihhelm auf. Pearl miaute hoheitsvoll und Ken salutierte. "Wir sehen uns später, Eure Majestät", raunte er amüsiert, bevor Pearl die Inspektion im Schrein-Garten begann und er selbst energisch in die Pedalen trat. (^w^) Ichi erwachte vom eigenen trockenen Husten, fremdelte einen Augenblick mit der unbekannten Umgebung, fand die Taschenlampe und orientierte sich mit einsetzender Erleuchtung. "Also wirklich!", grummelte er unzufrieden, denn a) hatte sich Ken offenkundig mit Pearl verabsentiert, b) ihm war dies vollkommen entgangen und c) die imaginäre Socke musste von der Zunge gespült werden! Außerdem war es beunruhigend, wie viel Schlaf er nachgeholt hatte, denn nun kam sein Biorhythmus wohl durcheinander. Den Zopf auf den Rücken werfend stemmte Ichi sich auf die dünnen Beine und fahndete nach der struppigen Strickjacke. Mit Schlüsselbund und Taschenlampe stakste er die halbe Wendeltreppe herunter, um sich im kleinen Container einen Rest Tee einzuschenken. Hier versorgte Ken ihn mit einem weiteren "Kritikpunkt" auf der "Zank"-Liste, denn der hatte schon den größten Anteil der Bento-Boxen mitgenommen! Üblicherweise übernahm er ja alle Bento-Boxen, wenn er zum Frühstücken in den Imbiss ging, da es nicht anging, diese im Lager beim Spind unnötig herumstehen zu lassen. Außerdem funktionierte das gründliche Regenspülen über Nacht häufig sehr zufriedenstellend. Ichi seufzte. Wenn er die Zeit für den Hinweg einkalkulierte, war es möglicherweise zu riskant, sich noch einmal hinzulegen, andererseits nörgelte sein der Notwendigkeit geschuldeter Sparsinn an der Vorstellung herum, er möge die Taschenlampe bis dahin als Lichtquelle nutzen. Möglicherweise eine Kerze anstecken, in der Laterne? Dabei konnte man jedoch auch nicht viel unternehmen, fürs Lesen jedenfalls nahm sich die Lichtausbeute zu gering aus, und Ichi befürchtete, ihn könne der Kerzenschein eher verlocken, doch noch mal auf den Badevorleger zu kriechen. "Schluss jetzt", gebot Ichi sich energisch, leerte den Teebecher und stellte schon mal sein "Gepäck" zusammen, dann verschloss er den kleinen Container und trat vor das kleine Gebäude. Ob Pearl in der Nähe war? Ichi löschte den Lichtpegel der Taschenlampe und wartete einige Augenblicke, bis sich seine Augen an die Semi-Dunkelheit gewöhnt hatten, dann flanierte er vorsichtig am Markierungspfosten vorbei in den kleinen Schrein-Park, der eher einem Garten ähnelte. Im Schrein wurde ein ungewöhnlicher Findling neben einem sehr alten, verwachsenen Spitzahorn verehrt, es gab ein sehr gemächliches Wasserspiel (mit Pumpenbetrieb und Akku) in einem kleinen Bassin, dazu ein paar ausgewählte Sträucher, eine steinerne Laterne, Gras, Moos, sogar winzige Windmühlen zwischen coiffierten Büschen, die entfernt an Hügel erinnerten. Ichi entdeckte Pearl mit dem neuen Halsbändchen in den Farben des Schmuckbandes, das auch die beseelten Naturerscheinungen markierte, den Findling und den Spitzahorn. Die kleine Katze saß auf einem moosgepolsterten Fleckchen neben einer kleinen Trittplatte, die die Pflege der bescheidenen Anlage erleichtern sollte. Sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzend nutzte Ichi die Steine als Pfad, nahm neben Pearl Platz. Die abgekühlte Nachtluft an diesem frühen Morgen wirkte hier durch die Vegetation weicher, die Atmosphäre friedlich. Selbst wenn es keine Sterne zu entdecken gab, weil der Nachthimmel in einer Metropolregion immer von diversen technischen Errungenschaften bevölkert war, entstand eine gewisse Heimeligkeit. Wenn man die Dunkelheit und Nacht nicht favorisierte, weil sie keine Zuflucht boten, noch plakativer auf die eigene Situation hinwiesen, man stets in Bewegung bleiben, der Radar immer auf Empfang sein musste, baute sich ganz unbewusst eine nervöse, innere Spannung auf. Ichi registrierte, wie diese sich langsam löste, seine hochgezogenen Schultern tiefer sanken. Pearl maunzte leise, eine vertraulich-nachsichtige Aufforderung, den Moment zu genießen, Vertrauen zuzulassen. Sie spazierte gelenkig herbei, veranlasste Ichi, die angezogenen Beine aufzuklappen und wenig damenhaft im Schneidersitz die kleine, buntscheckige Katze zu liebkosen. "Gar nicht so übel hier, oder?", erkundigte Ichi sich sehr leise, bot eine Wange zum Schmusen an, was Pearl generös tat, dabei vernehmlich schnurrend. Ichi lächelte unwillkürlich. Ein bisschen Glück zu genießen, das konnte nicht verkehrt sein! (^w^) Ken entfernte den Zahnstocher und zwinkerte Ichi zu, der pünktlich zum Schichtwechsel und zur Übergabe eintraf, offenkundig gut versorgt mit Frühstück beim Imbiss. Die Hände in die schmalen Hüften stützend funkelte Ichi ihn aus den tiefschwarzen Augen an, seufzte dann steinerweichend. "Es ist äußerst unsportlich, dass du dauernd nette Dinge anstellst und ich dich nicht ausschimpfen kann", stellte Ichi fest. "Könnte wirklich eine Charakterschwäche sein", gestand Ken nachgiebig ein. Jeglichen Segeln der Empörung ging da selbstredend die Luft aus, aber Ichi kannte diese Taktik schon zur Genüge und sparte sich die Energie. "Du bist wirklich ein komischer Kauz", wiederholte er deshalb grimmig, "aber selbst komische Käuze brauchen Erholung, also ruh dich ein bisschen aus, ja?" Ken lächelte und nickte folgsam, was Ichi ein Fauchen entlockte, der durchaus vermutete, Autorität funktioniere bei Ken lediglich nach eigenem Ermessen, und ER war ja auch noch fünf Jahre jünger, was schier UNGLAUBLICH schien! Als sie den Platz hinter der Theke tauschten, bewies Ken einmal mehr seinen mangelnden Respekt für altersgemäßes Verhalten, indem er Ichi herumwirbelte und dann ausgiebig küsste. Hollywood-reif. Dann galt es, einen flotten Sprint hinzulegen, weil Ichi nicht nur Kundschaft registriert hatte, sondern mit dem rechten Ohr durchaus gemurmelte Kommentare vernahm. Mit einem frechen Grinsen in den Mundwinkeln suchte Ken zu den "frühen Vögeln" Blickkontakt und konnte dort keine Ablehnung finden. Sie kannten ihn ja schließlich! (^w^) Ken traf seinen Großonkel wie verabredet am Imbiss, wo er die geleerten Bento-Boxen ablieferte und sein Frühstück in Empfang nahm. Es gab so Einiges zu besprechen, denn der Umzug, obwohl gelungen, brachte Veränderungen mit sich. Üblicherweise hatte Ken nach dem Imbiss noch ein, zwei Stationen aufgesucht, dort abgeliefert, was in den Trolley passte und den Gegenwert kassiert, im Tresor eingeschlossen, damit er bei der nächsten Nachtschicht die Abwicklung ordnungsgemäß dokumentieren konnte. Mangels Tresor und größerer Distanz schied dieses Vorgehen nun in der bewährten Form aus. Grundsätzlich, wo früher ein lockerer Marsch von der Brache im Hinterhof genügt hatte, waren nun per Pedale zwanzig Minuten als Reaktionszeit auf Notrufe einzukalkulieren! Das geschäftliche Handy konnte bei verteilten Schichten nur eine Person in ihrem Trio-Haushalt mitführen (zugegeben, Pearl wurde es nicht zugemutet), aber das sorgte für eine kommunikative Lücke. Wenigstens sollte bald Strom verfügbar sein, um den Akku aufzuladen. Es gab also durchaus neben dem üblichen Austausch über Lieferungen, das Sortiment, Vorkommnisse und Änderungen in der Architektur der Seilzug-Landschaft im Laden und Lager, eine Menge Themen zu adressieren! (^w^) Ichi registrierte erleichtert, dass der heftige Regen eine Pause eingelegt hatte, als er nach Schichtende und Übergabe den Laden verließ. Er steuerte wie gewohnt den Imbiss an, die struppige Strickjacke enger um sich ziehend. Trotz der hohen Luftfeuchtigkeit fühlte sich alles ein wenig klamm und kalt an. Im Imbiss wurde lebhaft diskutiert (wie eigentlich immer), was auch mit der Baustelle in Zusammenhang stand. Handa hatte höflich gefragt, ob es möglich sei, dass sie sich auch hier verköstigen könnten. Er wollte aber niemanden verdrängen und mit seiner Truppe höchst hungriger Kameraden den Imbiss ausplündern. Eine Herausforderung für die Hausfrauen-Riege, die ihre Kalkulationen umstellte, die Abläufe, die Organisation. Ichi war als "Stammkundschaft" gebucht und konnte daher immer damit rechnen, nach Ende der Schicht eine Mahlzeit und die Bento-Boxen vorzufinden. Andere mit spontanem Appetit mussten da schon mal mit Restposten vorliebnehmen. Während Ichi Tee nippte und seine nachmittägliche Portion verspeiste, konstatierte er die schiere Unmöglichkeit, Ken die Ohren langzuziehen. Jede unvernünftige Eigenmächtigkeit (nämlich auf Kosten der eigenen Befindlichkeit) löste Probleme, räumte Schwierigkeiten aus und, ärger noch, verwöhnte ihn! Man hätte ja beleidigt sein müssen, im Stolz verletzt...bloß empfand Ichi diese Emotionen gar nicht, was durchaus beunruhigend war! Ein gewisser Grat an Abgrenzung, an Autonomie, der durfte einfach nicht verloren gehen! Sonst stellten sich Konsequenzen ein, deren bleibende Spuren er an Leib und Seele mehr als genug trug! Er erhob sich, reichte das Geschirr in den Imbiss und wollte nun die Bento-Boxen apportieren, als ihn ein freches Zwinkern aufmerken ließ. "Na, wenn das nicht ein Kavalier zu Stahlross ist!" Ichi rotierte blitzartig, von einem gewissen Ingrimm erfüllt, den er nicht mal rauslassen konnte, weil... Nicht nur er starrte verblüfft bis frappiert auf Kens Fortbewegungsmittel: mutmaßlich ein Damen-Fahrrad recht einfacher Ausführung, das mit diversen anderen Bauteilen, unterschiedlichen Reifen und zahlreichen Klebebändern zusammengefügt worden war. Passend dazu trug Ken einen Helm, der möglicherweise den Vorgaben entsprach, aber ebenfalls kreativen Recycling-Bemühungen entsprungen sein musste. "....!!", ächzte Ichi schließlich tonlos, als Ken gewohnt nonchalant den buntscheckigen Drahtesel aufbockte, munter in die Runde grüßte und die Bento-Boxen gleich in dem Faltkorb vorne verstaute. Der Sozius aka Gepäckträger war mit einem mehrfach gefalteten Badehandtuch gepolstert, darauf gesichert ein zweiter Helm. Der schien eher für eine Regenwald-Expedition mit Orchideen-Suche bestimmt gewesen zu sein, zumindest, was die florale Ausstattung betraf. "Na, das ist ja mal ein sehr originelles Stück", kicherte die Seniorinnen-Jury unisono. "Unikate", bestätigte Ken, den Zahnstocker kreisen lassend, "machen schon was her. Was heiter stimmt, poliert das Karma", behauptete er ungeniert, ein schelmisches Zwinkern anschließend. "Wollen wir? Bevor es wieder regnet", lud er Ichi ein, den zweiten Helm befreiend, eine verschwörerische Geste, mit Grandezza diese ungewöhnlichen Neuzugänge in ihrem Besitz gebührend zu repräsentieren. Sprachlos, vielmehr von seinem Gewissen daran gehindert, ungefähr ein Dutzend strenge Nachfragen an Ken zu richten, löste Ichi seine Hochsteckfrisur auf, fasste die langen, schweren Strähnen in einen schlichten Zopf im Nacken und topfte dann den Helm auf. "Bis morgen dann, und vielen Dank!", verabschiedete Ken sich wie üblich, wartete, dass Ichi ihm die dünnen Arme um die Taille schlang und trat kräftig in die Pedale. Das "Monster" verfügte weder über eine elektrische Unterstützung, noch bestand es aus leichten Materialien wie Karbon oder Aluminium-Kunststoff-Verbindungen. Ein betagter Stahlrahmen, drei Gänge mit Rücktritt, zwei Bremsen am schlichten Lenker, ein einfacher Sattel. Musste man den Drahtesel nicht über Treppen tragen oder ständig Hügel bezwingen, keine schlechte Wahl, zumindest aus Nachhaltigkeitsaspekten. Natürlich bemerkte Ken Ichis Unruhe, streichelte bei jedem Halt mit einer freien Hand über die dünnen Arme, die ihn umschlangen. Nur ein wenig Geduld! (^w^) Bevor Ken vor ihr neues Heim rollte, ließ er die Klingel hören, erstaunlich melodisch. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn Pearl wartete bereits in ihrem neuen Hängekorb, verließ diesen sofort und kam, durch die Stangen des Drahtkäfigs nicht gehindert, auf drei Pfoten den beiden entgegen. Ken reichte Ichi die Bento-Boxen und bückte sich, um Pearl in den Faltkorb zu befördern. "Na, Prinzessin Samtpfote, eine Spritztour mit dem neuen Gefährt gefällig?" Bevor Ichi noch protestieren konnte, hatte Pearl bereits angeregt ihre Zustimmung kundgetan und Ken strampelte engagiert los. Besorgt wagte Ichi gar nicht, den kleinen Container aufzuschließen und die Bento-Boxen abzustellen, als könne der ständige Blickkontakt alle Kalamitäten verhindern. Pearl genoss die flotte Runde sichtlich, die Schnurrbarthaare tanzten im Fahrtwind, der kupierte Schwanz kringelte Spaß in die Luft. Ken, der Pearls Begeisterung anlässlich des Umzugs geweckt hatte, schmunzelte, weil die kleine Katze so viel Lebensfreude verströmte und Veränderungen mit Neugierde begegnete. Pearl maunzte laut, als sie bei Ichi vorfuhren, sie aus dem Faltkorb gehoben und beschmust wurde. Ken unterdrückte ein Grinsen, verstaute rasch die Bento-Boxen, dann kehrte er zurück, den Zahnstocher sicherheitshalber in den Helmgurt klemmend. "Und jetzt du mit Pearl, Ichi", forderte er auf, suchte den Kontakt mit den tiefschwarzen Augen. Ichi presste die Lippen zusammen, betrachtete Pearl, die sehr gern noch eine Runde absolviert hätte. "Ich stütze dich hinten", ermutigte Ken leise, "versuch's." Das spitze Kinn ruckartig reckend setzte Ichi Pearl in den Faltkorb, umklammerte prüfend die Griffholme des Lenkers. Bremsen...Ständer lösen...einen Fuß auf eine Pedale... Ken schob, den Gepäckträger fest im Griff. Er vertraute darauf, dass Ichis Gleichgewichtssinn funktionierte, auch wenn dessen linkes Ohr taub war. Etwas wacklig, vorsichtig suchte Ichi einen Bewegungsablauf, erkannte, dass mit ein wenig mehr Tempo die Ausrichtung leichter fiel... Lächelnd richtete Ken sich auf, als Ichi Schwung aufnahm. Pearl maunzte anfeuernd. Zum ersten Mal hörte Ken Ichi vor Freude laut herauslachen, begeistert, fast euphorisch, eine Runde drehend, rechts, dann links, eine Hand vom Lenker, dann die andere, um Zeichen zu geben. Er wartete gelassen, bis Ichi sich widerwillig besann und zurückrollte, mit Bedacht abbremste und den Ständer aktivierte. "Ich kann's!", verkündete er aufgeregt und in jungenhafter Überschwänglichkeit, "ich hab's geschafft!" Ken pickte Pearl aus dem Faltkorb, zog Ichi dann in den anderen Arm und drückte ihn an sich. "Das war toll, Ichi, sehr gut gemacht!", lobte er sanft, platzierte einen zärtlichen Kuss auf Ichis Lippen. In diesem Augenblick kündigte ein Rauschen den nächsten Guss an, sodass der Drahtesel rasch angebunden wurde und alle die halbe Wendeltreppe nach oben erklommen. Während Pearl sich nach all der Aufregung ein Nickerchen auf ihrem Lieblingskissen gönnte, beschränkte Ichi sich darauf, Ken erneut zu umarmen, ihm "danke" zuzuwispern, was ohne die störenden Helme noch viel besser gelang. "Ein bisschen unsportlich, das gebe ich zu", Ken löste sich behutsam, zog Ichi zu sich herunter auf die Badevorleger, um dort zu kuscheln, "allerdings kann ich höhere Gewalt zu meinen Gunsten anführen." Ichi lupfte eine kritische Augenbraue. Was würde dieser unmögliche, komische Kauz nun wieder vorbringen? (^w^) Ken kämmte sanft Strähnen von Ichis Ohr, zupfte dann eine Decke zurecht und zwinkerte. "Du hast bestimmt beim Frühstück heute auch gehört, dass die alten Leute ihren Waschsalon abgeben wollen, oder? Das liegt nicht etwa an mangelnder Arbeit, sondern mehr, als sie bewältigen können. Mein Großonkel hat sich Gedanken darüber gemacht, wie es mit dem Laden läuft, jetzt, nach dem Umzug, und weil wir ja Mühe haben, Mitarbeitende für die Schichten zu finden." Auf Ichis Miene konnte er Sorge ablesen. "Wir haben also mit den Zahlen aus unseren Systemen gespielt, ein paar Szenarien durchgesprochen", Ken drückte eine schmale Hand leicht, "mit dem Ergebnis, dass wir Änderungen anpacken werden. An den Details feilen wir noch, und wie immer gilt: eine Nacht drüber schlafen." "Wie auch immer DU das anstellen willst", grummelte Ichi, denn Ken verstand offenkundig das Prinzip von Erholung nicht richtig! Der grinste unverhohlen, verabreichte Ichi einen Eskimo-Kuss, "ja, daran muss ich noch arbeiten, richtig." Er studierte Ichis Stirnrunzeln, die widerwillige Sorge, wurde ernster. "Auch wenn der Eindruck gerade anders ist: ich stimme mich bei Anschaffungen größeren Umfangs ab. Ein Freund hörte von einer Haushaltsauflösung und gab mir die Information weiter, damit ich mein Glück versuche. Ein Leihfahrrad..." Ichi bremste mit einer Fingerspitze Kens Argumentation aus. "Du musst mich nicht mehr überzeugen", Ichi seufzte grämlich, "wie wir ja unlängst gesehen haben." Wenn er selbst die Mittel zusammensparen könnte... Ken schmunzelte, bevor er wisperte, "es ist schön, dass du so viel Freude daran hast. Ich hoffe, ich höre dich noch öfter so fröhlich lachen, Ichi." Merklich errötend biss Ichi sich auf die Lippen, obwohl er sich ja nun wirklich nicht mehr genieren musste, andererseits... Ohne darauf zu dringen rutschte Ken noch ein wenig näher und murmelte, "jetzt hole ich auch brav die Siesta nach." Anstelle einer spöttischen Bemerkung, die sich Ichi nicht zutraute, weil ihn eine gefährliche Wärme erfüllte, verlegte der sich darauf, ein wenig zu dösen und darüber zu spekulieren, wie diese beiden seltsamen Männer wohl den Geschäftsbetrieb verändern wollten. (^w^) Ichi weckte Ken und übermittelte die Nachricht, dass sie jetzt über Strom und fließendes Wasser verfügten. Diesen Umstand nutzend hatte er im kleinen Container frisch Tee aufgebrüht und für Ken die Bento-Box mit seinem Abendessen apportiert. Pearl leistete ihm Gesellschaft, da sie sich auch wie gewohnt für ihre nächtlichen Abenteuer stärken wollte. "Ich werde mir ein Leihfahrrad..", begann Ken, doch Ichi unterbrach ihn entschieden, "Unfug! Wenn hier alles aus den Bürogebäuden ausfliegt, wirst du keins bekommen. Du nimmst das Rad. Ich kann laufen." Verständlicherweise "versammelten" sich die Leihräder abends am Bahnhof, damit sie morgens gleich wieder genutzt werden konnten, wie die Pendelnden immer im Schwarm unterwegs. "Dann musst du aber sehr viel früher los", warf Ken ein, "und ohne Frühstück." Ichi schnaubte, "du vergisst wohl die Bento-Box, die du ERNEUT übersehen hast, damit ich es nicht allzu klapprig zum Imbiss schaffe?" "Eine Not-Ration, wie von den Behörden empfohlen", behauptete Ken nachlässig. Die tiefschwarzen Augen funkelten grimmig, was er mit einem Zwinkern konterte. "Jedenfalls", überging Ichi schließlich eine Auseinandersetzung, "kannst du für den Heimweg ein Leihrad nehmen." Dann könnte er am frühen Nachmittag nach seiner Schicht ihr seltsames Ross nutzen und auch die Bento-Boxen transportieren. "Außerdem werde ich den Spaziergang nutzen, um die Gegend besser kennenzulernen. Wir müssen auch überlegen, wie wir es mit der Wäsche halten. Vielleicht könnten wir ein Gestell unter den Container anbringen?" Ken erkannte durchaus den Versuch, seine Gedanken auf ein praktisches Problem zu lenken, um ihn von weiteren "Heldentaten" abzubringen. Andererseits galt es tatsächlich, sich auf eine alternative Variante mangels Veranda und Regenspülung umzustellen. "Wir müssten uns bei Tag mal ansehen, was wir unten anbringen können", antwortete er nachdenklich. Pearl maunzte mahnend zum Aufbruch. "Richtig, Eure Hoheit, alles zu seiner Zeit", Ken erhob sich, ausgerüstet mit Zahnstocher, und, nach Ichis auffordernder Geste, dem Handy. Auch Ichi kam auf die Beine. "Dein Großonkel könnte sich melden, für die Strategie", erinnerte er, bückte sich, um Pearl hochzunehmen. Zu dritt stiegen sie die halbe Wendeltreppe herunter. Es nieselte unleidlich, die Straßenlaternen funzelten Streulicht und die Angestellten begaben sich eilig auf den Heimweg. "Fahr vorsichtig, ja?", Ichi kraulte durch Pearls Fell, die höflich wartete, bis Ken außer Sichtweite zu sein pflegte, bevor sie ihre eigene Tour begann. "Schlaf gut", wünschte Ken zwinkernd, den Zahnstocher im Helmgurt deponiert, damit er Ichi ein entsprechendes Gute-Nacht-Küsschen applizieren konnte. Ichi grummelte leise, denn mal wieder kehrten sich ihre Rollen um, entsprachen Altersunterschied und Stellung (sempai-kohei) nicht den tradierten Verhaltensweisen, machten ihn zum nörgelnden Pseudo-Erwachsenen, während Ken unbekümmert jugendliche Frechheit verkörperte! Andererseits konnte er Ken nicht zürnen, weil hinter der Illusion ein allzu aufmerksamer Geist wachte, der mit Langmut und Geduld Um- und Rücksicht bewies, sich nicht gern in die Karten sehen ließ und sogar den lächerlichen Eigensinn/Stolz akzeptierte. Seufzend ging Ichi in die Hocke, gab Pearl frei, die die Anspannung mit Schnurrmotor reduziert hatte. "Ich sollte aufhören, mir was vorzumachen, richtig?" Pearl maunzte verständnisvoll, ließ sich noch kurz zwischen den Öhrchen kraulen, bevor sie munter Richtung Schrein davonsprang. Sich ein wenig verlassen fühlend straffte Ichi die magere Gestalt, entschied, sich zur Ruhe zu begeben. Als er den kleinen Container aufschloss, um die Zähne zu putzen, fand er, eingeschlagen in ein fadenscheiniges Tuch, ein Buch. Ein Kompendium für Kleinunternehmen, von der Gründung bis zur Abgabe, Buchführung, Steuern, Melde- und Nachweispflichten, Zoll, Register, Vertragswesen... Ichi klemmte sich das Buch unter den Arm, stieg hoch in den Container, schlang sich dort eine Decke um die mageren Schultern. Der Halunke gab wohl nie auf, ihn für einen ganz normalen Job mit Abschlüssen, Nachweisen und Qualifikation ködern zu wollen! Allerdings konnte es auch nicht schaden, mal in einzelne Kapitel reinzublättern... (^w^) Ken musste sich nicht um Sichtbarkeit bemühen, auch wenn er Nebenstraßen bevorzugte. Das Fahrrad verfügte neben der üblichen Beleuchtung vorne und hinten über eine Varianz an reflektierenden und fluoreszierenden Bändern, Aufklebern und Einsätzen. Man hätte an eine wandelnde Zirkusvorstellung glauben mögen! Während er nun in der Nachtschicht den üblichen Aufgaben nachkam, räsonierte er gewisse Notwendigkeiten. Es ging nicht bloß um ein Gestell zum Trocknen von Wäsche, nein, zum erstem Mal verfügten sie über Strom und fließendes Wasser. In der winzigen Küche existierte ein kleiner Kühlschrank. WC und Dusche in fast luxuriösem Komfort ebenfalls nicht zu vergessen. Keine Experimente mehr mit Zisternen und Regentonnen! »Und du bist nicht mehr allein!«, mahnte ihn sein Gewissen. Richtig, sie waren zu dritt, und das bedeutete, dass er seit dem Auszug bei seinen Eltern zum ersten Mal wieder auf Dauer ausgelegt mit anderen zusammenlebte. Da konnte es unzweifelhaft NICHT mehr nach seiner eigenen Bequemlichkeit gehen, die sich auch aus der unmittelbaren Nähe des Imbisses und des Ladens gespeist hatte. Da brauchte er keinen Kühlschrank, kein Fortbewegungsmittel, keinen Strom, keine besondere Beleuchtung... Ichi hatte ja recht, Wäsche musste auch mal richtig gewaschen werden, was das Vogelbad aka Waschbecken im kleinen Container mangels Volumen nicht hergab. Eine Waschmaschine anschaffen? Dafür reichte der Platz nicht, also musste ein Waschsalon her, da konnte man in der Regel aber auch die Wäsche in den Trockner bugsieren. Nasse Wäsche durch die Gegend gondeln machte auch Arbeit! Wenn nun aber... (^w^) Ichi erreichte den Imbiss recht abgekämpft, denn ein warmer Wind verwirbelte die Regenböen und taufte so ziemlich alles von oben bis unten. Im Laden würde er seine Kleidung auswringen müssen, bevor er seine Schicht antrat! Die Hausfrauen hatten vor dem Imbiss einen Sonnenschirm aufgespannt, damit man wenigstens halbwegs geschützt das Frühstück mümmeln konnte. Wirklich, es war noch immer viel zu warm! Klimawandel, gar keine Frage. Da hatte man ja was angerichtet! Zur Aufheiterung wurde lieber ein Lied angestimmt, das hob die Laune und sorgte für Schwung. Ichi, wegen Speisens exkludiert, hing den eigenen Gedanken nach und leerte seine Schale. Wenigstens hatte er auf dem Weg die nähere Umgebung sondieren können! Ob es schon eine Entscheidung durch den Großonkel gab? Entschieden erhob er sich, denn der Tag würde noch so Einiges zu bieten haben! (^w^) "Oha", kommentierte Ken sparsam, den Zahnstocher hinter ein Ohr verbannend, als Ichi im trockenen Polo-Shirt und einer grässlich karierten Leggins den Laden betrat. "Ich weiß", grummelte Ichi, die nassen Haare eingeflochten und hochgesteckt, "ich ziehe was anderes über, wenn es trocken ist. Machen wir gleich die Übergabe, damit du zu deinem Abendessen kommst. Willst du wirklich die Bento-Boxen...?" »...zum Imbiss tragen, oder soll ich das rasch auf dem Heimweg mit Rad erledigen?«, wäre der Satz vollendet worden, doch Ken registrierte ein ERHEBLICHES Kuscheldefizit bei sich und küsste Ichi verlangend. Der zog schließlich grimmig an einem Ohr, um sich zu befreien. "Also wirklich!", tadelte er erbost, "wir sind hier nicht daheim, ja?" Selbst wenn Ken quasi mit dem Laden verheiratet war und ihn als erstes Wohnzimmer ansah! Zwinkernd ersparte sich Ken sowohl Rechtfertigung als auch Entschuldigung. "Guten Morgen, Ichi. Ich freu mich, dich zu sehen", antwortete er unbeeindruckt, hielt Ichi weiterhin um die schlanken Hüften. "DAS merke ich!", fauchte der mit geröteten Wangen, "nimm dich BITTE zusammen, bevor irgendwer die Polizei ruft." Schmunzelnd löste Ken sich, fingerte bedauernd den Zahnstocher vom letzten Aufbewahrungsort und bestückte einen Mundwinkel. "Du musst dich jetzt mal ausruhen", nötigte Ichi, eine Sorgenfalte auf der Stirn, "sei ausnahmsweise mal vernünftig." Ken seufzte und bemühte einen Hundeblick, der bei Ichi Blitze in die tiefschwarzen Augen zauberte. "Ab mit dir, aber pronto, iss was und dann Matratze abhorchen!" Ein ausgestreckter Arm mit deutlichem Fingerzeig Richtung pneumatischer Türen unterstrich diese strenge Aufforderung. Tja, das war wohl höhere Gewalt, der man sich hier beugen musste! (^w^) Glücklicherweise hatte es aufgeklart und die Luft war weniger feuchtigkeitsgeschwängert, als Ichi nach Schichtende mit dem "Monster-Rad" den Imbiss ansteuerte. Er sammelte die Bento-Boxen ein und speiste recht eilig, während man die aktuellen Ereignisse und Neuigkeiten diskutierte, laut spekulierte, was aus dem Waschsalon würde, wie rasch wohl die Bauarbeiten voranschritten und was der Großonkel ausheckte. Ichi beteiligte sich nicht, sondern verabschiedete sich rasch, um mit klopfendem Herz in die Pedale zu treten. Tatsächlich, es funktionierte! Mit wachsender Begeisterung genoss er den raschen Transport, hielt sich aber dazu an, nicht zu euphorisch zu werden und strikt mit Voraussicht zu pedalieren. So ein eigenes Rad...! Ichi verdrängte die verlockende Aussicht entschieden und entdeckte Ken, der gerade Laub in einen faltbaren Sack stopfte, unterstützt von Pearl, die nach einzelnen, flüchtigen Blättern haschte. "Wieso schläfst du nicht?", erkundigte sich Ichi seufzend, bockte das Rad auf und verstaute rasch die Bento-Boxen im kleinen Container. "Habe ich, aber dann wollten wir zwei im kleinen Park ein bisschen helfen. Wenn man das Laub kompostiert, bekommt man sehr gute Erde, deshalb nutzen wir ein verstecktes Eckchen", Ken luchste Pearl die letzten Blätter ab, die lieber mit Ichi schmuste, der sie auf die Arme nahm. "Wenn diese ehrenvolle Aufgabe abgeschlossen ist, kommst du dann kurz mit mir mit?", Ichi kraulte Pearl, die vor Begeisterung lautstark schnurrte. "Aber gern", neugierig wanderte der obligatorische Zahnstocher in den anderen Mundwinkel. Wenige Minuten später musste Ken auf dem Sozius des Rads Platz nehmen, während Pearl vom Faltkorb vorne aus die Fahrt genoss. Ichi steuerte den großen Schrein mit dem angeschlossenen Tempel an, den sie schon einmal besucht hatten. Glücklicherweise hielt das Wetter sich zurück, sodass er nicht allzu sehr in Schweiß geriet, die beiden Passagiere zu befördern. Da alle Abstellmöglichkeiten besetzt waren, schoben sie das Rad auf das Gelände. Ken lächelte, verstaute höflich den Zahnstocher, als er Pearl zur Bewachung des Rades zurückließ, um an Ichis Hand erst die rituelle Reinigung vorzunehmen, dann zweimal in die Hände zu klatschen und zu beten. Ichi hatte selbstredend mehr zu berichten, mit den hochgesteckten Haaren konnte er aus den Augenwinkeln heraus verfolgen, wie sich die Lippen bewegten. "Noch einen Moment", bat Ichi, als sie zum Rad zurückkamen. Bisher hatte niemand Anstoß daran genommen, dass sie das Rad schoben oder ein Haustier mitbrachten. Ken nickte, kraulte Pearl, die interessiert vom Faltkorb aus in die Gegend spähte. Nach wenigen Minuten kehrte Ichi zurück, deponierte ein kleines Tütchen mit Gebäck für die Teezeremonie zu Pearl, die schnupperte, jedoch von einer Kostprobe wohlweislich absah. Ichi fasste Kens Handgelenk, wand eine feine Schmuckkordel, die für die verkauften Talismane verwandt wurde, eng darum, blickte ihm in die Augen. "Wenn ich sage, dass du ein komischer Kauz bist, dann-dann meine ich das nicht abwertend. Ich bin noch nie jemandem wie dir begegnet." Das spitze Kinn höher reckend ergänzte Ichi, "ich will mit dir zusammenbleiben." Ken lächelte, streckte die Hand aus und bekam, wie vermutet, eine zweite Schmuckkordel ausgehändigt, die er seinerseits um Ichis schmales Handgelenk band. "Ich will auch mit dir und Pearl zusammenbleiben", bestätigte er, befleißigte sich dann gewohnheitsmäßig der Unmanierlichkeit, Zeit und Ort zu ignorieren, indem er Ichi in seine Arme zog und mit unverhüllter Leidenschaft küsste. (^w^) Ohne Tadel oder Ermahnung genoss Ken die Situation außerordentlich, den vertrauten, schlanken Körper, die letzten Ereignisse und dass Ichis Mama bestimmt auch informiert worden war, dass sie hier ein Bekenntnis zueinander ablegen würden. Außer Atem, mit geröteten Wangen und verlegen-vergnügt bewegten sie das Rad mit Pearl, sich an der Hand haltend, zum Ausgangstor. "Wir müssen noch einen kurzen Abstecher machen", erklärte Ken, steuerte zwei Gassen weiter ein kleines Geschäft an, wo sich gerade eine kurze Warteschlange befand. Ichi ächzte kaum hörbar. Ken grinste, konnte es nicht verstecken, "na hör mal, unsere Verlobung muss doch ein bisschen gefeiert werden, oder?" Er bockte das Rad auf, kraulte Pearl kurz das Kinn und dippte Ichi in Rücksicht auf Publikum einen Kuss auf die rechte Wange. "Lass dich überraschen." Einige Minuten später stellte er Ichi zwei gerollte Crêpe vor, Banane-Schokolade und Früchte-Vanille. Dazu eine kleine Flasche Wasser und für Pearl zerknülltes Servierpapier, das man im Faltkorb knisternd beuteln konnte. Selbstredend wurde geteilt, ohne Werkzeug per Abbeißen. Ichi leckte sich die Lippen, mit solchen Genüssen nicht auf vertrautem Fuß stehend. Obst war ja auch recht teuer, für Pearl nicht geeignet... Man hätte seufzen mögen ob des vermaledeiten Geschicks dieses komischen Kauzes, ihm all diese Zugeständnisse zu machen! Ken lächelte. Konnte vermutlich diese Gedanken auch noch erahnen! "Lass uns nach Hause fahren, ja?", wisperte er in Ichis rechtes Ohr, applizierte ungeniert einen Kuss. Pearl maunzte, des Spiels mit dem Papierball müde. Ichi ließ sich ohne Widerrede auf dem Sozius nieder, schlang die Arme um Kens Taille. Es tropfte leicht, was diesem als Ansporn diente. Noch war ja die Frage nach einem Trockengestell oder Leinen nicht beantwortet! "Wir sind daheim", verkündete er im Container, während Pearl schon ihr Lieblingskissen für eine ausgedehnte Siesta ansteuerte. Ichi streifte sich die Kleider ab, die sich erneut klamm anfühlten, warf Ken einen auffordernden Blick zu. Der lächelte und folgte dem Vorbild, "du kennst meine Neigung zum Naschen recht gut." Früher hätte Ichi spöttisch geschnaubt, jetzt löste er schlicht die langen Haare und streckte Ken die Hand entgegen. "Wenn du in der Nachtschicht ächzt und jammerst, schieb es nicht auf mich", forderte mit funkelnden Augen heraus. Ken grinste geschmeichelt und verbannte den Zahnstocher bis auf Weiteres. Anstelle einer brünstigen Attacke, und seine LIBIDO schrie geradezu nach konzertierter Aktion mit vielen Kontraktionen und da capo!, zog er Ichi in seine Arme, küsste ihn zärtlich und wisperte "ich liebe dich, Ichi." Er lehnte die Stirn an, rieb ihre Nasenspitzen und goutierte selbst im Halbdunkel des frühen Nachmittags die merklich geröteten Wangen. "Ich mag dich auch, du komischer Kauz", antwortete Ichi ihm schließlich kaum hörbar. Lächelnd verlegte Ken die weitere Entwicklung auf die Badevorleger eine Etage tiefer. JETZT fühlte sich wirklich alles nach einem Zuhause an! (^w^) Fortsetzung Weihnachten 2023 mit "Merry-go-round"! Danke fürs Lesen! kimera